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Dan Nevill / flickr / CC BY-ND 2.0

Country reports

Die rumänische Ratspräsidentschaft der EU

by Dr. Martin Sieg

Im Zeichen des Konflikts um den Rechtsstaat

Am 1. Januar 2019 hat Rumänien für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Belastet wird sie jedoch durch Konflikte um den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz. Dabei handelt es sich zugleich um einen Institutionengegensatz zwischen dem Staatspräsidenten, der das Land im Europäischen Rat vertritt, und der Regierung aus der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE), die Rumänien im Ministerrat vertritt.

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Protagonisten dieses Gegensatzes sind Präsident Klaus Werner Iohannis, der die Regierung noch im November als „gänzlich unvorbereitet“ auf den EU-Vorsitz kritisiert hatte, und der als mächtigster Politiker in Rumänien geltende Vorsitzende der PSD und Präsident der Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea, der Iohannis daraufhin des Verrats beschuldigte. Diese Auseinandersetzungen haben sich auch zu einem Konflikt zwischen der rumänischen Regierung und den europäischen Institutionen ausgeweitet, sodass der rumänische Vorsitz unter dem Zeichen eines Wertekonfliktes mit der EU beginnt. Die Kommission und das Europaparlament haben die rumänische Regierung wiederholt kritisiert, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken, und die Rücknahme entsprechender Maßnahmen gefordert. Zuletzt hatte Kommissionspräsident Juncker die Eignung der rumänischen Regierung für den Ratsvorsitz angezweifelt. Sie habe „noch nicht in vollem Umfang begriffen“, was der Vorsitz in der EU bedeute. Dafür bräuchte es „auch die Bereitschaft, anderen zuzuhören, und den festen Willen, eigene Anliegen hintenan zu stellen“. Erwartungen, dass Rücksichtnahme auf die Ratspräsidentschaft zu einer Deeskalation führen werde, scheinen sich aber nicht bestätigen. Die Regierung beharrt darauf, die EU würde von Fehlinformationen geleitet. Vertreter der Koalitionsparteien werfen ihr vor, Rumänien als zweitklassiges Land zu behandeln. Weitere kontroverse Maßnahmen wurden bereits angekündigt. Welche Folgen wird das für die rumänische Ratspräsidentschaft haben?

Vorbereitung auf die Ratspräsidentschaft

Organisatorisch dürfte Rumänien die Aufgaben einer Ratspräsidentschaft ordentlich erfüllen. Noch im November wurde mit Georghe Ciamba ein erfahrener und kompetenter Berufsdiplomat zum Europaminister berufen, der seinerseits sinngemäß erklärte, die politischen Konflikte innerhalb Rumäniens sollten in ihrer Bedeutung für die Ratspräsidentschaft nicht überbewertet werden. Auch Juncker meinte in seiner bereits zitierten Stellungnahme, „technisch“ sei Rumänien auf die Aufgabe vorbereitet. Fragwürdiger ist die inhaltliche Vorbereitung der Regierung, zumal die maßgeblichen politischen Akteure der Koalition bislang von den innenpolitischen Konflikten vollständig in Anspruch genommen zu sein schienen. Noch im November war zunächst der bisherige Europaminister Negrescu offenbar aufgrund eines Konfliktes mit Dragnea zurückgetreten, dann eine größere Regierungsumbildung erfolgt. Diese wurde offiziell u.a. mit der Vorbereitung auf die Ratspräsidentschaft begründet, tatsächlich dürfte sie in erster Linie auf parteipolitischen Motiven gründen; denn sie vollzog sich im Zusammenhang mit einer gleichzeitigten Neuordnung der PSD-Führung, mit der Dragnea seine Machtposition gegen innerparteiliche Gegner stärkte. In jedem Fall blieb die tatsächliche Vorbereitungszeit vieler Minister damit sehr begrenzt. Inhaltlich hat die Regierung vier große Themenschwerpunkte benannt: Konvergenz, Sicherheit, eine Stärkung der EU als globaler Akteur und Gemeinsame Werte. Lediglich im Kontext der internationalen Rolle der EU werden mit einem Fokus auf die Erweiterungspolitik im westlichen Balkan und die Östliche Partnerschaft spezifisch rumänische Interessen ansatzweise erkennbar. Ansonsten bleiben die Themenschwerpunkte durchweg sehr allgemein gefasst und beschreiben eher die bereits bestehende Agenda der EU als dass dabei eigene Konzepte sichtbar wären. Dementsprechend erklärte Ciamba, Rumänien wolle sich auf eine Rolle als „ehrlicher Makler“ beschränken.

