Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der KAS, Dr. Peter Fischer-Bollin, wies der Ständige Vertreter Deutschlands bei der UN in Genf, Michael Freiherr von Ungern-Sternberg, auf zwei Probleme multilateraler Institutionen hin: Sie würden nur bei besonderen Ereignissen in den Fokus rücken, doch über ihre Arbeit gebe es in der Öffentlichkeit kaum Wissen. Die KAS könne dabei helfen, das Verständnis für deren Wirken zu verbessern. Eine zweite Herausforderung sei die schwindende Unterstützung zentraler Akteure und eine von verschiedenen Seiten kommende Kritik. Gleichzeitig müssten aber die großen aktuellen Herausforderungen - Migration, internationaler Handel, Umwelt, die Wirkung neuer Technologien auf die Arbeitswelt - nicht nur auf nationaler, sondern auch auf globaler Ebene angegangen werden.
Attacken auf die multilaterale Weltordnung von verschiedenen Seiten
Hermann Gröhe bemerkte mit Hinblick auf die Attacken auf die multilaterale Ordnung: diese kämen vor allem von Populisten, die eine Nullsummenlogik verträten, und ihre Länder als Verlierer dieser Ordnung sähen. China wiederum spiele eine ambivalente Rolle: In einigen Bereichen (z.B. der Klimapolitik) zeige sich China als verantwortliche Stütze der multilateralen Ordnung, auf der anderen Seite beuge es aber gleichzeitig regelmäßig Regeln des internationalen Rechts.
Eine wichtige Herausforderung sei die gegenüber internationalen Foren skeptische öffentliche Meinung. Gröhe forderte in diesem Kontext einen Wandel: „Viele internationale Institutionen bedürfen einer Reform, um ihre Ziele besser zu erreichen. Die Strategie, auf einen Sinneswandel nationalistischer Führer und Regierungen zu warten, ist zu passiv und unrealistisch.“ So mahnte Gröhe sowohl eine stärkere Rechenschaftspflicht als auch eine stärkere Beachtung des Subsidiaritätsprinzips an: Multilaterale Institutionen sollten sich um solche Fragen kümmern, bei denen ein klarer Mehrwert von globalen Regelungen bestehe und die nicht besser auf einer niedrigeren Ebene adressiert werden könnten. Gleichzeitig müsse die Sichtbarkeit internationaler Organisationen auf nationaler Ebene gestärkt werden. Mit Blick auf die Genfer Organisationen betonte Gröhe, dass es im Handelsbereich einer besseren Vereinbarkeit zwischen freiem und fairem Handel bedürfe. Im Gesundheitsbereich gäbe es zwar inzwischen viele finanzielle Mittel, trotz einiger Fortschritte sei man aber noch weit von einer Erfüllung des entsprechenden Nachhaltigkeitsziels (SDG 3) entfernt. Hier müsse man einen Blick auf ein besseres Zusammenwirken der relevanten Akteure richten. Die Notwendigkeit, Lösungen und Instrumente besser zu erklären sei beim Migrationspakt deutlich geworden. Die Attacken von populistischer Seite habe man hier unterschätzt, fast sei das Vorhaben gescheitert. Insgesamt sei es wichtig, die Beweggründe für neue multilaterale Initiativen besser zu erklären
Der stellvertretende Generaldirektor der WTO, Dr. Karl Brauner begrüßte die Präsenz der KAS in Genf; sie könne eine wichtige Rolle spielen, einen besseren Blick auf die Arbeit der WTO zu vermitteln. Mit Bezug auf die aktuelle Krise und die Reformdiskussion bemerkte er, dass ein großer Teil der Skepsis auf Fehlwahrnehmungen beruhe: Eine solche sei, dass es bei der WTO nur um Freihandel gehe, vielmehr gehe es um regelbasierten Freihandel, der Möglichkeiten kreiere, Rechtssicherheit garantiere und einen rechtlichen Rahmen für die Teilhabe am Weltmarkt vorgebe. Das Regelwerk biete den Mitgliedstaaten aber nach wie vor genug Freiraum für ihre eigene Politik. Eine Herausforderung sei, dass durch den Freihandel zwar viele neue Arbeitsplätze in den Ländern geschaffen wurden, allerdings nicht in denselben Regionen, wo Arbeitsplätze entfallen seien.
Herausforderung durch autokratische Staaten
Im Rahmen der Diskussion unterstrich Sabina Woelkner, Teamleiterin „Agenda 2030“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Bedeutung einer starken Einbindung der Zivilgesellschaft in die Genfer Debatte. Mehrere weitere Diskussionsbeiträge bezogen sich auf die wachsenden Herausforderungen durch zunehmend selbstbewusst auftretende autokratische Staaten: Prof. Ilona Kickbusch (GIIDS) wies auf die Notwendigkeit hin, den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Autoritarismus näher zu untersuchen. Hermann Gröhe wies darauf hin, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen nicht immer mit einer Stärkung der demokratischen Entwicklung einhergehe.