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Zudem steht in der öffentlichen Diskussion die bisherigen Außenpolitik der Obama-Administration in der Kritik, welche die Krise begünstigt habe. Kritiker sehen in der „Reset-Politik“ Obamas gegenüber Russland einen Fehler. Ebenso sei das derzeitige russische Verhalten auf die fehlende Sanktionierung von missbilligtem Verhalten anderer Staaten durch die USA zurückzuführen. Darüber hinaus gibt es Diskussionen über weitergehende Konsequenzen der Krise in der Ukraine für amerikanische außenpolitische Interessen.
Auf einer grundsätzlichen Ebene sind sich die meisten Beobachter in den USA darüber einig, wie das weitere Vorgehen gegenüber Russland zur Beilegung der Krise in der Ukraine aussehen soll. Ein direktes militärisches Eingreifen ist nicht erwünscht. Nach den beiden militärischen Einsätzen in Afghanistan und im Irak ist in den USA eine deutliche Kriegsmüdigkeit festzustellen. Zudem ist die Ukraine kein Mitglied der NATO und hat erst kürzlich die Kandidatur zur Mitgliedschaft zurückgezogen. Auch die geostrategischen Vorteile Russlands sowie die Kürzungen des amerikanischen Militärbudgets lassen einen Einsatz im Zuge der Krise unwahrscheinlich erscheinen.
Einig ist man sich jedoch darin, dass Sanktionen gegen Russland erfolgen müssen. In der vergangenen Woche wurden von den USA Reiseverbote und Kontensperrungen gegen einzelne, für die Krise verantwortliche Personen, verhängt. Zudem wurden die Verhandlungen in verschiedenen bilateralen und multilateralen Diskussionsforen, etwa über Handel und Investitionen, abgebrochen. Von Seiten der Obama-Administration werden die bisherigen Sanktionen als wirksam erachtet. So äußerte sich Obamas stellvertretender Sicherheitsberater, Tony Blinken, wie folgt: „Als Folge der internationalen Isolierung Russlands sind die dortigen Finanzmärkte in den Keller gegangen. Der Rubel-Kurs ist abgestürzt. Und potenzielle Investoren schrecken wegen der Instabilität vor Investitionen in Russland zurück. Das sind greifbare Konsequenzen unserer Politik.“ Im Falle einer weiteren Eskalation seitens Russlands behält sich die Regierung zudem weitere Schritte vor, welche vor dem Hintergrund des Stockens der diplomatischen Bemühungen zunehmend wahrscheinlicher erscheinen.
Kritik und Ergänzungsvorschläge
Die Republikaner kritisiert derweil das amerikanische Krisenmanagement. So verwies etwa Kentuckys Senator Rand Paul, ein Tea-Party nahestehender Republikaner und möglicher Präsidentschaftskandidat 2016, auf das zu langsame und unentschlossene Vorgehen der Regierung. In Revision des von Obama vollzogenen Abzugs des Raketenabwehrschildes im Jahr 2009 aus Polen und der Tschechischen Republik machte sich Paul zudem für die erneute Installierung von diesem stark.
Forderungen nach weiteren Sanktionen und Konsequenzen kommen zudem auch von anderen Stellen. Im Kongress wird ein Gesetz mit weiteren Sanktionen diskutiert. Strittig ist zwischen Senat und Repräsentantenhaus jedoch, ob als Teil dieses Gesetzes die Finanzierung des IMF neu geregelt werden solle, um den USA stärkere Einflussmöglichkeiten zur Finanzierung in Krisensituationen zu geben. So wird im Senat (und von der Administration) vorgeschlagen, den Haushalt des Krisenfonds, der vor allem für die europäischen Krisenländer vorgesehen ist, in den generellen Haushalt fließen zu lassen und damit flexibler handhaben zu können.
Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater von 1977 bis 1981, sprach sich in einem Artikel in der Washington Post für eine verstärkte militärische Vorbereitung der NATO auf mögliche weitere Aggressionen Russlands gegen die Ukraine aus. Es solle glaubhaft gemacht werden, dass weitere Aktionen Russlands nicht hingenommen werden. Die NATO müsse in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und einige amerikanische Luft-waffeneinheiten auf eine unmittelbare Verlegung nach Europa vorbereitet werden. Gleichzeitig seien derartige Schritte durch die Untermauerung des Wunsches nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu ergänzen, um Missinterpretationen zu vermeiden, die eine Aggressionsspirale hervorrufen könnten.
Wirtschaftshilfe, Öffnung für Exporte oder Versöhnung als Mittel?
Diskutiert werden auch indirekte Maßnahmen gegenüber Russland. Dazu gehören Finanzhilfen für die wirtschaftlich stark angeschlagene Ukraine, um die Position gegenüber Russland zu stärken. Vor diesem Hintergrund ist auch die Finanzhilfe in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zu sehen, die US-Außenminister John Kerry neben weiterer Unterstützung bei einem Besuch in der Ukraine angekündigt hat. Inzwischen wurde dieses Angebot weiter aufgestockt.
Kritisch wird diese finanzielle Unterstützung u. a. von Rand Paul eingeschätzt. Aufgrund der hohen Schulden der Ukraine bei Russland befürchtet Paul, dass durch Hilfeleistungen Amerikas letztlich Russland durch Geld unterstützt würde, welches sich die Amerikaner von China leihen. Paul spricht sich daher für die Aussetzung finanzieller Hilfeleistungen aus.
Ebenfalls interessant ist die amerikanische Diskussion über die Genehmigung der Exporte von Flüssiggas. John Boehner, republikanischer Sprecher im Repräsentantenhaus, machte sich etwa für eine Verwendung des Energieträgers als strategisches Mittel gegen Russland stark.Von Seiten der Regierung wird ein derartiges Vorgehen ebenfalls in Betracht gezogen. Das Außenministerium teilte mit, dass es bereits seit längerer Zeit über Möglichkeiten nachdenkt, Europa zu helfen, die Energieversorgung zu diversifizieren. Letztlich würde man so die Abhängigkeit Europas von Russland verringern, was ein gemeinsames Vorgehen europäischer Staaten und der USA wahrscheinlicher machen könnte – ein Weg, der insbesondere von der Administration erwünscht ist, wohingegen sich verschiedene Mitglieder des Kongresses auch ein unilaterales Vorgehen der USA vorstellen könnten. Niemand geht jedoch von einer kurzfristigen Umsetzbarkeit aus, die strategische Wirkung allein schon der Diskussion wird jedoch immer wieder betont.
Andere betonen die Bedeutung der Versöhnung innerhalb der Ukraine- eine Position die Henry Kissinger einnimmt. Darüber hinaus betont er, dass die Russen erkennen müssen, dass ein Verhalten wie im Kalten Krieg von europäischer und amerikanischer Seite nicht akzeptiert werden kann.
Gleichzeitig ruft er den Westen zum Verständnis auf, das geschichtlich gewachsene Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland anzuerkennen. Die Ukraine dürfe nicht als Gegenstand eines Streites zwischen Ost und West dienen, sondern müsse viel eher eine Brückenfunktion einnehmen. Laut Kissinger hätten sich alle beteiligten Akteure, die USA, Europa, die verschiedenen Fraktionen in der Ukraine sowie Russland bisher eher auf die Konfrontation als die Kooperation konzentriert, was zu keiner dauerhaften Lösung führen könne. Ein Teil davon könnte so aussehen, dass Russland die ukrainische Souveränität über die Krim anerkennt, gleichzeitig der autonome Charakter der Krim anerkennt. Die Ukraine solle zwar in vielfältiger Weise mit dem Westen verbunden sein, jedoch auf institutionelle Anbindung (EU, NATO) verzichten.
