Die Entscheidung der internationalen Ratingagenturen Moody´s und Fitch von Ende November, Südafrikas Bonität weiter abzuwerten, bezeichnete Finanzminister Tito Mboweni als „schmerzhaft“. Die Abwertung kam nicht unerwartet. Sie hat die negative Folge, dass sich Kredite für Südafrika verteuern werden und den ohnehin angespannten finanziellen Handlungsspielraum der Regierung weiter einengt. Als Grund für ihre Entscheidung nannten die beiden Ratingagenturen, dass sich die Haushaltslage Südafrikas durch die Covid19-Pandemie dramatisch verschärft hat und die zunehmende Verschuldung ein Hindernis bei der wirtschaftlichen Erholung des Landes darstellt. Sowohl Moody’s als auch Fitch werteten Südafrika um eine weitere Stufe auf Ba2 bzw. BB- herab, was deutlich unter Investmentniveau entspricht („Junk Status“). Auch die weiteren Aussichten sehen die Ratingagenturen negativ. Der Schock der Pandemie hat die ohnehin kriselnde Wirtschaft hart getroffen. Die Strategie der Regierung, mittelfristig den Haushalt zu konsolidieren und gleichzeitig Wachstum zu generieren, befindet sich auf dem Weg des Scheiterns. Ohne die notwendigen finanziellen Mittel kann der Staat nicht Investieren und die Wirtschaft nicht wachsen, weshalb sich inländische wie auswärtige Privatinvestoren zurückhalten und zur Verschärfung der Krise beitragen. Die Regierung ist derweil nicht in der Lage, die notwendigen Reformen durchzuführen, da es innerparteilichen und gesellschaftlichen Widerstand gibt.
Droht der „Default“?
Die Aussichten auf Wachstum bleiben weiterhin trübe. Der besonders harte Lockdown in Südafrika sowie der allgemeine Einbruch der Weltwirtschaft haben im zweiten Quartal des Jahres zu einem starken Rückgang des Bruttoinlandprodukts geführt. Fitch rechnet für Südafrika mit einem Rückgang des BIP für das Jahr 2020 um 7,3 Prozent. Im kommenden Jahr werde dieses nur um 4,8 Prozent und im Jahr 2022 gerade einmal um 2,5 Prozent zulegen. Finanzminister Mboweni rechnet gar nur mit 3,3 Prozent Wachstum im Jahr 2021, gefolgt von 1,7 Prozent 2022 und 1,5 Prozent 2023. In allen Szenarien ist dies deutlich zu wenig, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen und um die Schulden abzubauen.
Südafrika hat derzeit einen Schuldenberg von rund vier Billionen Rand (etwa 220 Milliarden Euro) aufgetürmt, der innerhalb der nächsten 3 Jahre auf 5,5 Billionen Rand (etwa 300 Milliarden Euro) ansteigen wird, so Minister Mboweni. Während im Februar 2020 die Staatsverschuldung gemessen am BIP „nur“ 65 Prozent betrug, stieg sie zum Jahresende auf 82 Prozent an und wird im Jahr 2025 mit 95 Prozent vorerst ihren Höhepunkt erreichen. Rechnet man die Verschuldung der vielen staatseigenen Betriebe hinzu, so fällt die Gesamtschuld deutlich höher aus. Längst macht unter südafrikanischen Ökonomen das „Schreckgespenst“ eines Zahlungsausfalls à la Argentinien die Runde. Auch wenn dies eher die Pessimisten voraussagen, bleibt die Lage dennoch ernst. Tito Mboweni, der einzige Minister im Kabinett von Präsident Ramaphosa, der für eine solide Wirtschafts- und Fiskalpolitik steht, warnt eindringlich vor den Folgen, sollte Südafrika nicht den Reformweg einschlagen. „Die Wahrscheinlichkeit einer Schuldenfalle – in der der Schuldendienst zunehmend durch neue Kredite bezahlt wird – hat zugenommen“, so das Finanzministerium.
