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„Hinter Kassel beginnt die Walachei“

by Johannes Grote

Debatte zum Buch: „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“

Eingeladen ins Jenaer Volkshaus hatte am 15. Januar 2024 das Politische Bildungsforum Thüringen der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der Veranstaltung „Heimatland Thüringen“ zu einer Diskussionsveranstaltung zum Buch des Literaturwissenschaftlers und Publizisten Dirk Oschmann „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“.

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Debatte zum Buch: „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“

Eingeladen ins Jenaer Volkshaus hatte am 15. Januar 2024 das Politische Bildungsforum Thüringen der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der Veranstaltung „Heimatland Thüringen“ zu einer Diskussionsveranstaltung zum Buch des Literaturwissenschaftlers und Publizisten Dirk Oschmann „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“.

Die Eröffnung des Abends übernahm die Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Maja Eib, die gut 180 Teilnehmer begrüßen konnte. Dabei ging sie vor allem auf die Situation der Demokratie und deren Wahrnehmung in den östlichen Bundesländern, insbesondere in Thüringen, ein. Sie hob hervor, dass ein Großteil der Bevölkerung der Demokratie als Staatsform positiv gegenüberstehen würden, jedoch die praktische Umsetzung in der Kritik stünde. Vor diesem Hintergrund betonte Eib die Wichtigkeit das Wahlrecht besonders im Superwahljahr 2024 zu nutzen und die Demokratie gemeinsam zu stärken und zu gestalten.

 

Die Macht und Ohnmacht der Medien

Im Anschluss stellte Prof. Dr. Dirk Oschmann in seinem Statement unter dem Titel „Westen – Osten in Deutschland - Spaltung, Abspaltung, Externalisierung, Auslöschung“ die Beweggründe zur Veröffentlichung seines Buches vor. Dabei ging er insbesondere auf die Macht der Medien als vierte Gewalt im Staate ein. Anhand von Covern und Überschriften populärer, überregionaler Medien, wie beispielsweise dem Spiegel, zeigte er, dass ein starkes Framing gegenüber ostdeutschen Menschen und ihrer Kultur festzustellen sei. So titelte Der Spiegel in der Ausgabe 39/2004: „Jammertal Ost“ mit einem untergehenden grünen Ampelmännchen oder in der Ausgabe 35/2019: „So isser, der Ossi – Klischee und Wirklichkeit: Wie der Osten tickt – und warum er anders wählt“. Auch immer wiederkehrende Bezüge zum Rechtsextremismus wären auffällig, so Oschmann. So zeigte die Hamburger Morgenpost am 22.Februar 2016 eine Deutschlandkarte mit einem in braun eingefärbten Sachsen als Cover. Dazu titelte sie: „Der Schandfleck – Immer wieder Sachsen“. „Ostdeutsche werden hierdurch als Abweichung von der Norm dargestellt“, so Oschmann. Aus dem Blick geriete so u.a., dass ostdeutsche Bundesländer wesentlich höhere Reparationszahlungen an die Sowjetunion hätten zahlen müssen und der Westen in den Genuss des Marschallplanes kam. Zudem gab es große Abwanderungsbewegungen gerade qualifizierter junger Frauen. Unterschiede in der Wirtschaftsleistung, Einkommen, Vermögensaufbau, Lebenschancen, Wahlergebnisse und weit weniger als 4% Ostdeutsche in Führungspositionen sind auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung real und messbar. Die großen Transformationsleistungen, der Wirtschaftsaufbau und die Erfolgsprodukte zahlreicher mittlerweile auch Hidden Champions im Osten sollten jedoch Anlass sein positiv und stolz auf das Land zu blicken. Ihm fehle eine Diskussion auf Augenhöhe, die sich mit den Fakten auseinandersetze: „Der Westen hat gedacht ‚Westen‘ bleiben zu können, verstehe sich als Norm und den ‚Osten‘ als Abweichung.“ Prof. Dr. Dirk Oschmann wies jedoch auch darauf hin, dass die Stigmatisierung des Ostens schon im 18. Jahrhundert begonnen habe. Ursächlich wäre zum einen die Sprache beispielsweise sächsischer Menschen, die als befremdlich wahrgenommen werde. Zum anderen aber auch an einer Radikalisierung der Bevölkerung durch Autoren und Journalisten, welche Menschen aus dem Osten als „dumm“, „rückständig“ oder „barbarisch“ dargestellt hätten. So habe auch Konrad Adenauer nach dem Krieg gesagt: „Hinter Kassel beginnt die Walachei “, was eine Stigmatisierung der dort lebenden Bevölkerung gewesen wäre.

