Comptes-rendus d'événement
In der bundesweiten KAS-Veranstaltungsreihe „Deutschland. Das nächste Kapitel“ war am 30.11.2017 das Bundesverfassungsgericht im Fokus der Diskussion. Die KAS-Landesbeauftragte Maja Eib betonte in ihrer Eröffnung, dass die KAS als politischer Bildner die Bürger ermutigen will, ihre demokratischen Rechte selbstbewusst zu nutzen, wofür die Kenntnisse über die Institutionen und Verfassungsorgane notwendig sind, aber diese auch durch die Bürger mit demokratischem Geist erfüllt werden müssten.
Vortrag Peter Müller
Der Bundesverfassungsrichter und ehem. saarländische Ministerpräsident Peter Müller charakterisierte seinen Arbeitsplatz als Gericht der Bürger. Obwohl 99% aller Klagen abgewiesen würden von den Richtern, bliebe doch ein großes Vertrauen bei dem Bürger, was sich aus der Geschichte und Funktion des Bundesverfassungsgerichts erkläre. Das Bundesverfassungsgericht Deutschlands habe weltweit die stärkste Position in den nationalen Verfassungsgefügen. Dies ergab sich aus der NS-Erfahrung Deutschlands, wo menschenverachtendste Gesetze formal legal waren. Im Laufe der Geschichte setzte das Bundesverfassungsgericht nahezu allen Bundesregierungen Grenzen bei der Gesetzgebung oder befriedete mit seiner Rechtsprechung schwelende gesellschaftliche Konflikte gerade im Bezug auf Anerkennung von Minderheitenrechten, da nur in seiner Kompetenz die Feststellung der Verfassungswidrigkeit liegt. Dass dies nur selten Sympathie bei den Regierungen fand, sei selbsterklärend, begründe aber sowohl den Respekt der anderen Verfassungsorgane als auch die Wertschätzung der Bürger. Als Richter sehe er es als großen Vorteil an, dass die Amtszeit 12 Jahre ohne Wiederwahl beträgt, wodurch eine zusätzliche Unabhängigkeit bestünde. Im Zuge einer sich in der Geschichte der Bundesrepublik zu beobachtenden Verschiebung der Gesetzgebungsdominanz ist auch die Stärkung der Rolle des Bundestages ein roter Faden bis in die Gegenwart des Bundesverfassungsgerichts. Im Zuge der Europäischen Einigung verneinte Müller, dass das Bundesverfassungsgericht in einem vereinten Europa durch europäische Gerichte überflüssig werden könnte. Dazu gebe es keine verfassungsrechtliche Grundlage und überdies würde die „Verfassungsidentität“ Deutschlands, die sich aus seiner Historie und Rechtsprechungstradition ergibt, sehr klar vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen betont und bewahrt. Den Vorwurf, dass das Bundesverfassungsgericht über das Ziel hinausschießt zuweilen wies Müller zurück. Vielmehr dränge sich umgekehrt in Einzelfragen der Verdacht auf, dass die Politik versuche, Entscheidungsprozesse über das Bundesverfassungsgericht zu forcieren, um politische Debatten nicht führen zu müssen.
Vortrag Dr. Oliver Lembcke
Der Politikwissenschaftler Dr. Oliver Lembcke sekundierte Peter Müller in vielen Bereichen gerade was die Entscheidungen zu Grundrechten und die Eingriffe in die Gesetzgebung der Bundesregie-rung. Er sah gleichfalls die Funktion als Bürgergericht gegeben. Anhand von zwei Langzeitstudien zu Institutionenvertrauen in Deutschland verdeutlichte er, dass das Bundesverfassungsgericht analog zu Schwankungen beim Gesamtvertrauen gegenüber den Institutionen, das Bundesverfassungsgericht mit deutlichem Abstand mehr Vertrauen genießt, als Bundesregierung und Bundestag, die etwa in gleichem Maße Bürgervertrauen genießen. Dies leitete er aus der Stringenz der Entscheidungen ab, die tendenziell immer eine Stärkung der Grundrechte und Minderheitenrechten auch in den Parlamenten ablesbar machten. In diesem Zusammenhang sei es auch richtig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen sehr deutlich formuliere. Damit habe sich das Bundesverfassungsgericht über nun fast 7 Jahrzehnte Respekt bei den anderen Verfassungsorganen geschafft als auch das Vertrauen der Bürger gewonnen. Einzelne wichtige Entscheidungen und Etappen stellte Dr. Lemcke im Rahmen seines Vortrages dar.
