Ausgabe: 4/2018
Mehr als 600 Millionen Menschen in Afrika leben ohne Strom. Nimmt man die besser situierten nordafrikanischen Staaten heraus, so kommt man auf nur knapp über 40 Prozent der Bevölkerung, die Zugang zu Elektrizität haben. Selbst innerhalb Subsahara-Afrikas gibt es dabei erhebliche Unterschiede: Während zum Beispiel in Südafrika über 80 Prozent mit Strom versorgt werden, sind es im Krisenland Südsudan nicht einmal neun Prozent der Bevölkerung. Bei aller Heterogenität lässt sich jedoch ganz allgemein feststellen, dass Afrika (südlich der Sahara) bei der Stromversorgung dem Rest der Welt weit abgeschlagen hinterherhinkt. Dies schlägt sich natürlich auch im Verbrauch nieder: nirgendwo ist der Stromverbrauch pro Kopf geringer als in Afrika – er liegt nur bei etwa einem Drittel des weltweiten Durchschnittswerts.
Zur chronischen Unterversorgung aufgrund mangelnder Kapazitäten kommen ein hohes Maß an Ineffizienz bei den Versorgungssystemen und eine enorme Ungleichverteilung. Fast überall sind es die ländlichen Gebiete, die besonders von Energiearmut betroffen sind. Aber selbst dort, wo Strom zur Verfügung steht, ist die Versorgung oft unzuverlässig und die Ausfallquote erschreckend hoch. In vielen afrikanischen Städten kommt es regelmäßig zu Stromausfällen. Das Surren der Dieselgeneratoren zur Eigenversorgung ist dort ein allseits vertrautes Geräusch.
Energiearmut trotz Ressourcenreichtum
Mit Ressourcenarmut ist die Unterversorgung eigentlich nicht zu erklären: Der Kontinent ist mit Rohstoffen gesegnet – und es kommen immer neue Funde hinzu. Afrika ist Energierohstofflieferant für Industrieländer und verfügt zudem über ein Potenzial bei erneuerbaren Energiequellen wie keine andere Region der Erde. Doch in der Vergangenheit wurden die vielfältigen Möglichkeiten kaum ausgeschöpft. Die Gründe dafür sind zahlreich: finanzielle Hürden, falsche entwicklungs- und wirtschaftspolitische Prioritäten, Fokussierung auf exportorientierte Investitionen; aber auch ineffiziente Verwaltungen, Korruption und schlechte Regierungsführung spielen eine Rolle. In der Folge fehlt es nicht nur an Großkraftwerken, die die erforderliche Menge an Strom produzieren könnten, sondern auch an entsprechenden Stromnetzen, die für eine flächendeckende Versorgung notwendig wären. Die tatsächliche Energiemenge, die beim afrikanischen Endverbraucher ankommt, liegt zumeist signifikant unter der theoretischen und auch tatsächlichen Produktionsmenge. Zum einen führen veraltete und schlecht gewartete Anlagen sowie Kraftstoffengpässe zu einer geringeren Produktion als eigentlich technisch möglich wäre. Zum anderen kommt es zu erheblichen Verlusten bei der Stromübertragung, bedingt durch schlechte Netz-Infrastruktur, beschädigte Stromleitungen, aber auch Stromdiebstahl. Nicht zuletzt: die Ineffizienz der Energieanlagen und die Dominanz fossiler Brennstoffe machen den in Afrika produzierten Strom extrem teuer.
Abb. 1: Zugang zu Elektrizität in ausgewählten afrikanischen Ländern (in Prozent der Bevölkerung)
Schaut man sich den gesamten Energiemix in Subsahara-Afrika an, so nimmt Elektrizität nur einen geringen Anteil ein. Die mit Abstand meistgenutzte Energiequelle ist konventionelle Biomasse, hauptsächlich in Form von Brennholz und Holzkohle zum Kochen in Haushalten und zur Nutzung im Kleingewerbe. 80 Prozent der Bevölkerung in Subsahara-Afrika sind auf die traditionelle Nutzung fester Biomasse angewiesen. In der Stromerzeugung dominieren die fossilen Energieträger, vor allem Kohle, gefolgt von Öl und Gas. Erneuerbare Energien machen mit Ausnahme von Wasserkraft bisher nur einen geringen Anteil aus. Allerdings zeigt sich hier in den vergangenen Jahren ein rapides Wachstum – und auch das größte Zukunftspotenzial.
Die Nachfrage explodiert
Ohne neue Strategien und massive Investitionen würde sich die ohnehin schlechte Lage noch erheblich verschärfen, denn die Nachfrage nach Strom explodiert förmlich auf dem Kontinent. Es gilt nicht nur die aktuelle Unterversorgung zu überwinden, sondern den Energiesektor für eine wachsende Bevölkerung und wachsende Wirtschaft fit zu machen. Nirgendwo in der Welt wächst die Bevölkerung so rapide wie in Afrika: Laut UNICEF wird sie sich dort bis 2050 auf etwa 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln. Gleichzeitig verzeichnen viele afrikanische Länder ein vergleichsweise hohes Wirtschaftswachstum – mit sehr viel Luft nach oben. Der Hunger nach Energie wird entsprechend wachsen. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) prognostiziert eine Verdreifachung des Stromverbrauchs in Afrika zwischen 2010 und 2030. Eine McKinsey-Studie spricht von einer Vervierfachung bis 2040 – ebenfalls im Vergleich zu 2010 und basierend auf einer prognostizierten Versorgungsrate von 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung. Eine Komplettversorgung wird wohl noch für Jahrzehnte illusorisch bleiben. Ein Bericht des Africa Progress Panel sieht bei gegenwärtiger Entwicklungsgeschwindigkeit erst für 2080 die Möglichkeit, die gesamte afrikanische Bevölkerung mit Strom zu versorgen.
