Geschlecht oder Gender? Worüber sprechen wir eigentlich
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“[1] Dieser Satz von Simone de Beauvoir aus einem der feministischen Grundlagentexte Das andere Geschlecht, der 1951 in deutscher Übersetzung erschien, verdeutlicht die Auffassung des Geschlechts als sozial konstruiert. „Frauen würden durch die kulturelle Auffassung ihrer Minderwertigkeit gegenüber Männern konstruiert“[2] und seien nicht von Geburt an und aufgrund körperlicher Eigenschaften dem Mann untergeordnet, sondern die anerzogene Rollenzuschreibung in einem patriarchalischen System degradierten sie zum zweiten beziehungsweise anderen Geschlecht. Damit wäre ihre Situation veränderbar und kein genuines Schicksal.[3] Entgegen allen Behauptungen stellt de Beauvoir nicht grundlegend eine geschlechtsbedingte Differenz infrage, sondern konstatiert diese nicht als „natur-, sondern [als] kulturbedingt“[4]. Damit nimmt sie gewissermaßen schon eine Einteilung in biologisches und soziales Geschlecht vor. Die neue oder „zweite“ Frauenbewegung wird maßgeblich von dem Werk Simone de Beauvoirs beeinflusst.[5] Die Deutung von Geschlecht als sozialem Konstrukt wird zum gemeinsamen Schlüssel des Feminismus. Das andere Geschlecht erscheint in Frankreich im Jahr 1949 als Reaktion auf eine traditionelle Gesellschaft, die von klassischen Rollenzuschreibungen von Männern und Frauen geprägt ist. Das Wahlrecht hatten Frauen dort seit 1944.[6] Das Buch ist zwar von Linken wie Konservativen vehement kritisiert worden, politische Strahlkraft entfaltete es allerdings zu dieser Zeit nicht. Seine generelle Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und an der Unterdrückung der Frau legte jedoch zwei Jahrzehnte später die Grundsteine von internationalen Frauenbewegungen, die sich seit Ende der 1960er-Jahre mobilisierten. Das Werk wird daher auch als „Bibel“ der Frauenbewegung oder des Feminismus[7] bezeichnet. Autorinnen, theoretische Wegbereiterinnen und Aktivistinnen[8] der neuen Frauenbewegung bezogen sich auf de Beauvoirs Werk. Alice Schwarzer war ebenfalls stark durch de Beauvoir beeinflusst und transportierte ihre Erkenntnisse mit ihrem Buch Der kleine Unterschied und seine Folgen (1975) oder der Zeitschrift Emma in die westdeutsche Debatte über die Gleichberechtigung der Geschlechter.
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Schließlich etablierte sich seit Anfang der 1980er-Jahre die Frauenforschung als Wissenschaftsfeld. Zentraler Anknüpfungspunkt ist auch hier die von de Beauvoir konstatierte soziale Konstruktion von Geschlecht. Mit der neuen Frauenbewegung und der entsprechenden Forschung entwickelten sich die unterschiedlichen feministischen Ansätze.[9] „Eine wichtige Konfliktlinie entstand entlang der Frage, ob man von einer prinzipiellen Gleichheit oder einer – durchaus patriarchatskritisch gewendeten – Differenz der Geschlechter ausgehen sollte“.[10] Schwarzer beispielsweise vertritt, anlehnend an de Beauvoir, den Gleichheitsfeminismus, der von einer Gleichheit von Männern und Frauen ausgeht.[11] „Der liberale wie auch der sozialistische Gleichheitsfeminismus berief sich auf die Gleichheit aller Menschen, die trotz des Geschlechtsunterschieds gelten sollte, und forderte gleiche Rechte in Staat, Gesellschaft und Familie“[12], so beispielsweise die Soziologin Ilse Lenz. Die Anhängerinnen des sozialistischen oder auch materialistischen Feminismus zielten auf eine Veränderung des kapitalistischen Systems ab, während die Verfechterinnen des liberalen Feminismus eine Durchsetzung gleicher Rechte in einer liberalen Gesellschaftsordnung einforderten. Der liberale Gleichheitsfeminismus war gesellschaftlich am meisten anerkannt.[13] Zudem kann er als vergleichsweise erfolgreich eingeordnet werden, denn die Fortschritte bei der Gleichberechtigung, vor allem in der Arbeitswelt, sind sein Verdienst.[14] Die Anhängerinnen des radikalen Feminismus strebten einen Systemumbruch an, da ihrer Auffassung nach im bestehenden System Männer als Unterdrücker und Frauen als Unterdrückte determiniert waren.[15]