Mboweni fügt hinzu, dass Südafrikas Bonität nun auf dem niedrigsten Stand seit 1994 bewertet wird. Die kontinuierliche Abwertung hat nicht nur zur Folge, dass Schulden nicht bedient werden können, sondern auch, dass Ersparnisse, Pensionen und Immobilien an Wert verlieren. „Die Regierung wird die Sozialausgaben kürzen oder die wenigen Beschäftigten stärker besteuern müssen, was schlecht für das Land ist.“ Auch den verhängten Lockdown sieht Mboweni sehr kritisch: „Die Restriktionen führten zu massenhaften Entlassungen […]. Ohne verfügbares Einkommen und bei steigenden Warenausgaben wird es schwierig sein den Lebensstandard zu halten.“ Die südafrikanische Bevölkerung wird weiter verarmen. Eine radikale Austeritätspolitik ist jedoch kein gangbarer Weg, da das verbliebene Wachstum vollends abgewürgt werden würde. In einem Land, das von einer hohen Ungleichheit bei der Einkommensverteilung und von Armut geprägt ist, würde diese Maßnahme noch viele Millionen Menschen mehr in den Abgrund stürzen. Bereits jetzt sind viele von staatlichen Zuwendungen abhängig, Tendenz steigend. Die Transferprogramme sind nun durch die verfehlte Wirtschaftspolitik des ANC mittelfristig nicht mehr finanzierbar.
Im März 2020 erreichte die (erweiterte) Arbeitslosenrate mit rund 30 Prozent einen neuen Höchststand. Im zweiten Quartal baute die südafrikanische Wirtschaft pandemiebedingt 2,2 Millionen Arbeitsplätze ab. Rechnet man diejenigen Erwerbsfähigen hinzu, die es aufgegeben haben nach einer Anstellung zu suchen, erreicht die Arbeitslosenrate mittlerweile mehr als 40 Prozent.
Präsident Ramaphosa um Investitionen bemüht
Präsident Ramaphosa versucht derweil, Optimismus zu verbreiten. Im Oktober stellte er vor dem Parlament den „Plan für wirtschaftlichen Wiederaufbau und Erholung“ vor. Wesentliche Ziele des Plans sind die Schaffung von Arbeitsplätzen durch „aggressives“ Infrastrukturinvestment und Massenbeschäftigungsprogramme, die Reindustrialisierung der Wirtschaft, beschleunigte Wirtschaftsreformen um Investitionen und Wachstum freizusetzen, Korruptionsbekämpfung sowie die Verbesserung der Fähigkeit der staatlichen Behörden bei der Umsetzung ihrer Aufgaben. Der Plan enthält wenig Überraschendes, da man ähnliche Vorschläge in früheren Reden bereits gehört hat und in der Folge wenig passierte. Ein öffentliches Massenbeschäftigungsprogramm dürfte ein Entgegenkommen an den Gewerkschaftsdachverband COSATU sein, der in der Dreiparteienallianz des ANC zusammen mit der kommunistischen Partei SACP mitregiert. Die Oppositionsparteien Democratic Alliance (DA – liberal) und Inkatha Freedom Party (IFP – konservativ-traditionalistisch) kritisierten den Plan als eine „Wunschliste“ und fragen, woher die Mittel kommen sollten, mit denen Ramaphosa seine Pläne finanzieren möchte. Selbige Frage stellt auch Finanzminister Mboweni vor eine schwierige Aufgabe. Für die fällige Haushaltsdebatte bat er gar das Parlament um eine Woche Aufschub. Das Ergebnis, das er präsentierte, ließ Zweifel an der Umsetzungsfähigkeit von Ramaphosas Ankündigungen aufkommen. Fast alle Ministerien müssen Mitteleinsparungen hinnehmen. Es gibt weniger Geld für Soziales, Bildung oder für die Kriminalitätsbekämpfung. Die Einsparungen sind notwendig, um Mittel für Investitionen freizusetzen, jedoch sind sie vergleichsweise gering.
