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Noch am 10. Juni warnte der Vorsitzende der PSD und stärkste Politiker im Lande, Liviu Dragnea, dass es zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Iohannis kommen könne, wenn dieser eine äußerst umstrittene Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht umsetzen würde, die besagt, dass das Staatsoberhaupt die Leiterin der Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA), Laura Codruta Kövesi zu entlassen habe.
Der Auftritt von Dragnea erfolgte einen Tag nachdem PSD und ALDE eine Großkundgebung mit ca. 150.000 Teilnehmern in Bukarest abgehalten hatten, bei der die Führungsriege beider Parteien die vermeintliche Willkür des sog. „parallelen Staates“ angriff. Hierbei geht es um ein zentrales Narrativ im öffentlichen Diskurs der Regierungsparteien, die eine Verschwörung zwischen Justizinstitutionen und Geheimdiensten – mit Unterstützung der westlichen Partner des Landes – anprangern, die sich gegen den demokratisch ausgedrückten Willen des Volkes und gewählte Politiker richte. Am vergangenen Freitag kritisierte Senatspräsident Calin Popescu-Tariceanu, zugleich ALDE-Vorsitzender, anlässlich einer internationalen Konferenz der Vorsitzenden der oberen Parlamentskammern in Europa, die Europäische Kommission als „weiteres Instrument … des Druckes auf die Gegner dieses parallelen Systems“. Die EU-Exekutive sei gefangen genommen worden von einem „okkulten Einflusssystem (…,) koordiniert durch den Rumänischen Nachrichtendienst und die Nationale Antikorruptionsbehörde“.
Iohannis hat sich derweil am vergangenen Dienstag deutlich gegen die Stellungnahmen von Dragnea positioniert. Der sog. Parallelstaat sei „eine Erfindung der PSD-Leute, durch die sie ihre Handlungen gegen die Justiz und gegen die Dienste“ rechtfertigen würden. Er bezeichnete Dragnea als „Verbrecher“ und fügte hinzu, dass dessen Drohungen gegen Magistrate (ein rumänischer Sammelbegriff für Richter und Staatsanwälte) inakzeptabel seien. Für ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn gäbe es keine Gründe. Hinsichtlich der Umsetzung der Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Entlassung von Kövesi sagte der Präsident, dass diese weniger Klarheit schaffe als Fragen aufwerfe, die im Rahmen einer breiten Debatte beantwortet werden müssten. Er werde aber innerhalb einer „angemessenen Zeit“ eine Entscheidung treffen. Dabei hat das Verfassungsgericht dem Präsidenten keine Frist zur Umsetzung der Entscheidung vorgegeben. Iohannis brachte auch erneut die Möglichkeit eines Referendums über die künftige Ausgestaltung des Justizwesens ins Gespräch – wie auch im vergangenen Jahr, als er eine Volksabstimmung über die Korruptionsbekämpfung als Gegenmaßnahme zu den Angriffen von PSD und ALDE auf die Rechtsstaatlichkeit erwogen hatte.
Inwieweit es zu einer Suspendierung von Iohannis kommen könnte und wie das Verfahren aussehen würde, ist zurzeit noch unklar. In den Medien hatten sogar Gerüchte kursiert, dass die Amtsenthebung bereits am kommenden Mittwoch von den beiden Parlamentskammern beschlossen werden könnte. Als weiteres Szenario war auch die Möglichkeit erörtert worden, Iohannis nur zu suspendieren – woraufhin Senatspräsident Calin Popescu-Tariceanu kommissarischer Präsident würde, der u.a. anschließend Kövesi entlassen könnte – , die Suspendierung aber wieder rückgängig zu machen, bevor es zum von der Verfassung vorgesehenen Referendum über die Absetzung des Präsidenten kommen würde, das gemäß Art. 95 Abs. 3 innerhalb von maximal 30 Tagen zu erfolgen hat. So ließe sich das Szenario einer möglichen politischen Niederlage der Regierungskoalition durch ein vom Präsidenten gewonnenes Referendum umgehen. Zugleich würde praktisch die Möglichkeit einer zeitweiligen Suspendierung des Präsidenten durch die Parlamentsmehrheit als Alternative zu einem regulären und vollständigen Amtsenthebungsverfahren geschaffen. Eine solche Herangehensweise wäre verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig – viele Rechtsexperten sehen darin sogar einen eklatanten Verstoß gegen die Verfassung.
