Länderberichte
Gleichzeitig kündigte er an, dass sich seine Partei für die
Europäische Verfassung im Ratifizierungsprozeß aussprechen werde. Allerdings
wolle er damit der Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero keinen „Blankoscheck“
ausstellen. Denn, so Rajoy, er wäre „ein schlechter Demokrat“, wenn er dem
Ministerpräsidenten einen Blankoscheck erteilen würde, in einer „Angelegenheit, in
der wir ziemlich gegensätzliche Ansichten haben“. Deswegen werde der PP, Rajoy
zufolge, verstärkt die Regierung unter Druck setzen, damit sie sich besser für Spaniens
Interessen in Europa einsetze.
In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung „El Mundo“ vom 20. Juni 2004
sprach sich Rajoy für ein Referendum zur Europäischen Verfassung aus. Dies solle
dazu beitragen, das Bewusstsein der Bürger für Europa zu schärfen und über die
positiven Auswirkungen der EU für Spanien aufzuklären.
Ebenso kritisierte der ehemalige Innenminister und designierte Generalsekretär des
Partido Popular, Ángel Acebes, das Ergebnis des Brüsseler Gipfeltreffens als „enttäuschend“
für Spanien. Die Zapatero-Regierung habe laut Acebes „plump und ungeschickt“
verhandelt und damit Spanien aus der „Gruppe der Großen“ unverständlicherweise
herausgeführt. Acebes fügte hinzu, dass man „mit Nizza das gleiche Gewicht“
hatte, wie die wichtigsten Staaten der EU und „jetzt hat Deutschland das doppelte
und Frankreich, Italien und Großbritannien 50 Prozent mehr.“ Mit großem Engagement
habe der PP, laut Acebes, gestalterisch im Konvent gewirkt und sei als
einzige europäische Partei mit zwei Vertretern, Ana de Palacio und Iñigo Méndez de Vigo
Verfassung als das Fundament für weiteren Frieden, Freiheit und Wohlstand,
betonte jedoch, dass die Rolle Spaniens in der EU durch die Nachgiebigkeit
der neuen Regierung an Bedeutung verloren habe. Als Beispiel nannte Acebes, dass
mit „Nizza wir uns gegen eine für Spanien schlechte Verteilung der europäischen
Fonds wehren konnten, jetzt können wir das nicht mehr.“
Der Vorsitzende der katalanischen Christdemokraten (UDC) und Generalsekretär
der CiU, Josep Antoni Duran Lleida, lobte insgesamt das neue europäische Vertragswerk
als „nicht schlecht für Spanien“. Ministerpräsident Zapatero habe je doch „nicht alles Mögliche gemacht hat“, um Katalan als offizielle Sprache anerkennen
zu lassen, fügte er hinzu.
Der sozialistische Ministerpräsident Zapatero hat angekündigt, nach der offiziellen
Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten der EU voraussichtlich im November
2004 in Rom die Europäische Verfassung als erstes Mitgliedsland zu ratifizieren.
Nachdem Rajoy für die Volkspartei seine Unterstützung zugesichert hat, dürften
seitens Spanien keine Probleme bei der Ratifizierung entstehen. Die Debatte in
Spanien wird sich in den kommenden Monaten um das Für und Wider eines von
der Volkspartei geforderten Referendums drehen. Dadurch erhofft sich der PP eine
intensive öffentliche Diskussion um die Europapolitik der Regierung. Die breite
Öffentlichkeit soll dazu bewegt werden, Druck auf die Regierung auszuüben, damit
aus Sicht des PP die spanischen Eigeninteressen insbesondere hinsichtlich
der neuen europäischen Finanzverfassung Berücksichtigung finden. Allerdings ist
der PP davon überzeugt, dass die Zapatero-Regierung nicht die Durchsetzungsfähigkeit
der Vorgängerregierung von José María Aznar besitzt, um spanische
Interessen angemessen in der EU zu vertreten. Das deutsch-französische „Direktorium“
werde nach Auffassung des PP die europäischen Subventionen nach
eigenem Gutdünken verteilen, ohne Rücksicht auf die spanischen Forderungen
zu nehmen.
Die Volkspartei, die sich als die spanische Europapartei verkaufen will, wird noch
viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um die Öffentlichkeit für ihr Europakonzept
zu gewinnen. Zu sehr sind die Erinnerungen an den Brüsseler Gipfel vom
vergangenen Dezember wach, als sich Spanien und Polen isolierten und das
Vertragswerk seinerzeit blockierten. Der damalige Oppositionsführer Zapatero
kritisierte das Verhalten Aznars als Bruch des europapolitischen Konsens in Spanien.
Die Öffentlichkeit teilte zunehmend diese Ansicht, was – trotz der guten
Umfrageergebnisse für den PP – zu einem erheblichen Imageschaden für Aznar
führte.
Mit dem Europathema versucht nun der PP, sein Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern.
Offen bleibt zunächst, ob der neue Kurs der sozialistischen Regierung
als „europafreundlich“ oder „spanienschädlich“ interpretiert wird. Der Kampf um
die Meinungsführung ist voll entbrannt. Dabei ist anzunehmen, dass die weitere
wirtschaftliche Entwicklung Spaniens über das Urteil der Öffentlichkeit entscheiden
wird. Noch kann sich die Zapatero-Regierung einer öffentlichen Unterstützung
sicher sein. Doch die Europawahl, die der Volkspartei überraschender Weise
nur eine „süße Niederlage“ einbrachte, verdeutlicht, dass der PP nach wie vor
über eine große Anhängerschaft verfügt. Das Wahlergebnis hat den PP motiviert
und Rajoy den Rücken für seine kommende Oppositionsarbeit gestärkt. Die Regierung
muss nun beweisen, dass sie die spanischen Interessen in einer erweiterten
Europäischen Union vertreten kann, ohne ihr europafreundliches Verhalten
einzubüßen.