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Gabriele Strecker auf einem Wahlplakat zur Landtagswahl am 23. November 1958 in Hessen. Gabriele Strecker auf einem Wahlplakat zur Landtagswahl am 23. November 1958 in Hessen. © KAS/ACDP 10-007 : 163 CC-BY-SA 3.0 DE

Gabriele Strecker (geb. Schneider)

Dr. med. 27. Dezember 1904 Trier 6. August 1983 Bad Homburg vor der Höhe
von Denise Lindsay M.A.
„So führte denn mein Weg geradlinig in die CDU“: In ihrer langen Karriere setzt sich die engagierte Politikerin und Journalistin Gabriele Strecker immer wieder entschieden für die Rechte der Frauen auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ein.

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Herkunft, Ausbildung und erste Berufstätigkeit

Gabriele Strecker kommt am 27. Dezember 1904 in Trier als ältestes Kind von Karl Schneider und seiner Frau Elisabeth zur Welt. Zu ihren Eltern hat Gabriele Strecker, die noch zwei jüngere Brüder hat, kein gutes Verhältnis; den Vater – einen wenig erfolgreichen Kaufmann – soll sie regelrecht gehasst haben. 1910 zieht die Familie aus Trier ins lothringische Metz, das zu diesem Zeitpunkt Teil des Deutschen Kaiserreichs war. In Lothringen erlebt Gabriele Strecker als Heranwachsende den Ersten Weltkrieg – Ereignisse, die sie prägen. Nach der deutschen Niederlage und der Rückkehr Elsass-Lothringens zu Frankreich wird die reichsdeutsche Familie ausgewiesen und siedelt sich in Frankfurt/Main an. An der Viktoriaschule, einem Lyzeum für Mädchen, legt Gabriele Strecker 1925 das Abitur ab und verlässt danach sofort das ungeliebte Elternhaus, zu dem sie auch jeglichen Kontakt abbricht. Die junge Frau geht als Privatlehrerin der Kinder eines englischen Baumwollhändlers nach Ägypten, wo sie zwei Jahre lang bleibt. Nach ihrer Rückkehr beginnt sie – zunächst in Genf – ein Studium der romanischen Sprache und Geschichte. Aufgrund angespannter finanzieller Verhältnisse muss sie das Studium nach einem Semester an die Universität Frankfurt verlegen.

Politisch interessiert nimmt sie in den Jahren der Weimarer Republik ihr Wahlrecht wahr und wählt entweder das Zentrum oder die Deutsche Staatspartei. 1930 heiratet sie den in Bad Homburg ansässigen zwölf Jahre älteren Frauenarzt Dr. Josef Strecker, der Mitglied des Zentrums ist. Ihr Studium führt sie bis zur Geburt des ersten Sohnes Hans 1932 fort und wechselt schon kurz danach ins Fach Medizin über. Die Doppelbelastung ist für Gabriele Strecker allerdings nicht lange durchzuhalten. 1935, mit der Geburt des zweiten Sohnes Peter, wird Gabriele Strecker Hausfrau. Erst 1940 kann sie ihr Medizinstudium – kriegsbedingt werden Trimester eingeführt und die Studienzeiten verkürzt – wieder aufnehmen, das sie 1943 mit Staatsexamen und einer Dissertation zum Thema „Rückbildung von Kleinhirnsymptomen nach teilweiser Resektion des Kleinhirns“ abschließt. Zunächst arbeitet sie vertretungsweise in einer Landarztpraxis, bis sie eine Stelle im Kreiskrankenhaus Bad Homburg antreten kann.

 

Nationalsozialismus und Wiederaufbau

Während der Jahre der nationalsozialistischen Diktatur wird das Ehepaar Strecker zunehmend isoliert, da es dem Regime abweisend gegenüber steht. Zudem verhelfen die Eheleute jüdischen Bekannten zur Emigration.

Den Einmarsch der amerikanischen Truppen im März 1945 in Bad Homburg empfindet Gabriele Strecker somit als wirkliche Befreiung und Chance für den Neuanfang. Im April 1945 kommt es zu einem ersten Kontakt mit amerikanischen Offizieren – trotz des Fraternisierungsverbots –, die Bekannte jüdischer Freunde sind, denen die Streckers zur Ausreise verholfen haben.

