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Wendgräben, 05.06.2009, 14.16,. Eine kurze Vorstellungsrunde zeigt: die Motivationen der Teilnehmer sind unterschiedlichster Natur, von beruflichem Engagement in der Region, bis zu schlichter, während einer Urlaubsreise gewonnener Faszination. Das Interesse eint sie. Wie geht es weiter in Zentralasien? Was sind die Ziele der dortigen Staaten und was die der Menschen? Welche ausländischen Mächte ringen um Einfluss? Warum und wie erfolgreich?
Aufgrund der Geographie, des Entwicklungspotenzials und des Rohstoffreichtums kann man die Perspektiven der Länder Zentralasiens schwerlich ohne geopolitische Komponente betrachten. Zu wichtig ist die Region für das Gelingen des NATO-Einsatzes in Afghanistan, zu groß das russische Engagement.
Regionale Kooperation und Interessen der zentralasiatischen Staaten
Dr. Farid R. Zakirov, Rechtswissenschaftler, Mitarbeiter der Bremer Baumwollbörse und selbst aus Usbekistan stammend, erklärt zunächst die strategische Bedeutung des Gebiets. Laut Zbigniew Brzeziński eine der drei strategisch wichtigsten Regionen der Welt, sei Zentralasien Gegenstand einer Neuauflage des „Great Game“, alle wichtigen Weltmächte betreiben ein irgendwie geartetes Engagement in der Region.
Um die jüngsten Entwicklungen zu beschreiben, vollzieht Zakirov die Geschichte der fünf Republiken „Mittelasiens und Kasachstans“ seit der „Wiedererlangung“ der Souveränität im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion nach. „Zunächst war Zentralasien eine Machtpolitische Nischenregion“, sagt er und beschreibt dann das zunächst sehr starke Engagement der Türkei. Aufgrund der nahen kulturellen Verwandtschaft zu einigen der ansässigen Völker habe die Türkei einen leichteren Zugang gehabt und in den ersten Jahren besonders mit der Gründung von Schulen, später auch von industriellen Joint-Ventures Einfluss gewonnen.
Im Zuge des Einsatzes in Afghanistan sei das Interesse der NATO Länder, allen voran der USA, sprunghaft gestiegen. „Da eine strategische Partnerschaft viele Vorteile in Form von Investitionen und günstigen Krediten gebracht hat, waren besonders Kasachstan und Usbekistan anfangs um Nähe zu Amerika bemüht“, sagt Zakirov im Hinblick auf die bald errichteten Militärstützpunkte. Aufgrund der Revolutionen (Rosenrevolution in Georgien, Orange Revolution in der Ukraine und schließlich die kirgisische Tulpenrevolution) im GUS-Gebiet seien die örtlichen Machthaber misstrauisch ob der geforderten Liberalisierung geworden.
Zakirov hebt die Bedeutung der mittelasiatischen Mentalität hervor: „Man kann der Region kein westliches Wertesystem aufzwingen, dazu sind die bestehenden Traditionen zu fest verwurzelt.“ Die politischen Unruhen in Andijon im Jahre 2005 haben schließlich die Hinwendung des aufgrund der Ressourcen und der Baumwollproduktion wichtigen Usbekistan zu Russland bewirkt.
Während durch die Schließung der US-Stützpunkte die USA an Einfluss in der Region verlieren, treten neue auswärtige Akteure auf. Indien hat seinen ersten ausländischen Militärstützpunkt in Tadjikistan gegründet, China übt besonders in Kirgistan vermehrt wirtschaftlichen Einfluss aus und die EU hat eine Zentralasienstrategie verabschiedet, die die Region strukturell fördern soll.
Ausdrücklich lobt Zakirov das EU-Engagement. Die EU versuche eine für beide Seiten nützliche, wirtschaftliche Partnerschaft aufzubauen ohne den Anspruch auf politische Einflussnahme zu erheben. Gleichzeitig hebt der Referent hervor, dass aus sicherheitspolitischen Erwägungen auch ein Partner mit starkem Militär, wie die USA, China oder Russland vonnöten sei, da die EU noch keine militärische Unterstützung im Konfliktfall, z.B. mit militanten Gruppen aus dem immer noch instabilen Afghanistan gewährleisten könne.