Energie für Entwicklung
Energiearmut und mangelnde Stromversorgung haben entscheidende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und Lebensqualität. Sie behindern Produktivität und Mobilität, beeinträchtigen Bildung, gesundheitliche Versorgung und andere wichtige soziale Dienstleistungen. Nicht nur Haushalte, sondern auch viele Schulen und Krankenhäuser in Subsahara-Afrika müssen ohne Strom auskommen. Wichtige Medikamente können nicht gekühlt, lebensrettende medizinische Technik nicht betrieben werden. Ohne Licht im Haus fällt das abendliche Lernen schwer. Die Abhängigkeit der Haushalte von konventionellen Brennstoffen beim Kochen führt durch das Einatmen von Rauch zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Diese fordern laut Weltgesundheitsorganisation jährlich mehr Todesopfer als Malaria und HIV/AIDS zusammen.
Betriebe leiden derweil unter Produktionsausfällen und hohen Kosten für Strom, insbesondere beim oft erforderlichen Einsatz eigener Dieselgeneratoren. Das Energiedefizit hat negative Auswirkungen auf Produktionskosten und Wettbewerbsfähigkeit und behindert somit Wirtschaftswachstum, Innovation sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Abb. 2: Stromerzeugungskapazitäten in Subsahara- Afrika nach Energieträger (2016)
Die Sicherung des Zugangs zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle Menschen ist eines der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) im Rahmen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die Weltbank sieht auch jenseits dieser direkten Zielsetzung den Zugang zu Energie als einen zentralen Faktor für die Erreichung aller anderen SDGs. Ohne Energieversorgung sei es schwierig bis unmöglich, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu fördern, Armut zu überwinden und menschliche Entwicklung voranzubringen, heißt es in einem Weltbank-Bericht. Ganze 125 der 169 Zielindikatoren der Agenda 2030 – also knapp drei Viertel – hätten einen direkten oder indirekten Bezug zur Energiefrage.
Armut und Energieknappheit gehen meist Hand in Hand. Ein Blick in die Statistiken offenbart, dass die ärmsten Länder in der Regel auch diejenigen mit der schlechtesten Energieversorgung sind. Zwar sind die genauen kausalen Zusammenhänge komplex und nicht immer eindeutig belegbar, doch zahlreiche Studien zeigen eine enge Korrelation zwischen Energieversorgung bzw. Energieverbrauch auf der einen und Wirtschaftswachstum, Einkommensniveau und Beschäftigungsquote auf der anderen Seite. Energie ist ein Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche Transformation. Energiearmut stellt in Afrika damit ein entscheidendes Entwicklungshindernis dar.
Quelle: Bundeskanzleramt Österreich: Nachhaltige Entwicklung – Agenda 2030 / SDGs. Entwicklungsziele.
Klimawandel als zentraler Faktor
Afrika als Ganzes trägt nur in vergleichsweise geringem Maße zum Klimawandel bei, gleichzeitig sind afrikanische Länder besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen und bedroht. Das liegt zum Teil an den geografischen Gegebenheiten, aber auch an den ohnehin prekären Lebensbedingungen, schwierigen politischen Umständen und den entsprechend schwachen Anpassungsfähigkeiten. Der Klimawandel und seine Ursachen und Folgen müssen bei allem Engagement für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika mitbedacht werden. Auswirkungen des Klimawandels können Entwicklungsfortschritte erheblich beeinträchtigen. Wirtschaftswachstum und Infrastrukturausbau müssen daher auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Die „alten“ Entwicklungspfade der Industrieländer mit ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen können nicht als Vorbilder dienen.
Bei der Transformation des afrikanischen Energiesektors muss der Aspekt des Klimawandels sogar in doppelter Hinsicht berücksichtigt werden. Zum einen sollte der Energiemix der Zukunft so klimafreundlich wie möglich gestaltet werden. Zum anderen müssen die zu erwartenden Folgen des Klimawandels bereits bei den Planungen bedacht werden. Ausbleibende oder erratische Regenfälle können zum Beispiel erhebliche Auswirkungen auf die Energiegewinnung durch Wasserkraft haben. Besonders wichtig wird damit die Investition in innovative Lösungen, vor allem im Bereich der regenerativen Energien.
Chancen für grüne Energie
„Der enorme Energiebedarf stellt Afrika vor große Herausforderungen. Wir sollten ihn aber auch als Chance begreifen, in grüne Energie zu investieren. Afrika kann der erste Kontinent sein, der sich vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt“, so Entwicklungsminister Gerd Müller. Dieser Fokus auf erneuerbare Energien hat sich als weitgehender Konsens unter Experten und vor allem unter den westlichen Entwicklungspartnern herauskristallisiert. Auch afrikanische Regierungen realisieren mehr und mehr das immense Potenzial in diesem Bereich und verabschieden ehrgeizige Pläne, um die Nutzung dieser Möglichkeiten voranzubringen. In mindestens 40 Ländern auf dem Kontinent gibt es bereits Zielvorgaben für erneuerbare Energien.