Die Begegnung mit der Journalistin Jella Lepman (1891–1970), die 1936 aus Deutschland emigrieren musste und nun für den amerikanischen Rundfunk tätig ist, wird Gabriele Streckers Leben verändern. Lepman schlägt ihr vor, ihre Beraterin für Frauenangelegenheiten zu werden und Gabriele Strecker beginnt sofort, erste Gesprächsgruppen mit Frauen zu organisieren. Als Lepman den Auftrag bekommt, für den am 1. Juni 1945 in der amerikanische Besatzungszone gegründeten Rundfunk eine geeignete Frau zu finden, die das Frauenprogramm gestalten kann, schlägt sie Strecker vor. Für diese öffnet sich damit eine völlig neue Karrierechance. Nach Prüfung durch die amerikanischen Besatzungsbehörden und der Vertragsunterzeichnung am 12. April 1946 kann Strecker ihre Tätigkeit als Leiterin des Frauenfunks bei Radio Frankfurt aufnehmen, bei der Programmgestaltung und der Wahl der Mitarbeiter hat sie freie Hand. Seit 1949 übt sie diese Tätigkeit dann beim neugegründeten Hessischen Rundfunk aus – immer bestrebt, die Überparteilichkeit zu wahren. Sie veranstaltet Lesungen, stellt bis dahin verbotene Literatur vor, organisiert Diskussionsgruppen. Immer wieder spricht sie auch die Frage der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern an.

 

Engagement in frauenpolitischen Organisationen

Durch ihre Rundfunktätigkeit kommt sie auch in Kontakt mit Frauen, die sich auf Vereinsebene für die Belange ihrer Geschlechtsgenossinnen engagieren. Sie tritt dem im Januar 1946 gegründeten Frauen-Ausschuss in Frankfurt bei, der sich mit anderen Organisationen zum Frauenverband Hessen vereinigt.

Vom 12. bis 22. Oktober 1946 kann sie – auf Einladung der amerikanischen Besatzungsbehörden – als einzige deutsche Frau am Internationalen Frauenkongress in South Kortright bei New York teilnehmen; einer Konferenz, die als Gedanken- und Informationsaustausch gedacht ist. Ein Interview, das missverständlich wiedergegeben wird – man wirft ihr vor, sie habe die Behauptung vertreten, in Deutschland habe es keine Widerstandsbewegung gegeben – sorgt dafür, dass ihr Name über die Grenzen Hessens hinaus bekannt wird. Die Kontroverse trägt dazu bei, dass sie zu zahlreichen Vorträgen und Veranstaltungen eingeladen wird. Auch ist das Interesse groß, die die erste Deutsche kennenzulernen, die an einem internationalen Frauentreffen nach dem Krieg teilnehmen durfte.

Gabriele Strecker unterstützt die Bemühungen der Frauenverbände in den drei westlichen Besatzungszonen und West-Berlins, sich zu einer Dachorganisation zusammenzuschließen. Dies geschieht am 7. Oktober 1949 mit der Gründung des Deutschen Frauenrings, dem sie von Beginn an angehört.

 

„So führte denn mein Weg geradlinig in die CDU“ – Engagement in der Politik

Im Herbst 1948 tritt Gabriele Strecker – nach einem einjährigen Intermezzo bei der von Dolf Sternberger gegründeten Deutschen Wählergesellschaft – in Frankfurt/Main der CDU bei. Die Programmatik der Partei hat sie überzeugt. Gerade die überkonfessionelle Idee der CDU begeistert sie, was sie in die Worte „Endlich kein katholisches Ghetto mehr wie im Zentrum“ fasst. In ihren Augen ist die CDU eine moderne Partei, deren verschiedene Strömungen vielen Meinungen Platz lässt. Wichtig ist ihr – neben der Betonung christlicher Werte – vor allem, dass Frauen die freie Wahl zwischen Familie, Beruf oder einer Verbindung aus beidem haben sollen, wie sie es in der CDU-Programmatik verwirklicht sieht. Wie sehr Programmatik und Alltag allerdings differieren, spiegelt sich in einem Aufsatz wider, den Strecker 1964, am Ende ihrer politischen Laufbahn, verfasst. Hier schreibt sie den aufschlussreichen Satz:

„Zwischen der wundervollen Programmatik und der Verwirklichung im Alltag der Politik führt kein bequemer Weg von dem, was ist, zu dem was sein sollte.“

In der CDU begibt sie sich sofort auf die „Ochsentour durch die Niederungen der Partei“, versucht Frauen für die Mitarbeit zu gewinnen und beginnt – zusammen mit anderen Mitstreiterinnen – mit dem Aufbau einer Frauen-Vereinigung in der hessischen CDU. Erstaunt ist sie darüber, wie mühsam es ist, Frauen für ein politisches Engagement oder gar für den Eintritt in die Partei zu gewinnen. Sie macht es sich zudem zur Aufgabe, jede weibliche Abgeordnete im ersten Deutschen Bundestag für den Rundfunk zu interviewen und ist angetan „von dem hohen Niveau dieser Frauen, von ihrer Sachlichkeit, ihrer Sachkenntnis“.