Die Kooperation der fünf Staaten untereinander wird durch die Konflikte um Wasser und Brennstoff erschwert. Während Kirgistan und Tadjikistan am Oberlauf der Flüsse Syrdarja und Amurdaja für die Baumwollproduktion in Kasachstan und Usbekistan wichtige Wasservorräte kontrollieren, sind sie auf Brennstoffe aus den Ländern des Unterlaufs angewiesen. Zwar hat Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew Unistan – einen Zusammenschluss der fünf Länder nach Vorbild der EU - vorgeschlagen, aber die Zwiste um Reserven und auch die kulturellen Unterschiede zwischen turkstämmigen Kirgisen, Kasachen und Turkmenen, sowie ursprünglich persischen Usbeken und Tadjiken verhindern, so Zakirov, eine schnelle Einigung. „Zudem sind die politischen Eliten der Länder nicht miteinander befreundet“, sagt er, „Der Führungsanspruch könnte sowohl dem bevölkerungsreichen Usbekistan, als auch dem durch seine Teilprivatisierung wirtschaftlich stärkeren Kasachstan zufallen. Das sorgt für Konfliktstoff.“
Zukünftige Herausforderungen für die Region sieht er besonders in der Bekämpfung der Armut, in ethnischen und religiösen Konflikten im bevölkerungsreichen Ferghana Tal und in der wirtschaftlichen Schwächung der Länder, da im Zuge der Krise viele Wanderarbeiter aus Russland zurückkehren, deren jährliche Überweisungen einen großen Teil des BIP mancher Staaten ausgemacht haben.
Der Kampf um die Energieressourcen
Für die EU besonders bedeutsam ist die Region auch im Zuge der angestrebten Energiediversifizierung.
Die zur Verminderung der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen geplante Nabucco Pipeline ist auf turkmenisches und usbekisches Gas angewiesen, welches im Moment noch überwiegend von Gazprom aufgekauft wird.
Zakirov sieht in diesem Faktum den Hauptgrund für das voraussichtliche Scheitern des Nabucco Projekts. Die russsische Seite habe einen Infrastrukturvorsprung, russisches Gas könne ohne größere neue Bauprojekte nach Europa transportiert werden, durch die bald gebaute North Stream Pipeline (Ostsee) und die geplante South Stream Pipeline (durch das schwarze Meer) bald auch unter Umgehung des bisher wichtigen Transitlandes Ukraine.
Turkmenistan sei außerdem durch langfristige Verträge zum Gasexport nach Russland verpflichtet, das nahezu den Weltmarktpreis zahle und damit Europa zwinge im Falle eines Nabucco Baus Gas ebenfalls teuer einzukaufen. Zakirov sieht hierin ein kapitales Problem: „Durch die hohen Entwicklungskosten für die Pipeline würde das zentralasiatische Gas bei gleichzeitig hohem Einkaufspreis so teuer werden, dass europäische Kunden die Gasrechnung unmöglich bezahlen könnten.“
Die laut Zakirov auch durch die USA massiv lobbyierte neue Pipeline könnte nur dann sinnvoll sein, wenn der gestiegene europäische Bedarf ein Bestehen neben neuen, von Gazprom über russisches Territorium geführten Pipeline rechtfertigen würde. Einen Großteil des europäischen Bedarfs alleine zu decken sei für Nabucco ohnehin niemals eine realistische Perspektive gewesen. Die Förderkapazitäten der Zielländer Turkmenistan und Usbekistan seien schlicht zu klein, besonders da in Zukunft auch China an Gas aus dem nahegelegenen Zentralasiatischen Raum interessiert sei.
Kamingespräch
Ihr Land und seine Sichtweise auf die politischen Vorgänge in Zentralasien stellen Erines Otorbaev und Ulan Bazarbaev, Vertreter der kirgisischen Botschaft in Deutschland vor.