In der Tat sind die Voraussetzungen für die Nutzung regenerativer Energiequellen nirgendwo besser als in Afrika. Sonne, Wind und Wasser bieten ein unvergleichbar reiches Portfolio für grüne Energie. Experten beziffern die Kapazitäten für Sonnenenergie auf 9.000 bis 11.000 Gigawatt, für Wasserkraft auf mehr als 350 Gigawatt und für Windenergie auf über 100 Gigawatt. In Ostafrika bestehen zudem zusätzliche Möglichkeiten im Bereich der Geothermie, die auf immerhin 15 Gigawatt beziffert werden. Zum Vergleich: Die gesamte Stromerzeugungskapazität für Subsahara-Afrika im Jahr 2016 betrug 122 Gigawatt. Das Potenzial der erneuerbaren Energiequellen ist damit mehr als genug, um den zukünftigen Energiebedarf auf dem Kontinent zu decken. Bereits bis 2030 könnten sie laut der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) die Hälfte des afrikanischen Stromverbrauchs decken.
Die effektive Nutzung des Potenzials der erneuerbaren Energien kann jedoch nur realisiert werden, wenn sowohl die infrastrukturellen als auch die administrativen Rahmenbedingungen stimmen. Dazu sind kohärente politische Strategien der afrikanischen Regierungen erforderlich, die den Ausbau der Infrastruktur fördern, gezielte Anreize setzen und Investitionen anlocken sowie einen transparenten und verlässlichen regulatorischen Rahmen schaffen.
Aus wirtschaftlicher Perspektive werden erneuer-bare Energien im Vergleich zu den herkömmlichen Energieträgern zunehmend attraktiver und wettbewerbsfähiger. Die Kosten für die Technologie sinken stetig, insbesondere im Solarbereich. Zudem führt schnelle Innovation zu immer mehr Effizienz und Verlässlichkeit. Dies gilt nicht nur für die Technik der Energiegewinnung, sondern zum Beispiel auch für Energiespeicher.
Jenseits der sinkenden Kosten sprechen noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren für erneuerbare Energien. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind zum Beispiel weitaus flexibler. Neben dem Einsatz zur Netzeinspeisung bieten sie sich auch für dezentrale Versorgungslösungen an – die Photovoltaik sogar bis hin zu kleinen Heimsystemen. Damit sind sie besonders gut geeignet für die schnelle und kostengünstige Elektrifizierung ländlicher Gebiete. Sie tragen darüber hinaus auch zur Verbesserung der Energiesicherheit bei, insbesondere für Länder, die aktuell auf den Import fossiler Brennstoffe angewiesen sind. Mit Blick auf die heimische Wirtschaft in Afrika erkennen Studien ein erhöhtes Potenzial für Innovation und Wertschöpfung vor Ort. Es ergeben sich mehr lokale unternehmerische Perspektiven und ein höherer Beschäftigungseffekt als bei den fossilen Energien. Nicht zuletzt: Im Vergleich zu Kohle- und Atomkraftwerken verfügen Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien über relativ kurze Vorlaufzeiten und können vergleichsweise schnell realisiert werden – mit Ausnahme von Großvorhaben in der Hydroenergie.
Großprojekte für Wasserkraft
Während der Anteil von Wind und Solar aktuell noch sehr gering ist, trägt die Wasserkraft immerhin schon zu etwa einem Fünftel zur Strom-erzeugung in Afrika bei. Dabei werden bisher nur etwa zehn Prozent des geschätzten technischen Potenzials genutzt. Bei voller Ausschöpfung könnte Wasserkraft mehr als das Dreifache des aktuellen Energieverbrauchs für Subsahara-Afrika beisteuern.
Die Hälfte dieses gesamten Energiepotenzials durch Wasserkraft ist im Kongo zu finden. Bereits in den frühen 1970er Jahren stieg man dort mit dem Bau der beiden Staudämme Inga I und Inga II am Kongo-Fluss in die Hydroenergie ein. Ein weiterer Damm, Inga III, ist seit Langem in Planung, doch die Realisierung verzögert sich. Inmitten von Kontroversen zog sich die Weltbank 2016 aus dem umstrittenen Projekt zurück. Doch andere Partner sind weiter interessiert an der Umsetzung, unter anderem ein Konsortium mit Partnern aus China und Spanien. Kritiker mahnen derweil die negativen Folgen für Mensch und Umwelt an. Im von Konflikten und Korruption gebeutelten Kongo gelingt aktuell nicht einmal die konsequente Instandhaltung der alten Staudämme. Dabei führt die große Vision sogar noch viel weiter: Im Rahmen des „Grand Inga“-Projekts plant man die Errichtung der „Mutter aller Staudämme“. Die Kapazität dieses Dammes könnte bei bis zu 40 Gigawatt liegen – nahezu doppelt so hoch wie die Kapazität des Drei-Schluchten-Damms in China, dem aktuell größten Staudamm der Welt. Die Umsetzung dieses Mammutprojekts würde den afrikanischen Energiesektor fundamental verändern. Doch sie erscheint aktuell mehr als unwahrscheinlich – und in Anbetracht der Risiken und zu erwartenden Nebeneffekte auch kaum wünschenswert.