Immer wieder bemüht sie sich auch um die Unterstützung der einflussreichen männlichen Parteifunktionäre, die ihr, wenn auch „fein abgestuft“, gewährt wird. Auf dem ersten Bundesparteitag der CDU in Goslar 1950, wo sie auch Konrad Adenauer kennenlernt und einen Eindruck von seiner „überragenden Persönlichkeit“ gewinnt, wird die hessische Frauen-Vereinigung etabliert und Gabriele Strecker zur ersten Vorsitzenden gewählt – ein Amt, das sie bis 1960 ausübt. Auch hier setzt sie sich für die überkonfessionelle Zusammenarbeit ein, was sie in Widerspruch zu Helene Weber bringt, zu der sie nie ein gutes Verhältnis finden wird. Sie führt das darauf zurück, dass sie der älteren Frauengeneration einfach zu „modern“ und nicht „katholisch“ genug ist. Gabriele Strecker liegt die überparteiliche und konfessionell ungebundene frauenpolitische Arbeit immer am Herzen.

Auch in der 1955 gegründeten Europäischen Frauen-Union wird sie aktiv. Unterstützung für ihre intensive politische Arbeit erhält sie durch ihre Familie, die sich – mittlerweile gut situiert – eine Haushälterin leisten kann. Ihr Mann steht bis zu einem gewissen Grad hinter ihr, lehnt allerdings die ihr 1953 angetragene Bundestagskandidatur wegen der damit verbundenen häufigen Abwesenheiten ab. Trotz aller Entlastung führen ihr konzentriertes Engagement im politischen Raum und auf der Verbandsebene sowie die fortgesetzte berufliche Tätigkeit zu gesundheitlichen Problemen. Die von ihr eigentlich geplante Rückkehr in den erlernten Arztberuf realisiert sich nicht, da ihre Arbeit im Rundfunk und die Tätigkeit in diversen Frauenorganisationen sie fest im Griff haben.

Gabriele Streckers frauen- und parteipolitisches Engagement führt sie 1954 in den Hessischen Landtag. Hier legt sie den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Bildungs- und Hochschulpolitik, wobei ihr besonderes Augenmerk insbesondere der Aus- und Weiterbildung von Mädchen und Frauen gilt. 1958 kandidiert sie erneut und auch dieses Mal gelingt ihr der Einzug über die Landesliste ins Parlament.

 

Rückzug aus der Politik und Start einer dritten Karriere

Das Ehepaar Strecker beschließt, nach der Pensionierung von Josef Strecker im Jahr 1960, seinen Altersruhesitz nach Neggio im Schweizer Kanton Tessin zu verlegen. Josef Strecker soll 1960 umziehen und seine Frau ihm nach Ablauf der Legislaturperiode im Hessischen Landtag nachfolgen. Der plötzliche Tod des Ehemanns 1960 – im gleichen Jahr kurz nach Erwerb der Tessiner Immobilie – durchkreuzt diese Pläne. Gabriele Strecker setzt die Umzugspläne dennoch 1962 um, scheidet aus dem Landtag aus und lässt sich – gesundheitlich angeschlagen – vorzeitig beim Hessischen Rundfunk pensionieren. Einige politische Ämter behält sie weiterhin bei: Von 1960 bis 1966 ist sie Mitglied im CDU-Bundesvorstand und von 1962 bis 1970 Mitglied im Fernsehrat des ZDF.