Otorbaev berichtet von geschichtlichen und kulturellen Besonderheiten des Landes. Zwar überwiegend muslimisch, aber den Glauben nicht übermäßig streng auslegend, seien die Kirgisen besonders durch ihre nomadische Vergangenheit und die sowjetische Einflussnahme geprägt. „Die junge Generation fühlt sich zwar nicht mehr wie ich als homo sovieticus, aber in Infrastruktur und Bildungswesen sind die Spuren noch unübersehbar. Schließlich sind wir Kirgisen erst durch sowjetischen Einfluss sesshaft geworden.“
Den kirgisischen Staat sieht Otorbaev erst am Anfang eines langen Entwicklungsprozesses und spricht sich für eine ausgeglichene Außenpolitik mit möglichst freundschaftlichen Beziehungen zu den umliegenden Nationen, sowie zu Russland und Europa aus. Im Zuge der sowjetischen Tradition sei jedoch die Bindung an Staaten der GUS besonders stark.
Ulan Bazarbaev stellt die wirtschaftliche Lage seines Landes dar: „ Nach dem Fall der Sowjetunion haben wir bereits eine Krise durchgemacht, da die Wirtschaft der verschiedenen Teilrepubliken auf die Unionsverwaltung angewiesen war. Seitdem ist es uns gelungen in kleinen Schritten wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen.“ So sei die kirgisische Währung mittlerweile stabilisiert und als Zahlungsmittel in der Region akzeptiert, eine künftige Aufgabe stelle besonders die geregelte Privatisierung vieler Zweige der immer noch größtenteils in Staatsbesitz befindlichen Wirtschaft dar.
Chancen sieht Bazarbaev in den zunehmenden Investitionen aus dem asiatischen Ausland, in bilateralen Beziehungen zu europäischen Handelspartnern und der landschaftlichen Attraktivität für den Tourismus. „Dabei ist es aber unser Ziel die Natur Kirgistans zu erhalten, die von den Umweltschäden, mit denen einige andere ehemalige Sowjetrepubliken zu kämpfen haben, weitgehend verschont geblieben ist.“, ergänzt Otorbaev.
Durch eine einvernehmliche Regelung des Austauschs von Gas und Wasser sollten auch die – an sich guten – Beziehungen zu Usbekistan wieder vermehrt ausgebaut werden.
Kurzfristig wäre zunächst eine partnerschaftlich geprägte Union mit Tadjikistan und dem kulturell verwandten Kasachstan realistisch, der sich Usbekistan und Turkmenistan mittelfristig anschließen könnten.
Die Beziehungen zu Russland sind auch bestimmt von dem kirgisischen Wunsch nach äußerer Sicherheit. „Kirgistan braucht als kleines Land in einer sicherheitspolitisch durch die Unruhen in Pakistan und Afghanistan höchst brisanten Region dringend einen strategischen Partner, der die äußere Sicherheit gewährleisten kann.“, sagt Otorbaev und stellt zugleich klar, „Die Schließung des amerikanischen Militärstützpunkts ist nicht primär auf das russische Engagement zurückzuführen, vielmehr durch verschiedene ökologisch kritische Zwischenfälle und die damit verbundene Ablehnung des Stützpunkts durch die Bevölkerung bedingt.“
Lösungen für die Region sehen beide aber nur im friedlichen Dialog. Nur durch Partnerschaft können die Republiken Zentralasiens ihr strategisches Potenzial auch im eigenen Sinne nutzen.
Zentralasien: eine Einflusssphäre Russlands?
Dr. Kurshidbek Inomjonov, derzeit als Berater der Gerda Henkel Stiftung tätig, selbst Usbeke und lange Zeit in Almaty (Kasachstan) tätig, analysiert das russische Engagement in der Region folgendermaßen:
Russlands Strategie basiert auf drei Säulen:
Die erste ist ökonomischer Natur. Neben der Kontrolle des Pipelinenetzes für Öl und Gas strebt Russland eine Durchsetzung des Rubels als Regionalwährung und die Gewinnung von Absatzmärkten für beispielsweise Industriemaschinen und Automobile an.
