Country reports
Während Ramaphosa versprach, die gravierenden Probleme des Landes zu lösen, bedeutet der Amtswechsel für die Politik vor allem eines: die Wiederherstellung der Macht des ANC mit dem Selbstverständnis, dass die Partei über den Institutionen des Landes steht.
Am späten Mittwochabend, den 14. Februar 2018 verkündete Jacob Zuma in einer Ansprache vor der Presse seinen Rücktritt und beendete damit nicht nur das Ringen um die Abgabe seines Mandates, sondern besiegelte auch das Ende seiner rund 10-jährigen Präsidentschaft, die vor allem von Skandalen geprägt war. Bereits auf dem ANC-Parteitag Mitte Dezember zeichnete sich ab, dass seine Amtszeit nicht ohne Reibungen beendet werden würde, als sich Vizepräsident Ramaphosa knapp gegenüber der von Zuma favorisierten Präsidentschaftskandidatin Nkosazana Dlamini-Zuma durchsetzte. Hätte Zumas Ex-Frau Dlamini-Zuma das Rennen um den Parteivorsitz und die Präsidentschaftskandidatur für sich entschieden, wären die Chancen sehr hoch gewesen, ihn im Falle des wahrscheinlichen Wahlsieges bei den Wahlen 2019 weiterhin vor Strafverfolgung zu schützen. Zu schwer wiegten die gemeinsamen Bande und die Tatsache, dass auch das Familienumfeld im Korruptionssumpf steckt.
State Capture – Zumas Vereinnahmung des Staatsapparates
Zumas politische Karriere wurde von zahlreichen Skandalen und Korruptionsvorwürfen überschattet. Insgesamt sind 783 Fälle bekannt, jedoch wurde er bisher nicht dafür belangt. Für besondere öffentliche Erregung sorgte die Aufdeckung eines Netzwerkes von systematischer Korruption, Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme Zumas im Zusammenhang mit der indisch-stämmigen Unternehmer Familie der Guptas. Im Zuge der Veröffentlichung des sogenannten „State Capture“-Report der damaligen Ombudsfrau Thuli Madonsela und aufgrund von investigativen Recherchen von Journalisten wurde bekannt, dass die Guptas nicht nur zahlreiche Staatsaufträge auf unrechtmäßige Weise erhielten, sondern gar bei den Personalentscheidungen über Kabinettsposten mitentschieden. Jahrelang blieb das Fehlverhalten von Zuma, seiner engsten Familienmitglieder und der Guptas ohne strafrechtliche Folgen und erweckte den Anschein, die betreffenden Personen stünden über dem Gesetz.
Zuma hatte die Partei fest im Griff, während in der Öffentlichkeit die Abneigung ihm gegenüber zunahm. Die Oppositionsparteien konnten gar mit einem Anti-Zuma-Wahlkampf bei den Kommunalwahlen 2016 deutlich zulegen und regieren neben Kapstadt auch in Pretoria, Johannesburg und Port Elizabeth. Für die Wahlen 2019 rechneten sich die Oppositionsparteien schon gute Chancen aus, da sich enttäuschte ANC-Anhänger aufgrund der Probleme um Zuma von der Partei abwendeten.
Der Präsident als Ballast für die Partei
Mit dem Wechsel des ANC-Vorsitzes vom Lager der Zumas hin zu dem von Ramaphosa fand im ANC eine Machtverschiebung statt. Mit Blick auf die Wahlen 2019 wurde allgemein erwartet, dass Ramaphosa im Verdacht der Korruption stehende ANC-Politiker aus ihrem Amt entfernt. Gleichwohl wiesen viele politische Beobachter darauf hin, dass Zuma nach wie vor über eine beträchtliche Hausmacht innerhalb des ANC verfügt. Dahingehend war es überraschend, mit welcher Geschwindigkeit Zumas Anhängerschaft innerhalb der Partei in den vergangenen Wochen erodierte. In dem im Dezember neu gewählten Parteivorstand fanden sich viele von Zumas Gefolgsleuten, darunter einige, die selbst im Verdacht der Korruption und Veruntreuung stehen. Es wurde erwartet – und davon ging wohl Zuma selbst auch aus – dass der Übergang zu Ramaphosa in beiderseitigem Einvernehmen ausgehandelt werden würde. Ramaphosa taktierte vorsichtig und mit Zielstrebigkeit, nannte jedoch für eine vorzeitige Amtsübernahme keinen Termin. Innerhalb des Parteivorstandes und der Partei wuchs allerdings der Druck auf Zuma, da er aufgrund seiner Vielzahl an Korruptionsvorwürfen zum Ballast für die Partei geworden war. Mit jedem zusätzlichen Tag im Amt schmälerte er die Wahlchancen für Ramaphosa bei den Wahlen, der ein gutes Ergebnis für den ANC in Gefahr sah. Am liebsten hätte Zuma die Legislaturperiode als Staatspräsident bis zu den Wahlen im nächsten Jahr beendet, doch stieg der Druck zunehmend. Um Zeit zu gewinnen, versuchte er schließlich eine Übergangszeit von mehreren Monaten auszuhandeln.