Inhaltlich kann die rumänische Ratspräsidentschaft daher keine großen Erwartungen rechtfertigen. Allerdings wird die rumänische Präsidentschaft ohnehin durch so gewichtige Ereignisse wie den Brexit im März und die Europawahl im Mai bestimmt, die in jedem Fall nur sehr wenig Spielraum für nationale Initiativen lassen. Seit dem Vertrag von Lissabon, der Einrichtung eines ständigen Präsidenten des Europäischen Rates und der Aufwertung der Hohen Vertreterin u.a. zur Vorsitzenden des Rates für Auswärtige Angelegenheiten ist die Rolle der nationalen Präsidentschaften ohnehin begrenzt. Sie stellt für die Mitgliedsstaaten vor allem eine Chance dar, Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Anliegen zu lenken und die eigene Rolle in der EU zu stärken. Eine inhaltliche schwache Präsidentschaft wird die EU aber auch nicht aufhalten. Jenseits der rechtsstaatlichen Probleme gab es bislang auch keine fundamentalen Differenzen zwischen Bukarest und Brüssel, auch keine größere europaskeptische Haltung in Rumänien, sondern die rumänische Politik war parteiübergreifend von einem pro-europäischen Konsens bestimmt.

Die Ratspräsidentschaft wird die Aufmerksamkeit für die rechtsstaatlichen Konflikte aber auch weiter verstärken, und damit verbinden sich zwei Probleme. Erstens droht die Ratspräsidentschaft von den Konflikten um die rechtsstaatlichen Entwicklungen in Rumänien beherrscht zu werden. Die Folgen dürften weniger die sachliche Arbeit der Präsidentschaft betreffen als vielmehr das Bild, das Rumänien und die EU als Ganzes abgibt, wenn der vorsitzführende Staat zugleich einen grundlegenden Wertekonflikt mit den Institutionen der Union austrägt. Zweitens stellt sich in diesem Fall auch die Frage, ob der pro-europäische Grundkonsens innerhalb der rumänischen Politik weiterhin Bestand haben wird.

Hintergründe des Konflikts um den Rechtsstaat

Liviu Dragnea hatte am 16. Dezember angekündigt, die Regierung solle bis Mitte Januar eine Notverordnung zur Amnestie angeblich zu Unrecht wegen Korruption verurteilter Straftäter erlassen. In Form und Stoßrichtung wäre eine solche Maßnahme ähnlich wie eine bereits Anfang 2017 erlassene Notverordnung, die zu wochenlangen Protesten hunderttausender Rumänen und einem Rückzieher der Regierung geführt hatte. Bislang ist ein derartiger Schritt nicht erfolgt, und es ist gut möglich, dass Dragnea mit dieser Ankündigung eher taktische Motive verfolgt als eine konkrete Absicht. Es ist die Bekräftigung, nicht die erfolgte Umsetzung entsprechender Erwartungen, die ihm Unterstützung in den eigenen Reihen sichert. Dass Dragnea eine so kontroverse Maßnahme unmittelbar zu Beginn der Ratspräsidentschaft ankündigt, deutet aber in jedem Fall darauf hin, dass die innenpolitische Agenda in Sachen Rechtsstaat und Justiz Vorrang vor einer Vermeidung von Konflikten während des EU-Vorsitzes hat.

In Fragen der Justiz und des Rechtsstaates ist das Vorgehen der rumänischen Regierungskoalition weniger als in anderen ostmitteleuropäischen EU-Staaten von einer ideologischen Basis bestimmt und war bislang auch kaum von einer euroskeptischen Haltung begleitet. Ihr Charakteristikum ist vielmehr die unmittelbare persönliche Betroffenheit zentraler Akteure. Dragnea konnte bereits aufgrund einer Vorstrafe nicht Premierminister werden. Mittlerweile wurde er in einem weiteren Verfahren in erster Instanz verurteilt. Wenn dieses zweite Urteil rechtskräftig würde, müsste er für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Gegen eine Reihe weiterer Koalitionspolitiker gibt es Ermittlungen, Anklagen oder bereits Verurteilungen. Denn im Gegensatz zu dem Eindruck, den die fortwährende Debatte um die Korruptionsbekämpfung in Rumänien erweckt, hatte Rumänien gerade in dieser Hinsicht erhebliche Fortschritte erzielt. Die Folge ist, wie der Fall Dragnea bezeugt, dass in Rumänien niemand, auch nicht der mächtigste Politiker, mehr sakrosankt ist. Tatsächlich hat es gegen eine Vielzahl von Amts- und Mandatsträgern auf allen Ebenen, einschließlich von Regierungs- und Parlamentsmitgliedern Anklagen und Verurteilungen gegeben. Bislang konnte Rumänien in dieser Hinsicht sogar als regionales Vorbild gelten. Die Effektivität der Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit einem sehr strengen Strafrecht wird von vielen etablierten Politikern, besonders in den Regierungspartien, als persönliche Bedrohung wahrgenommen und erklärt, warum Dragnea Mehrheiten in der PSD und seinen Koalitionspartner ALDE auf seine Linie einschwören konnte.