Vortrag Christian Hirte
Der Bundestagsabgeordnete Christian Hirte sprach aus Sicht der Legislative und des Abgeordneten als auch des ausgebildeten Rechtsanwalts. Das Bundesverfassungsgericht sei eine wichtige Instanz im Rahmen der Gewaltenteilung mit zu Recht großen Befugnissen. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht trotz seiner endgültigen Entscheidungskompetenz über Verfassungswidrigkeit keine größere Relevanz für das Gesamtgefüge als die anderen Verfassungsorgane, da man nicht unterstellen könne, dass Exekutive und Legislative bewusst verfassungswidrige Gesetze beschließen würden. Darüber hinaus haben Regierung und Parlament Wahlen als ein Votum hinter sich, womit aufgrund von Wahlprogrammen und weltanschaulichen Kernen der Parteien, auch Erwartungshaltungen an die Gesetzgebung formuliert würden. Innerhalb dieses Rahmens stehen es Regierung und Parlament auch zu, bei der Gesetzgebung den Spielraum des Grundgesetzes voll auszuschöpfen. Das dieser dann manchmal im Nachgang vom Bundesverfassungsgericht begrenzt würde, sei legitim aber nicht Ausdruck einer unterschiedlichen Kompetenz oder Verfassungstreue, sondern der gewollte Rahmen des Politischen Systems, der von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes geschaffen worden ist.
Diskussion
In der anschließend vom MDR-Hörfunkchef Matthias Gehler moderierten Diskussion waren Fragen über Akzeptanz und Bürgervertrauen noch einmal Thema und in welcher Form Entscheidungen zu Stande kämen. Bundesverfassungsrichter Müller präzisierte dabei, dass die 1% verhandelten Verfahren, die das Gericht annimmt keine Auswahl nach gesellschaftlicher Relevanz oder Opportunität des Gegenstands seien, sondern nur die tatsächlich gegebenen Bedingungen für eine Klage hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen erfüllt sein müssten. Dass die beiden Senate nicht immer einstimmig entscheiden, läge in der Kompliziertheit der Fälle als auch Widerspiegelung von gesellschaftlichen Streitfragen unter den Richtern selbst. Diese würden Ihre Auffassung in Minderheitenvoten zum Ausdruck bringen. Christian Hirte sah beim Bundesverfassungsgericht zuweilen die Tendenz, dem Gesetzgeber zu rigide Vorgaben zu machen, lobte aber auch dessen Unterstützung von Parlamentariern im Verhältnis zur Regierung. Gefragt zur Zukunft stellte Dr. Lembcke fest, dass das Institutionengefüge in Deutschland funktioniere und gelebte Demokratie Vertrauen herstelle ohne das man diese Frage permanent öffentlich diskutieren müsste. Gerade auch im europäischen Bereich gäbe es mittlerweile besorgniserregende Entwicklungen die zeigten, dass Deutschland eine lebendige und funktionierende Demokratie sei.
Die KAS-Landesbeauftragte für Thüringen Maja Eib beschloss den Abend mit einem Appell an eine lebendige Demokratie mit aktiven Bürgern, der sich die Konrad-Adenauer-Stiftung verpflichtet sieht.
Im Anschluss verweilten Referenten und Gäste beim Empfang noch einige Zeit, um sich zu Fragen auszutauschen.
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