Kurioserweise war es Zuma selbst, der vor zehn Jahren seinen Vorgänger Thabo Mbeki vorzeitig und abrupt aus dem Amt drängte und somit nun seinen Widersachern die Vorlage bot, selbiges mit ihm zu tun. Die Hartnäckigkeit, mit der Zuma sich an sein Amt klammerte, führte dazu, dass innerhalb des ANC und der politischen Öffentlichkeit Ramaphosa zum Handeln gezwungen wurde, wollte er nicht als schwacher Parteivorsitzender dastehen.
Gerne hätte Zuma noch internationale Gipfeltreffen besucht und vor allem die in Südafrika viel beachtete Aussprache des Staatspräsidenten gegenüber dem Parlament, die „State of the Nation Address“ (SONA), gehalten. Für Zumas Gegner im ANC war dies eine Zumutung. Vor allem sorgte man sich vor schlechter Presse und fürchtete, Zuma würde die SONA für seine Zwecke missbrauchen. Gerüchte um einen bevorstehenden Rücktritt machten die Runde. Die Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) brachte gar ein erneutes Misstrauensvotum ins Parlament ein, was den ANC zum Handeln zwang. Angesichts der Drohkulisse verschob Zuma kurzerhand die für den 8. Februar angesetzte SONA auf unbestimmte Zeit. Gerüchte um einen Rücktritt negierte das Präsidialamt allerdings trotzig.
ANC-FĂĽhrung stellte Zuma ein Ultimatum
Wegen der abgesagten SONA überschlugen sich die Ereignisse. Nach einer einberufenen Konsultation sprach sich das oberste Führungsgremium des ANC, die sogenannten „Top Six“, öffentlich für eine vorzeitige Amtsübergabe an Ramaphosa aus. Das war dahingehend überraschend, weil dem Gremium Zuma-Vertraute angehören. In der Folge stimmte der gesamte Parteivorstand für eine „Abberufung“ Zumas und stellte ihm am 13. Februar ein Ultimatum von einem Tag. Reichte er seinen Rücktritt nicht ein, so würde man die Parlamentsfraktion damit beauftragen, ihn einen Tag später, am 15.Februar, per Misstrauensvotum aus dem Amt zu entfernen, so die Erklärung.
Verfassungsrechtlich kann eine Partei den Präsidenten nicht abberufen, aber laut Statuten des ANC nimmt sich die Partei das Recht heraus, jeden seiner Mandatsträger jederzeit abzuberufen, sofern dies als notwendig erachtet wird. Hintergrund ist das Wahlsystem Südafrikas, bei dem sich die Wähler bei Parlamentswahlen nur für geschlossene Parteilisten entscheiden können. Das Parlament wählt dann den Staatspräsidenten. Aufgrund der Dominanz des ANC, der über knapp zwei Drittel der Stimmen im Parlament verfügt, der strengen Fraktionsdisziplin sowie der für Wähler intransparenten Wahl der Parteilisten, liegt das eigentliche Machtzentrum in der ANC-Parteizentrale, nicht im Parlament. Wegen der Abhängigkeit der Abgeordneten vom Wohlwollen der Parteiführung übte das Parlament nicht die notwendige Kontrolle über die Amtsführung des Präsidenten aus. Zuma wusste die fehlenden „Checks and Balances“ für seine individuellen Interessen zu nutzen. Solange er die Partei kontrollierte, hatte er trotz Korruptionsfällen wenig zu befürchten. Mit dem Verlust der Kontrolle des Parteiapparats erodierte Zumas Macht in wenigen Wochen.
RĂĽcktritt, Misstrauensvotum oder Impeachment?