Andernorts in Afrika geht es dagegen zügiger voran. Äthiopien ist auf dem Kontinent bereits führend bei der Nutzung von Wasserkraft und baut seine Kapazitäten im Rahmen mehrerer Großprojekte gerade weiter aus. Besonders im Fokus ist der Grand-Renaissance'-Damm am Blauen Nil, der kurz vor seiner Fertigstellung steht und sechs Gigawatt Strom produzieren soll. Doch auch hier gibt es Kontroversen, vor allem sorgte das Vorhaben für Spannungen zwischen den großen Nil-Anrainerstaaten Äthiopien, Sudan und Ägypten. Der Nil liefert fast das gesamte Trinkwasser für Ägypten und ein Abnehmen des Wasserstroms könnte dramatische Folgen haben. Zwar verkündeten die drei Länder bei einem Gipfel Anfang 2018 die Lösung des Konfliktes, doch generell bleibt Potenzial für weitere Spannungen. Das Beispiel zeigt, dass gerade bei der Wasserkraft die regionale Diplomatie und Kooperation eine wichtige Rolle spielt.
Unterdessen setzt weiter flussaufwärts auch Uganda auf den Bau weiterer Staudämme. In anderen Regionen des Kontinents investieren aktuell unter anderem auch Ghana, Guinea, Mosambik und Angola in den Ausbau der Hydro-energie-Kapazitäten.
Doch die Ideallösung für die Überwindung der Energieknappheit sind diese Großprojekte nicht. Neben den Bedenken zu ökologischen und sozialen Folgen des Staudammbaus ergeben sich zunehmend auch Sorgen um die Versorgungsstabilität bei der Wasserkraft. Die Auswirkungen des Klimawandels können die Wasserkrafterzeugung vor große Herausforderungen stellen. Für afrikanische Länder mit hoher Abhängigkeit von Wasserkraft sehen Experten das Risiko von Strom-engpässen durch ausbleibende Regenfälle und Dürreperioden. Wasserkraft kann somit nur ein Teilelement des zukünftigen Energiemixes darstellen. Die Schlüsselrolle bei der klimafreundlichen Transformation des afrikanischen Energiesektors wird der Wind- und vor allem der Solarenergie zukommen.
Leapfrogging: Kommt der große Sprung?
Damit die afrikanische Energiewende hin zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung gelingt, sind erhebliche Kraftanstrengungen erforderlich. Trotz des enormen Potenzials für erneuerbare Energiequellen müssen zunächst noch eine ganze Reihe von Hürden überwunden werden. Schließlich geht es nicht nur um die Produktion von Strom, sondern auch um die flächendeckende Verteilung. Der bisher völlig unzureichende Ausbau der Stromnetze (und der schlechte Zustand der bestehenden Netze) ist dabei für viele Experten Hindernis und Chance zugleich. Die Schaffung einer umfassenden zentralen Netzinfrastruktur wäre eine kaum zu bewältigende Mammutaufgabe: teuer, langwierig und risikoanfällig. Die Alternative zu der einen „großen“ Lösung (Großkraftwerke mit flächendeckenden Netzen) ist daher ein kombinierter Ansatz, basierend auf einer Diversifizierung der Energiequellen (mit Priorität bei den erneuerbaren Energien) und vielen kleinen, dezentralen und netzunabhängigen Lösungen.
In diesem Zusammenhang fällt oft das Stichwort Leapfrogging. Es bezeichnet das Auslassen bzw. Überspringen von Entwicklungsstufen im Zuge einer rapiden technologischen und wirtschaftlichen Modernisierung und wird daher im Deutschen auch mit dem Begriff „Sprunginnovation“ umschrieben. Mit seiner aktuellen Ausgangslage gilt Afrika als prädestiniert für einen solchen „großen Sprung“ in eine Phase jenseits des Stromnetzzeitalters. „Afrikanische Nationen müssen sich gar nicht mehr auf die Entwicklung der alten kohlenstoffreichen Technologien fixieren“, schrieb der 2018 verstorbene Kofi Annan in einem Bericht des Africa Progress Panel im Jahr 2015. „Wir können unsere Energieproduktion ausbauen und allgemeinen Zugang zu Energie erreichen, indem wir direkt zu den neuen Technologien springen, die Energiesysteme überall auf der Welt transformieren“, so Annan.
Vielfältige, dezentrale Lösungen
Für die Diversifizierung und Dezentralisierung spielen erneuerbare Energien die entscheidende Rolle. Bereits heute tragen zahlreiche innovative Lösungen aus der Photovoltaik zur Verbesserung der Lebensqualität vor allem im ländlichen Afrika bei. Dazu zählen nicht nur Solarmodule auf dem Dach, sondern auch zahlreiche Mini-Anwendungen wie Solarlampen, Solarkocher oder Solarrucksäcke für Schüler. Eine dynamische Szene an lokalen und ausländischen Start-ups trägt dazu bei, dass sich immer verlässlichere und vor allem bezahlbare Lösungen rapide verbreiten. Dazu zählen auch deutsche Akteure, wie zum Beispiel das Start-up Mobisol, das in ausgewählten afrikanischen Ländern Komplettpakete für die Elektrifizierung durch Photovoltaik liefert, die sich auch Haushalte mit geringem Einkommen über Mikrokredit-Angebote leisten können.