Die Regierungskoalition rechtfertigt ihr Vorgehen in erster Linie mit dem Narrativ vom sogenannten „Parallelen Staat“. Damit ist eine angebliche Verschwörung von Präsident, Geheimdiensten und Teilen der Justiz gegen die Regierungsparteien gemeint. Zur Begründung der von ihm geforderten Amnestieverordnung sagte Dragnea, die Korruptionsbekämpfung sei nur ein politischer Vorwand, durch den „Tausende“ unschuldiger Rumänen ins Gefängnis gebracht worden seien. Sachlich nachvollziehen lassen sich diese Vorwürfe kaum. Die rumänische Justiz macht in der Tat insgesamt einen Eindruck von Professionalität und Unabhängigkeit, was auch die Tatsache bezeugt, dass führende Oppositionspolitiker von Ermittlungen oder Anklagen ebenso betroffen waren.

Dieses Urteil wird auch durch die Berichte der EU im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM) bestätigt, dem Rumänien und Bulgarien seit ihrem Beitritt 2007 unterliegen, um die danach noch bestehenden rechtsstaatlichen Probleme zu beheben. Während die Kommission bereits zum Zeitpunkt des Antritts der gegenwärtigen Regierungskoalition Anfang 2017 grundsätzlich eine Beendigung des CVM in Aussicht gestellt hatte, konstatiert der jüngste Bericht vom November 2018 deutliche Rückschritte, vor allem bei der Unabhängigkeit der Justiz, durch die Justizreformen der Regierungskoalition.

Tatsache ist, dass das rumänische Strafrecht sehr strikt ist. So ist fraglich, ob Dragnea, der sich noch anderen Vorwürfen auch aufgrund von Untersuchungen der europäischen Anti-Korruptionsbehörde OLAF ausgesetzt sieht, bei den beiden Tatbeständen, aufgrund derer er bereits verurteilt wurde, in anderen EU-Staaten überhaupt strafrechtlich oder zu so langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden wäre. Das rechtfertigt noch keine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit seiner Verfahren. Die niedrige Schwelle zur Strafbarkeit kann jedoch einen Eindruck von selektiver Justiz bestärken, auch wenn eine solche gar nicht vorliegt. Damit kann sie dem Narrativ von der angeblichen Willkür der Justiz indirekt eine scheinbare Glaubwürdigkeit verleihen, trägt zur Verunsicherung vieler anderer Politiker bei und stärkt damit eher die Unterstützung für Dragnea in der eigenen Koalition. Ein Diskurs über die Reform des Strafrechts wäre daher durchaus gerechtfertigt. Der Umstand, dass Änderungen des Strafrechts direkt führenden Politikern zugutekämen, steht jedem sachlichen Diskurs dazu jedoch zwangsläufig im Wege. Tatsache ist auch, dass die Anti-Korruptionsbehörde DNA bei Ermittlungen mit dem Inlandsgeheimdienst SRI kooperiert hat. Ein Grund dafür war, dass die DNA nur so auf notwendige technische Fähigkeiten bei ihren Ermittlungen zurückgreifen konnte. Doch auch unabhängig von den Tatsachen liefert die Zusammenarbeit mit dem SRI auch wieder Nährboden für das Narrativ vom „Parallelen Staat“.

