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Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella hat in seiner Ansprache nach einer zweimonatigen Hängepartie und der erfolglosen Suche nach einer Regierungsmehrheit einen ernsten und kritischen Ton angeschlagen. Er hat darauf hingewiesen, dass politische Entscheidungen zum Teil einer persönlichen Logik folgten, die vor dem nationalen Interesse stünden.
Diese Erkenntnis erscheint wie eine Ohrfeige für die politischen Kräfte im Land. Den Vorschlag einer neutralen Übergangsregierung haben die Gewinner der Wahl, die Fünf-Sterne-Bewegung und aus dem Mitte-Rechts-Bündnis Lega und Fratelli d’Italia umgehend ausgeschlossen: „Entweder eine Mitte-Rechts-Regierung oder Wahlen sobald wie möglich. Technokraten-Regierungen alla Monti gibt es nicht“, so Matteo Salvini (La Stampa, 8. Mai 2018, S. 2). „Es heißt neutrale Regierung? Es ist immer eine Technokraten-Regierung. Neuwahlen ist der einzige Weg“, so Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung (La Stampa, 8. Mai 2018, S. 2).
Movimento 5 Stelle (M5S) und Lega stellen die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament und haben demnach die Möglichkeit, den Vorschlag von Sergio Mattarella ins Leere laufen zu lassen. Anstatt respektvoll diesen Lösungsweg zumindest zu prüfen und zu diskutieren, haben sich beide politischen Kräfte für einen „unrealistischen“, d.h. nicht durchführbaren Wahltermin Anfang Juli ausgesprochen. Als einzige politische Kraft signalisierte die ehemalige Regierungspartei PD umgehend ihre Bereitschaft, den Vorschlag des Staatspräsidenten zu unterstützen.
Wahlen im Sommer oder Herbst?
Aufgrund der Verfassung sind nach Aussagen des Quirinals Neuwahlen frühestens am 22. Juli möglich. Dieser Termin wäre aufgrund der üblichen Sommer- und Ferienzeit ungünstig. Die Wahlbeteiligung ist in Italien traditionell sehr hoch – bei der Wahl am 4. März lag sie bei rund 73 Prozent. Mattarella will die demokratische Beteiligung nicht durch die Wahl des Datums gefährden. Außerdem hätten neue politische Kräfte nicht die nötige Zeit, um sich aufstellen zu lassen.
Auch der Herbst scheint kein guter Termin für Wahlen zu sein. Der Haushalt muss verabschiedet werden. Bislang fehlen 12,5 Milliarden Euro für den Haushalt 2019 und 19,1 Milliarden für 2020. Ansonsten könnte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer drohen, um entsprechende Ausfälle im Haushalt zu kompensieren.
Des Weiteren befürchtet man eine verspätete Reaktion der Börse: Nach den Wahlen am 4. März reagierten die Märkte kaum. Am Dienstagmorgen hingegen hat die Börse mit minus zwei Prozent die ersten negativen Signale gesendet.
Wahlgesetz muss geändert werden
Dass keine Regierung in Rom gebildet werden kann, liegt auch an dem neuen Wahlgesetz, dass es von vorneherein schwierig machte, für eine politische Kraft oder ein Bündnis eine Mehrheit zu erreichen. Außerdem hatte man nicht damit gerechnet, dass die moderaten Kräfte im Land ein solch schlechtes Ergebnis einfahren würden. Ohne eine Änderung des Wahlgesetzes würde sich an dem Wahlergebnis voraussichtlich auch bei Neuwahlen wenig ändern: Den neuesten Umfrageergebnissen zu folge würden die traditionellen Parteien wie Forza Italia weiter an Boden verlieren (-4,6 Prozent); die ehemalige Regierungspartei PD bliebe ungefähr gleich auf, ebenso wie die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Nur die Lega könnte mit einem beträchtlichen Zugewinn von 17,4 Prozent auf 24,4 Prozent rechnen (Quelle: http://tg.la7.it/listing/sondaggi. Stand 8. Mai 2018).
Regionalwahlen geben Lega Rückenwind
Großen Wählerzuspruch für die Lega hatte vor wenigen Wochen auch die Wahl in Friaul-Julisch Venetien gezeigt. Dort wurde der Kandidat des Mitte-Rechtslagers, Massimiliano Fedriga, mit 57 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten der nordöstlichsten Region Italiens gewählt. Fedrigas kommt aus der Lega – seine Partei hatte mit 35 Prozent zu diesem Ergebnis beigetragen. Forza Italia unter der Führung von Silvio Berlusconis konnte dagegen nur 12 Prozent beisteuern, Fratelli d’Italia (FdI) 5,5 Prozent. Fedriga überholte außerdem ganz klar den Kandidaten der Fünf-Sterne-Bewegung, der sich mit 12 Prozent zufrieden geben musste.
Auch bei der Regionalwahl im süditalienischen Molise konnte sich das Mitte-Rechts-Lager behaupten. Donato Toma wurde mit 43 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten der Region gewählt.
Allerdings hat sich das Kräfteverhältnis im Mitte-Rechts-Lager nach den Parlamentswahlen am 4. März 2018 klar verändert: Matteo Salvini führt Mitte-Rechts: Forza Italia spielt nur noch die zweite Geige.
Ablehnung der Expertenregierung
Insbesondere die populistischen Kräfte im Land (M5S und Lega) haben bereits im Wahlkampf immer wieder gegen eine Expertenregierung gewettert und sich dementsprechend kritisch gegen die letzte Technokraten-Regierung unter der Führung des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti gestellt.
Auch in der Bevölkerung hat eine Technokraten-Regierung in der Vergangenheit keinen großen Zuspruch genossen. Daher sieht Sergio Mattarella diese Lösung vor allem als Übergangsregierung. Sobald die politischen Kräfte in der Lage seien, eine Regierung zu bilden, trete die „neutrale Regierung“ umgehend zurück, so Mattarella. Spätestens geschehe dies Ende Dezember, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Außerdem dürften die Mitglieder der Übergangsregierung im Wahlkampf nicht mehr antreten.
Derzeit spekulieren die Medien über mögliche Kandidaten, die Sergio Mattarella für eine solche Aufgabe im Blick haben könnte. Es handelt sich ausschließlich um hoch gebildete Intellektuelle, Professoren, Rektoren wichtiger Universitäten oder aber Verfassungsrichter. Auffallend viele Frauen werden genannt – etwa die derzeitige Generalsekretärin des Außenministeriums, Elisabetta Belloni, die an der London Business School tätige Ökonomin Lucrezia Reichlin oder aber Marta Cartabia, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts. Unter den männlichen Kandidaten wir unter anderem der ehemalige Europaminister Enzo Moavero Milanesi genannt.
Diese Namen stehen für eine politische Kultur, die durch das jetzige Wahlergebnis und den Sieg der populistischen Kräfte im Land in keinster Weise widergespiegelt wird.
Fazit
Der Vorschlag Sergio Mattarellas, die wichtigen Entscheidungen in den kommenden Monaten – sei es auf europäischer Ebene die Frage der Reform der Flüchtlings-, Finanz- sowie Währungspolitik oder aber die Verabschiedung des italienischen Haushaltes - mit einer Übergangsregierung zu lösen, erscheint als erstrebenswert. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Lösung politisch durchsetzbar sein wird.
Italien ist durch die Regierungsbildung viel mit sich selbst beschäftigt. Das Land befindet sich im Limbus – im Moment ist nicht abzusehen, wie es weitergeht. Das bedeutet nicht, dass in den kommenden Wochen Chaos ausbrechen wird. Allerdings braucht das Land schnell eine stabile Situation, um die zahlreichen Reformen anzugehen, die dringend notwendig sind.
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