Am härtesten traf es die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die für die kommenden Jahre Nullrunden hinnehmen sollen. Zwar sind die Löhne im Öffentlichen Dienst seit 2007 jährlich stärker als Produktivität und Wachstum gestiegen, nichtsdestotrotz sehen Gewerkschaften und die Personalvertretung, die Public Servants Association, angekündigte Lohnkürzungen als „Kriegserklärung“. Der Finanzminister erachtet diesen Schritt gemeinhin als unvermeidbar und erhält viel Zuspruch von Ökonomen. Der Unmut auf Arbeitnehmerseite wird dadurch angeheizt, dass ein gewichtiger Faktor für die desolate Haushaltslage in einer nicht endenden Anzahl von Korruptionsfällen innerhalb der ANC-Regierung liegt. Unter den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes (und innerhalb der großen Staatsunternehmen) herrscht die Meinung vor, dass weder zu hohe Löhne oder eine zu hohe Anzahl von Beschäftigten zu der defizitären Lage führten, sondern ausufernde Korruption. Mit dem Einfrieren von Löhnen und Massenentlassungen müssen die Beschäftigten nun für die Fehlentscheidungen und Veruntreuung auf Exekutivebene ihren Kopf hinhalten. Es ist unbestritten, dass Korruption auf allen Regierungsebenen endemisch ist und bisher kaum ein ANC-Politiker zur Rechenschaft gezogen wurde. Allerdings weisen Ökonomen darauf hin, dass ohne Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst der Haushalt in keinem Fall konsolidiert werden könne. Laut Berechnungen des Arbeitgeberverbandes Business Unity South Africa (Busa) wird – wenn die Löhne nicht umgehend eingefroren werden – Südafrika innerhalb der nächsten drei Jahre insolvent sein.
Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst
Nicht nur die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes wehren sich gegen die bevorstehende Sparpolitik. Auch die Belegschaften in den staatseigenen Betrieben gehen auf die Barrikaden. Südafrikas Wirtschaftsstruktur gilt als rückständig. Der ANC sträubt sich gegen Privatisierungen aus ideologischen Gründen, aber auch aufgrund des berechtigten Einwands, dass sich in der südafrikanischen Privatwirtschaft regelmäßig Oligopole formieren. In bestimmten Schlüsselbereichen haben daher große Staatsbetriebe eine Monopolstellung inne. Die offizielle Staatsquote liegt bei rund 33 Prozent, rechnet man jedoch die staatlichen Unternehmen hinzu, beträgt die Staatsquote rund 43 Prozent. Die große Mehrheit der Staatsbetriebe ist defizitär und kann nur noch mit Zuweisungen aus dem laufenden Haushalt über Wasser gehalten werden. Der Fall der staatlichen Fluglinie „South African Airways“ (SAA) illustriert einmal mehr die Verantwortungslosigkeit der ANC-Regierung. Obwohl die Airline insolvent und ohnehin für Südafrika nicht systemrelevant ist, wendet die Regierung neben den jährlichen Milliardenhilfen nun weitere 10 Milliarden Rand (ca. 550 Millionen Euro) auf, um einen Neustart zu ermöglichen. Wohl aus Prestigegründen und um politischen Schaden abzuwenden, unternimmt die ANC-Regierung alles, um nicht eingestehen zu müssen, dass sie das Land heruntergewirtschaftet hat.
Reformen kaum durchsetzbar
SAA ist dabei kein Einzelfall, im Gegenteil. Denn in den kommenden Jahren wird die Regierung weitere Staatsunternehmen durch zusätzliche Kreditaufnahme stützen müssen, während sie zeitgleich den Haushalt konsolidieren und in Zukunftsindustrien investieren muss. Ohne Privatinvestitionen, die ohnehin die öffentlichen Investitionen um ein Vielfaches übertreffen, wird es nicht gehen. Seit rund zehn Jahren sinken jedoch in Südafrika die Investitionen, sowohl staatliche als auch diejenigen aus dem Privatsektor.