Ungeachtet der Differenzen zwischen diesen Strömungen, galt die Kategorie der Frau und die Einforderung ihrer Rechte als zentraler Anknüpfungspunkt. Das Werk von Judith Butler, das in der deutschen Übersetzung als Unbehagen der Geschlechter 1991 erschienen ist, beeinflusste maßgeblich neue postmoderne feministische Strömungen, wie den Queerfeminismus.[16] Butler gilt als sehr einflussreiche Mitbegründerin der Queertheorie[17] und als „einflussreichste und zugleich radikalste Vertreterin der Gendertheorie“[18]. Ihr zufolge beziehe sich das soziale Geschlecht (gender) nicht auf das biologische Geschlecht (sex). Beide Kategorien, so die Philosophin, seien kulturell konstruiert. Eine naturbedingte Geschlechtscodierung existiert für Butler nicht, vielmehr werde diese diskursiv „durch die herrschenden kulturellen Machtmechanismen bestimmt“[19]. Damit seien auch Geschlechterdualismus und Heterosexualität[20] bloße Konstruktionen, die Butler zufolge durch Wiederholungen immer wieder bestätigt werden. Geschlechtsidentität kann aus ihrer Sicht deshalb ständig neu entstehen: „Denn wenn Identität und Gender performativ begründet werden, kann deren Festlegung auch durch Performanz verändert werden.“[21] Auch das biologische Geschlecht und damit Männer sowie Frauen seien für sie lediglich gesellschaftlich konstruiert. „Für Butler ist ‚Frau‘ keine menschliche Kategorie, sondern eine performative Inszenierung, die eine ‚gegenderte‘ Realität erzeugt.“[22] Geschlechtsidentität ist für sie also keine unumstößliche Kategorie. Michaela Karl ist der Ansicht, dass Butler die Inszenierung von Geschlechtsidentitäten und ein „critically-queer-Sein“[23] als Lösung für eine zeitnahe Überwindung der festgeschriebenen binären Geschlechterordnung und für eine Auflösung des Zusammenhangs zwischen den Kategorien soziales, biologisches Geschlecht sowie sexuelles Begehren betrachtet. „Gender-Trouble“ würde daraus resultieren.[24] In den Genderstudies, die sich aus der Frauen- und Geschlechterforschung zunehmend seit Ende der 1990er-Jahre an den deutschen Universitäten etabliert haben, gilt das Buch von Judith Butler als Standardwerk. Hier gilt nicht mehr allein die Frau als Untersuchungsgegenstand, sondern das Verhältnis der Geschlechter wird entsprechend des „intersektionalen Ansatzes“ mehrdimensional untersucht. Die Humboldt-Universität zu Berlin beispielsweise definiert dementsprechend: „Geschlecht wird in den Gender Studies als interdependent verstanden, weil es als Kategorie nur im Zusammenhang mit anderen Kategorien wie ‚race‘, Ethnizität, sozialer Positionierung, Sexualität, Religion, Befähigung oder Alter analysiert werden kann“[25] (Hervorhebung im Original). Der Queeraktivismus, der sich gegen eine binäre Geschlechtlichkeit und Heteronormativität wendet und die Interessen von LGBTQ-Personen[26] vertritt, greift ebenfalls auf den intersektionalen Ansatz zurück. Er versteht somit Diskriminierung jeweils als Überschneidung mehrerer Ebenen. Queerforschung und Queeraktivismus sind hierbei eng miteinander verwoben. Intersektionaler Queerfeminismus ist heute die dominante Strömung im Aktivismus, der sich als feministisch begreift. Dieser ist bestrebt, den liberalen Feminismus zu ersetzen. Butlers Deutung von Geschlecht als Grundlage des Queerfeminimus hat sich hier weitgehend durchgesetzt. „Die Mehrheit heutiger Feministinnen ist der Überzeugung, dass Frausein uneindeutig bleibt und sich nicht restlos definieren lässt, genauso wie Geschlecht generell“[27], analysiert Antje Schrupp. Damit wird die Frauenfrage und das ursprünglich dem Feminismus eigentümliche Subjekt generell zur Disposition gestellt.