Noch problematischer ist, dass die Maßnahmen der Regierungskoalition nicht nur auf Änderungen des Strafrechts und die damit verwandte Frage einer mittelbaren oder unmittelbaren Amnestie beschränkt bleiben, sondern auch die Unabhängigkeit der Justiz- und insbesondere der Strafverfolgungsbehörden in Frage stellen. So veranlasste die Regierung u.a. die Amtsenthebung der Leiterin der Nationalen Antikorruptionsbehörde DNA, Laura Codruta Kövesi, die eine Symbolfigur im Kampf gegen die Korruption geworden war. Ein Amtsenthebungsverfahren wurde auch gegen den Generalstaatsanwalt Augustin Lazar eingeleitet. Zugleich soll das Mitentscheidungsrecht des Präsidenten bei der Ernennung leitender Staatsanwälte eingeschränkt werden. Damit würde der Justizminister faktisch eine weitreichende Kontrolle über die Ernennung und Entlassung von Staatsanwälten erlangen, die in Rumänien bislang eine nahezu richterliche Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen besitzen. Begründet wird dies u.a. auch mit dem Hinweis, dass Staatsanwälte auch in westeuropäischen Staaten wie Deutschland dem Justizminister unterstünden – wobei allerdings unberücksichtigt bleibt, dass Beamtenrecht, Amtsverständnis und eine fehlende Akzeptanz in Öffentlichkeit wie politischen Eliten willkürlichen Eingriffen in Ermittlungsverfahren und Anklagen dort weitaus engere Grenzen setzen. Deshalb befürchten Vertreter der Opposition, dass die Koalition unter Dragnea eine stärker autoritäre Kontrolle auch über die Justiz anstrebt. In dem schon erwähnten CVM-Bericht vom November fordert die Europäische Kommission von Rumänien praktisch die Rücknahme aller seit Anfang 2017 erfolgten Reformen zur Justizverfassung, des Straf- und Strafprozessrechts sowie eine Einstellung aller Entlassungs- und Ernennungsverfahren für leitende Staatsanwälte. Kompromisslinien zeichnen sich nicht ab.

Ein grundsätzliches Einlenken Dragneas ist auch kaum zu erwarten, solange ihm selbst noch eine Gefängnisstrafe droht. Im rumänischen Parlament stellt die Opposition regelmäßig Misstrauensanträge gegen die Regierung und zuletzt auch gegen Dragnea als Kammerpräsident. Auch Präsident Iohannis hat der Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dancila wiederholt sein Misstrauen ausgesprochen und sie zum Rücktritt aufgefordert. Durch Übertritte zur neuen Partei „Pro Romania“ des früheren Premierministers Victor Ponta, der sich 2017 mit Dragnea überwarf und die PSD verließ, hat die Regierungskoalition zwar mittlerweile die absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer verloren. Sie kann sich aber weiterhin auch auf die Unterstützung der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (UDMR) stützen, mit der eine parlamentarische Kooperationsvereinbarung besteht, sowie auf Stimmen aus der Fraktion der nationalen Minderheiten, die für ihre jeweiligen Anliegen oft auf die Regierung angewiesen sind. Innerhalb der PSD scheint Dragnea seine Machtposition gegen innerparteiliche Kritiker um die Bukarester Bürgermeisterin Gabriela Firea zuletzt konsolidiert zu haben. Bereits zuvor, im Sommer 2017 und Anfang 2018 hatte Dragnea nach Konflikten bereits zwei Mal die Entlassung der eigenen Regierung durchgesetzt. Die jetzige Regierungschefin Dancila ist eine langjährige Vertraute von ihm, die zwar gelegentlich auch eigene Akzente setzt und sich etwa bei der Frage einer Amnestieverordnung bislang deutlich zurückhaltender gezeigt hat, sich gegenüber Dragnea aber sehr loyal zeigt. Für Dragnea und viele seiner Anhänger in der PSD ist die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat letztlich eine Schicksalsfrage. Sie ist deshalb mit der Frage nach dem Machterhalt untrennbar verbunden.

Polarisierung der Gesellschaft

Die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat hat in Rumänien auch deshalb eine besondere Schärfe gewonnen, weil sich in ihr eine tiefe gesellschaftliche Polarisierung vor allem zwischen Gegnern und Anhängern der PSD manifestiert. Dabei liegen die Hochburgen der PSD eher in kleineren Städten und auf dem Land. Sie hat, nicht ausschließlich, aber doch im Kern eine sozial eher abhängige Wählerklientel an sich gebunden. Innerhalb bürgerlicher, großstädtischer und intellektueller Schichten trifft sie hingegen oft auf eine tiefe Ablehnung. Sie liegt begründet in der Herkunft der PSD aus der postkommunistischen Nationalen Rettungsfront und ihrer klientelistischen Politik, aber auch aus Distanz zu den sozial eher abhängigen und oft vergleichsweise bildungsfernen Wählerschichten der Partei. Präsident Ioannis dürfte die Stimmung vieler seiner Anhänger wiedergegeben haben, als er die Regierungskoalition aus PSD und ALDE kürzlich als „Unfall der Demokratie“ bezeichnet hat. Dass die PSD sich gleichwohl seit Jahrzehnten als dominierende Regierungspartei zu behaupten vermag - während es den Oppositionsparteien vergleichsweise oft an Geschlossenheit und einer über die Ablehnung der PSD hinausgehenden alternativen Programmatik fehlte – hat bei vielen bürgerlichen Wählern Demokratie- und Parteiverdrossenheit hervorgerufen.

