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Obama stand daher vor der Entscheidung: Entweder unterstützt seine Administration im Namen der Stabilität weiter die autoritären Diktatoren oder er stellt sich auf die Seite des demonstrierenden Volks und riskiert eine mögliche Machtübernahme durch islamische Fundamentalisten, wie z.B. 2006 in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Dabei gelang es dem Präsidenten bisher nur schwerlich die historischen Ereignisse in der arabischen Welt richtig abzuschätzen. Derweilen sind Amerikas Verbündete im Nahen Osten schockiert, wie schnell Washington bereit ist, langjährige Partner zu verstoßen. Das außenpolitische Problem gewinnt dadurch nur an Komplexität.
Die aktuellen Unruhen in der arabischen Welt stellen die amerikanische Außenpolitik vor eine große Herausforderung. Auf der einen Seite will Washington die Demokratisierung in allen Teilen der Welt generell vorantreiben. Auf der anderen Seite verbinden es aber oft langjährige Beziehungen mit diesen Partnerländern, welche z.T. fester Bestandteil regionaler Friedensabkommen sind sowie Partner im Kampf gegen den Terrorismus Al-Qaidas. Dementsprechend vorsichtig äußerte sich US-Außenministerin Clinton gegenüber dem Nachrichtensender Al-Arabiya: „Wir ergreifen keine Partei und wollen die Unruhen in Tunesien nicht weiter anheizen.“ Nach der fluchtartigen Ausreise Ben Alis nahm die Sorge der Regierenden in den arabischen Hauptstädten jedoch zu, so die Nachrichtenagentur AFP. Schließlich könnten die Unruhen auch auf ihre Länder überspringen. Hillary Clinton hatte ihre Äußerungen in einem weiteren Interview verschärft und die Staatsoberhäupter von Kairo bis Amman dazu aufgerufen, zusammen mit ihren Völkern Reformen anzugehen. Die AFP berichtete weiter, dass Ägyptens Innenminister Ahmed Abdul Gheit daraufhin die US-Regierung angewiesen habe, sich aus den inneren Angelegenheiten der Araber herauszuhalten.
Zaghafte Kritik am geschätzten Partner
Auf Grund der sich nun auch in Kairo entwickelnden Ereignisse und der zunehmenden Destabilisierung des Landes, sah sich die Obama-Administration gezwungen, den Ton gegenüber dem langjährigen Partner und Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus zu verschärfen. Der Einfluss der USA in der arabischen Welt ist jedoch begrenzt. Wilson und Warrick von der Washington Post berichteten von Clintons deutlicher Warnung an Mubarak, „die Gelegenheit für Änderungen nicht verstreichen zu lassen.“ Jedoch wollte die amerikanische Regierung Mubaraks Ära zu diesem Zeitpunkt noch nicht für beendet ansehen. Vielmehr sollte der ägyptische Präsident wichtige Schritte für Reformen einleiten. Zudem sah sich die amerikanische Regierung in der Pflicht für die Sicherheit und die Kommunikationsfreiheit der Demonstranten einzutreten. Die AP merkte an, dass das Weiße Haus daher auch nicht im Stande war, sich eindeutig zu Mubarak zu bekennen. Katie Couric von den CBS Evening News berichtete, dass Obama während seines Interviews mit You-Tube unterstrich, in der Vergangenheit Präsident Mubarak mehrmals zu Reformen aufgerufen zu haben. Ein Faktum, dass u.a. durch die veröffentlichten Depeschen von Wikileaks bestätigt wurde. Gleichzeitig wies Obama auf die bedeutende militärische Zusammenarbeit beider Länder im Kampf gegen den Terrorismus hin. Erica Werner von der AP wies jedoch auch darauf hin, dass Obama bei dem You-Tube Interview jeglichen Fragen zu einer alternativen Übergangsregierung unter Friedensnobelpreisträger ElBaradei aus dem Weg ging.