Feminismus und aktuelle Herausforderungen
Feminismus wird heute von der politischen Linken in Anspruch genommen, der es oft nicht mehr ausdrücklich um die Verbesserung der Rechtslage von Frauen geht, sondern vielmehr um die Sichtbarmachung partikulärer Interessen von queeren Personen. Schwarzer kritisiert, dass es sogar um die Abschaffung der politischen Kategorie Frau gehe.[28] Sehr deutlich wird der Kampf um die Deutungshoheit im Feminismus und das Subjekt der Forderungen mit dem von der aktuellen Bundesregierung geplanten Selbstbestimmungsgesetz, das voraussetzungslos eine Änderung des Geschlechtseintrags ermöglichen soll. Schwarzer sieht in einer bedingungslosen geschlechtlichen Selbstbestimmung eine Bedrohung für frauenpolitische Errungenschaften. Beispielsweise könnten gewalttätige Männer Zutritt zu Schutzräumen für Frauen erlangen oder Quotenregelungen könnten ausgehebelt werden. Darüber hinaus warnt sie vor einer bestärkenden, also transaffirmativen Beeinflussung für einen Geschlechtswechsel auf Minderjährige. Schwarzer und diejenigen, die aus medizinischer, juristischer und aus klassisch-feministischer Perspektive Folgenabschätzungen eines voraussetzungslosen selbstbestimmten Geschlechtswechsels im Personenstand thematisieren, werden von aktivistischer oder identitätspolitischer Seite häufig als „transphob“, also Transgender-Personen gegenüber diskriminierend, diffamiert. Vor allem feministische Akteurinnen, die im Sinne eines liberalen Feminismus argumentieren, werden in diesem Zusammenhang als „TERF“[29] bezeichnet. Thematisierungen von Problemen, die in anderen Ländern mit der Einführung von Selbstbestimmungsgesetzen aufgetreten sind, wie etwa Vergewaltigungen in eigens für Frauen bestimmten Bereichen, werden als transfeindliche Einwände zurückgewiesen. Auch findet im Moment kein ergebnisoffener gesellschaftspolitischer Dialog statt, in dem die Gefahren, die aus einem solchen Gesetz für Minderjährige resultieren könnten, thematisiert werden. Laut dem Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz, der seit dem 23. August vorliegt, wird auch Minderjährigen ab 14 Jahren mit Zustimmung der Sorgeberechtigten die Möglichkeit geboten, sich „selbstbestimmt“ für eine Geschlechtsidentität zu entscheiden. Im Zweifel soll ein Familiengericht hinzugezogen werden. In den letzten Jahren ist die Anzahl von geschlechtsinkongruenten- und dysphorischen Minderjährigen immens gestiegen. Unklar bleibt, ob es sich dabei um ein Modephänomen handelt, das durch eine zunehmende mediale Berichterstattung verstärkt wird, oder, ob die mediale Aufmerksamkeit eher anspornend für die Betroffenen wirkt. Die Fachwelt konstatiert eine „soziale Ansteckung“ und spricht von einer „Rapid-Onset Gender Dysphoria“, also von einer schlagartig einsetzenden Geschlechtsdysphorie.[30] Optimierte Outing-Strukturen seien hingegen für Interessenverbände für diesen Anstieg verantwortlich. Als ursächlich für diesen Trend bei Minderjährigen sieht der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte eine zurückgehende Akzeptanz des traditionellen Geschlechterrollenmodells während der Pubertät:
"Die Gesellschaft darf nicht länger auf Zehenspitzen um die Tatsache herumschleichen, dass die Anzahl der sich gegengeschlechtlich identifizierenden Minderjährigen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist und dass es sich weit überwiegend (zu mehr als 80 Prozent) um biologische Mädchen handelt, die meist im Rahmen einer pubertären Krise zu der oft irrigen Annahme gelangen, ,im falschen Geschlecht‘ zu sein – vermutlich weil sie im besonderen Maße unter den Erwartungszwängen eines rigiden Geschlechterrollenmodells leiden und/oder angesichts des herrschenden Schönheit- und Schlankheitsideals größere Schwierigkeiten in der Akzeptanz ihres sich pubertätsbedingt verändernden Körpers haben."[31]
Häufig seien es vor allem Jungen, denen eine Transidentität vom sozialen Umfeld suggeriert würde, da ihr Verhalten als nicht typisch für das männliche Geschlecht aufgenommen wird: „Einem Jungen, der sich nicht geschlechtsrollenkonform verhält, wird suggeriert, er sei ,im falschen Körper‘ und eigentlich ein Mädchen. Ein solches Vorgehen nimmt den Betroffenen die Möglichkeit, den eigenen Geschlechtskörper zu akzeptieren, als Teil der eigenen Identität wertzuschätzen und gegebenenfalls die entscheidenden Erfahrungen für eine homosexuelle Identitätsfindung zu machen“[32], beschreibt Korte. Für Korte ist die Pubertät eine notwendige Phase, um eine Geschlechtsidentität und eine sexuelle Orientierung zu entwickeln. Er lehnt voreilige hormonelle Behandlungen ab, da sie diese Phase stoppen und kritisiert, dass Transitionserfahrungen lediglich positiv dargestellt werden, obwohl sie nur in seltenen Fällen von den Betroffenen als zufriedenstellend empfunden werden.[33] Der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck kritisiert in diesem Zusammenhang die Transbewegung als Interessenvertreterin transidenter Personen. Seiner Meinung nach stellt diese Transitionen lediglich positiv dar und wirkt damit transaffirmativ auf Kinder und Jugendliche ein. Minderjährige würden durch diese einseitige Darstellung von Geschlechtswechseln und geschlechtsangleichenden Operationen schon für spätere eigene Transitionsentscheidungen motiviert.[34] Dabei seien allerdings laut der Psychologin und Fachjournalistin Marion Sonnenmoser nur sehr wenige von den geschlechtsinkongruenten Minderjährigen de facto transsexuell, die meisten von ihnen würden sich nach der Pubertät wieder mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren: „Nur bei etwa zwei bis 20 Prozent bleibt das transidente Empfinden auch in der Adoleszenz weiter bestehen, bei der Mehrzahl verliert es sich hingegen mit zunehmendem Alter.“[35] Die Sozialwissenschaftlerin Marion Felder resümiert: „Ich bin überzeugt, dass die Frage, ob ein Jugendlicher wirklich einen transsexuellen Weg einschlägt, in den allermeisten Fällen erst beantwortet werden kann, wenn dieser zumindest die Pubertät durchlaufen hat. Denn da verändert sich noch einmal sehr viel.“[36] Für Jugendliche ist die Pubertät also essenziell für die Einwicklung einer eigenen Geschlechtsidentität, vorher lässt sich zweifelsfrei gar keine Transgeschlechtlichkeit identifizieren.