Das erklärt, warum die Wahlbeteiligung in Rumänien jedenfalls bei Parlamentswahlen niedrig ist, was die PSD bevorteilt, da sie ihre Wählerklientel bislang recht verlässlich zu mobilisieren vermochte. Demgegenüber bewirkt die personelle Zuspitzung bei Präsidentenwahlen noch eine höhere Mobilisierung, was es für Kandidaten der PSD schwieriger macht. So wurde Iohannis 2014 bei einer Wahlbeteiligung von 64% mit 6,3 Millionen Stimmen (54,5%) gewählt, während die Regierungsparteien PSD und ALDE bei der Parlamentswahl 2016 bei einer Wahlbeteiligung von knapp 40 Prozent mit 3,6 Millionen Stimmen die Mehrheit im Parlament gewannen (mit 45,5 bzw. 5,5%). In letzterem Fall ist die niedrige Wahlbeteiligung aber auch darauf zurückzuführen, dass viele Bürger eher unpolitischen bzw. technokratischen Institutionen wie der Justiz vertrauen, gerade auch als Korrektiv gegenüber der PSD. Das erklärt auch, warum trotz niedriger Wahlbeteiligung hunderttausende Rumänien auf die Straße gegangen sind, um gegen Eingriffe in den Rechtsstaat zu protestieren. Dabei ist für viele Verteidiger des Rechtsstaates der Kampf gegen die Korruption praktisch synonym mit einem Kampf gegen die PSD; zugleich steht Korruption dabei oft als Symbol, als eine Art universelle Erklärung für wirtschaftliche Entwicklungsrückstände gegenüber der übrigen EU. Bei Demonstrationen gegen die Regierungskoalition verbinden sich Forderungen nach einer unabhängigen Justiz und Korruptionsbekämpfung mit Parolen, in denen die PSD als „Diebe“ und „Analphabeten“ charakterisiert und „Gefängnis für Dragnea“ verlangt werden. Mit dieser Vermischung rechtsstaatlicher und politischer Motive wird der Justiz aber auch von Gegnern der PSD eine letztlich politische Aufgabe zugeschrieben. In der Wirkung trägt das dazu bei, dass das Narrativ vom „Parallelen Staat“ bei Anhängern der Regierungsparteien Glaubwürdigkeit findet.

Die gesellschaftliche Polarisierung mit dem Vorherrschen jeweils stark antagonistisch geprägter Sichtweisen bewirkt, dass das Vorgehen der Koalitionsparteien nicht zu einem grundlegenden Vertrauensverlust in der Wählerschaft insgesamt führt. Ohnehin sind für viele Anhänger der PSD andere Themen wichtiger, vor allem soziale Anliegen. In dieser Hinsicht hat die Koalition durch eine Erhöhung der Sozialleistungen und Senkung der Steuern geliefert, auch wenn – bei einer der mittlerweile niedrigsten Staatsquoten in der EU - andere Staatsaufgaben unterfinanziert sind, öffentliche Investitionen ausbleiben und die langfristige wirtschaftliche Entwicklung darunter leiden dürfte. Zugleich führt die Dominanz des Themas Rechtsstaat im öffentlichen Diskurs dazu, dass sich die Opposition mit anderen für Wählergruppen wichtigen Themen wie Wirtschafts-, Bildungs- oder Gesundheitspolitik kaum profilieren kann. Wie der Präsident wenden sich die bedeutendsten Kräfte in der Opposition: die Nationalliberale Partei (PNL), die Union Rettet Rumänien (USR) und die neue Partei Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS) des früheren Ministerpräsidenten Dacian Ciolos, entschieden gegen die Eingriffe der Regierung in die Justiz. Das mobilisiert aber auch die um den Rechtsstaat besorgten Bürger nicht zwangsläufig unmittelbar für Präsident und Opposition.