Schwäche Amerikas versus Putins Denken als Erklärungsversuche
Neben der Frage weiterer Schritte, wird auch darüber debattiert, welchen Einfluss die bisherige Russlandpolitik der Obama-Administration auf das russische Vorgehen in der Ukraine hat.
Eine Reihe von Beobachtern – insbesondere auch im Zusammenhang mit den Erfahrungen Georgiens im Jahr 2008 – gehen davon aus, dass Putins Vorhaben nicht von der US-Politik beeinflusst ist. Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton und potentielle Kandidatin für das Präsidentenamt zog einen Vergleich zwischen dem Verhalten Vladimir Putins und Adolf Hitlers im Vorlauf des Zweiten Weltkrieges, als dieser die Interessen der deutschsprachigen Minderheiten als einen Vorwand für Aggression benutzte. Offensichtlich spielt Clinton damit auf ein vermutetes vorab festgelegtes Verhalten Putins an, welches dieser Ansicht nach unabhängig von äußeren Faktoren zutage getreten wäre.
Eine ähnliche Ansicht vertritt etwa auch der US-Diplomat am Washington Institute, James F. Jeffrey, wonach kaum eine Außenpolitik Obamas vorstellbar sei, die Putin von seinem jetzigen Vorgehen abgehalten hätte. Gleiches gelte auch für die de facto Eroberung Georgiens im Jahr 2008 und die Möglichkeiten des damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Die aktuelle Krise in der Ukraine habe „das wahre imperialistisch bestimmte Gesicht“ Russlands gezeigt.
Die andere Sicht wird insbesondere von Republikaner vertreten. Ähnlich wie bereits im Falle Rand Pauls angedeutet, kritisieren sie die Schwäche Obamas und seiner Administration. So stimmt etwa Senator John McCain (R-AZ) im Grundsatz dem Vergleich Clintons zwischen Putin und Hitler im Jahr 1938 zu, wirft der Administration jedoch eine fundamentale Fehleinschätzung Putins und ein schwaches außenpolitisches Verhalten vor: „The whole administration deserves blame, everybody, for the weakness and total misperception of the nature of Vladimir Putin. And pushing the reset button is certainly a graphic demonstration of that.“ Auch Senator Lindsey Graham (R-SC) äußerte sich wie folgt: „We have a weak and indecisive president that invites aggression.“ Erkennbar tritt hier auch parteipolitisches Denken mit in den Vordergrund. Kritik erhalten die beiden Senatoren allerdings auch aus den eigenen Reihen. So sprach der republikanische ehemalige Verteidigungsminister, Robert Gates, davon, dass sich Obama klug verhält, wenn er auf militärische Drohungen verzichtet und seine Parteikollegen in Zeiten der Krise besser hinter dem Präsidenten stehen sollten. Diese würden versuchen, Obama zu Handlungen zu treiben, die letztlich kontraproduktiv sein könnten.
Die Krise hinterlässt zudem Spuren in der öffentlichen Meinung. Einer Gallup-Umfrage zufolge denkt erstmalig eine Mehrheit der Amerikaner (53 Prozent), dass ihr Präsident international nicht respektiert wird. Verluste verzeichnet Obama hierbei insbesondere unter Demokraten und Unabhängigen, während weiterhin eine übergroße Mehrheit der Republikaner denkt, dass Obama im Ausland nicht respektiert wird. Zu erwähnen ist jedoch, dass in der Umfrage, die seit 1994 erhoben wird, auch die ehemaligen Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush ähnlich schwache Ergebnisse erzielten.
Auswirkungen auf andere Bereiche der US-Außenpolitik
Neben der Kritik an dem aktuellen Krisenmanagement der USA gibt es darüber hinaus verschiedene Überlegungen zu den Folgewirkungen der Krise in der Ukraine. Während die einen in den derzeitigen Entwicklungen in der Ukraine große Gefahren für die außenpolitischen Interessen der USA insgesamt sehen, schätzen andere die Situation insgesamt als nicht derart bedeutsam ein oder erkennen sogar eine Chance, um verlorengegangenes Ansehen zurückzugewinnen.