 

Lebensperspektiven

Im anschließenden Podiumsgespräch zeigte Prof. Dr. Mario Voigt, Vorsitzender der CDU Thüringen, Verständnis für das Gefühl des abgehängt Seins vieler ostdeutscher Bürger und wies darauf hin, dass es gerade Ostdeutsche schwerer hätten in Führungspositionen zu gelangen. Es wäre zudem ein falsches Signal, ostdeutsche Führungskräfte nach deren Pension durch westdeutsche zu ersetzen. Angesprochen auf seine Kandidatur als Spitzenkandidat für die Landtagswahl hob Voigt heraus, dass seine ostdeutsche Biografie ihm in der politischen Entscheidungsfindung helfe, da er als Politiker „von hier“ die Lebensperspektiven besser nachempfinden könne. Im Hinblick auf das Amt des Ostbeauftragten plädierte Voigt für mehr Gleichberechtigung. Der Ostbeauftragte werde oft als „Beauftragter für sonderbare Menschen wahrgenommen“. Er wünsche sich deshalb lieber mehr Ostdeutsche in Ministerämtern, die ihre Qualifikationen einbringen könnten.

Arne Briese, Student aus Mecklenburg-Vorpommern und Stipendiatensprecher der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jena, konnte die Ausführungen Oschmanns nachvollziehen. Er verwies jedoch auch auf seinen norddeutschen Dialekt, welcher, im Gegensatz zum sächsischen, kein Hemmnis im Alltag darstelle und er daher weniger Ausgrenzung erfahre. Auffallend sei jedoch, dass auch Menschen die weiter östlich, beispielweise in der Ukraine, leben würden, es negativ empfinden würden „im Osten zu sein“.

Die ehem. Bundesvorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Franca Bauernfeind, geboren in Franken und Studentin in Erfurt, stellte heraus, dass auch eine Integration in die ostdeutsche Gesellschaft schwerfallen könne. „Ich bin nach Erfurt zum Studieren gekommen und war plötzlich ‚der Wessi‘“, berichtete sie. Auch wenn sie die Wiedervereinigung nicht aktiv miterlebt habe, so habe sie durch den Wohnortwechsel dennoch erlebt, dass etwas „anders“ sei. Im Hinblick auf die Ausbildung forderte sie mehr akademische Vorbilder: „Vielleicht sind wir die neue 68er Bewegung, die unsere Eltern kritisch hinterfragt.“

Zum Abschluss des Podiumsgesprächs verwies Oschmann nochmals auf die Außenwahrnehmung des Ostens als „Block“. Es werde Zeit, dass „der Osten in seiner ganzen Heterogenität wahrgenommen und angesprochen wird.“ Hierbei hätten die Medien eine gewichtige Rolle, da sie „oft durch Überformung und Abgrenzung“ die Debatte bestimmten und dies bisweilen demokratiegefährdend sei. Er wünsche sich hier ein respektvolleres Miteinander.

 

Strukturwandel und Zukunftsperspektiven

Im Anschluss an das Podiumsgespräch, welches vom RCDS-Landesvorsitzenden Patrick Riegner moderiert wurde, hatten die anwesenden Gäste die Möglichkeit Fragen zu stellen und ihre eigenen Erfahrungen einzubringen. Dabei wurde vor allem die zunehmende Verrohung der Debattenkultur, die Stigmatisierung ostdeutschen Lebens und das andauernde Aussterben ländlicher Räume diskutiert. Oschmann wies darauf hin, dass der Stadt-Land-Unterschied aufgrund der kleinerer Städtestruktur im Osten und der älteren Bevölkerung stärker zum Tragen kommt. Gerade die Abwanderungswellen würden dazu führen, dass „ländliche Räume durch reiche Eliten in den Städten“ verlieren.

Auch der Umgang mit einer steigenden politischen Radikalisierung, die immer wieder als negative Pauschalkritik medial „ausgeschlachtet“ werde, wurde mit den Gästen des Podiums diskutiert. Voigt appellierte an die anwesenden Gäste, ostdeutsche Leistungen zu würdigen: „Ohne Technik aus Thüringen, fliegt keine Rakete zur ISS“. Er plädiere zudem dafür, „eine inhaltliche Auseinandersetzung mit politisch radikalen Positionen“ zu führen, weil „wir diese Meinungen und Positionen wiederlegen müssen.“ Es gelte die Demokratie gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu gestalten, Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und dabei für die Lösung der Probleme und bevorstehenden Aufgaben möglichst alle mitzunehmen.

 

Bericht: Johannes B. Grote

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Tillmann Bauer

Referent für politische Bildung

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