Die zweite Säule – militärisch bestimmt – umfasst den Bau von Stützpunkten, strategische Partnerschaften mit den einzelnen Republiken, das Eindämmen islamistischer Tendenzen, sowie auch die Verhinderung der zu starken Präsenz anderer Mächte in „Moskaus Hinterhof“. Schließlich die dritte Säule - kulturell geprägt. Sie zielt auf den Schutz der immer noch zahlreichen russischen Minderheiten in Zentralasien, sowie auf den Erhalt des Russischen als lingua franca in der Region.
„Aus der Perspektive der zentralasiatischen Staaten drängt sich der Eindruck auf, dass es sich um höchst ungleiche Partnerschaften mit Russland handelt. Moskau ist stets dominierend. Gleichwohl ist die gesellschaftliche Bindung aller Republiken des Gebiets an Russland groß“.
Russland stellt aus Inomjonovs Sicht eine wenig große Gefahr für die Eliten Zentralasiens dar, da es Partnerschaften nicht an die Forderung nach gesellschaftlicher Umstrukturierung knüpft. Die russischen Interessen seien zudem dadurch bedingt, dass Zentralasien die einzige außenpolitische Einflusszone des Kreml geblieben ist.
Usbekistan sei vor allem aufgrund der stark protektionistisch orientierten Wirtschaft eigentlich am Wenigsten an einer stärkeren Rolle des Rubels interessiert, verfolge aber auf Grund der innenpolitischen Lage nach den Revolten in Andijon eine ambivalente Position, bei der die außenpolitische Ausrichtung häufig gewechselt wird.
Die Bedeutung des Islam und Islamismus in Zentralasien
Inomjonov spricht auch über die Bedeutung des Islamismus in der Region und erläutert kulturelle Unterschiede. Während die nomadisch geprägten Völker Turkmenistans, Kasachstans und Kirgistans eine liberale Auslegung des Islam unter Einbeziehung vieler nomadischer Traditionen bervorzugten, seinen Usbeken und Tadjiken deutlich religiöser ausgerichtet.
Im Detail betrachtet Inomjonov besonders die Lage in Usbekistan, das durch die, in der Sauerland-Gruppe geplanten und mit der usbekischen Islamischen Dschihad Union in Verbindung gebrachten, vereitelten Anschläge auf US-Einrichtungen in Deutschland in diesem Kontext vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist.
„Der Islam konnte gerade in den ersten Jahren der Unabhängigkeit eine gewisse nationale Identität stiften, die Ausschreitungen im Zuge einer versuchten Durchsetzung der Scharia im Ferghana Tal, darunter auch massive Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung, zwangen den Staat aber härter gegen den politischen Islam durchzugreifen.“
Inomjonov stellt klar, dass er ein hartes Vorgehen auch gegen gewaltfreie Bewegungen, die einen Gottesstaat anstreben unterstützt. „Nur wer sich mit der usbekischen Verfassung identifiziert, kann den Anspruch erheben an ihrer Gestaltung mitzuarbeiten.“ Dabei unterstreicht er, dass die zunehmende islamische Prägung der Gesellschaft nicht problematisch sei, solange sie auf privater, friedlicher Ebene stattfinde und Raum für andersartige Entfaltung der Bürger lasse.
„Die Türkei“, so Inomjonov, „ ist der einzige muslimische Staat, den sich Zentralasien tatsächlich zum Vorbild nehmen kann. Hier ist es gelungen die islamische Partei in einer Regierungs arbeit auf Basis einer säkularen Verfassung einzubinden. Sie steht zu ihrer Religion, aber gleichzeitig auch zu Demokratie und Menschenrechten.“
Der Einfluss des politischen Islams in Usbekistan sei zwar aufgrund des harten Durchgreifens der Regierung nicht groß, die Gefahr, die von Splittergruppen ausgehe, bleibe aber bestehen, solange die Staaten Zentralasiens „schwach“ seien, also keine ausreichend ausgebildeten Polizeitruppen haben und mit einer grassierenden Korruption kämpfen müssen.
Bis zur Stabilisierung Zentralasiens scheint es noch ein langer, aber kein vollkommen aussichtsloser Weg.