Aaron David Miller, Vice President am Woodrow Wilson Center, sieht die Krise in der Ukraine als einen Auslöser, der unabhängig von dem noch nicht absehbaren Ausgang die ohnehin komplizierte Situation im Nahen Osten noch verschärfen wird. Russland habe sich endgültig als unzuverlässiger Partner für die USA in außenpolitische Fragen herauskristallisiert. Demnach wird ein Gewinner der Krise der syrische Machthaber Bashar al-Assad sein, es sei denn es käme zu dem unwahrscheinlichen Fall eines dauerhaften massiven Machtverlustes oder Sturzes Putins. Sofern sich Russland mit seinem derzeitigen Vorgehen gegen die USA behaupten könne, würde auch die Position Assads gestärkt, der zunehmend davon ausgehen kann, auf den richtigen Verbündeten im UN-Sicherheitsrat zu setzen. Nicht vergessen werden darf zudem, dass die Krise in der Ukraine zunehmend im Mittelpunkt der internationalen Beobachtung steht und gewissermaßen von der Situation in Syrien ablenkt.
Ähnliches könnte auch für den Iran gelten. Laut Miller fürchtete Russland nie so sehr wie die USA eine atomare Aufrüstung des Iran. Sollten die diplomatischen Bemühungen um die Lösung des Atomkonfliktes scheitern, wäre es durchaus möglich, dass Russland eine militärische Lösung seitens der USA im Sicherheitsrat blockiert. Daneben beobachten Staaten wie Iran, aber auch andere Gegenspieler der USA wie etwa Nordkorea oder China genau, was sich Russland in dem Konflikt mit den USA erlauben kann und ziehen hieraus ihre Schlüsse. Eine weitere potentielle Gefahr liegt Miller zufolge darin, dass befreundete Staaten der USA, etwa Israel oder Saudi Arabien nicht mehr auf die USA vertrauen, wenn diese im Konflikt mit Russland ihre ohnehin beschädigte internationale Glaubwürdigkeit weiter verringern.
Andere schätzen die Gefahren für die Interessen der USA im Nahen Osten, die von einem Bruch der amerikanisch-russischen Beziehungen ausgehen, als nicht derart hoch ein. Zum einen, da Russlands Bedeutung ohnehin nicht so groß sei, wie dies auf den ersten Blick wirken mag. Zum anderen, da die USA im Zweifel in der Lage wären, auch ohne Russland zu handeln. James Jeffrey formuliert dies so: „The Middle East is not the Ukraine or Georgia, however. America's interests in that region – namely, defending U.S. allies, combating terrorism, curbing the proliferation of weapons of mass destruction, and securing oil routes, as President Obama put it in his September speech at the UN – will remain valid, as will its ability to carry them out even if U.S.-Russian cooperation on certain issues dries up. With global energy trends undercutting Moscow's temporary surge in ready cash and its ability to use gas pipelines as blackmail, Putin does not have the economic clout, diplomatic leverage, or power-projection capabilities to seriously stymie Washington in the Middle East.“
Weiterhin besteht in dem derzeitigen Konflikt auch potentiell die Möglichkeit für die USA, einen Teil des internationalen Ansehens zurückzugewinnen, welches sie in der Vergangenheit durch die Nichtbestrafung des Überschreitens roter Linien und antizipierter Schwäche verloren haben. Dennis Ross sieht in einer klaren Unterstützung der Ukraine durch die USA eine Möglichkeit, Russland an den Führungsanspruch und die Führungsposition der Amerikaner zu erinnern. Gleichzeitig würde ein solches Vorgehen auch im Nahen Osten wahrgenommen werden und sich positiv auf amerikanische Interessen auswirken.