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Country reports

Der neue alte Romney

Romney wollte wie eine Schreibtafel sein und das konservative Profil nach der Nominierung wegwischen. Doch Schwamm drüber funktioniert im Internet nicht.

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Festzuhalten ist zuerst: in den US-Präsidentschaftswahlen haben sich die meisten Wähler bereits entschieden. Seit Monaten zeigen die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wenig ändert sich. In den großen Fragen der Wahl, wie etwa die Gesundheitsreform, Steuerfragen und Wirtschaftspolitik, sind die Meinungen relativ stabil. Nach einer aktuellen Umfrage von ABC News werden 48 Prozent derer, die wahrscheinlich zur Wahl gehen, sicher Obama ihre Stimme geben, Romney hat 44 Prozent sicher. Keiner der beiden Kandidaten hatte bislang eine signifikante Führung.

Die Umfragen bestätigen den langfristigen Trend, den vor einiger Zeit Bill Bishop „The big sort“ – eine weitgehende „Sortierung“ der Wähler – genannt hat. Steht ein Umzug an, zieht man in die Nachbarschaft mit gleichem Wahlverhalten. Die alle zehn Jahre vorgenommene neue Zuschneidung der Wahlkreise vollzieht diese Entwicklung nach. Die Zahl der umkämpften Wahlkreise nimmt ab. Das Land spaltet sich entlang von Parteigrenzen.

Virtueller Bombenteppich gegen Grabenkampf

Gleichwohl ist die Wahl längst nicht entschieden. Worauf es jetzt ankommt, ist die Wahlbeteiligung. Dabei konzentriert sich der Wahlkampf nur auf wenige Bundesstaaten. Grund ist, dass die Präsidentschaftswahl eigentlich keine nationale Wahl ist, sondern eine parallele Wahl um Wahlmänner in 50 Bundesstaaten und dem District of Columbia. Die meisten Bundesstaaten, bzw. ihre Wahlmänner, gelten bereits jetzt als einem der beiden Kandidaten sicher. Wahlkampf wäre dort Verschwendung von Ressourcen. In Kalifornien etwa, das als sicher demokratisch gilt, wird man mit Wahlwerbung im Fernsehen so gut wie nicht behelligt. Obama tritt dort nicht auf und kommt allenfalls vorbei, um in Hollywood Spenden einzusammeln.

Der Kampf um die Wähler konzentriert sich also auf die Bundesstaaten, die sich noch nicht zuordnen lassen („Swing States“). Seit Langem ist dort die Fernsehzeit für Werbespots aufgekauft – die Romney-Kampagne hat hier besonders investiert. Eine gewaltige Schar von Freiwilligen geht von Tür zu Tür, die Leute von der Beteiligung an der Wahl zu überzeugen – eine Stärke der Obama-Kampagne. Virtueller Bombenteppich gegen Grabenkampf. Will man wissen, welche Bundesstaaten als besonders umkämpft gelten, kann man sich ansehen, wo die Kandidaten auftreten: Vor allem in Ohio, Florida, Virginia und Nevada geben sie sich jetzt die Klinke in die Hand.

Wer entscheidet letztlich? Beide Kandidaten müssen zunächst die eigene Parteibasis bei Laune halten und gleichzeitig diejenigen überzeugen, die irreführend „Unabhängige“ genannt werden. Irreführend, weil es nur ganz wenige Leute ohne Parteipräferenz gibt. Besser würde man sie als Moderate mit einer gewissen Parteipräferenz aber unentschiedenem Wahlverhalten bezeichnen.

Mitt Romney als Schreibtafel

Der Trend geht zu einer zahlenmäßig abnehmenden, aber dafür strengeren „konservativen“ bzw. „linksliberalen“ Parteibasis und einer wachsenden Zahl von Moderaten, deren Parteibindung lockerer wird. Dabei sehen sich nach aktueller Umfrage des Pew-Zentrums ca. zwei Drittel der republikanischen Wähler als „konservativ“, ein Drittel als „moderat“. Bei den Demokraten sehen sich ca. jeweils die Hälfte als „linksliberal“ bzw. „moderat“.

Parteibasis und Moderate im Blick zu halten, ist nicht immer einfach. Romney hatte zudem gegenüber Barack Obama, dessen Nominierung von vornherein feststand, eine besondere Herausforderung. In den republikanischen Vorwahlen, in denen der Kandidat bestimmt wurde, hatte vor allem die stramm konservative Parteibasis das Sagen. Damals musste Romney sich als besonders konservativ darstellen. Umso mehr, als viele ihn nicht für konservativ genug hielten. Gleichzeitig musste er sich genug Flexibilität lassen, um dann nach der Nominierung auch die Moderaten ansprechen zu können.

Ein enger Berater Romneys brachte es in einem Moment womöglich ungewollter Offenheit auf den Punkt: Romney wird seine Positionen ändern, wenn er die Nominierung gewonnen hat – und verglich Romney dabei mit einer Schreibtafel, die schnell wieder abgewischt werden kann. Das „Abwischen“ gelingt jedoch in Zeiten von Twitter, Facebook und YouTube immer weniger: Ein heimlich aufgenommenes Video für reiche Spender, in welchem Romney die 47 Prozent derer kritisierte, welche von staatlichen Programmen abhängig sind, brachte vor allem bei Moderaten Aufregung. Umgehend nahm Romney die Aussage zurück.

Nicht zu weit in die Mitte

In dieser Phase des Wahlkampfs müssen beide Kandidaten aber vor allem die Moderaten für sich gewinnen. Romney hat den Schritt auf die Moderaten in der ersten Fernsehdebatte vollzogen. Erstmals wies er auf seinen größten Erfolg als früherer Gouverneur von Massachusetts hin: eine überparteiliche Gesundheitsreform – Anathema für streng Konservative. Dabei darf er allerdings nicht zu weit in die Mitte gehen. Als er jetzt auf eine Anfrage sagte, er habe keine Pläne, Abtreibungsgesetze zu ändern, musste er sich sofort danach vor dem einflussreichen, konservativen Family Research Council erklären.

Obama muss vor allem diejenigen Wählergruppen wieder aktivieren, die ihm bei der Wahl 2008 den entscheidenden Rückenwind gegeben hatten. Das waren insbesondere Frauen, Minderheiten wie Hispanics sowie junge Wähler. Unklar ist, wie viele ihn davon heute noch wählen – zu groß ist die Enttäuschung auch bei ihnen über 16 Billionen Staatsschulden und hohe Arbeitslosigkeit. Romney führt bereits bei Frauen in „Swing States“.

Wer gewinnt? Derjenige, der in den „Swing States“ die meisten Moderaten für sich mobilisiert, ohne die Parteibasis aus den Augen zu verlieren.

Das Original finden Sie bei The European.de unter http://www.theeuropean.de/lars-haensel/5374-die-goldene-mitte-im-us-wahlkampf

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