Vor dem Genderchaos
In Deutschland stehen sich in der politischen Debatte zwei grundlegend gegensätzliche Deutungen von Geschlecht gegenüber: Auf der einen Seite eine queerfeministische Betrachtung, die Geschlecht als bloße soziale Konstruktion versteht, unabhängig vom biologischen Geschlecht; und auf der anderen Seite eine rein biologische Deutung. Die linke Politik wirbt für das Konzept einer ausschließlich selbstbestimmten Geschlechtsidentität, wobei die populistische Rechte als prinzipieller Gendergegner die biologische Zweigeschlechtlichkeit als Kern einer naturgegebenen Ordnung von Mann und Frau instrumentalisiert. Dabei spricht sie Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung[37] und transidenten Personen eine eigenverantwortliche Identitätsfindung ab und inszeniert sich als Hüter einer traditionellen Geschlechterordnung. Beide Strömungen versuchen durch ihre Politiken öffentliche Sprachregelungen zu beeinflussen, um ihre Konzeption von Geschlecht zu repräsentieren. Während linke Politik Genderzeichen wie Genderstern oder Gendergap für die Sichtbarmachung verschiedener Geschlechtsidentitäten in der öffentlichen Kommunikation durchsetzen möchte, lehnt die populistische Rechte diese Sonderzeichen als „Gendergaga“ vehement ab.
Seit einer Änderung des Personenstandsrechts im Jahr 2018, können Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die weder dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung den Personenstandseintrag „divers“ wählen oder sich zwischen den Eintragungen männlich oder weiblich entscheiden. Daneben besteht für sie die Möglichkeit der Beantragung von Vornamensänderungen sowie die Offenhaltung der Geschlechtsangabe. Transidente Personen haben im Moment lediglich die Möglichkeit, nach dem Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1981 ihre Vornamen und Personenstandseintragungen zu ändern. Nach den Regelungen dieses Gesetzes müssen zwei Gutachten bestätigen, dass eine Person dauerhaft eine andere Geschlechtsidentität annehmen möchte. Das Selbstbestimmungsgesetz soll nun Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung und transidente Personen rechtlich gleichstellen. Die Absicht der Gleichstellung von transidenten, inter- und cisgeschlechtlichen[38] Personen ist eine verfassungsgemäße Pflicht, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 2017 feststellt: „Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt nicht nur Männer vor Diskriminierungen wegen ihres männlichen Geschlechts und Frauen vor Diskriminierungen wegen ihres weiblichen Geschlechts, sondern schützt auch Menschen, die sich diesen beiden Kategorien in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zuordnen, vor Diskriminierungen wegen dieses weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts“.[39] Allerdings wird mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz und der damit verbundenen voraussetzungslosen personenstandsrechtlichen Zuordnung des Geschlechts weitere Diskriminierung insbesondere von Frauen, Minderjährigen, transidenten sowie intersexuellen Personen ermöglicht und ein Szenario eines wie von Butler beschriebenen „Gender-Troubles“ sehr wahrscheinlich. Denn eine voraussetzungslose selbstbestimmte Geschlechtsidentität, die von keiner staatlichen Instanz verifiziert wird, kann eine Bedrohung für Frauenrechte darstellen und konterkariert gerade eine geschlechtliche Selbstbestimmung von Minderjährigen, da ihnen schon mit 14 Jahren, und damit vor der für die Geschlechtsidentität notwendigen Phase der Pubertät suggeriert wird, sie könnten sich frei für eine Geschlechtsidentität entscheiden. Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht erneute Diskriminierung von Personen, die intersexuell oder transident sind und Zugang zu geschlechtsspezifischen Angeboten suchen,[40] denn im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsgesetz heißt es: „Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt.“[41] Die aktuelle Bundesregierung hat sich bisher nicht mit diesen neuen Diskriminierungsszenarien hinreichend befasst. Sie gibt bisher keine diesbezüglichen Antworten und wird damit selbst zum identitätspolitischen queerfeministischen Akteur.