Mit Blick auf die ganz konkreten und unmittelbaren Anliegen der unterversorgten Menschen im ländlichen Raum sind derartige Angebote oft ein enormer Fortschritt. Dennoch tragen sie natürlich nur begrenzt zur großen Transformation bei. Ohne Zweifel werden die Großprojekte – also Investitionen in Kraftwerke, Solar- und Windparks sowie in den Ausbau der zentralen Netze – für die Gesamtwirtschaft weiter die entscheidende Rolle spielen. Sie bilden das Rückgrat für die Energieversorgung und sind vor allem für die Versorgung der Städte, Industriezentren und Boom-Regionen unersetzlich. Doch zwischen Großkraftwerken und zentralen Netzen auf der einen sowie Einzelmodulen und Mini-Anwendungen auf der anderen Seite gibt es noch einen großen Bereich an innovativen Zwischenlösungen, die den Energiesektor in Afrika signifikant verändern können. Die Rede ist von Mini-Kraftwerken für kleine Gemeinden und Betriebe bzw. überschaubare Cluster von Verbraucherhaushalten sowie kleinen, dezentralen Stromnetzen (Mini- und Micro-Grids). Solche Kleinstnetze, die meist auf Solar- oder Windenergie basieren (zu einem geringeren Teil kommen auch Biogasanlagen oder Kleinwasserkraftwerke in Frage), bieten vor allem für die abgelegenen ländlichen Gebiete vielversprechende Lösungen. Sie können die Netzstabilität verbessern und an vielen Stellen die traditionellen klimaschädlichen Dieselgeneratoren ablösen, die bisher noch eine weit verbreitete Alternative zum zentralen Stromnetz darstellen.
In einem Kontext, in dem der flächendeckende Ausbau der zentralen Stromnetze bis in alle ländlichen Räume sich über Jahrzehnte hinziehen würde, bieten die dezentralen Ansätze realistischere und vor allem schnellere Antworten auf die Herausforderung der Energiearmut.
Abb. 3: Dezentrales Stromnetz (Micro-Grid)
Fossile Energieträger bleiben relevant
Bei aller Euphorie und Aufbruchsstimmung mit Blick auf die Chancen im Bereich der regenerativen Energien darf nicht vergessen werden, dass auch die fossilen Energieträger noch lange nicht aus dem Rennen sind. Afrika verfügt über massive Öl- und Gasvorkommen – viele davon noch gänzlich unerschlossen. Zwar wäre es aus klimapolitischen Gründen ratsam, diese Ressourcen möglichst unangetastet zu lassen. Doch in Anbetracht der beschriebenen Herausforderungen bei der Energieversorgung wird der Ausstieg aus der fossilen Energie in Afrika ebenso wie im Rest der Welt nicht von heute auf morgen gelingen. Ganz im Gegenteil: Kurz- und mittelfristig wird wohl auch die Nutzung der fossilen Brennstoffe noch parallel zur Erschließung von erneuerbaren Alternativen ausgebaut werden und weiter einen zentralen Bestandteil des Energiemixes bilden. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass im Jahr 2030 immer noch knapp über die Hälfte der in Subsahara-Afrika produzierten Strommenge aus fossilen Energiequellen gewonnen werden wird (bei einer Verdoppelung der Produktionskapazität gegenüber 2016): 21 Prozent aus Kohle, 18 Prozent aus Gas und zwölf Prozent aus Öl. Modernen Gaskraftwerken gehört dabei wohl die Zukunft: während der Anteil von Kohle und Öl sukzessive abnehmen wird, erhöht sich der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung im Vergleich zum aktuellen Stand. Technische Innovationen können dabei für erhöhte Effizienz und signifikant reduzierte CO₂-Emmissionen sorgen.
Nukleare Alternativen?
Eine andere Option, die in vielen Berichten und Plänen meist bewusst außen vor gelassen wird, ist die Atomenergie. Dabei ist es keineswegs so, dass die nukleare Variante keine Rolle spielt. Die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) berichtet von einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten, die an Investitionen in Atomenergie interessiert sind. In insgesamt zwölf afrikanischen Ländern gibt es mehr oder weniger konkrete Pläne. Für einige afrikanische Politiker scheint die Option attraktiv. Sie sehen einen vermeintlich schnellen, effizienten und klimafreundlichen Weg, der Energiearmut zu entkommen und die Wirtschaft anzukurbeln. Und mit China und Russland stehen gleich zwei potenzielle Partner bereit, die sich laut manchem Beobachter bereits mitten in einem erbitterten Wettlauf um den Export von Nukleartechnologie befinden.
In einigen Ländern sind die Pläne schon fortgeschritten. Am weitesten ist hier Südafrika. Dort steht in Kapstadt seit 1984 das bisher einzige Atomkraftwerk auf dem Kontinent. Zudem wurden bereits 2015 Pläne vorgestellt, die den Bau weiterer Reaktoren mit einer Kapazität von 9,6 Gigawatt vorsehen – zunächst mit Blick auf eine mögliche Partnerschaft mit Russland. Seitdem jedoch wurden viel Kritik und Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit des Vorhabens geäußert und dessen Zukunft erscheint ungewiss. Doch auch andere Länder stehen in den Startlöchern: Sudan unterzeichnete 2016 einen Rahmenvertrag mit China, der den Bau eines ersten AKW bis 2027 vorsieht. Auch Kenia möchte mit Hilfe der Chinesen bis 2030 vier Reaktoren bauen. Nigeria dagegen setzt auf den Partner Russland und plant ebenfalls den Bau von vier AKWs. In Westafrika träumt Ghana im Grunde schon seit der Unabhängigkeit von einem eigenen AKW. Nun gibt es konkrete Pläne für den Bau von zwei Reaktoren. Die Entscheidung über eine mögliche Partnerschaft mit China oder Russland ist jedoch noch nicht gefallen.
Ob und wann sich diese Pläne materialisieren, bleibt abzuwarten. In Expertenkreisen überwiegen die skeptischen Stimmen. Als Hindernisse werden unter anderem die hohen Eingangsinvestitionen, die möglichen Umweltfolgen und Sicherheitsrisiken (insbesondere im Kontext politischer Instabilität), hohe technisch-personelle Ansprüche sowie die eher pessimistischen Prognosen zur Rentabilität angeführt. In Anbetracht der sinkenden Kosten und rapiden Innovation bei anderen Energieträgern erscheinen die Pläne aus marktwirtschaftlicher Sicht kaum sinnvoll. Manche Kritiker sehen in ihnen daher vor allem zweierlei: den Relevanzkampf einer sterbenden Industrie sowie geopolitische Schachzüge mit primär symbolischem Gehalt.
Partnerschaften für die Finanzierung
Um die afrikanische Energiewende Wirklichkeit werden zu lassen, ist neben den politischen und administrativen Weichenstellungen auf Seiten der afrikanischen Regierungen vor allem die Mitwirkung der internationalen Partner und der Privatwirtschaft gefragt, um die immensen Herausforderungen bei der Finanzierung zu bewältigen. Innerhalb kürzester Zeit sind massive Investitionen erforderlich, die die afrikanischen Staaten aus eigener Kraft nicht aufbringen können. Alleine zur Halbierung der Zahl der Stromausfälle und zur Sicherung eines universellen Zugangs zur Stromversorgung in den Städten errechnet die Internationale Energieagentur ein Investitionsvolumen von mindestens 450 Milliarden US-Dollar – und damit ist man vom Ziel der flächendeckenden Versorgung noch weit entfernt.
Eines der zentralen Instrumente, um die benötigte Unterstützung bereitzustellen, ist die im Rahmen der Pariser Klimakonferenz 2015 gestartete Initiative für erneuerbare Energien in Afrika (AREI). Im Rahmen dieser afrikanisch geführten Initiative sollen bis 2020 bis zu zehn Gigawatt zusätzliche Energieerzeugungskapazitäten im Bereich der erneuerbaren Energien aufgebaut werden; bis 2030 werden sogar bis zu 300 Gigawatt angestrebt. Für die Finanzierung der ersten Phase bis 2020 stehen über bilaterale und multilaterale Initiativen zehn Milliarden US-Dollar bereit. Deutschland steuert mit drei Milliarden Euro den größten Posten dazu bei. Bereits 2013 initiierten die USA unter Barack Obama das Programm Power Africa, das über ein Modell von Public-private-Partnerships über 50 Milliarden US-Dollar für Investments in den afrikanischen Energiesektor kanalisiert. Trotz solcher groß angelegten Programme bleiben sowohl die Zusagen als auch die tatsächlichen Investitionen in die afrikanische Energiewende bisher aber hinter den Erwartungen und gesteckten Zielen zurück.
Insbesondere hakt es bei den dringend benötigten privatwirtschaftlichen Investitionen, um die Lücke zwischen der wachsenden Nachfrage und dem enormen Potenzial zu schließen. Viele Investoren scheuen sich vor einem Engagement in den meisten afrikanischen Ländern. Hier sind afrikanische Regierungen gefragt, um das Investitionsklima zu verbessern, Anreize zu schaffen und Risiken zu minimieren. Vor allem gilt es, die politischen und administrativen Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten: faire Wettbewerbsbedingungen, eine zuverlässige Regulierung, die rechtsstaatliche Sicherheit, transparente Entscheidungsverfahren, effiziente bürokratische Strukturen sowie eine Eindämmung von Korruption. Aber auch die westlichen Partner sind gefordert über Anreize, verbesserte Absicherungen und vielfältige Partnerschaften mehr privates Kapital zu mobilisieren.
Zusammenfassung: Zehn Punkte einer sinnvollen Energieagenda für Afrika
In Anbetracht der oben beschriebenen Entwicklungen ergeben sich zusammenfassend aus Sicht des Autors zehn Kernpunkte, die bei der Gestaltung einer sinnvollen Energieagenda für Afrika berücksichtigt werden sollten. Dies gilt für die nationalen und regionalen Entwicklungs- und Elektrifizierungspläne der afrikanischen Länder ebenso wie für die Förderprogramme der internationalen Geber und nicht zuletzt auch für den Dialog mit privatwirtschaftlichen Akteuren.
- Oberste Priorität der Agenda muss das möglichst zeitnahe Schließen der massiven Versorgungslücke und die Überwindung von Ungleichheit beim Zugang zu Energie sein. Energiearmut ist ein entscheidendes Entwicklungshemmnis, so dass die Transformation des afrikanischen Energiesektors eine Grundvoraussetzung für das Wirtschaftswachstum und die Verbesserung der Lebensbedingungen darstellt. Es gibt einen klaren Konsens: die großen Ziele mit Blick auf Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Transformation sind ohne verbesserte Stromversorgung nicht erreichbar. Dieser Konsens spiegelt sich auch in der prominenten Verankerung des Themas in nationalen und internationalen Entwicklungsplänen wider. Damit ist die Grundlage für entsprechendes politisches Handeln gegeben.
- Die Agenda muss einer umfassenden Strategie basierend auf einem holistischen Verständnis folgen. Dies beinhaltet einen erweiterten Blick auf das Thema Energie, auch jenseits der Stromerzeugung. Die unterschiedlichen Herausforderungen und Bedürfnisse von Haushalten und Unternehmen, von städtischen und ländlichen Räumen erfordern eine integrierte Strategie mit diversen Komponenten – keine standardisierte Blaupause.
Grundlage dafür ist eine weitere Optimierung der Nutzung umfassender Daten für die richtige Ausrichtung der Strategie entlang regionaler und lokaler Spezifika. Die Datenrevolution und insbesondere die aufkommenden Möglichkeiten im Bereich Open Data werden eine solche Ausrichtung in Zukunft erheblich erleichtern. Als Beispiel dafür sei an dieser Stelle die Daten-Plattform energydata.info erwähnt, an der sich unter anderem auch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt. Umfassende Studien wie die kartografische Erfassung der Wind- und Solarenergiekapazitäten in Afrika durch die University of California in Berkeley erleichtern die Fokussierung auf Lösungen in der Stromerzeugung und -versorgung, die an die spezifischen geografischen Umstände angepasst sind.
Die Vielfalt an Akteuren spricht mit Blick auf eine umfassende Strategie für einen Mehrebenenansatz, der insbesondere regionale und lokale Lösungen fördert. Zwar kommt den nationalen Regierungen eine zentrale Koordinierungsfunktion zu, doch insbesondere im ländlichen Raum können lokale Akteure und innovative Start-up-Unternehmen realistischerweise – zumindest kurz- und mittelfristig – mehr für die Elektrifizierung erreichen als zentral geplante, flächendeckende Großprojekte, deren Umsetzung auf lange Sicht Zukunftsmusik bleiben wird.
- Aufgrund der Herausforderungen des Klimawandels und den sich durch technische Innovationen ergebenden Chancen sollten regenerative Energien eindeutig im Zentrum der Agenda stehen.
Die Zeichen dafür stehen günstig: Zum einen steigt der politische Handlungsdruck zur Förderung umweltverträglicher Technologien in Anbetracht der bereits jetzt spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. Zum anderen bieten technische Innovationen immer neue Möglichkeiten und die Kosten für Energiegewinnung aus regenerativen Quellen sinken stetig. Im afrikanischen Kontext zeigen diverse Studien nicht nur das enorme Potenzial für grünen Strom, sondern verweisen auch auf die wirtschaftliche Attraktivität – mit Blick auf die Kostenprojektionen ebenso wie mit Blick auf zu erwartende Beschäftigungseffekte. Die entsprechenden politischen Absichtserklärungen erscheinen vielversprechend, doch es bleibt abzuwarten, inwieweit die tatsächliche Umsetzung damit Schritt hält.
- Das Ziel eines intelligenten, nachhaltigen und klimaverträglichen Energiemixes kann nur phasenweise erreicht werden. Kurz- und mittelfristig wird auch die konventionelle Energieerzeugung weiter eine Rolle spielen, selbst wenn das langfristige Ziel einer kohlenstoffneutralen Energieversorgung einen Fixpunkt darstellt.
Die oben erwähnte Fokussierung auf regenerative Energien sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen afrikanischen Ländern gerade erst mit der Erschließung großer Öl- und Gasreserven begonnen wird. Es wäre ein Irrglaube zu denken, man könne die Regierungen dieser Länder überzeugen, diese Reserven am besten gleich in der Erde zu lassen. Hier sind Kompromisse erforderlich – und auch diese werden sich nur erreichen lassen, wenn sich die Alternativen durch Innovation und Investitionen als wirtschaftlich attraktiv erweisen. Bei den nuklearen Alternativen fällt die Antwort dagegen einfacher aus: sie sind nicht erstrebenswert und auch aus wirtschaftlicher Sicht kaum sinnvoll.
- Investitionen in Mikro- und Makrolösungen können sich sinnvoll ergänzen. Parallel zum Kapazitätsausbau der zentralen Stromnetze müssen dezentrale Lösungen gefördert werden. Der afrikanische Energiesektor der Zukunft wird eine Kombination aus Mikronetzen, regionalen und überregionalen Stromnetzen sein.
Die Erkenntnis, dass es den einen „großen Wurf“ nicht geben muss, sondern es auch viele Möglichkeiten für kleinere, bedarfsangepasste Lösungen gibt, erleichtert die Zusammenarbeit mit vielen Akteuren. Dies spiegelt sich ebenfalls in der Gestaltung diverser Förderprogramme wider, die gezielt auch auf die Innovationskraft lokaler Initiativen und Start-up-Unternehmen setzen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Grüne Bürgerenergie für Afrika“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), welches die dezentrale und bürgernahe Energieversorgung in ländlichen Räumen unterstützen soll und sich dabei die 850 Energiegenossenschaften in Deutschland zum Vorbild macht.