Sofern ein Präsident nicht verstirbt oder freiwillig zurücktritt, gibt es zwei Wege ihn aus dem Amt zu entfernen. Erstens kann das Parlament dem Präsidenten das Vertrauen entziehen. In der Folge übernimmt die Parlamentspräsidentin temporär das Amt und muss innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen ausrufen. Zweitens gibt es die Möglichkeit, dass das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren einleitet. Vor dem Hintergrund der Fülle der Korruptionsvorwürfe wäre dies im Falle von Zuma ein gangbarer Weg gewesen. Während der Präsident im Falle eines Rücktritts und eines Misstrauensvotums alle Vorteile eines ehemaligen Staatspräsidenten behält – inklusive Ehrensold, Leibgarde und Titel – würde er bei einem Amtsenthebungsverfahren alle Vorzüge verlieren.
Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass die ANC-Führung Zuma zunächst zum Rücktritt drängen wollte, um seinen Abgang möglichst gesichtswahrend zu gestalten und seine Anhängerschaft in der Partei nicht aufzuheizen. Noch am Mittwochmorgen nach dem Ultimatum stellte Zuma dieses infrage und verlautbarte, er werde seinen Rücktritt nicht einreichen, da er für die gesamte Legislaturperiode gewählt, somit demokratisch legitimiert sei und im Übrigen „nichts falsch gemacht“ habe. Ein Rücktritt wäre ein Schuldeingeständnis, so der scheidende Staatspräsident. Im Verlauf des weiteren Tages realisierte er jedoch, dass das Parlament einen Tag später ein Misstrauensvotum durchführen werde und gab schließlich auf, indem er am Abend seinen Rücktritt verkündete.
Mit der Amtsübernahme von Ramaphosa per erzwungenen Rücktritt knüpft der ANC an die alte Tradition an, nach der dem Vorsitz der ehemaligen Befreiungsorganisation mehr politisches Gewicht beigemessen wird, als dem höchsten Staatsamt. Es wäre ein positives Signal für Südafrikas politische Kultur gewesen, wenn es zu einem Misstrauensvotum gekommen wäre, da dies das Parlament in den Fokus gerückt hätte.
Die ParteifĂĽhrung entscheidet
Die Parlamentspräsidentin Baleka Mbete hatte bereits angekündigt, dass das Misstrauensvotum in einer offenen Abstimmung abgehalten worden wäre. Es wäre interessant gewesen, ob innerhalb der ANC-Fraktion Zuma-getreue Abgeordnete für dessen Verbleib und gegen die Fraktionslinie gestimmt hätten. Dahingehend war es wenig verwunderlich, dass die ANC-Führung den Schritt des Misstrauensvotums lange scheute, da möglicherweise die Fraktionsdisziplin nicht gewahrt worden wäre. Ein Misstrauensvotum oder gar ein Amtsenthebungsverfahren wären die geeigneten Schritte gewesen, um die Position des Parlaments zu stärken. Mit dem Rücktritt Zumas obsiegte das Primat der Macht in der Parteizentrale auf ganzer Linie. Denn zu keiner Zeit begründete die Partei ihr Vorgehen mit Zumas Fehlverhalten, sondern damit, dass Ramaphosa neuer Parteivorsitzender sei und – obwohl nicht vom Volk gewählt – Anspruch auf das Amt des Staatspräsidenten habe. Die Art und Weise wie Zuma aus dem Amt entfernt wurde, ist politisch plausibel, doch unter demokratischen Aspekten fraglich. Sollten gegen ihn und seine Gefolgsleute keine Ermittlungen eingeleitet werden, wäre dies ein fatales Signal für Südafrikas Demokratie.
Immerhin wurden erste positive Schritte getan, indem die Gupta-Brüder strafrechtlich verfolgt werden. Auch gegen Duduzane Zuma, Sohn des geschassten Präsidenten, ermittelt die Justiz. Ebenso wurden bzw. werden einige Zuma-Vertraute von ihren Posten entfernt.
Reaktionen auf Zumas RĂĽcktritt
Die Medien berichteten von Zumas Schritt überaus positiv und feierten Ramaphosa als neuen Hoffnungsträger. Die allgemeine Erleichterung war enorm. Seit Jahren wurde in der Presse regelmäßig über neue Skandale von Zuma berichtet, daher war es wenig verwunderlich, dass die Freude sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Medienschaffenden überwog. Selbst die Oppositionsparteien zeigten sich zufrieden und reklamierten sogar den politischen Sieg für sich, obwohl sie in dem ANC-internen Machtspiel vom Anfang bis zum Ende außen vor gewesen waren.