Peinliche US-Militärhilfe
Am Freitag vergangener Woche nahmen die Ereignisse in Kairo jedoch an Brisanz zu. Die verhasste ägyptische Polizei verließ nach Tagen des Protests die Straßen. Auf Befehl Mubaraks rückte das Militär an, das im Land hohes Ansehen genießt. Den gesamten Freitag wurde Obama zu den aktuellen Entwicklungen in Kairo und Alexandria vom National Security Council unterrichtet. Nach Mubaraks Fernsehansprache und einem Telefongespräch beider Präsidenten, trat der amerikanische Präsident dann selbst vor die Presse. In einem kurzen Statement rief Obama der ägyptischen Regierung ins Gewissen, die Bürgerrechte seines Volkes zu achten. Der Staatschef appellierte zudem an Mubarak, das Internet und den Mobilfunk nicht weiter zu blockieren. Derweilen hatte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, eine mögliche Revision der US-Militärhilfe an Kairo in Aussicht gestellt.
Gemäß dem amerikanischen Außenministerium erhält Kairo jährlich 1,3 Mrd. US-Dollar an Unterstützung. Die amerikanische Öffentlichkeit wurde an diesen nunmehr unwillkommenen Aspekt der bilateralen Beziehungen erinnert, als „Made in the USA“ Tränengasgranaten gegen die Demonstranten eingesetzt wurden. Damit stieg auch der innenpolitische Druck auf die Regierung Obama, ihrerseits mehr Druck auf das Mubarak-Regime auszuüben.
Widerspruch zu Obamas Rede in Kairo?
Marl LeVine von Al-Jazeera kritisierte, dass Obama sich scheinbar davor scheute, die Forderung nach „Demokratie“ im Zusammenhang mit den arabischen Unruhen zu erwähnen. In seinem Statement von Freitag sprach Obama von „Freiheit“ und von „Rechten“. Im Gegensatz zu seiner viel beachteten Kairoer Rede von 2009, entschied sich Präsident jedoch nicht dafür, das Verlangen des Volkes nach demokratischen Wahlen konkret zu benennen bzw. zu unterstützen. Michele Dunne vom Carnegie Endowment for International Peace warnte jedoch bereits vor zwei Jahren in der Washington Post, dass Obamas Interesse an Demokratieförderung im Nahen Osten im Hintergrund stehen würde. Ein Bericht des Project on Middle East Democracy zeigte, dass gerade die Aufwendungen für Demokratisierungsbestreben in Ägypten nach Obamas Amtsantritt gekürzt wurden. Glenn Kessler erklärte in der New York Times den Grund für diesen schwierigen Balanceakt der US-Administration. Schließlich ist Ägypten eine wichtige Säule der amerikanischen Nahost-Politik. Zudem sind die Beziehungen zwischen den beiden Militärs tief verwurzelt und über Jahrzehnte gewachsen. Hätte daher Obama schon letzte Woche Mubarak die Unterstützung versagt, müssten sich auch andere US-Verbündete in der Region fragen, wie schnell Washington seinen Partnern in Zeiten der Krise das Vertrauen entzieht.
Da sich Obama jedoch gerade deswegen lange Zeit nicht deutlich positionieren wollte, nahm die Kritik am amerikanischen Präsidenten im Laufe der letzten Woche zu. Der Widerspruch zwischen Obamas Worten in Kairo und seinem Verhalten in Washington führte zur Frustration unter der ägyptischen Bevölkerung. In seiner Rede an die arabische Welt hatte Obama im Juni 2009 zu mehr Demokratie aufgerufen. Nun, da die Bevölkerung lautstark den Change fordern würde, bliebe die Rückendeckung aus Washington aus. Marc Thiessen vom American Enterprise Institute und ehemaliger Redenschreiber von Präsident George W. Bush schrieb in der Washington Post dann auch von der Fassungslosigkeit der Ägypter bezüglich Washingtons scheinbar verständnisvoller Haltung gegenüber Mubarak. Clintons umstrittene Aussage „the Egyptian government is stable and is looking to respond to the legitimate needs and interests of the Egyptian people“ und vor allem die Bemerkung vom US-Vize-präsidenten Joe Biden, dass Mubarak kein Diktator sei und auch nicht auf Grund der Proteste zurücktreten müsse, war bei den Demonstranten letzte Woche auf Unverständnis und Enttäuschung gestoßen.
