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Krakau, mit knapp 800.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Polens, wird jährlich von ca. 9 Mill. Touristen besucht. Anders als die meisten polnischen Städte wurde Krakau im 2. Weltkrieg nicht zerstört und besitzt daher eine der vollständigsten Bausubstanzen von der Romantik bis zum Jugendstil Europas mit besonders vielen Baudenkmälern aus der Gotik und der Renaissance.
Das Augenmerk der Tagungsteilnehmer – auch diesmal wieder mit Gästen aus Dänemark – war weniger auf die Architektur als vielmehr auf die Beziehungen zwischen den beiden Staaten gerichtet. Wir wollten Hintergründe erfahren und verstehen, weshalb sich Polen aktuell auf der europäischen Bühne anders entwickelt als viele Menschen in Deutschland es erwarten.
Dass Polen von den Deutschen eine positive Meinung haben, stand besonders in den ersten Jahren nach der Wende außer Frage. Der Beitritt Polens in die EU im Jahr 2004 hat daran wenig geändert. 40 % der Polen lesen deutschlandbezogene Artikel. Jeder Vierte informiert sich online über Fragen zu Deutschland. Das Lesen von Werken deutscher Autoren ist Pflichtlektüre in der Schule; ebenso Filme. Jeder dritte Pole war schon einmal in der Bundesrepublik Deutschland; in 2014 ist jeder zehnte Pole mindestens einmal in der BRD gewesen. Ein Drittel der polnischen Bevölkerung hat Verwandte in Deutschland und 8 % haben deutsche Bekannte in Polen. Diese persönlichen Kontakte fördern das gute Verhältnis beider Völker.
Der Ehrgeiz der Polen, Fremdsprachen zu lernen, ist seit dem Mauerfall ungebrochen. Russisch spielt so gut wie keine Rolle mehr. Englisch ist die Fremdsprache Nummer eins und eindeutig auf Platz zwei liegt Deutsch. Obwohl es in Polen keine Bildungsreisen in unserem Sinne gibt, haben die Polen ein relativ breites Wissen über Deutschland. Was bei den Polen aber als „unterentwickelt“ beschrieben werden kann, ist die Vereinskultur. Deutschland ist in ihren Augen ein ‚Vereinsland‘ – „von DFB bis car-sharing“, so Prof. Stempin. Das macht einen grundsätzlichen Unterschied: „Die Polen sind Individualisten, die Deutschen beherzigen den Teamgeist und preußische Tugenden wie z. B. Sauberkeit und Regeltreue“.
Die Tagungsteilnehmer schätzen die freimütigen Äußerungen von Prof. Stempin über politische Akteure beider Länder. Hoch im Kurs bei ihm steht Angela Merkel, über die er auch eine Biographie* geschrieben hat. Ihre persönliche, emotionale und politische Entwicklung habe sie zu einem ‚homo politicus‘ werden lassen. Ihr Antrieb ist die Essenz der Macht und sie brauche keine Ornamentik, anders als Sarkozy oder Berlusconi. Der derzeitige Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk ist Kaschube aus der Nähe von Danzig. Er sei der ‚spiritus movis‘ (treibende Kraft) für die europäische Idee in Polen. Mit seinem Wechsel nach Brüssel und der Präsidentschaftswahl in Polen im Mai 2015 habe die Begeisterung für Europa spürbar nachgelassen. Der neue Staatspräsident Andrzej Duda (der über sich in der dritten Person spricht) hat überraschend und in einer denkbar knappen Stichwahlentscheidung Borislaw Komorowski von der liberal-konservativen Partei Donald Tusks abgelöst. Nach Prof. Stempin hat sich wieder mal etwas Typisches für Polen gezeigt: „Erfolge werden sofort vergessen“. Die ‚Bürgerplattform‘ , Tusks politische Heimat, werde bei der Parlamentswahl im Oktober 2015 nicht zur Wahl gehen. In Polen werde es einen politischen Rechtsruck geben. Jaroslav Kaczynski (der überlebende Zwillingsbruder des bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Lech Kascynski) wolle unbedingt zurück an die Macht. Er werde aber übergangsweise eine Frau vorschicken: Beata Szydlo **.
Leider ist im April 2015 der „Anwalt der Aussöhnung mit Deutschland“ verstorben, Polens Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski. Ob sein Credo „Es lohnt sich, anständig zu sein“ in der zu erwartenden Einschränkung der guten deutsch/polnischen Beziehungen noch Beachtung findet, wird sich zeigen.
Auf die Frage, weshalb sich Polen bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigert, antwortet Prof. Stempin: „Polens Bevölkerung ist homogen; es gibt keine Erfahrung mit Migranten. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Polen Ukrainer aufnimmt“.
Bei einer Fachtagung ist eine Stadtführung obligatorisch. Krakau hat so gut wie keine Kriegsschäden erlitten und ist architektonisch ein Kleinod.
Die Erkundung des jüdischen Viertels Kazimierz fand bei den Teilnehmern besonderes Interesse. Die Zeit der Nazi-Okkupation ist in der ehemaligen Emailwarenfabrik von Oskar Schindler beeindruckend dokumentiert. Zum Programm gehörte auch ein Besuch der Salzmine Wieliczka –UNESCO Weltkultur-und Weltnaturerbe sowie Denkmal der Geschichte Polens.
Wir hatten auch Gelegenheit, die Arbeit des Goethe-Instituts in Krakau kennenzulernen. Das Institut hat Unterrichtsmaterialien entwickelt zur Unterstützung eines Fußball-Projekts, um junge Polen für die deutsche Sprache zu interessieren. In vier Fußballschulen werden vor jeder Trainingseinheit 20 Minuten Deutschunterricht erteilt. Je nach Lernfortschritt werden Trainer und Spiele von hochklassigen deutschen Vereinen zu einem Besuch eingeladen.
Alle Beteiligten erlebten informationsdichte Tage und können so ihre neu gewonnenen Erkenntnisse über unseren Nachbarn Polen in ihre unterrichtliche Arbeit einfließen lassen.
Ulrich Brößkamp, vLw-Stiftung-NRW