- Neben der Frage der Energieerzeugung muss auch in technischen Fortschritt zur Energieeffizienz sowie für verbesserte Speicherkapazitäten investiert werden. Da Brennholz und Holzkohle für ländliche Haushalte noch lange relevant bleiben werden, kann selbst die Förderung von effizienteren Herden und Kochmethoden erheblich zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen. Zudem kann der Energieverbrauch über verbessertes Nutzerverhalten durch Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen reduziert werden. Hier ist besonders das Engagement der GIZ in Afrika hervorzuheben, das in eben diesen Bereichen besondere Akzente setzt.
- Regionale Kooperation und Integration werden ein Schüsselfaktor für ambitionierte Lösungen sein. Verbundnetzwerke können erheblich zum Ausbau der Kapazitäten sowie zu erhöhter Effizienz und Energiesicherheit beitragen. Power Pools erleichtern die Kooperation unter den nationalen Stromversorgern. Der Vorreiter ist dabei der Southern African Power Pool (SAPP) im südlichen Afrika. Aber auch in West- und Ostafrika wurden mittlerweile ähnliche Verbünde geschaffen. Zudem können insbesondere im Bereich der Wasserkraft über regionale Kooperationen Konflikte vermieden werden. Ein erfolgreiches Beispiel sind die jüngsten Abkommen unter den Nil-Anrainerstaaten.
- Die Transformation des Energiesektors in Afrika erfordert massive finanzielle Mittel. Hier sind internationale Partner und die Privatwirtschaft gefragt. Die Grundlage für die Mobilisierung der erforderlichen Investitionen müssen verlässliche Partnerschaften sein. Staatliche Akteure müssen das privatwirtschaftliche Engagement aktiv fördern. Dass die Bereitschaft dazu vorhanden ist, zeigen die erwähnten Großinitiativen wie AREI und Power Africa, die jedoch bisher noch hinter den Erwartungen zurück bleiben. Weitere Initiativen sind also gefordert. Aus deutscher Sicht haben vor allem die Investitionspartnerschaften im Rahmen des Compact with Africa (s. u.) das Potenzial, neue Wege aufzuzeigen.
- Die Energieagenda muss auf realistische Erwartungen an die wirtschaftlichen Effekte basieren. Der positive wirtschaftliche Effekt und Wachstumsimpuls der Elektrifizierung wird sich nicht von heute auf morgen ergeben, sondern sich erst sehr langfristig abzeichnen. Es geht daher auch darum, überzogenen Erwartungshaltungen zu begegnen und mit realistischen Prognosen zu arbeiten. Schnelle Effekte werden sich zunächst vor allem in solchen Ballungsräumen einstellen, in denen eine Reihe positiver Faktoren zum Tragen kommen (allgemeine Infrastruktur, Bildung, lokales Unternehmertum, Marktzugänge etc.).
- Ohne die Förderung der richtigen politischen und administrativen Rahmenbedingungen sind die Ambitionen einer afrikanischen Energiewende zum Scheitern verurteilt. Teil der Agenda muss daher auch ein aktiver Dialog zu marktwirtschaftlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Standards sein.
Fazit: afrikanische Energiewende im Interesse Deutschlands
Verschiedene deutsche Initiativen wie der Compact with Africa im Rahmen der G20 oder der vom BMZ vorgestellte Marshallplan mit Afrika betonen ganz besonders das Interesse an der Förderung der erneuerbaren Energien in Afrika. Die Transformation des afrikanischen Energiesektors genießt zu Recht ein spezielles Augenmerk in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist ein Schlüsselfaktor für die Verbesserung der Lebensbedingungen, ein nachhaltiges und dynamisches Wirtschaftswachstum, die Schaffung wirtschaftlicher und beruflicher Perspektiven für die junge Bevölkerung, den Kampf gegen den Klimawandel und die Sicherung von Frieden und Stabilität auf dem Kontinent. Damit ist das deutsche Engagement in diesem Bereich nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung.
Auch für die deutsche Wirtschaft ist die afrikanische Energiewende bedeutsam. Die aktuellen Entwicklungen ergeben ein großes Potenzial für Projekte, die für deutsche Unternehmen hochinteressant sein können. Der afrikanische Energiesektor bietet der deutschen Wirtschaft vielversprechende Absatzmärkte für ihre Produkte und Dienstleistungen. Technologie und Know-how aus Deutschland sind gefragt. Doch obwohl Deutschland ein angesehener Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien ist, hat China Deutschland mittlerweile den Rang abgelaufen. Bislang scheinen die vorhandenen Anreize und Investitionsabsicherungen noch nicht zu reichen, um der mit Blick auf Afrika eher zögerlich agierenden deutschen Privatwirtschaft einen Schub zu geben. Dabei würden von einem stärkeren Engagement deutscher Unternehmen beide Seiten eindeutig profitieren. Nicht zuletzt könnte eine starke Beteiligung deutscher Unternehmen dazu beitragen, die afrikanische Energiewende in die richtigen Bahnen zu lenken – innovativ, inklusiv, nachhaltig und klimafreundlich.
Mathias Kamp ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Uganda.
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