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Ganz Nigeria unterwegs zu den Wahlen
Wie etwa 38 Millionen andere Nigerianer machte sich Olafunke A. am 16. April im Süden des Landes morgens um acht Uhr auf den langen, staubigen Weg zu ihrer Wahlstation. Sie hatte sich hübsch zurecht gemacht und ihr Sonntagskleid angezogen, in dem sie auch in die Kirche geht: afrikanisch-farbenfroh bedruckte Baumwolle („made in China“ konnte man an dem nicht umgenähten Saum lesen!) mit einem passenden Hut aus demselben Stoff. Der würde sie zusammen mit ihrem Sonnenschirm hoffentlich etwas vor der gleißenden Hitze schützen, die in diesen Tagen leicht 40 Grad erreichen kann – im Schatten, den es kaum geben würde. Einen Plastikstuhl schleppte sie nicht mit. Der Weg war doch zu weit und sie war jung, ihr BMI gut.
Dies war die vierte Wahl, an der sie hoffnungsvoll teilnahm. Bei den guten Wahlen von 1993, deren Sieger Abiola war, ein Moslem aus dem Süden, war sie noch zu jung. Der damalige Militärherrscher Babangida annullierte diese Wahl jedoch und die Militärdiktatur dauerte noch bis zum plötzlichen Tod des üblen Militärdiktators Abacha 1998. Bei den ersten „demokratischen“ Wahlen von 1999 war Funke dann dabei.
Sorgen der Wähler auf dem Weg zur Urne
Sie wusste nicht, was sie am Samstag erwarten würde. Würden die Wahlen überhaupt stattfinden oder wiederum kurzfristig abgesagt werden, wie die erste Runde zu den Parlamentswahlen, die Prof. Jega, Vorsitzender der Wahlkommission INEC, am Wahltag, dem 9. April, ohne jede Vorwarnung erst um zwei Tage und dann schließlich um eine Woche verschoben hatte? Sie hatte immerhin vier Stunden geduldig aber vergeblich in der Sonne gewartet. Würde ihre Wahlstation einigermaßen pünktlich geöffnet? Wären die Wahlhelfer mit den Wahlzetteln und Auswertungsbögen rechtzeitig zur Stelle? Wären wenigstens zwei der landesweit eingesetzten 240.000 Sicherheitskräfte anwesend und würden die Sicherheit der Wähler gewährleisten? Oder würde sie wie in der Vergangenheit auch diesmal von jungen bezahlten Schlägern eingeschüchtert, ihre Stimme „richtig“ abzugeben? Würde es wieder zu Gewalttaten vom Urnendiebstahl bis hin zum Mord kommen?
All diesen Fragen und Sorgen zum Trotz war Funke nun schon zum dritten Mal im Wahlmarathon von 2011 unterwegs – zu Fuß, aller Auto- und Motorradverkehr in ganz Nigeria war verboten, um Chaos verhindern und Fälschungen zu erschweren. Nach der Pleite vom 9. April waren beim zweiten Anlauf am 16. 4. Repräsentanten¬haus und Senat überraschend frei und fair gewählt worden. Heute stand nun der Präsident zur Wahl. Am 26. würden dann noch in den meisten Staaten die Gouverneure und Landesparlamente der Federal Republic of Nigeria gewählt. Jedes Mal wurde praktisch das ganze Land stillgelegt – hohe Kosten für die Volkswirtschaft.
Der Wahlakt
Die erste Hürde, die Funke an ihrer Wahlstation zu nehmen hatte, war die Akkreditierung. Bei ihrer Registrierung als Wählerin im Januar hatte sie eine Wahlkarte bekommen. Ohne Karte keine Stimmabgabe, war die klare Linie von INEC. Um zu verhindern, dass sie nach Stimmabgabe weiterziehen und an einer anderen Station noch einmal wählen würde, musste sie sich wie alle anderen erst einmal „akkreditieren“ und dann warten, bis dieser Prozess um 12 Uhr abgeschlossen wurde. Erst nachdem alle registriert waren, würde sie ihre Stimme in die eckige, durchsichtige Plastikurne mit grünen Streifen (grün-weiss-grün sind Nigerias Nationalfarben) an den Kanten werfen können. Jeder konnte sich so leicht überzeugen, dass die Urne nicht schon „gestopft“ war, wie so oft in der Vergangenheit.