Es ist daher nicht glaubhaft, wenn Präsident Ramaphosa von einer raschen Erholung spricht. Eher ist Gegenteiliges der Fall. Die innerparteilichen Widerstände, von den Gewerkschaften bis hin zu den Netzwerken korrupter ANC-Politiker, die ein Interesse am Status Quo haben, werden nur schwer zu überwinden sein, um die notwendigen Reformen umzusetzen. Die Ratingagenturen präsentieren der südafrikanischen Regierung mit ihrer Abwertung daher lediglich die Antwort auf jahrelange Korruption, Misswirtschaft und Verschwendung.
Rand verliert weiterhin an Wert
In den vergangenen Jahren hat die einheimische Währung, der südafrikanische Rand, etwa um ein Drittel an Wert verloren. Dieser Trend wird weiter anhalten, da die Produktivität nicht steigt, die Infrastruktur nicht aufrechterhalten werden kann und die staatliche Umsetzungsfähigkeit mit weniger Mitteln ebenso wenig verbessert werden kann. Die Abwertung ist vorerst der einzige Weg, um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Finanzminister Tito Mboweni wirbt für seinen Kurs der Haushaltskonsolidierung und hat hierfür auch die Unterstützung von Ramaphosa, der jedoch den vielen innerparteilichen Ansprüchen und Interessen entgegenkommen muss. Nur wenn er bestimmte Gruppen in seiner Partei einbindet, kann er radikale Forderungen abwehren. Zu letzteren zählt beispielsweise der Vorstoß, dass man die Unabhängigkeit der Zentralbank beenden solle. Aufhänger der Debatte ist, dass ausländische Investoren Anteile an der südafrikanischen Zentralbank halten. Im ANC (und der linksradikalen Oppositionspartei EFF) gibt es Forderungen, dass die ausländischen Anteilseigner herausgekauft oder gar enteignet werden sollen. Dahinter steht jedoch der weit darüber hinausgehende Versuch, im Zuge der Nationalisierung der Zentralbank auch deren Unabhängigkeit zu kassieren. Sollte dies passieren, läge eine Schuldenfinanzierung durch die Gelddruckpresse nicht mehr fern. Die Debatte um Beibehaltung oder Aufgabe der Unabhängigkeit der Zentralbank wird mehr als alles andere für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Südafrikas ausschlaggebend sein.
Südafrika, das wohl als einziges Land Subsahara-Afrikas über eine industrialisierte Volkswirtschaft verfügt und auf das der Großteil des Handelsvolumens mit Europa entfällt, wankt. Ein weiterer Einbruch der Wirtschaft – oder gar ein Zahlungsausfall – hätte gravierende Konsequenzen für die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands und Europas mit Afrika. Südafrika ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Über 600 Unternehmen sind in dem Land am Kap ansässig und unterhalten von hier aus auch die Geschäfte mit dem Rest des Kontinentes. Trotz aller Umstände bietet Südafrika grundsätzlich aufgrund seiner vorhandenen Industrie ein deutlich höheres Investitionspotential als die meisten anderen afrikanischen Länder, doch schafft es die Regierung nicht, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, um Investitionen auch aktiv anzuziehen. Die Annahme, dass andere afrikanische Länder Südafrikas Rolle ersetzen können, ist verfehlt. Weder bieten diese eine entsprechende Industrie und Marktgröße an, noch verfügen sie über einen entwickelten Dienstleistungssektor oder moderne Infrastruktur. Ein wirtschaftlicher Niedergang des afrikanischen Schwergewichts Südafrika würde eher einen Bedeutungsverlust des gesamten Kontinents nach sich ziehen.