Ramaphosa ist Anti-Apartheidaktivist gewesen und war, im Gegensatz zu seinen Vorgängern Jacob Zuma und Thabo Mbeki, nicht im Exil. Er gilt als politisch kompetent und ist auch in Wirtschaftskreisen angesehen, da er ein schwerreicher Geschäftsmann ist. Unter Mandela war er bereits 1994 ANC-Generalsekretär und spielte eine zentrale Rolle bei dem Aushandlungsprozess der neuen demokratischen Verfassung nach Ende der Apartheid. Angesichts der Skandale von Zuma braucht es jedoch nicht viel, um mit Vorschusslorbeeren überhäuft zu werden.
Ein Neuanfang mit einem alten Bekannten?
Der Rücktritt Zumas birgt für Ramaphosa einige Vorteile. Erstens schuf er keinen Präzedenzfall, bei dem ein ANC-Präsident offiziell aus dem Amt gejagt wurde. Zweitens erleichtert ein Rücktritt die innerparteiliche Zerrissenheit zwischen den Lagern zu überwinden. Drittens war Ramaphosa seit 2013 Vizepräsident. Er muss von den Korruptionsfällen gewusst haben. Vor allem im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens wären möglicherweise Details ans Tageslicht gekommen, die ihm zumindest eine Mitwissenschaft nachgewiesen hätten.
Zwei Tage nach Zumas Rücktritt hielt der neu vereidigte Präsident Ramaphosa die Ansprache im Rahmen der SONA. In seiner Rede erweckte er den Eindruck, als sei er schon lange Zeit Präsident gewesen. In staatsmännischer Manier lobte er die positiven Ergebnisse der Regierung und versprach, sich um sozialen Fortschritt und Wirtschaftswachstum zu kümmern. Über Zuma verlor er kein negatives Wort, im Gegenteil, er dankte ihm gleich zu Beginn für seine gute Arbeit als Präsident, während sich in den Reihen der Opposition lauter Widerspruch regte.
Zwei kleine Überraschungen erwähnte Ramaphosa, als er versprach, das Kabinett zu reduzieren. Zudem sprach er sich in der seit Jahren debattierten Landreform für Enteignung ohne Kompensation aus. Letzteres dürfte eine Konzession an den linken Parteiflügel sein. Allerdings schränkte er es mit den Worten ein, dass Landenteignungen nicht mit Produktionseinbußen in der Landwirtschaft einhergehen dürfen.
Wirtschaft reagiert positiv in Erwartung auf Reformen
Der südafrikanische Rand reagierte positiv auf den Amtswechsel und gewann an Wert. Ob Ramaphosa seinen vollmundigen Versprechen Taten folgen lässt, bleibt abzuwarten. Sicherlich hinterlässt Zuma seinem Nachfolger das Land in keinem guten Zustand. Das Kabinett wurde unter dem Gesichtspunkt der Loyalität zu Zuma ausgewählt, nicht nach Kompetenz. Größte Herausforderungen sind das Haushaltsdefizit, ein ineffizienter und zu großer Staatsapparat, das Gesundheits- und Bildungswesen, Wohnungsbaupolitik und die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit. Etliche Staatsunternehmen, darunter der Stromversorger Eskom und die staatliche Fluglinie South African Airways, bedürfen dringend einer Umstrukturierung.
Dass Ramaphosa in Kürze das Kabinett umbilden wird, gilt als sicher. Laut Zeitungsberichten könnte der ehemalige Finanzminister Nhlanhla Nene zurückkehren. Außerdem zeigte sich Ramaphosa am Tag der Amtsübernahme demonstrativ beim Laufen an der Seepromenade in Kapstadt mit dem ehemaligen Finanzminister und Chef der Planungskommission, Trevor Manuel. Möglicherweise kehrt auch Pravin Gordhan ins Kabinett zurück.
Mit der vereinzelten Übernahme von Ministerposten durch sachkundige Vertraute Ramaphosas dürfte es nicht getan sein. Die Auswüchse der Korruption unter Zuma sind systembedingt gewesen. Sofern außer der Gerichtsbarkeit nicht weitere Institutionen wahrhaftig unabhängig sind, beispielsweise d
ie Generalstaatsanwaltschaft, der Ombudsmann oder die Anti-Korruptionseinheit der Polizei, können sich die Zuma-Jahre unter einem anderen Präsidenten wiederholen. Auch muss das Parlament seine Kontrollfunktion verstärkt ausnutzen, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse schwierig ist. Ramaphosa kommt seine Machtfülle als neuer starker Mann gelegen. Pragmatisch kann er Entscheidungen über Posten und die Politikausrichtung fällen. Es bleibt zu hoffen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft.