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Country reports

Alter Wein in alten Schläuchen?

by Florian Karner

Côte d’Ivoire: Eine aktuelle Bestandsaufnahme mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2020

Côte d’Ivoire wird 2019 voraussichtlich zu den globalen Top 10 der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften gehören. Erneut werden knapp 7% Wirtschaftswachstum prognostiziert. Vor allem die westafrikanische Metropole Abidjan boomt. Die makroökonomischen Kennzahlen werden von zahlreichen internationalen Institutionen in höchsten Tönen gelobt. Das Land klettert in verschiedenen internationalen Indices weiter nach oben. Doch unter der Oberfläche sieht es nicht nur rosig aus. Das Wachstum kommt nicht bei der Bevölkerung an, die junge Generation fühlt sich ungehört und orientierungslos. 18 Monate vor den Präsidentschaftswahlen ist die innenpolitische Lage angespannt, alte und neue Trennlinien rufen Erinnerungen an die schweren politischen Krisen der letzten zwei Jahrzehnte wach. Allseits beschwört man Frieden und die nationale Versöhnung. Doch niemand kann derzeit mit Gewissheit sagen, ob den vermeintlich weisen Worten der politischen Schlüsselakteure auch die entsprechenden Taten folgen werden und sich die Stabilität im Land dauerhaft halten kann.

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Seit 1993 im innenpolitischen Krisenmodus

Die politische Klasse in Côte d’Ivoire hat sich seit dem Tod des über allem stehenden Einheitspräsidenten Félix Houphouët-Boigny kaum erneuert. Houphouët-Boigny hatte als Vater der ivorischen Unabhängigkeit zwischen 1960 und 1993 einen ethnisch inklusiven Machtapparat geschaffen und eine ausbalancierte nationale Geopolitik betrieben, ohne dabei seine Nachfolge zu organisieren. Diejenigen drei Akteure, die sich bereits damals um seine Nachfolge stritten, sind auch heute noch die entscheidenden politischen Figuren des Landes. Alassane Ouattara, aktueller Präsident und schon von 1990 bis 1993 Premierminister, Laurent Gbagbo, sein Vorgänger im Amt und langjährige Gegenspieler, sowie Henri Konan Bédié, eigentlicher Erbe Houphouët-Boignys. Der Blick in die Vergangenheit ist unerlässlich, um das gegenwärtige politische Geschehen in Côte d’Ivoire nachvollziehen zu können: Bédié, Präsident der im Zentrum einzuordnenden Einheitspartei Parti Démocratique de la Côte d’Ivoire (PDCI), und wie sein Mentor Houphouët-Boigny der vor allem im Süden des Landes einflussreichen Baulé-Ethnie zugehörig, regierte das Land nach dessen Tod bis zu einem Militärputsch 1999. Laurent Gbagbo und seine links einzuordnende Front Populaire Ivorien (FPI) gewannen die umstrittenen Wahlen im Jahr 2000. Der aus dem Norden stammende Ouattara mit seinem liberalen Rassemblement des Républicains (RDR) sowie andere Kandidaten wurden bei diesen Wahlen aufgrund des Konzepts der Ivoirité vorab von der Kandidatur ausgeschlossen. Nach diesem Konzept ist nur echter Ivorer, dessen Eltern auch als Ivorer geboren wurden – Ouattaras Mutter stammt jedoch aus Burkina Faso. Ethnische Spannungen verstärken sich und das Land schlitterte Schritt für Schritt in eine tiefgreifende Krise, welche es ab 2002 in einen Nord- und einen Südteil spaltete. Eine VN-Friedensmission stabilisierte die Situation bis zu einem Friedensabkommen zwischen Präsident Gbagbo und dem Rebellenführer und Ouattara- Verbündeten Guillaume Soro Mitte 2007. Die immer wieder verschobenen Wahlen fanden schließlich im November 2010 statt. Gbagbo, Bédié und Ouattara nahmen Teil und Gbagbo gewann die erste Runde vor Ouattara, der sich schon vor der Wahl die Unterstützung Bédiés für eine Stichwahl gesichert hatte. Diese verlief undurchsichtig, das Land hatte kurzzeitig zwei Präsidenten und zwei Regierungen, es kam zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Offiziellen Quellen zufolge ließen 3.000 Menschen ihr Leben. Letztendlich wurde Ouattara von der internationalen Gemeinschaft als Sieger anerkannt und Gbagbo im April 2011 u.a. mithilfe französischer Truppen festgenommen und schließlich an den internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag überstellt. Ex-Rebellenführer Soro wurde zuerst Premierminister und im März 2012 zum Präsidenten des ivorischen Parlaments gewählt.

Innenpolitische Anspannung mit den gleichen Akteuren

Ouattara ist seitdem im Amt: Er gewann die letzten Präsidentschaftswahlen 2015 deutlich im ersten Wahlgang. Bis August 2018 war die PDCI von Bédié Juniorpartner in der Regierungsallianz Rassemblement des Houphouétistes pour la Démocratie et la Paix (RHDP), bis sich beide Granden im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2020 überwarfen und Bédié die Allianz mit einem größeren Teil der PDCI verließ. Die RHDP formierte sich im Januar 2019 zu einer neuen Einheitspartei und vereinnahmte dabei auch Teile der PDCI, wobei man derzeit nicht genau weiß, wie schlagkräftig und in der Bevölkerung verankert das neue Bündnis ist. Die PDCI steht unter Druck und sucht seitdem die Nähe zur FPI, die durch die vorläufige Freilassung von Laurent Gbagbo durch den IStGH neue Hoffnungen schöpft. Doch die FPI bleibt vorerst intern zerstritten. Gbagbo, von dem man nicht weiß, ob er Ambitionen auf die Wahl im Oktober 2020 hegt, versteht sich nicht mit Pascal Affi N’Guessan, dem derzeitigen Präsidenten des gemäßigten FPI-Flügels. Gbagbos engste Anhänger der Bewegung Ensemble pour la démocratie et la souveraineté (EDS) mit Präsident Georges Armand Ouégnin wünschten sich eine Kandidatur Gbagbos. Unklar bleibt darüber hinaus, ob IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda nicht doch noch Einspruch gegen die vorläufige Freilassung Gbagbos einlegen wird. Guillaume Soro hat sich derweil von Präsident Ouattara losgesagt und trat im vergangenen Februar vom Amt des Parlamentspräsidenten zurück. Seine offensichtlichen Ambitionen, selbst als Präsidentschaftskandidat anzutreten, hat er bislang nicht öffentlich bekannt gegeben, doch dies scheint nur eine Frage der Zeit. Manche Kommentatoren trauen ihm einen Sieg zu. Unterstützt wird er unter anderem von der Partei Rassemblement pour la Côte d’Ivoire (RACI), welche im ivorischen Parlament 16 Abgeordnete zählt. PDCI und FPI versuchen Soro auf ihre Seite zu ziehen und damit ein schlagkräftiges Oppositionsbündnis zu schmieden. Nach Soros Rücktritt machte Ouattara dann seinen Vertrauten Amadou Soumahoro zum Parlamentspräsidenten. Die Opposition wiederum boykottierte dessen Wahl aufgrund divergierender Meinungen zum notwendigen Abstimmungsverfahren. Seitdem erscheint das Parlament zerstritten und gespaltener denn je. Derzeit wird heftig um die Verteilung von Posten, z.B. die der elf Vize-Parlamentspräsidenten, gestritten. Ouattara hat es bislang vermieden, eine dritte Amtszeit kategorisch auszuschließen, nachdem sein bisheriger Wunschnachfolger Soro nicht mehr an seiner Seite steht. Obwohl eine dritte Amtszeit verfassungsrechtlich ohnehin höchst umstritten ist, will er seine Entscheidung erst Mitte 2020 treffen. Was auch daran liegt, dass keiner seiner möglichen Nachfolger als Idealbesetzung erscheint. Amadou Gon Coulibaly, derzeitiger Premierminister, ist bei der Bevölkerung aufgrund der ihm zugeschriebenen Kompromisslosigkeit wenig beliebt. Vize-Präsident Daniel Kablan Duncan wird oft als loyaler und fleißiger Arbeiter beschrieben, verfügt jedoch nicht über das notwendige politische Charisma. Verteidigungsminister Hamed Bakayoko trauen hingegen nur wenige zu, dass er über Parteigrenzen hinaus ein Präsident aller Ivorer sein könnte. Bédié konsolidiert unterdessen seine PDCI und zeigt sich auch mit 84 Jahren ausgesprochen kampfeslustig und bereit für eine weitere Präsidentschaft. In der PDCI fühlt man sich von Ouattara betrogen, hatte man diesen 2015 doch in dem Glauben unterstützt, 2020 würde der präsidiale Staffelstab dann an einen PDCI-Kandidaten weitergereicht. In Ouattaras RDR, nun aufgegangen in der RHDP, möchte man von solch einer vermeintlichen Absprache nichts wissen. 18 Monate vor den Wahlen befindet sich also Vieles im Fluss in einer politisch angespannten Umgebung, in der keiner der Akteure gänzlich dominiert. Allianzen werden unabhängig der politischen Couleur gesucht. Politische Programmatik spielt so gut wie keine Rolle, dabei wäre sie dringend notwendig. Unsicherheit macht sich breit und einige Kommentatoren glauben die Côte d’Ivoire auf dem Weg retour zu vergangen geglaubten Krisen. Die Regierung hat dies ausschnittsweise erkannt und setzt bei einem zentralen Thema, der Reform der nationalen Wahlkommission, auf den Dialog mit der Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien. Doch von diesen zweifeln viele an der Glaubwürdigkeit der Regierung, insbesondere in Hinblick auf faire und transparente Wahlen im Herbst 2020.

Sicherheitsrisiko Sahel und Rochaden im ivorischen Militär

Den Abgang Soros nutzte Präsident Ouattara für wichtige Personalwechsel im Militär. Den Soro-Vertrauten und Chef der Garde républicaine Colonel Wattao lobte der Präsident zum Generalstab der Armee. Ein aus Kommentatoren-Sicht taktischer Schachzug im Hinblick auf die Wahlen 2020 und eine mögliche Kandidatur Soros, der im ivorischen Militär nach wie vor hervorragend vernetzt ist. Die Garde républicaine gilt als eine dem Präsidenten sehr nahestehende Eliteeinheit. Vertraute Militärs erhielten von Ouattara ebenfalls Beförderungen oder wurden an strategische Posten versetzt. Weiterhin scheint das Militär unter widersprüchlichen Loyalitätsbekundungen und suboptimalen Befehlsketten zu leiden. Aber nicht nur die nach wie vor unvollendete Sicherheitsreform stellt einen Unsicherheitsfaktor dar. Die Verschlechterung der Sicherheitslage im Sahel, insbesondere in Mali und Burkina Faso, haben negative Auswirkungen auf die Küstenländer und insbesondere auf Côte d’Ivoire. Jihadistischen Banden steht das ivorische Staatsgebiet aufgrund der porösen Grenzen im Norden quasi offen, und die Attacken auf burkinischer Seite kommen Schritt für Schritt näher. Ende März wurde bei einem jihadistischen Angriff im Osten Burkina Fasos, 20 Kilometer von der ivorischen Grenze entfernt, drei Zivilisten getötet. Die Grenzgebiete auf malischer und burkinischer Seite sind von europäischen Außenministerien längst orange bzw. rot eingefärbt, was graduellen Reisewarnungen gleichkommt. Ein Überschwappen der terroristischen Gefahr könnte für Côte d’Ivoire drastische Folgen haben. Investoren würden abgeschreckt, die ambitionierten Ziele zur Tourismus-Entwicklung wären nicht zu erreichen. Bislang schlug der Terror erst einmal im Jahr 2016 in der Küstenstadt Grand-Bassam zu. Es kamen damals 19 Personen, darunter die damalige Leiterin des deutschen Goethe-Instituts Henrike Grohs, ums Leben. Auch die steigende Zahl der Vertriebenen aus den Sahel-Staaten könnte sich schrittweise zur Belastung für die Nordregionen entwickeln. Die Economist Intelligence Unit, ein Beratungsunternehmen der Wochenzeitschrift The Economist, sieht in der Gemengelage aus politischer Anspannung, einem fragmentierten Militär, sozialen Brennpunkten und der terroristischen Bedrohung aus dem Norden ein durchaus ernstzunehmendes Krisenpotenzial für Côte d’Ivoire.

Wirtschaftsmotor ohne Wertschöpfung

Auch wirtschaftlich ist die Lage im Land weiter ambivalent. Mit 7,4% Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 gehörte das Land neben Ruanda, Senegal und Äthiopien wieder zu den am schnellsten wachsenden Ökonomien Subsahara-Afrikas. Die makroökonomischen Aussichten für 2019 (7%) und 2020 (6,9%) sind ebenso positiv. Öffentliche Ausgaben stimulieren jedoch bislang das Wachstum, vor allem durch Investitionen in dem nach den Krisenjahren stark defizitären Infrastrukturbereich. Das Baugewerbe boomt, laut Germany Trade and Invest (GTAI) investieren insbesondere private Akteure in der Wirtschaftsmetropole Abidjan in Büros, Einkaufszentren, Hotels, Wohnungen und neue Fabriken. Die größten Unternehmen sind im Besitz von Libanesen, deren Gemeinschaft in Côte d’Ivoire auf 80.000 Personen geschätzt wird. Diese dominieren einen signifikanten Anteil des Einzelhandels sowie des Import-Export-Geschäfts. Auf der Grundlage des gültigen nationalen Entwicklungsplans (2016-2020) stehen neben dem Ausbau der Häfen in Abidjan und San-Pédro vor allem die Erweiterung des Straßennetzes und der Bau neuer Kraftwerke im Mittelpunkt. Hinter vorgehaltener Hand wird von Opposition und Zivilgesellschaft kritisiert, dass die investierten Mittel häufig über privatwirtschaftliche Strukturen wieder bei der politischen Elite landen. Lokale Wertschöpfungsketten müssen sich erst noch entwickeln. Cash-Crops wie Kakao, Cashewnüsse, Kautschuk oder Palmöl werden für den Export angebaut und die Abhängigkeit davon bleibt erheblich. Deutschland bezieht beispielsweise seinen Rohkakao fast ausschließlich aus Westafrika, über die Hälfte davon aus Côte d’Ivoire. Diese Agrarexportgüter werden jedoch noch zu selten vor Ort weiterverarbeitet. Gerade eine solche Veredelung der traditionellen Agrargüter wäre aber unabdingbar, um folgende Entwicklungsstufen zu erklimmen. Das Land steht vor der Herausforderung, das Wachstum inklusiv zu gestalten und nachhaltige Verteilungsmechanismen zu etablieren. Auf der Mikroebene kommen die positiven makroökonomischen Kennzahlen bislang nicht an. Die junge Generation strebt nach wie vor Sicherheit versprechende Beamtenlaufbahnen nach französischem Modell an, anstatt sich auf Unternehmerpfade zu begeben. Im Regierungsviertel Plateau kann man regelmäßig beobachten, wie sich anlässlich der Auswahlverfahren für Beamtenberufe Menschenschlangen bilden, teilweise über mehrere Häuserblocks hinweg. Ein stabiles und facettenreiches Unternehmertum ist (noch) nicht in der Gesellschaft angekommen. Geschäftsbanken sind an Start-ups nur in Ausnahmefällen, z.B. bei gleichzeitigem backing der Kreditlinie durch einen internationalen Geldgeber interessiert. Sie interessieren sich aktuell eher für den in Abidjan stark wachsenden Immobilienmarkt und Großprojekte. Der monatliche Mindestlohn liegt seit dem Jahr 2013 bei rund 60.000 FCFA, was rund 91 EURO (655,95 FCFA = 1 EURO) entspricht. Die Armutsrate geht nur langsam zurück, 2018 lag diese immer noch bei 46%, wobei rurale Zonen besonders stark betroffen sind. Laut Weltbank lebt somit fast die Hälfte der Ivorer von weniger als 750 FCFA (~1,14 EURO) pro Tag. Bedenkt man, dass ein Durchschnittshaushalt in Abidjan täglich allein 1075 FCFA für den öffentlichen Transport ausgeben muss, wird die prekäre Situation vieler Bewohner deutlich. Zudem verbringen Heerscharen von Pendlern im notorisch verstopften Abidjan bis zu drei Stunden täglich im Verkehr, Tendenz steigend. Die Herausforderungen für die unzureichende Infrastruktur werden aufgrund der zunehmenden Urbanisierung (17,7% im Jahr 1960, 50% im Jahr 2018) und demographischen Entwicklung (Bevölkerungswachstum bei 2,5%) immer bedeutender. Schon heute vereint Abidjan mit seinen fünf bis sechs Millionen Einwohnern rund 80% der nationalen Wirtschaftsaktivitäten auf sich. 2050 werden Vorhersagen zufolge ungefähr 10 Millionen Menschen in der Stadt leben. Spillover-Effekte, die für den Rest des Landes dringend notwendig wären, bleiben bislang aus. Die Gegensätze zwischen Stadt und Land verschärfen sich zunehmend. Während in Abidjan teilweise Pariser Grundstückspreise vorzufinden sind, litt die zweitgrößte Stadt Bouaké im Landesinnern 2018 monatelang unter mangelhafter Wasserversorgung. Verschiedene internationale Berichte sehen das Land im Aufwind. So zum Beispiel der Weltbank Doing Business Bericht oder der Mo Ibrahim Governance-Index. Andere wie der Transparency Corruption Perception Index oder der Human Developpment Index bleiben schlecht und entsprechen nicht dem von Präsident Ouattara angestrebten Ziel, Côte d’Ivoire zu einem Schwellenland zu machen. Die Schwierigkeit, an zuverlässige nationale Kennzahlen zu gelangen, lässt sich an den bisweilen abenteuerlichen Arbeitsmarktzahlen ablesen. Während nationale Regierungszahlen zur Arbeitslosenquote zwischen 2 und 23% variieren, schätzt die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) die tatsächlichen Werte auf 70- 80%. Darunter fasst sie die Anzahl von Arbeitslosen, aber auch diejenigen in prekären Arbeitsverhältnissen. Im Doing Business Bericht der Weltbank verbessert sich die Côte d’Ivoire mittlerweile auf Platz 122 von weltweit 190 untersuchten Ländern und schneidet damit im regionalen Vergleich überdurchschnittlich ab. Seit 2017 hat das Land 20 Plätze gut gemacht. Es steht insbesondere bei den Punkten Starting a Business und erstaunlicherweise Getting Credit gut da, wobei gerade die Kreditverfügbarkeit von kleinen und mittleren Unternehmen in Gesprächen als unzureichend qualifiziert wird. Die Steuerlast wird im Bericht als sehr hoch bewertet. Außerdem werden enorme Herausforderungen bei administrativen Schritten wie Baugenehmigungen und Eigentumsregistrierung gesehen. Nach wie vor rangiert das Land sehr weit unten im Human Developpment Index (HDI) der Vereinten Nationen. Platz 170 von 189 lässt nicht darauf schließen, dass sich Côte d’Ivoire auf dem Weg zu einem Schwellenland befände. Die Lebenserwartung lag 1990 bei 52,5 und 2017 bei 54,1 Jahren.

Baustelle Bildung

Auch das ivorische Bildungssystem gibt derzeit wenig Hoffnung, die jungen Generationen adäquat in Arbeit zu bringen. Seit den 1990er Jahren gibt es regelmäßig Streiks und sogenannte années blanches, weiße Jahre, in denen Studium und Schulbesuch gänzlich unmöglich sind. Initiatoren sind mal die Studenten und Schüler, die für bessere Rahmenbedingungen kämpfen, mal die Lehrer und Dozenten, die sich für mehr Gehalt und leichtere Aufstiegsmöglichkeiten einsetzen. Top-Priorität scheint das Bildungssystem für die politische Elite nicht zu sein. Schlichtungs- und Mediationsversuche laufen ins Leere, es dauert Wochen und Monate, bis entscheidende Akteure an einem Tisch sitzen. Dabei benennen Forscher und zivilgesellschaftliche Akteure die Defizite eindeutig. Das sehr stark auf Theorie ausgerichtete Bildungssystem geht völlig an der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt vorbei und das mangelhafte Niveau der Absolventen wird vielerorts beklagt. Die öffentlichen Universitäten leiden unter schlechter Infrastruktur. Die größte Universität des Landes, die Université Félix Houphouët-Boigny in Abidjan, beheimatet 100.000 Studenten bei einer Kapazität von etwa der Hälfte. Die Hörsäle sind überfüllt und verfügen oft nicht einmal über ein Mikrofon, es fehlt an Bibliotheken. Nicht umsonst erscheint mit der Université de Bouaké die erste ivorische Universität im Ranking der 200 besten afrikanischen Universitäten auf Rang 162. An den Schulen sieht es ähnlich aus. Lehrer sind bisweilen schlecht ausgebildet und sitzen oft Klassen gegenüber, die 80 oder mehr Kinder umfassen. 30% der Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Jahren gehen einer kritischen, journalistischen Online-Plattform zufolge trotz kostenlosen Zugangs nach wie vor nicht zur Schule. Die Regierung kontert die Kritik mit statistischen Nachweisen. Demnach werden 6% des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Ausbildung investiert, 20% mehr Kinder würden heute eine Sekundäreinrichtung besuchen als 2012 (2017: 66,6%).

Côte d’Ivoire als Herkunfts- und Zielstaat von Migration

Trotz positiver Wachstumszahlen sehen zahlreiche junge Ivorer ihre Perspektive nicht im Land selbst. Für sie gelten ebenfalls die in einer Afrobarometer-Umfrage ermittelten Hauptgründe für das Verlassen ihres Heimatlandes: die Suche nach einer Arbeit und die Flucht aus der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit. Côte d’Ivoire ist in vielerlei Hinsicht von Migration geprägt. Auf der einen Seite ist das Land seit Jahrzenten aufgrund seines wirtschaftlichen Potenzials Migrationsziel in Westafrika.Unter den ca. 25 Mio. Einwohnern leben heute über 25% Nicht-Ivorer, darunter viele Burkinabé und Malier. Heute ist die Côte d’Ivoire zudem Transitland für Migranten Richtung Maghreb und Libyen. Auf der anderen Seite verlassen junge Ivorer ihr Land, wohl in der Annahme, dass ihr Staat ihnen nichts zu bieten hat, weder politisch noch wirtschaftlich. Von den 2016 (181.436) und 2017 (119.210) über die Mittelmeerroute in Italien angekommenen Migranten gaben noch 12.396 bzw. 9.507 an, die ivorische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Côte d’Ivoire nahm damit den dritten Platz nach Nigeria und Guinea im Länderranking auf der Mittelmeerroute ein. Im Jahr 2018 ist diese Zahl jedoch drastisch auf rund 1.100 Migranten bis Ende November gesunken. Nach wie vor stellen aber Ivorer bei Ankünften in Italien und Spanien die zweit- bzw. drittgrößte Ländergruppe. Die niedrigere Zahl ist keinesfalls mit einem verminderten Migrationsinteresse junger Ivorer zu erklären, sondern spiegelt vielmehr geringere Erfolgschancen bei der Erreichung Europas wider. Offenbar zunehmend interessant werden für Ivorer Destinationen in Nordafrika (Marokko, Tunesien, Algerien), in welche sie zum Teil ohne Visum einreisen können (Tunesien, Marokko). Gleichwohl droht ihnen dort nach drei Monaten und ausbleibender offizieller Registrierung ein Abgleiten in die Informalität. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist der typische ivorische Migrant männlich, zwischen 25 und 30 Jahren alt, unverheiratet und in einem urbanen Umfeld mit verhältnismäßig gutem Zugang zu Bildung aufgewachsen. 70% hatten vor ihrer Abreise eine bezahlte Arbeit, wenn auch oft im informellen Bereich, und verdienten häufig weniger als 150 EUR im Monat. Die Besonderheit in Côte d’Ivoire: mit 25% liegt der weibliche Anteil an Migranten ein Vielfaches höher als in anderen westafrikanischen Staaten (2-3%). Oft kehrt gerade diese Gruppe traumatisiert und krank ins Land zurück.

Fazit: Eine fragile Stabilität und ungewisse Aussichten

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Land trotz wirtschaftlicher Erfolge vor einer ungewissen Zukunft steht. Sehr früh vor den Präsidentschaftswahlen Ende 2020 trennen die verschiedenen politischen Lager tiefe Gräben. Der politische Diskurs erscheint vergiftet und lenkt von zentralen Themen wie einem notwendigen inklusiven Wachstums oder der andauernden Bildungskrise ab. Bislang verfolgt keiner der Hauptakteure eine deeskalierende Strategie und Kommunikation. Dieser Riss geht auch durch die Gesellschaft. Dabei bräuchte diese nach all den Krisenjahren endlich einen neuen und nachhaltigen Gesellschaftsvertrag. Insofern liegt in den Präsidentschaftswahlen 2020 eine enorme Brisanz. Ein friedlicher und inklusiver Verlauf könnte vergangene Krisen endlich vergessen machen und nachhaltig den sozioökonomischen Aufschwung des Landes garantieren. Das Gegenteil möchte sich aktuell niemand so recht vorstellen.

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Florian Karner

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Director of the Regional Programme Political Dialogue West Africa

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