Als etablierter Partei schlägt der PNL als größter Oppositionspartei besonders ein verbreitetes Misstrauen gegen politische Eliten und Parteien entgegen. Dies umso mehr, als die PNL Produkt des Zusammenschlusses früher unterschiedlicher Parteien ist, von denen eine in der Vergangenheit auch mit der PSD koaliert hatte. Der PNL-Vorsitzende Ludovic Orban hat einen klaren und konsequenten Kurs der Abgrenzung von der PSD bei gleichzeitiger Verteidigung der Justiz durchgesetzt, auch um neue Glaubwürdigkeit zu erlangen. Nach wie vor sind in der Partei aber auch andere Gruppen sichtbar. USR und PLUS sind junge Anti-Establishment- bzw. Technokratenparteien, die zwar glaubwürdig gegen die PSD stehen, sonst aber recht diffuse Kräfte vereinigen und darüber hinaus bislang wenig programmatische Profilschärfe erkennen lassen. Da PNL, USR und PLUS dabei teilweise auch um dieselbe Wählerschaft konkurrieren, zeigt sich das bürgerliche Lager zudem stärker fragmentiert als die PSD.

Präsident Iohannis findet Rückhalt vor allem bei der PNL, deren früherer Vorsitzender er war und die ihn erneut als ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahl Ende des Jahres nominiert hat. Iohannis fährt bei der Verteidigung des Rechtsstaats eine klare Linie. Er versteht sich dabei aber auch als konstitutioneller Präsident, der sich strikt im Rahmen der Verfassung hält, die ihm eine Vermittlerrolle in der rumänischen Politik zuschreibt und seinem Handeln oft engere Grenzen setzt als die Erwartungen vieler seiner Wähler. So hat er die Entlassung der DNA-Chefin Kövesi vollzogen, nachdem das Verfassungsgericht ihn dazu verpflichtete, und die Mehrheitsverhältnisse im Parlament respektiert, indem er mittlerweile drei Regierungschefs der PSD nominierte. Unter seinen Anhängern hat dies aufgrund des oft scharfen Antagonismus zwischen Unterstützern und Gegnern der PSD in der Gesellschaft unvermeidlich auch Enttäuschung hervorgerufen. Auch das erschwert eine Mobilisierung von Wählern eher. Im Ergebnis ist Iohannis zwar nach allen Umfragen immer noch der populärste Politiker Rumäniens, im Oppositionslager aber keineswegs unbestritten und muss zumindest mit der Möglichkeit eines Gegenkandidaten aus den Reihen der USR oder PLUS bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen rechnen.

Rhetorische Zuspitzung

Zugleich hat die gesellschaftliche Polarisierung zu einer Verhärtung der Fronten und der Rhetorik in der Auseinandersetzung um die Justiz geführt. Nachdem jahrelang eine Vielzahl von Großdemonstrationen friedlich stattgefunden hatten, kam es am 10. August bei einer Massendemonstration gegen die Regierung zunächst zu Provokationen gegen die Sicherheitskräfte, woraufhin sie gewaltsam durch die Gendarmerie aufgelöst wurden, mit hunderten Verletzten unter den Demonstranten. Dragnea, Dancila und andere führende Vertreter der PSD verstiegen sich in dem Zusammenhang zu dem Vorwurf, der Präsident habe einen Staatsstreich, einen rumänischen Maidan, herbeizuführen gesucht. Vor allem Iohannis wird immer wieder zum Ziel übler Angriffe. So wurde er von führenden Vertretern der PSD wiederholt als Nazi bezeichnet, mit Hitlerbart dargestellt oder als Antisemit verleumdet. Zugleich versuchen die Regierungsparteien auch über die Justizverfassung hinaus, den Präsidenten immer stärker auf eine repräsentative Rolle zu beschränken.

Das gilt zunehmend auch für seine Kompetenzen in der Außen- und Europapolitik. Die Verfassung schreibt dem Präsidenten eindeutig nur die Zuständigkeit für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu, außenpolitische Kompetenzen aber sowohl dem Präsidenten wie der Regierung. Infolgedessen war auch die Vertretung Rumäniens im Europäischen Rat umstritten und wurde nur durch ein Urteil des Verfassungsgerichts zugunsten des Präsidenten entschieden. Bereits im April hatte Dragnea die außenpolitischen Kompetenzen des Präsidenten in Frage gestellt, indem er einseitig die Verlegung der rumänischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ankündigte, was am entschiedenen Einspruch des Präsidenten scheiterte. Am 1. Januar, dem Tag der Übernahme der Ratspräsidentschaft, erklärte Ministerpräsidentin Dancila, die Führung der Ratspräsidentschaft gehöre in den Zuständigkeitsbereich der Regierung. Daher wäre es nur normal, wenn sie als Regierungschefin Rumänien auch im Europäischen Rat verträte. Ob und welche konkreten Schritte aus diesem Anspruch folgen sollen, blieb bislang offen.