Auch ist unklar, ob die PSD die vorgesehene absolute Mehrheit für die Suspendierung des Präsidenten zusammenbekommen würde. Die Sozialdemokraten wären auf die Stimmen von ALDE angewiesen, deren Vorsitzender Popescu-Tariceanu sich in der Angelegenheit öffentlich sehr zurückhaltend gezeigt hat. Auch hat Iohannis mit einem geschickten Schachzug Mitte vergangener Woche die PSD in einen Zwiespalt gebracht, indem er unerwartet Gabriel Vlase, Vizepräsident der Abgeordnetenkammer und einer der Stellvertretenden Vorsitzenden der PSD, zum Leiter des Auslandsgeheimdienstes SIE vorgeschlagen hat. Medienberichten zufolge wurde Dragnea von diesem Vorschlag überrascht und inwieweit die PSD die Nominierung von Vlase unterstützen wird, ist offen. Vlase gilt als nahe am ehemaligen Premierminister Mihai Tudose, der von der PSD im Januar infolge eines Machtkonflikts mit Dragnea zum Rücktritt gezwungen worden war. Mit der Nominierung von Vlase konnte Iohannis auch einen weiteren potentiellen Vorwurf gegen ihn entkräften – denn die PSD soll neben der Verweigerung der Entlassung von Kövesi auch geplant haben, die seit zwei Jahren überfällige Ernennung eines neuen Chefs von SIE zum Anlass eines Amtsenthebungsverfahrens zu nehmen.
Für Iohannis birgt die von ihm zu treffende Entscheidung über die Zukunft von Kövesi ein zentrales Dilemma. Zum einen hat er sich stets als verfassungstreuer Präsident verstanden, der ausschließlich im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Befugnisse agiert und daraus auch die Legitimität zur Verteidigung bzw. Stärkung der Rechtsstaatlichkeit bezieht. Andererseits würde im rumänischen Kontext die Umsetzung der Entscheidung des Verfassungsgerichts die künftige Unabhängigkeit der Staatsanwälte in Frage stellen – wodurch eine zentrale Errungenschaft zur Konsolidierung der Unabhängigkeit der Justiz zurückgenommen wäre. Zudem würde Iohannis damit eine weitere institutionelle Schwächung der Stellung des Präsidenten hinnehmen. Insofern stellt das Urteil des Verfassungsgerichts nur einen Schritt zu der von der Regierungsmehrheit angestrebten Aushöhlung der präsidialen Kompetenzen dar, die Iohannis früher oder später ohnehin einen Konflikt aufzwingen könnte, will er einer möglichen politischen Marginalisierung entgehen. Darüber hinaus dürfte eine Entlassung von Kövesi zu einem deutlichen Vertrauensverlust bei seinen Anhängern in der Wählerschaft führen, sodass eine mögliche Wiederwahl bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Herbst 2019 deutlich schwieriger sein dürfte. Umgekehrt würde eine Suspendierung oder ein Amtsenthebungsverfahren vermutlich Unterstützung für den Präsidenten in der Gesellschaft mobilisieren. Insbesondere für reformorientierten Wähler – v.a. die städtische, gebildete Mittelschicht – gilt das Verfassungsgericht und das aktuelle Urteil ohnehin weithin als politisch motiviert.
Die oppositionelle PNL bereitet parallel zur verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung einen Misstrauensantrag gegen die Regierung der Premierministerin und Dragnea-Vertrauten Viorica Dancila vor, über den voraussichtlich nächste Woche das Parlament abstimmen soll. Derweil hat am Samstag der ehemalige Präsident Traian Basescu den Vorsitz der faktisch von ihm gegründeten Partei Volksbewegung (PMP) aufgegeben. „Die Zeit ist gekommen, meine Erinnerungen niederzuschreiben“, sagte er anlässlich des PMP-Parteitages. Er forderte dabei die Delegierten auf, weiterhin am Ziel der Wiedervereinigung von Rumänien und der Republik Moldau mitzuwirken. Zum neuen Vorsitzenden wurde der Abgeordnete Eugen Tomac gewählt.