Die Christdemokratie sollte entsprechend ihres Menschenbildes einen Beitrag zur Gleichberechtigung von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, transidenten und cisgeschlechtlichen Personen leisten. Minderjährige müssen entsprechend ihrer Bedürfnisse besonders vor irreversiblen Entscheidungen geschützt werden, damit sie eine eigenverantwortliche Geschlechtsidentität entwickeln können. Zudem sollte die Christdemokratie dafür Sorge tragen, dass Missbrauch besonders von frauenpolitischen Errungenschaften im Zuge von voraussetzungslosen Änderungen des Personenstandseintrags vorgebeugt wird. Die personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts sollte demnach weiterhin an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden, zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Ausbildung einer selbstbestimmten Geschlechtsidentität.
Quellen und Nachweise
[1] Simone de Beauvoir (1951): Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt, Hamburg, S. 265.
[2] Helen Pluckrose/James Lindsay: Zynische Theorien (2022): Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt. C.H. Beck, München, S. 161.
[3] Vgl. Imke Schmincke (2019): Wie „Das andere Geschlecht“ zu einer „Bibel“ des Feminismus wurde. In: ApuZ. „Das andere Geschlecht“, 69. Jahrgang, 51/2019, 16. Dezember 2019, S. 24-29, hier S. 27.
[4] Simone de Beauvoir zitiert nach Imke Schmincke: Wie „Das andere Geschlecht“ zu einer „Bibel“ des Feminismus wurde. In: ApuZ. „Das andere Geschlecht“, 69. Jahrgang, 51/2019, 16. Dezember 2019, S. 24-29, hier S. 25.
[5] Die erste Welle der Frauenbewegung war maßgeblich von der Französischen Revolution geprägt und durch die Forderung für gleiche Rechte von Frauen und Männer von Olympe de Gouges in Frankreich initiiert.
[6] In Deutschland besitzen Frauen seit 1918 das aktive sowie passive Wahlrecht.
[7] Vgl. Imke Schmincke: Wie „Das andere Geschlecht“ zu einer „Bibel“ des Feminismus wurde. In: ApuZ. „Das andere Geschlecht“, 69. Jahrgang, 51/2019, 16. Dezember 2019, S. 24-29, hier S. 24.
[8] Zu dieser Zeit waren vornehmlich Frauen in Frauenbewegungen mobilisiert und auch die Frauenforschung war durch Frauen besetzt.
[9] Vgl. Imke Schmincke: Wie „Das andere Geschlecht“ zu einer „Bibel“ des Feminismus wurde. In: ApuZ. „Das andere Geschlecht“, 69. Jahrgang, 51/2019, 16. Dezember 2019, S. 24-29, hier S. 29.
[10] Imke Schmincke (2019): Wie „Das andere Geschlecht“ zu einer „Bibel“ des Feminismus wurde. In: ApuZ. „Das andere Geschlecht“, 69. Jahrgang, 51/2019, 16. Dezember 2019, S. 24-29, hier S. 29.
[11] Vgl. ebd.
[12] Ilse Lenz (2022): Das Konzert der Ismen. In: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 23. Jahrgang, 6/ 2022, S. 22-24, hier S. 22f.
[13] Vgl. Helen Pluckrose/James Lindsay (2022): Zynische Theorien: Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt. C.H. Beck, München, S. 158.
[14] Vgl. ebd.
[15] Vgl. ebd.
[16] Queer bedeutet „schräg“ oder „seltsam“ und ist ursprünglich für die Diffamierung von Homosexuellen verwendet worden. Heute ist es die Sammelbezeichnung für Personen, die eine binäre Geschlechternorm sowie Heterosexualität als Norm ablehnen und wird auch synonym für die LGBTQ-Bewegung verwendet. Dabei bezieht das Akronym folgende sexuelle und geschlechtliche Identitätszuschreibungen ein: Lesbian (lesbisch), Gay (schwul), Bisexuell, Transgender und Queer. Queer ist allerdings kein festgelegter Begriff, sondern kann im Sinne Butlers immer wieder neu definiert und von verschiedenen Gruppen verwendet werden.