Dabei mischen sich in die Rhetorik gegen Iohannis nicht nur Angriffe gegen die deutsche Minderheit insgesamt, der der Präsident ja auch angehört, sondern zunehmend auch xenophobe Töne. Ohnehin präsentiert sich die PSD als eine – parteipolitisch bislang durchaus erfolgreiche – Kombination aus Sozialklientelismus und Nationalkonservatismus. Deshalb machte sich die PSD beispielsweise auch ein im Oktober letztlich gescheitertes Referendum zu eigen, die Ehe als ausschließlichen Bund zwischen Mann und Frau in der Verfassung zu verankern. Zugleich präsentiert sich die PSD aber zunehmend als Verteidigerin nationaler rumänischer Interessen gegen ausländische Kräfte. Der Präsident wird demgegenüber als Handlanger ausländischer und aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit auch spezifisch deutscher Interessen hingestellt. In der Rede, in der Dragnea eine Amnestieverordnung forderte, bezeichnete er Iohannis gleichzeitig als „Puppe“ des „Parallelen Staates“ und die Korruptionsbekämpfung als „Konstrukt“, das nur dazu diene, Politiker zum Schweigen zu bringen, die noch rumänische Interessen verteidigten. Das Narrativ vom „Parallelen Staat wird so auf eine Einmischung ausländischer Kräfte ausgeweitet. Im gleichen Kontext – und mit Blick auf den Reichtum Rumäniens an fossilen Brennstoffen -, warf er insbesondere westlichen Energieunternehmen (die die Regierung höher besteuern möchte) vor, lediglich „mit Gier auf unsere Ressourcen“ zu sehen. Der europäische Markt würde Rumänien „Lebensmittel voller Gift“ bringen - womit er auf einen Skandal anspielte, dass europäische Lebensmittelkonzerne in Rumänien Produkte minderer Qualität verkauft haben sollen. Der EU schrieb er zu, Rumänien als zweitklassiges Land zu behandeln und schloss mit der rhetorischen Aufforderung an seine Partei, nicht zu „kapitulieren“.

Die Kritik der EU trifft die Regierungskoalition durchaus an einer empfindlichen Stelle. Bislang sahen sich alle maßgeblichen politischen Kräfte dem so genannten Geist von Snagov verbunden, wo sich aus Anlass des Beitrittsantrages zur EU alle größeren Parteien verpflichtet hatten, die europäische Integration zu unterstützen. Auch deshalb ist die Zustimmung der Bevölkerung zur EU und das Vertrauen in die europäischen Institutionen in Rumänien besonders hoch. An einem Konflikt mit der EU hat die Regierungskoalition daher an sich kein Interesse. Auch wenn Dragnea und Dancila Kritik aus Brüssel zurückweisen, haben sie dabei zugleich auch auf ihre pro-europäische Haltung verwiesen. Aufgrund des Vorgehens in rechtsstaatlichen Fragen und den daraus resultierenden Konflikten mit der EU ziehen viele Beobachter Parallelen zu Entwicklungen in Polen und Ungarn. Tatsächlich können die Konflikte mit Brüssel auch zu Zweckallianzen zwischen den drei Regierungen innerhalb der EU führen. Darüber hinaus ist der rumänischen Regierung aber nicht daran gelegen, in eine gemeinsame Linie gestellt zu werden. Ministerpräsidentin Dancila verwahrte sich deshalb bei Antritt der Ratspräsidentschaft auch gegen den Vergleich und verwies auf die Unterschiedlichkeit der Situation. Euroskeptische Motive liegen Konflikten zwischen der EU und Rumänien ursprünglich nicht zugrunde. Sie können aber sehr wohl als Konsequenz an Gewicht gewinnen, gerade weil Kritik der EU Rechtfertigungsbedarf schafft. Eine solche Tendenz zeichnet sich in Dragneas zitierter Rede zumindest ab; und auch Dancila warf der EU faktisch eine Diskriminierung Rumäniens vor. Es würde nur kritisiert, weil es ein osteuropäisches Land sei. Ob und wieweit sich damit die Wendung zu einem euroskeptischen Diskurs ankündigt, ist weder klar abzusehen noch auszuschließen. Ein grundsätzliches Risiko besteht, dass der Konflikt um den Rechtsstaat den pro-europäischen Konsens in Rumänien gefährdet. Dass dieser Konflikt sich auch während der Ratspräsidentschaft fortsetzen dürfte, ist dabei eine Koinzidenz.

