Country reports
Kenia vor den Wahlen
Als eine vergleichsweise stabile Demokratie ist Kenia für den Westen ein wichtiger Dialogpartner. Kenia hat dies zuletzt als nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UNO) unter Beweis gestellt. Der kenianische UNO-Botschafter Martin Kimani verurteilte im Sicherheitsrat den Einmarsch Russlands in die Ukraine scharf. Kenias Bedeutung als Partner für den Westen hat zuletzt zugenommen, weil 2021 kein gutes Jahr für die weltweite Demokratie war. Es war ein schlechtes Jahr für die Demokratien in Subsahara-Afrika. Militärputsche, Bürgerkriege und politische Gewalt hatten ein beeindruckendes Comeback auf einem Kontinent, der immer noch versucht, sich von den wirtschaftlichen Repressionen der COVID-19 Pandemie zu erholen.
Umso wichtiger ist es, dass Kenia und seine Demokratie stabil bleiben. Im Mittelpunkt des Wahljahres steht die Wahl des Präsidenten. Der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta regiert seit 2013 und kann nicht mehr antreten. Die Verfassung Kenias lässt keine dritte Amtszeit zu. Die beiden favorisierten Kandidaten sind Raila Odinga und William Ruto. Keiner der beiden Anwärter auf die Präsidentschaft bietet ein glaubwürdiges politisches Programm an. Stattdessen ist die Wahl wie gewohnt stark auf die Persönlichkeiten der Kandidaten ausgerichtet. Ungewöhnlich ist, dass der Wahlkampf nicht primär entlang ethnisch-regionaler Kriterien verläuft. Stattdessen setzt Ruto im Wahljahr 2022 auf eine populistische, spaltende Kampagne und tritt mit dem Narrativ „Hustler versus Dynasty“ an.
Raila Odinga: Der ewige Präsidentschaftskandidat
Odinga ist der Sohn von Kenias erstem Vizepräsidenten und seit Jahrzehnten eine zentrale Figur der kenianischen Politik und unumstrittener Anführer der Luos. Er genießt in weiten Bevölkerungsteilen ein hohes Ansehen, da er lange gegen Kenias ehemalige Einparteiendiktatur gekämpft hat. Für seinen Einsatz wurde Odinga mehrere Jahre inhaftiert. Derzeit bewirbt sich der 77-Jährige zum fünften Mal um die Präsidentschaft. Schwierig für Odinga ist neben seinem hohen Alter hierbei, dass ihm der Ruf des ewigen Verlierers anhaftet.
Odinga und seine Azimio la Umoja Koalition sind die Vertreter der politischen Dynastien und des Status quo. Die Koalition bringt drei der mächtigsten politischen Familien und Ethnien des Landes zusammen: die Odingas (Luos), Kenyattas (Kikuyus), und Mois (Kalenjins). Die Koalition ist zudem ein klassisches, machtpolitisches Interessenbündnis. Der Beginn der Koalition passte ins Bild. Odinga und Präsident Uhuru Kenyatta, zwei politische Schwergewichte und Anführer ihrer Ethnien, schlossen einen Pakt und besiegelten ihn mit einem Handschlag. Der „handshake“ der beiden Politiker entschärfte die angespannte innenpolitische Lage nach den umstrittenen Wahlen 2017 und ist in Kenia seither ein politischer Begriff. Der Wahlgewinner Kenyatta und Wahlverlierer Odinga machten gemeinsame Sache. Uhuru Kenyatta konnte sein Amt ausüben und wurde vom de-facto Oppositionsführer Raila Odinga geschützt. Im Gegenzug unterstützt Kenyatta nun Odingas Präsidentschaftskampagne und nicht die seines Vizes Ruto.
Odinga führt einen für Kenya bislang üblichen Wahlkampf, der nicht an konkreten Themen und Zielen, sondern an Regionen / Ethnien orientiert ist. Der überwiegend jungen Gesellschaft Kenias bietet er wenig Einblick darin, wie er ihre Probleme lösen möchte. Er wirbt anstelle dessen mit seinem langjährigen Erfahrungsschatz. Odinga blickt zurück, während das junge Kenia nach vorne blicken muss. Auch im Wahlkampf hebt Odinga in erster Linie die charakterlichen Unterschiede zu seinem Konkurrenten Ruto hervor, den er als unehrlich und inkonsistent beschreibt. Eine handfeste politische Zukunftsversion für das Land hat er nicht.
Odinga hat aktuell gute Chancen, sich mit einem solchen Wahlkampf durchzusetzen. Kenianer wählen traditionell entlang ethnisch-regionaler Kriterien. Da die Azimio la Umoja Koalition aus einigen der größten Ethnien besteht (Kikuyu, Kalenjin, Luo), hat sie ein hohes Mobilisierungspotential. Ein Hoffnungsschimmer ist seine Vizepräsidentschaftskandidatin, Martha Wangari Karua, Die ehemalige Justizministerin gilt als „Iron Lady“ Kenias und als zuverlässiger moralischer Kompass. Sie schafft, was Odinga nicht schafft, nämlich junge Wähler zu erreichen. Seit ihrer Ernennung hat Odinga seinen Konkurrenten in den Umfragen überholt.
