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Die EU habe ein strategisches Interesse daran, die Ukraine in ihre Sphäre zu integrieren, sagte Dr. Gerhard Wahlers, stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Ich persönlich glaube, dass es gut wäre, wenn der Ukraine ein Weg in Richtung Europa und EU gewiesen wird.“ Dazu müsse der von Wiktor Janukowytsch regierte Staat aber die Voraussetzungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erfüllen, so Wahlers.
Die Parlamentswahlen waren hierfür kein positiver Indikator. „Die Wahl war ein Paradoxon - demokratisch und undemokratisch zugleich.“, sagte Wolodomyr Fesenko, Leiter des Kiewer Zentrums für politische Studien, Penta. Die Bildung der Wahlkommissionen sei auf unfaire Weise erfolgt, Gerichte hätten sich in missbräuchlicher Weise eingemischt, Stimmen seien gekauft worden, die Verwaltung habe erheblichen Druck ausgeübt. Das Wahlergebnis sei aber durchaus demokratisch gewesen. „Nach Punkten hat zwar die Regierungspartei gewonnen“, sagte Fesenko. Sie habe aber nicht mehr die absolute Mehrheit erreichen können, was als Erfolg der Oppositionsparteien zu werten sei. Das Rennen um die Präsidentschaft 2015 gestalte sich damit völlig offen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke, der als Wahlbeobachter in die Ukraine gereist war, bestätigte Fesenkos Beobachtungen: „Die Einschätzungen sind ambivalent“. Die entscheidende Manipulation der Wahlen sei im Vorfeld geschehen. Zu diesem Schluss kam die große Mehrheit der internationalen Wahlbeobachter. International waren die Wahlen zum Lackmustest erklärt worden für den Willen der ukrainischen Regierung, den demokratischen Rückbau des Landes zu stoppen und sich an europäischen Standards zu orientieren. „Dieser Test ist fehlgeschlagen.“, so auch die Einschätzung des CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Johann Wadephul. Im Hinblick auf die mögliche Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU herrsche damit momentan Ernüchterung vor.
Enttäuschend sei auch der Umgang mit der Causa Juliyia Tymoschenko, sagte Klimke. Dabei wäre die Freilassung oder das Einstellen des Prozesses ein immenses außenpolitisches Kapital für die Ukraine. Die Haltung der Regierung in dieser Angelegenheit sei ein Hindernis für die Unterzeichnung Assoziierungsabkommens, sagte er. „Wie kann man denn jemanden freilassen wollen, dessen Schuld bewiesen ist?“ fragte daraufhin Olena Bondarenko, Mitglied der ukrainischen Regierungspartei „Partei der Regionen“ und Abgeordnete im Parlament. Es gebe objektive und durch Gerichte festgestellte Anhaltspunkte, die ihre Schuld bewiesen, sagte sie. „Tymoschenko ist ein Symbol für politische Verfolgung“, sagte Andriy Parubiy von der ukrainischen Oppositionsfraktion „Batkiwschtschya“. Die Vorwürfe seien absurd und verdeutlichten, wie wenig das Prinzip der Gewaltenteilung in der Ukraine beachtet würde. Die Judikative sei vom Präsidenten abhängig, so Parubiy.
Fraglich sei momentan auch, ob die Ukraine eher zur EU tendiert oder zu Russland. Die Regierung müsse tatkräftiger auf die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU hinwirken, sagte Parubiy. Der Eintritt in eine Zollunion mit Russland, Kasachstan und Belarus würde die Ukraine hingegen klar von der EU entfernen, sagte Oleksiy Garan, Politologe an der Mohyla-Akademie in Kiew. Nach wie vor spreche sich aber eine Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung für die Anbindung an die EU aus. Allerdings habe mit der Krise in der EU auch die Euroskepsis in der Ukraine zugenommen. Als "postsowjetisches Projekt" bezeichnete der ukrainische Abgeordnete Walentyn Nalywaitschenko von der Oppositionspartei UDAR des Box-Weltmeisters Vitali Klitschko die von Russland forcierte Zollunion. Die Ukraine müsse ihren Minderwertigkeitskomplex beiseite legen und die Zusammenarbeit mit der EU intensivieren, insbesondere im Wirtschafts- und Energiebereich wie auch in Visafragen.
Die Ukraine gleich einem Computer, der sich aufgehängt hat, so das Fazit von Fesenko. „Und was macht man, wenn der Computer hängt? Man startet ihn neu!“ Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens könnte ein Element eines solchen Neustarts sein. „Allerdings mit konkreten Vorgaben zur Reformierung des Staatswesens und zur Gewaltenteilung“, sagte er.