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Was uns prägt - was uns eint
Im Rahmen der Tagung „Würde und Willkür: Theologische und philosophische Voraussetzungen des Grundgesetzes“ in Kooperation mit dem Bonhoeffer-Haus e.V. und der Evangelischen St.-Georgs-Bruderschaft (St.GO) fand die zweite Veranstaltung der Reihe „Was uns prägt – Was uns eint. Das Grundgesetz als Basis unserer Demokratie & Werteordnung“ statt.
Nach der Begrüßung durch Ulrich Schacht und Daniel Braun begann Prof. Heinrich Oberreuter seine Ausführungen mit einer grundlegenden Diskussion.
Was ist Verfassung?
Egal ob es eine geschriebene Verfassung gibt oder, wie in England, nicht, entscheidend ist ob die Verfassung Geltungskraft besitzt. Sie ist nach Aristoteles eine Symbiose aus dem Bürger selbst und der Polis und soll ein wohlgeordnetes Leben ermöglichen. Die beiden Grundsätze Funktionalität und Normativität stehen im Mittelpunkt. Eine Verfassung interagiert mit der gewählten Staatsform: die Vorteile sollen verstärkt, die Nachteile abgemildert werden. Dabei ging es sehr früh bereits um die Etablierung einer Gewaltenteilung, keiner Gewaltentrennung, sowie die Festlegung von Bürgerrechten, zumindest für jene Menschen die als Bürger galten. Eine Verfassung regelt auch das System der Repräsentation und ermöglicht so die Herrschaft durch Inhaber wählbarer Ämter, anstelle von Gesamtversammlungen. Gleichzeitig regelt sie aber auch die Begrenzung und Kontrolle von Macht.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Verfassung
Wichtig für die Geltungskraft einer Verfassung ist die Stabilität. Dabei ist nicht nur die rechtliche, sondern auch die gesellschaftliche und soziale Stabilität gemeint. Der Anker ist die gesellschaftliche Mitte, welche Gegensätze z.B. zwischen Arm und Reich ausgleicht. Eine Verfassung ist immer eine Verfassung der Mitte. Diese Fundamente aus Rom und Griechenland wurden durch die Vorherrschaft des Christentums übernommen aber verändert. Für Thomas von Aquin war die Beteiligung der Bürger an der Wahl des Monarchen wünschenswert. König ist nur, wer das Volk um des Gemeinwohls willen lenkt. Das Christentum verfolgt eine klare Zweiweltenlehre und legte mit der Unterscheidung von kirchlicher und staatlicher Gewalt die Grundlage für die Gewaltenteilung und damit den modernen Staat. Diese Teilung ist die Entgöttlichung des Gemeinwesens. Der größte Bruch zwischen Moderne und Antike ist die Einführungen von Individualrechten für Alle. Die Kirche hatte dabei lange Probleme mit dem Konzept der Menschenwürde, denn sie hatte den radikalen Demokratieentwurf der Jakobiner vor Augen. Letztendlich leben ein freiheitlicher Staat und eine freiheitliche Verfassung von Voraussetzungen die sie selber nicht garantieren können.
Der Deutsche Weg zur Etablierung einer modernen Verfassung
Prof. Oberreuters zweiter Punkt war der deutsche Sonderweg bei der Etablierung der modernen Verfassung. Die verfassungsrechtliche Kontrolle begründet über die Rückbindung an eine höhere Instanz, Natur oder Gott, die Rechte des Einzelnen. Wichtig ist dabei zu bemerken, dass die Verfassung die Grundrechte nicht schafft, sondern die ohnehin bestehenden Rechte garantiert. Damit limitiert diese höhere Macht auch den Gestaltungsspielraum des demokratischen Souveräns: das Volk darf nicht alles. In vielen Verfassungen, z.B. in Deutschland oder den USA, gibt es Artikel im Bereich der Grundrechte die nicht geändert werden dürfen.
Der deutsche Weg zur demokratischen Beteiligung war sehr lang. Im Gegensatz zu anderen konstitutionellen Monarchien wurde in Deutschland die Parlamentsbeteiligung von oben verordnet. Der Monarch blieb Souverän und behielt Macht und Gewalt. Er integrierte lediglich Teile des Volkes die ihm nützlich und opportun erschienen in die Verwaltung, ohne die Macht wirklich mit ihm zu Teilen. Die Macht des Monarchen endet erst mit der von außen aufgezwungenen Demokratisierung 1918. Die Republik von Weimar war der erste deutsche Versuch, den Staat einer Verfassung zu unterwerfen. Damit wird die Verfassung von einer Machtfrage zu einer Rechtsfrage. Recht, das ist eine verlässliche und für alle geltende Ordnung. Prof. Oberreuter wendet sich damit klar gegen ein überkonstitutionelles Staatsnotrecht. Wenn man sich als Amtsinhaber, aus welchen Gründen auch immer, über geltendes Recht hinweg setzt, dann muss man sich danach vor einem Gericht verantworten. Man ist durch die höhere Macht hinter der Verfassung gebunden und kann sich nicht gegen die Verfassung auf moralische Prinzipien berufen. Wie sich zeigen sollte, galt jedoch die Macht der Verfassung in Weimar nicht. Beide Kriterien waren nicht erfüllt. Es kam nicht zur Etablierung einer funktionierenden Staatsgewalt und es gab auch keine allgemein geteilten und wirksamen Grundsätze.