Thiessen betrachtet daher Amerikas Politik äußerst skeptisch. Sollte Mubarak gestürzt werden, würde das Volk dies als einen Erfolg betrachten, den es trotz und nicht mit Hilfe Amerikas erreicht hat. Die Haltung Washingtons wäre dann auch der schlecht möglichste Start für die Beziehungen zu einer neuen ägyptischen Regierung. Die Auswirkungen würden die amerikanische Nahostpolitik massiv beeinträchtigen und eventuell den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern erschweren – schließlich nehme Ägypten die Funktion einer Brücke zwischen der westlichen und der arabischen Welt ein. Im Falle einer geduldeten blutigen Niederschlagung der Aufstände, würden die Ägypter Obama für das Blutvergießen wohl mit in die Verantwortung ziehen und wahrscheinlich langfristig nur zu einer generellen Radikalisierung des Widerstandes vergleichbar mit der 1979 Revolution in Iran führen.
Washington will geordneten Übergang
Angesichts der Entwicklungen in Kairo solidarisierte sich die amerikanische Regierung dann zunehmend öffentlich am Wochenende mit den Demonstranten in Ägypten und rief zu einem „geordneten Übergang“ auf. Die Washington Post berichtete, dass das die Wortwahl genau zwischen dem Weißen Haus und dem amerikanischen Außenministerium abgestimmt wurde. Anders als zu vermuten signalisierte die Formulierung keinesfalls die Unterstützung von Mubaraks Umsturz, sondern einen Aufruf zu einer legitimeren Vertretung des ägyptischen Volkes. Hillary Clinton eröffnete den Sonntagmorgen mit von Interviews auf den fünf wichtigsten amerikanischen TV-Sendern. In diesen Gesprächen verschärfte die Außenministerin den Ton gegenüber Kairo deutlich: „Die jetzigen und neuen Mitglieder jeglicher Regierung, müssen konkrete Schritte für demokratische und wirtschaftliche Reformen unternehmen. Dies muss unmittelbar geschehen und zwar in einem Prozess, der alle Beteiligten einbindet und der für das ägyptische Volk sichtbar ist.“ Die Washington Post kritisierte, dass der Umschwung im Weißen Haus zu spät käme, schließlich hätten Frau Clintons Anmerkungen keine Auswirkung mehr auf die Ereignisse in Kairo.
Große Sorge vor den Muslimbrüdern
Grund für das zaghafte Verhalten der westlichen Regierungen ist auch die Sorge einer Destabilisierung des Landes nach einer Machtübernahme durch die Opposition. Das Washingtoner Carnegie Endowment for International Peace unterscheidet Mubaraks Gegner vor allem in ihrer Zusammensetzung und ihrer Ziele. Der große Anteil der Proteste wurde durch die gebildete und liberale Jugend Ägyptens organisiert. Diese ist aber auf Grund von mangelnder Erfahrung und Persönlichkeiten nicht im Stande eine Übergangsregierung zu stellen. Der zweite, kleinere Oppositionsstrang setzt sich aus der Arbeiterbewegung zusammen. Der Westen fürchtet jedoch vor allem die Machtübernahme durch die dritte Kraft im Lande, die Muslimbrüder (MB). Die BBC beschreibt die MB als die älteste islamistische Organisation Ägyptens. Diese wurde 1928 gegründet und in den vierziger Jahren durch den bewaffneten Kampf gegen die britischen Herrscher und jüdische Einrichtungen bekannt. Ziel der offiziell verbotenen und gut organisierten Vereinigung ist die Errichtung eines islamistischen Staates und der Einführung der Sharia. Die Obama-Administration hat in der jüngeren Vergangenheit wesentliche Schritte zur Enttabuisierung der MB unternommen. So lud Obama kurz vor seiner Kairoer Rede nach Informationen der ägyptischen Militärzeitung Al-Masry al-Ayoum Mitglieder der MB zu Gesprächen ins Weiße Haus ein. Zudem setzte er das Einreiseverbot für den Enkel des Gründers und prominenten Islamwissenschaftler, Tariq Ramadan, außer Kraft. Bruce Riedel, Senior Fellow bei der Brookings Institution und Leiter des Afghanistan-Pakistan-Reviews der Regierung Obama, sieht die Muslimbrüder ebenfalls nicht als Bedrohung. Obwohl die Bruderschaft sich gegen Israel wendet und jede Kooperation mit dem jüdischen Staat ausschließt, ist die Vereinigung weniger militant als viele annehmen. Osama bin Laden, der zu Beginn seiner politischen Laufbahn mit der Bruderschaft eng verknüpft war, hat sich vor langer Zeit von dieser losgesagt. Für Bin Laden war die Vereinigung nicht militant genug und zu aufgeschlossen gegenüber Mubarak und den USA. Riedel glaubt, dass die USA keine andere Wahl haben, als das ägyptische Volk seine Führer selbst wählen zu lassen. Die Möglichkeit, dass die Muslimbrüder die gesamte Region destabilisieren und die Feindschaft zu den USA intensivieren werden, hält er für unwahrscheinlich. Die MB versuchen, die Sorge der ausländischen Staaten um Israels Sicherheit zu zerstreuen und kündigen auf ihrer Webseite an, alle internationalen Verträge Ägyptens mit ausländischen Staaten zu achten. Israel haben die MB jedoch nie als Staat anerkannt.
Außenpolitischer Albtraum Israels?
Die Sorge, dass eine Machtübernahme durch die MB möglich ist, beunruhigt die Regierung von Premierminister Netanjahu zutiefst. Ägypten bleibt der wichtigste Verbündete Israels in Arabien und eines der wenigen Länder, mit denen es zum Abschluss eines Friedensvertrags gekommen ist. Die Stabilität Ägyptens ist von großer Bedeutung für die Regierung in Jerusalem. Die AP berichtete von einer Anweisung Netanjahus an Israels Botschafter, den Gastländern die Stabilität Ägyptens als oberste Priorität Israels verständlich zu machen. Die New York Times bezeichnete Ägypten als Eckpfeiler der israelischen Außenpolitik. Ein möglicher Regierungswechsel in Kairo durch die Hamas-freundliche MB, führe zu zunehmender Besorgnis in Jerusalem. Richard Scowcroft, ehemaliger National Security Advisor unter den Präsidenten Gerald Ford und George Bush, rief Israel auf einer Abendveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington dazu auf, die Ruhe zu bewahren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten Ägyptens einzumischen. Die Netanjahu-Administration hat jedoch größte Bedenken, dass Ägypten sich zu einer ähnlichen Bedrohung wie Iran entwickeln könnte.
Opposition ohne starke Führung
Der Mangel an alternativen Führungspersönlichkeiten bleibt dabei das größte Hindernis für einen geordneten Wechsel in Kairo. Kein Übergangskandidat kann die unterschiedlichen oppositionellen Strömungen vereinen. Der einzige, dem dies gelingen könnte, ist Mohamad ElBaradei. Der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde befindet sich seit letzter Woche wieder in Ägypten und versucht die Demonstranten anzuführen. Jedoch fehlt ihm der Rückhalt vieler Ägypter, schließlich hat ElBaradei einen wesentlichen Teil seines Lebens im Ausland verbracht. Vor allem die MB weigerten sich in der Vergangenheit ElBaradei zu unterstützen. Am Sonntag meldete die Los Angeles Times jedoch eine wichtige Richtungsänderung der Bruderschaft. Die MB erklärte trotz ihrer Unstimmigkeiten mit ElBaradei, den Friedensnobelpreisträger als Übergangspräsidenten unterstützen zu wollen. Dieser Schritt folgte der Einsicht, dass nur dieser im Stande sei, eine vereinte Bewegung gegen Mubarak anzuführen. ElBaradei hatte daraufhin den Vorsitz in der rasch gegründeten Dachorganisation National Association for Change übernommen. Das Wall Street Journal berichtete, dass alle Oppositionskräfte zugestimmt hatten, die Proteste säkular zu halten und keine religiös fundierten Forderungen zu stellen. Dadurch wird Mubarak eine Diskreditierung der Demonstranten als fundamentale Islamisten erschwert.
Obama sendet Gesandten nach Kairo
Am Sonnabend entschied sich die Obama-Administration einen Gesandten nach Kairo zu entsenden. Die New York Times berichtete, dass Frank Wisner, ehema liger Botschafter in Kairo und Sondergesandter Präsident Bushs für die Unabhängigkeitsverhandlungen des Kosovo, am Montag in Kairo landete und ein Gespräch mit Mubarak führen konnte. De Young von der Washington Post beschrieb, dass die Regierung in Washington die Anti-Mubarak-Proteste zunächst unterschätzt habe, nun aber das Zepter des Handelns wieder in die Hand nehmen wolle. Das Weiße Haus versuche, so die Post, durch sichtbare und nicht-sichtbare Handlungen Mubarak zum Amtsverzicht zu bewegen. Die Entsendung von Wisner hatte den Druck auf Kairo noch einmal erhöht. Jedoch ist sich die Regierung in Washington bewusst, dass die wichtigen Partner in der Region das Verhalten der Obama-Admini-stration genau beobachten. Schließlich wird ein langjähriger Verbündeter Amerikas innerhalb kürzester fallen gelassen. Washington glaubt jedoch, dass jede weitere Unterstützung Mubaraks die Beziehungen mit der zukünftigen Regierung massiv belasten würde. CBS Evening News unterstrich den schmalen Grat, auf dem sich Obama bewegt. Einerseits wolle man die Protestler unterstützen, andererseits will aber auch niemand riskieren, dass Ägypten ins Chaos stürzt.
Washington gibt Mubarak auf
Nach der Großdemonstration vom Dienstag, bei der nach unterschiedlichen Angaben im ganzen Land mehrere Millionen Menschen auf den Straßen und Plätzen protestiert hatten, trat Mubarak noch einmal vor die Kamera und gab bekannt, nicht wieder für das Präsidentenamt kandidieren zu wollen. Dieses Zugeständnis konnte die Situation in Ägypten jedoch nicht beruhigen. Nach Mubaraks Statement, äußerte sich Barack Obama im Weißen Haus zu der Krise am Nil. Das Wall Street Journal meldete, dass die Stellungnahme des amerikanischen Präsidenten nach einem 30-minütigen Gespräch zwischen den beiden Staatsoberhäuptern erfolgte. Obama forderte, dass der geordnete Übergang sinnvoll, friedlich und unmittelbar beginnen müsse. Ein direkter Hinweis, dass Mubaraks Rücktritt auf Raten der Situation nicht gerecht wird. Dieser Forderung folgte am Dienstag auch ein Kommentar von Senator John Kerry, Chairman of the Senate Committee on Foreign Relations, in der New York Times. Kerry erinnerte an die Bedeutung der US-Ägypten-Beziehungen für den Nahen Osten. Der Senator mahnte aber auch: „Nach 30 Jahren müssen wir die Ära unserer Mubarak-Politik hinter uns lassen und eine Ägypten-Politik entwickeln.“
Republikaner halten sich zurück
Die Republikaner haben sich in der Ägypten-Krise größtenteils zurückgehalten bzw. den Präsidenten unterstützt. Die Washington Post berichtete, wie Senate Minority Leader Mitch McConnell und andere einflussreiche Persönlichkeiten der Republikanischen Partei die Strategie des amerikanischen Präsidenten unterstützten. Unterschiede gab es jedoch bei der Bewertung der MB – insbesondere aus den Reihen der möglichen Präsidentschaftskandidaten. Der Politico berichtete, dass Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses, Obamas Nahostpolitik scharf kritisierte. Gingrich glaubt, dass die amerikanische Administration die Gefahr durch die MB unterschätzt. Ähnlich sieht das auch der ehemalige Senator von Pennsylvania, Rick Santorum, der die Bedrohung für die westliche Zivilisation, die von den MB ausgeht, mit der Al Qaidas vergleicht. Vorsichtiger drückt sich der ehemalige Gouverneur von Minnesota, Tim Pawlenty, aus. Er fordert auch den Rücktritt Mubaraks und mahnt, dass man gewähren müsse, dass die neue Regierung unsere Prinzipien und Wertvorstellungen bzgl. Freiheit, Demokratie und Menschenrechten teilen würde. Mike Huckabee, ebenfalls möglicher Präsidentschaftskandidat und zurzeit zu Besuch in Israel, kritisierte Obama dafür, einen langjährigen und verlässlichen Partner verstoßen zu haben. Israel sei konsterniert mit welchem Tempo sich Amerika von einem langjährigen Verbündeten trenne. Lediglich der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, unterstützte Obamas Politik weitestgehend und rief Mubarak zum Rücktritt auf. Nur wenige der wahrscheinlichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012 wollten sich überhaupt zur Situation in der arabischen Welt äußern. Hohmann von Politico merkte dazu an, dass eine Vielzahl der Republikanischen Hoffnungsträger noch nicht fähig sei, sich außenpolitisch festzulegen.
Ägyptens Zukunft: Türkei Arabiens?
Angesichts der komplexen Realitäten im Nahen Osten, lässt sich Kairos Zukunft nur schwer prognostizieren. Tom Friedmann, Kolumnist der New York Times, erläuterte in einem Interview bei Meet The Press mögliche Szenarien einer Zukunft Ägyptens. Die weitere demokratische Entwicklung Kairos sei von drei Bedingungen abhängig. Zuerst braucht es einen friedlichen Machtwechsel von Mubarak zu einem legitimen Nachfolger. Zweitens muss die neugewählte Regierung konsensorientiert handeln. Schlussendlich muss das Ziel der neuen Administration sein, das Land am Nil in das 21. Jahrhundert zu führen. Nur so lassen sich wirtschaftlicher Aufschwung, Demokratie und Öffnung in Einklang bringen. Jedoch glaubt auch Friedman die Entwicklung Ägyptens nicht vorhersehen zu können. Unter Regierungsbeteiligung der MB sind drei völlig verschiedene Evolutionen denkbar. Die MB könnte die Revolution des Volkes in eine islamische Revolution ummünzen und ihr Verhalten an dem Teherans ausrichten – ein Albtraum für die westliche Welt. Sollte Kairo einen weniger radikaleren Pfad einschlagen, könnte die Hamas das Vorbild sein. Im besten Fall entstünde ein demokratisch fundiertes und islamisch geprägtes Ägypten, vergleichbar mit der Türkei. Dadurch könnte Kairo seine exponierte Stellung als Partner des Westens und Brücke zum Orient bewahren.
Aufruhr durchzieht arabische Welt
Die Proteste der letzten Woche beschränkten sich bei Weitem nicht nur auf Ägypten und Tunesien. Weitere arabische Länder sind inzwischen betroffen. So hatte Jordaniens König Abdullah II, als Reaktion auf die anhaltenden Proteste diese Woche, die gesamte Regierung entlassen. Die New York Times meldete, dass auch wenn der König in seiner 12-jährigen Amtszeit bisher acht Mal die Regierung entließ, er sich zum ersten Mal gezwungen sah, dies aufgrund der Proteste der Bevölkerung zu tun. Auch Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh gab am Mittwoch bekannt, keine weitere Amtszeit mehr anzustreben. Die Times berichtete, dass Saleh allerdings schon einmal im Jahr 2005 bekannt gegeben hatte, nicht noch ein weiteres Mal kandidieren zu wollen. Ein Jahr später hatte er seine Meinung jedoch wieder geändert. Immer mehr arabische Führer versuchen mit Reformankündigen ihre eigenen Positionen zu stabilisieren. Die Unruhen reichen nun sogar bis in die palästinensischen Gebiete. Die vom Westen unterstützte Regierung hat überraschend bekannt gegeben lokale Wahlen abzuhalten.
Rücktritt alternativlos
Nachdem am Mittwoch die Demonstrationen zwischen den Gegnern und Befürwortern der Regierung eskaliert sind, lässt sich Mubaraks Machtverlust kaum noch verhindern. Die Protestler ließen sich weder von Mubaraks Zugeständnissen, noch von der nächtlichen Ausgangssperre beeindrucken. Drei Jahrzehnte hatte Mubarak der westlichen Welt die Wahl zwischen seiner autoritären Regierung und den israelfeindlichen Islamisten gelassen. Nun hat sich das ägyptische Volk aus dieser babylonischen Gefangenschaft befreit. Mubarak verbleibt nur noch eine Möglichkeit das Urteil über seine Regierungszeit zu beeinflussen: Der ägyptische Präsident muss sofort zurückzutreten und einen friedlichen Machtwechsel ermöglichen. Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei, hatte Mubarak diese Woche mit scharfen Worten eindringlich gewarnt: „Wir alle sind sterblich. Für unser Vermächtnis werden wir dann Rede und Antwort stehen.“