Auf dem 13. Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf hält sie 1965 vor dem Plenum des Arbeitskreises IV „Probleme der Gesellschaft“ ein leidenschaftliches Plädoyer für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für eine freie Wahl der Frauen bei der Lebensgestaltung:

„Die Frau kann sich ausschließlich für den Beruf entscheiden, sie mag sich als ausschließliches Lebensziel die Ehe wählen, sie kann Beruf und Ehe zu vereinen suchen, und schließlich gibt es das Nacheinander von Ehe und Beruf, wie es sich am deutlichsten bei den berufstätigen Witwen und den Geschiedenen zeigt.“ (Protokoll des 13. Bundesparteitages 28.-31 März 1965 in Düsseldorf)

Sie ist schriftstellerisch tätig, publiziert eine Reihe von Büchern. Ihre Abhandlung „Der Weg der Frau in die Politik“ erscheint in immer neuen Auflagen. Zudem eröffnet sich eine dritte Karriere für sie. Im Auftrag des Goethe-Instituts übernimmt sie – fast 70 Jahre alt – Vortragsreisen, die sie nach Afrika, Asien und Südeuropa führen. Bis ins hohe Alter bleibt Gabriele Strecker geistig rege und liebt die intellektuelle Auseinandersetzung.

Nach kurzer Krankheit verstirbt Dr. Gabriele Strecker am 6. August 1983 in ihrer Heimatstadt Bad Homburg.

Der Frankfurter Soroptimist International Club verleiht zur Erinnerung an seine Gründerin alle zwei Jahre den 2002 zum 50. Geburtstag des Clubs gestifteten Dr. Gabriele Strecker-Preis.

Der schriftliche Nachlass von Gabriele Strecker liegt in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel.

Lebenslauf

  • 1925 Abitur an der Viktoriaschule in Frankfurt/Main
  • 1925–1927 Aufenthalt als Privatlehrerin in Ägypten
  • 1927–1931 Studium der Romanistik und Geschichte in Genf und Frankfurt/Main
  • 1930 Heirat
  • 1932 Aufnahme des Medizinstudiums an der Universität Frankfurt/Main
  • 1943 Promotion
  • ab 1946 Leiterin des Frauenfunks im Radio Frankfurt
  • 1949–1962 beim Hessischen Rundfunk
  • 1950–1960 Vorsitzende der CDU-Frauenvereinigung Hessen
  • 1952 Gründerin des Soroptimist International Club in Frankfurt/Main
  • 1954–1962 MdL Hessen
  • 1960–1966 Mitglied im CDU-Bundesvorstand
  • 1962–1970 Mitglied des ZDF-Fernsehrates.

 

Veröffentlichungen

  • Hundert Jahre Frauenbewegung in Deutschland. Wiesbaden 1951
  • Propaganda. Hrsg. vom Büro für Frauenfragen in der Gesellschaft zur Gestaltung öffentlichen Lebens. Wiesbaden 1952
  • Die Frau in den deutschen Parteiprogrammen. Historische Entwicklung und ihre Konsequenz. In: Frau und Politik 10 (September 1964) 9, S. 7–10
  • Der Weg der Frau in die Politik. Bonn 1965
  • Frau-sein heute. Weilheim 1965
  • Der Hessische Landtag. Beispiel des deutschen Nachkriegsparlamentarismus. Bad Homburg 1966
  • Frauenträume, Frauentränen. Über den deutschen Frauenroman. Weilheim 1969
  • Gesellschaftspolitische Frauenarbeit in Deutschland. 20 Jahre Deutscher Frauenring. Hg. vom Deutschen Frauenring. Opladen 1970
  • Überleben ist nicht genug. Frauen 1945–1950. Freiburg/Breisgau 1981

 

Literatur

  • Ingrid Langer (Hg.): Alibi-Frauen? Hessische Politikerinnen III im 2. und 3. Hessischen Landtag 1950–1958. Königstein 1996, S. 257–322
  • Marlene Lenz: „Erwachet ihr Frauen!“: Gabriele Strecker (1904–1983), in: Renate Hellwig (Hg.): Unterwegs zur Partnerschaft. Die Christdemokratinnen. Stuttgart 1984, S. 176–183
  • Tanja Roth: Gabriele Strecker. Leben und Werk einer frauenpolitischen Aktivistin in der Nachkriegszeit. Kassel 2016
  • Ulla Wischermann/Elke Schüller/Ute Gerhard (Hg.): Staatsbürgerinnen zwischen Partei und Bewegung. Frauenpolitik in Hessen 1945–1955. Frankfurt/Main 1993
  • Marianne Zepp: Redefining Germany. Reeducation, Staatsbürgerschaft und Frauenpolitik im US-amerikanisch besetzten Nachkriegsdeutschland. Göttingen 2007

 

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Denise Lindsay M.A.

Denise Lindsay M.A

Referentin Medienanalyse und -archiv

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