Die Wertegebundenheit der deutschen Verfassung
In seinem dritten Punkt beschrieb Prof. Oberreuter die Wende hin zur wertgebundenen Ordnung. Die Ordnung wird nun nicht mehr von der Gemeinschaft sondern von den Rechten des Einzelnen hergeleitet. Die Grundrechte haben damit unmittelbare Wirkung. Dies steht im Gegensatz zum Wertrelativismus von Weimar, wo die Grundrechte eher ein Anhang zur Verfassung waren und nicht ein Kernelement. Die Grundrechte sind somit vorstaatlich und können mithin nicht entzogen werden. Sie gehen dem Staat voraus und werden von diesem nicht geschaffen sondern lediglich anerkannt. Diese Rechte können verschiedentlich begründet werden: aus dem Christentum heraus, aus dem Naturrecht oder auf rationalem Wege. Interessant ist für Prof. Oberreuter, dass die verfassungsgebende Versammlung hier eine Einigung erzielen konnte. Dies kann man am ehesten vor dem Hintergrund der Entgleisungen der NS-Zeit verstehen. Es sollte klargestellt werden: wenn es sich um von Natur aus oder von Gott gegebene Rechte jedes einzelnen handelt, kann die Geltung nicht von Herkunft und Rasse abhängen. Die verfassungsrechtliche Kontrolle ist sinnstiftend und auch ein gewähltes Parlament kann sich darüber nicht hinwegsetzen.
Die Aktualität und die Schwierigkeiten einer wertegebundenen Verfassung
Im vierten und letzten Punkt seines Vortrags stellte Prof. Oberreuter die Aktualität der wertgebundenen Ordnung in den Mittelpunkt. In Europa erkennt er die Tendenz die Verfassungsordnung machtpolitisch in Frage zu stellen, sie somit wieder zu einer Machtfrage zu machen. Damit würde das Naturrecht seine strukturierende Ordnung verlieren. In unseren Gesellschaften ist das Wertebewusstsein verlorengegangen. Der Staat proklamiert, es nicht zurückholen zu können und gibt die Verantwortung an andere gesellschaftliche Instanzen ab. Doch machen sich die Amtsträger die Sache damit zu einfach. Sie sollten selbst auf dem Weg zurück zum Wertbewusstsein vorangehen. Es muss klar bleiben, dass keine Würdeabwägung möglich ist (z.B. beim Thema Flugsicherheitsgesetz). Die Partnerschaft zwischen religiösen und ethischen Fundierungen des Wertesystems ist ein wichtiges Gut. Die Rolle der Religion für die Verfassung wird dabei in Europa sehr unterschiedlich gehandhabt. Manche Verfassungen haben einen Gottesbezug, andere sogar eine direkte Fundierung auf Gott. Eine orientierungsoffene Fundierung findet sich in der Präambel der polnischen Verfassung.
Abschlussdiskussion
Im Anschluss an den Vortrag gab es Gelegenheit zur Diskussion. Eine Frage knüpfte direkt an die Ausführungen zum Gottesbezug in der Verfassung an. Die offene Begründung, also ohne Bezug zu Gott, ist ein Konsens der brüchig sein kann, vor allem wenn es um schwierige Frage geht. Dazu gehören Themen wie Genmanipulation und Lebensschutz. Manche Staaten in Europa haben das Töten sehr erleichtert, wie steht es dort mit dem Menschenwürdevorbehalt. Es gäbe eine Gleichsetzung von Menschenwürde und Selbstbestimmung. In diesem Zusammenhang sprechen die Teilnehmer Conchita Wurst und die Neuinterpretation des Artikels 1 durch Herdegen an. Prof. Oberreuter ist der Ansicht, dass Freiheit schützenswert ist, sie sollte jedoch nicht normativ Überhöht werden: dies führt zu einer Umkehr der Menschenwürde. Bei der freien Entfaltung der Person ist zu fragen, welche Egoismen noch legitim sind. Zur Erinnerung: die Verfassung ist immer eine Verfassung der Mitte. In einer weiteren Nachfrage geht es um den Generationenvertrag. Prof. Oberreuter sieht hier kein Verfassungsproblem, sondern nur ein politisches. Wichtige Wählergruppen werden geschont. Auf eine Rückfrage zum richtigen Verhalten im Szenario des Luftsicherheitsgesetztes antwortet Prof. Oberreuter damit, dass er das Flugzeug abschießen (lassen) würde, im vollen Bewusstsein des Rechtsbruches, aber sich hinterher der Verurteilung durch das Gericht stellen würde. Ein Verweis auf moralische Überlegungen soll davor nicht bewahren denn die Verfassungsinterpretation darf keine Abwägung zulassen, sonst wären die Tore zu weit geöffnet.
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Politisches Bildungsforum Thüringen
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