[17] Vgl. ebd. 114.
[18] Vgl. Michaela Karl (2011): Die Geschichte der Frauenbewegung, Reclam, Stuttgart, S. 239.
[19] ebd.
[20] Geschlechterdualismus und Heterosexualität werden als zusammenhängende gesellschaftlich konstruierte Norm in der Queertheorie verstanden.
[21] Vgl. Michaela Karl (2011): Die Geschichte der Frauenbewegung, Reclam, Stuttgart, S. 240.
[22] Vgl. Helen Pluckrose/James Lindsay (2022): Zynische Theorien: Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt - und warum das niemandem nützt. C.H. Beck, München, S. 57.
[23] Vgl. Michaela Karl (2011): Die Geschichte der Frauenbewegung, Reclam, Stuttgart, S. 240.
[24] Vgl. Michaela Karl (2011): Die Geschichte der Frauenbewegung, Reclam, Stuttgart, S. 240.
[25] Humboldt-Universität zu Berlin: Geschlechterstudien / Gender Studies. https://www.hu-berlin.de/de/studium/beratung/angebot/sgb/gender (zuletzt aufgerufen: 12.07.2023).
[26] Siehe FN 16.
[27] Antje Schrupp (2022): Maximale Freiheit. In: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 23. Jahrgang, 6/ 2022, S. 32-34, hier S. 34.
[28] Zitiert nach Jan Feddersen/Philipp Gessler (2021): Kampf der Identitäten. Ch. Links Verlag, Berlin, S. 146.
[29] TERF: trans*exclusionary radical feminist – trans*ausschließende, radikale Feministin.
[30] Vgl. Ben Krischke (2022), „Kulturkampf ums Geschlecht“. In: Cicero, 08/2022, S. 16-25, hier S. 20 ff.
[31] Alexander Korte (2022), „Kehren wir zurück zu einem Dialog – dem Kindeswohl und der Wissenschaft zuliebe“, In: Die Welt, 22.06.2022. https://www.welt.de/debatte/kommentare/article239506163/Transgender-Debatte-Kehren-wir-zurueck-zu-einem-Dialog.html (zuletzt aufgerufen: 12.07.2023).
[32] Ebd.
[33] Alexander Korte im Interview mit Jan Feddersen/Kaija Kutter: „Jugendpsychiater über Transidentität“. In: taz, 02.05.22. https://taz.de/Jugendpsychiater-ueber-Transidentitaet/!5845336/ (zuletzt aufgerufen: 12.07.2023).
[34] Bernd Ahrbeck zitiert nach Ben Krischke (2022), „Kulturkampf ums Geschlecht“. In: Cicero, 08/2022, S. 16-25, hier S. 22 f.
[35] Marion Sonnenmoser (2020), „Transidentität bei Kindern und Jugendlichen: Im falschen Körper geboren“. In: Deutsches Ärzteblatt, 9/2020, S. 403-405, hier S. 403.
[36] Marion Felder zitiert nach Ben Krischke (2022), „Kulturkampf ums Geschlecht“. In: Cicero, 08/2022, S. 16-25, hier S. 22.
[37] Personen, die aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können.
[38] Personen, die sich mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.
[39] Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html (zuletzt aufgerufen: 24.08.2023).
[40] Vgl. Judith Froese (2023), „Selbstbestimmung als Fremdbestimmung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.06.2023, Nr. 148, S. 7.
[41] Bundesregierung: Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 23.08.2023. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/229616/b4f835d1a1da28f1ef51552846f1e20a/gesetzentwurf-kabinett-data.pdf (zuletzt aufgerufen: 24.08.2023).