Sie hatte Glück, es gab eine eigene Schlange für Frauen und die Wahlhelfer waren effizient. Das war weiß Gott nicht überall so. Schon bald zierte ein Farbfleck ihren rechten Daumen und sie war „verifiziert und akkreditiert“. Bei der eigentlichen Wahl würde sie sich mit ihrem linken Daumen „ausweisen“ müssen. Ausweise kann man in Nigeria erstklassig fälschen - Fingerabdrücke sind bis jetzt so ziemlich das Einzige, was den Fälschern noch zu schwierig ist. Sie würde vorsichtig sein, die Farbe, mit der sie ihren Kandidaten markierte, nicht beim Falten des Stimmzettels zu verschmieren, so dass mehrer Kandidaten gleichzeitig gekennzeichnet und ihr Stimmzettel damit ungültig werden würde. 1,2 Millionen Wählerstimmen sollten letztlich so verloren gehen.
Funke hinterließ ihre Fingerabdrücke also nicht etwa, weil sie Analphabetin wäre, wie laut einer neueren Statistik 80% der Frauen und Mädchen im Norden. Hier im Süden ist Bildung nicht verboten, wie es die terroristische islamische Sekte Boko Haram im Norden propagiert und versucht, aus der krassen Bildungsnot eine religiöse Tugend zu machen. Im Süden und besonders in der kleinen Mittelklasse ist Bildung geboten. Auch für Frauen.
An Funkes Wahlstation waren keine ausländischen Wahlbeobachter: Die EU hatte 120 unter der Leitung von Alojz Peterle geschickt, ein Tropfen auf den heißen Stein zwar aber besser als gar nichts. Afrikanische Union unter John Kufuor, Common Wealth, ECOWAS, internationale und nationale Organisationen beobachteten die Wahlen ebenfalls. „Wahlbeobachter“ scheint ein neuer Beruf zu werden. Kein Wunder bei dem Zustand der Demokratie in der Welt. Die letzten Wahlen von 2007 hatten sie einmütig für manipuliert erklärt, einige sprachen sogar davon, es seien die schlechtesten Wahlen gewesen, die sie in ganz Afrika je erlebt hätten. Urnen wurden teils vor laufenden Kameras gestohlen, die Auszählungen nicht öffentlich und transparent vorgenommen, bei der Errechnung der Ergebnisse wurde kräftig gefälscht.
Diesmal sollte, ja musste alles besser werden. Ergänzend zu den öffentlich geäußerten Erwartungen und Ermahnungen vor allem der USA dürfte es wohl auch hinter den Kulissen zu Druck auf Nigerias Verantwortliche gekommen sein, nicht wieder mit gezinkten Karten zu spielen. Frau Clinton kann ja durchaus Tacheles reden.
Frustrierte Verlierer
Die Wahlen verliefen im ganzen Land friedlich und Funke kam müde aber wohlbehalten zuhause an, nachdem sie noch die Bekanntgabe des Wahlergebnisses an ihrer Wahlstation abgewartet hatte. Sicher war sicher. Ein langer Tag. Aber er war es ihr wert. Am 26. wird sie wieder dabei sein und es PDP zeigen.
Als sich aber am Sonntag und Montag ein klarer Wahlsieg des Teams Jonathan-Sambo abzeichnete, gab es im Norden kein Halten mehr. In mehreren nördlichen Staaten einschließlich der Stadtstaaten Kaduna und Kano kam es zu heftigen Ausschreitungen wie schon seit Jahren nicht mehr. Zwar gehören Kaduna und Kano zu den notorischen „hot Spots“ Nigerias, waren in den letzten Jahren aber relativ ruhig geblieben und von anderen Krisenherden wie Jos oder Maiduguri mit ihren Dauerkrisen weit in den Schatten gestellt. Schlafende Vulkane. Ein angeheuerter jugendlicher Mob – so sehen es jedenfalls viele Nigerianer, auch Moslems aus dem Norden – zog herum, steckte Häuser und Kirchen in Brand, plünderte Geschäfte, errichtete brennende Barrikaden auf den Strassen, die ein Durchkommen unmöglich machen sollten.
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Wahlergebnisse
Registrierte Wähler: 73,5 Mio. (von ca. 150 Mio. Einwohnern)
Präsidentenwahl am 16.04.2011:
Gültige Stimmen: ca. 38 Mio (Ungültige Stimmen: ca. 1,25 Mio.)
Davon für:
- PDP (Jonathan): 22.495.187
- CPC (Buhari): 12.214.853
- ACN (Ribadu): 2.079.151
- ANPP (Shekarau): 917.012
- PDP: 45
- ACN: 13
- ANPP: 7
- CPC: 5
- Sonstige: 4
Repräsentantenhaus am 09.04.2011, Sitze:
- PDP: 123
- ACN: 47
- CPC: 30
- ANPP: 25
- Sonstige: 9
Quelle: http://www.inecnigeria.org
Wahlbezogene Gewalt (Stand 21.04.2011), mindestens:
- Tote: 120
- Verletzte: 400
- Vertriebene: 48.000
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