William Ruto: Homo novus
Der amtierende Vizepräsident Ruto bietet keine ansprechende Alternative. Der wohl strategischste und gewiefteste Politiker im Rennen hat einen schwierigen Werdegang. Ruto gilt als politischer Emporkömmling. Er entstammt keiner der etablierten Politikerfamilien, sondern hat sich über die Jahre bis an die Spitze des Landes hoch gekämpft. Ein dunkler Schatten auf seiner Vita ist seine Rolle bei den Gewalttaten nach den Wahlen 2007, die nie zufriedenstellend geklärt worden ist. Im Jahr 2013 beschuldigte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Ruto zusammen mit Uhuru Kenyatta der Anstiftung zu dieser Gewalt. Rutos Verfahren kam vor Gericht, wurde aber später ausgesetzt. Mehrere Zeugen wurden entweder ermordet oder haben seitdem zugegeben, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Dass Ruto an der Sabotage von Zeugenaussagen beteiligt gewesen sein könnte, sollen neue Beweise vor dem IStGH belegen. Rutos Vizepräsidentschaftskandidat, Rigathi Gachagua, steht derweilen wegen Korruption und Geldwäsche im Wert von 65 Millionen US Dollar vor Gericht. Er bestreitet die Vorwürfe.
Ruto äußert sich eher zu politischen Inhalten als sein Konkurrent. Anders als Odinga kann Ruto sich nicht darauf verlassen, Wähler allein auf Grundlage ihrer ethnisch-regionalen Zugehörigkeit zu mobilisieren. Dafür gibt es bei den Kalenjin zu viele Untergruppen und es fehlt Ruto als „Emporkömling“ der Rückhalt, den etablierte Politikerfamilien genießen.
Momentan instrumentalisiert Ruto daher seine eigene, einfache Herkunft, um sich als Vertreter der "Hustler" (zu Deutsch Draufgänger) zu etablieren. Als Hustler bezeichnet man jene, die nicht vom (wirtschaftlichen) System profitieren, nur schwer über die Runden kommen, und sich langsam hochkämpfen müssen. Ruto selbst erzählt gerne, dass er seine Karriere als Hähnchenverkäufer begonnen hat. Rutos Angebot an die Hustler ist sein sogenannter Bottom-up Ansatz für die kenianische Wirtschaft. Der soll insbesondere den jungen und armen Kenianern helfen. Ruto wettert in diesem Zusammenhang gerne über die reichen, elitären Politikerfamilien. Dass er sich im Laufe seiner politischen Karriere einen beachtlichen Reichtum aufgebaut hat, wird gerne vergessen.
Der Bottom-up Ansatz hat seinen Reiz in einem Land mit hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit. Doch lässt Ruto es offen, wie er diesen Ansatz umsetzen möchte. Die Rufe werden lauter, dass er sich mit leeren Versprechen die Stimme der ärmeren Bevölkerung sichern möchte. Zudem trägt Ruto eine Mitverantwortung für die aktuelle schwierige Wirtschaftslage. Als Vize-Präsident hat er über Jahre die Politik des Landes mitgestaltet und mitverantwortet. Darunter fällt auch die rasant angestiegene Staatsverschuldung, die Kenia auf viele Jahre belasten wird.
Ein neuer Wahlkampf, eine alte Gefahr
Momentan scheint eine friedliche Wahl im August genauso wahrscheinlich wie eine Wahl mit Gewaltausschreitungen. Klar ist, dass Ruto mit dem Feuer spielt. Ruto setzt mit dieser Wahl alles auf eine Karte. Verlieren er und seine Koalition deutlich, fällt er in die politische Bedeutungslosigkeit und hat wenig Möglichkeiten, sein hohes Investment in den Wahlkampf zu kompensieren. Verliert er knapp oder aufgrund vermeintlicher Wahlunregelmäßigkeiten, könnte er einen neuen politischen Deal bzw. Handshake provozieren, indem er seine frustrierten (jungen) Wählern zur Gewalt anzettelt. Der Verlauf einer solchen Bewegung ist schwer einzuschätzen. In der Vergangenheit waren es oft Stammesälteste oder andere Autoritätspersonen, die „Krawallmacher“ aus ihrer Ethnie wieder einfangen konnten. Rutos Mobilisierung entlang sozioökonomischer Missstände könnte diese Kontrollebene jedoch aushebeln. Ob er selbst Herr der Lage bleiben würde, ist fraglich.
Quo vadis?
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Kenia Stabilitätsanker und wirtschaftliches Schwergewicht des östlichen Afrikas ist, könnten die Folgen von Gewaltausschreitungen gravierend sein. Kenias internationales Ansehen könnte leiden, (demokratische) Partner und Investoren könnten ihr Vertrauen in Kenias Zuverlässigkeit verlieren. Andere ostafrikanische Länder könnten betroffen sein. Im Jahr 2007 wurden durch Gewaltausschreitungen nach den Wahlen die Transportkorridore zu Kenias Nachbarländern unterbrochen. Daraufhin stiegen die Preise für Grunderzeugnisse und Kraftstoff an. Humanitäre Hilfsbemühungen in ganz Ostafrika und auch in der Demokratischen Republik Kongo kamen ins Stocken, da viele UN- und humanitäre Organisationen von Kenia aus ihre Hilfsmaßnahmen leiten. Eine Wiederholung solcher Ereignisse würde eine Region treffen, die bereits unter Hungersnot, Inflation und den weltweiten Unterbrechungen der Versorgungskette leidet, die durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurden. Es gibt aber auch Gründe, optimistisch zu sein. Kenianer wollen keine Wiederholung der Ereignisse 2007/2008. Die Erfahrung wie schnell auch eine vermeintlich stabile Demokratie im ethnisches Chaos versinken kann, ist in das kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt. Entscheidungsträger auf allen Ebenen des Landes sind bestrebt, gewalttätige Ausschreitungen im Kontext der Wahlen zu verhindern. Auch sind die ethnischen Linien verschwommen, entlang derer sich vergangene Gewaltausschreitungen orientiert haben, da die Azimio la Umoja Koalition die drei Ethnien vereint, unter denen es in der Vergangenheit oftmals zu Ausschreitungen kam. Zudem ist allen Beteiligten, insbesondere Ruto, bewusst, dass das Schwert des IStGH bis nach Kenia reicht.
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