Eine vertane Chance

Höhepunkt der rumänischen Ratspräsidentschaft soll der Europäische Rat in Hermannstadt (Sibiu) Anfang Mai werden, der Heimatstadt des Präsidenten, der dort auch Gastgeber sein wird. Dieses Gipfeltreffen wird dann nicht nur im Zeichen der bevorstehenden Europawahl, sondern auch der zu Ende des Jahres stattfindenden Präsidentschaftswahl in Rumänien stehen. Ob es insgesamt gelingt, das Land durch die Ratspräsidentschaft in ein positiveres Licht zu rücken, bleibt angesichts der bestehenden Konfliktlinien innerhalb Rumäniens wie auch zwischen Brüssel und der Regierung in Bukarest allerdings zweifelhaft. Insgesamt dürfte die Ratspräsidentschaft für Rumänien eher eine vertane Chance werden, das Land – nach dem Brexit immerhin das sechstgrößte in der EU – als konstruktiven Partner zu positionieren.

Dabei hätte Rumänien durchaus viele Voraussetzungen, um eine konstruktive Rolle einzunehmen. Das Land hatte bislang in Bevölkerung und politischen Eliten einen der stärksten pro-europäischen Konsense innerhalb der EU und besonders in Ostmitteleuropa. Dabei teilt Rumänien in außen-, sicherheits- und europapolitischen Fragen viele Bedenken anderer ostmitteleuropäischer Staaten, verband dies aber bislang mit einer klar pro-europäischen Ausrichtung und Unterstützung für gemeinsame europäische Lösungen. So teilt Rumänien starke sicherheitspolitische Sorgen im Blick auf Osteuropa und besonders Russland etwa mit Polen und den baltischen Staaten. Deshalb sind die USA und die NATO zentrale Bezugspunkte der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik. Das verbindet sich in Rumänien aber nicht mit Vorbehalten gegen die EU und die europäische Zusammenarbeit in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen. Bukarest hat in dieser Hinsicht großen Wert etwa darauf gelegt, an der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) teilzunehmen. Das gründet zwar auch auf einer grundsätzlichen Ablehnung eines Europas unterschiedlicher Geschwindigkeiten und der Sorge, dadurch von Integrations- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen zu werden. Dabei geht es Rumänien aber weniger um Vetomacht als vielmehr um Beteiligung, und es ist in der Regel für mehr Zusammenarbeit eingetreten. Auch bei der Migrationspolitik teilt Rumänien Vorbehalte anderer Länder in der Region und wandte sich gegen verpflichtende Quoten, sowohl Präsident Iohannis wie die seinerzeitige PSD-geführte Regierung unter Premierminister Ponta sprachen sich aber für Solidarität durch freiwillige Quoten aus und erklärten, gemeinsame europäische Entscheidungen grundsätzlich zu respektieren. Bei regionalen Kooperationsformen wie etwa der Drei-Meere-Initiative hat Rumänien, auch um Fragmentierungen und einer Schwächung der EU vorzubauen, auf die Einbindung der Europäischen Institutionen und westeuropäischer EU Mitgliedsstaaten Wert gelegt.

Innerhalb der EU wäre Rumänien so in vielen Fragen für eine vermittelnde Rolle prädestiniert. Iohannis war daher auch zeitweilig als Nachfolger von Donald Tusk als Präsident des Europäischen Rates im Gespräch, bevor er seine erneute Kandidatur für die rumänische Präsidentschaft erklärte. Abgesehen von dem Konflikt um den Rechtsstaat gibt es bislang zwischen Rumänien und der EU wie auch innerhalb Rumäniens um die Frage der europäischen Integration keinen grundlegenden Dissens. Dabei betrifft der Konflikt um die Unabhängigkeit der Justiz und die Korruptionsbekämpfung gerade einen Bereich, in dem Rumänien bislang tatsächlich erhebliche Fortschritte vorzuweisen gehabt hätte. Für Bukarest wird er zur Folge haben, dass auch eigene Anliegen gegenüber der EU, voran ein Beitritt zum Schengen-Raum, wesentlich schwerer zu erreichen sind. Für die EU betrifft der Konflikt um den Rechtsstaat so fundamentale Werte, dass er den Eindruck von der rumänischen Ratspräsidentschaft aber zwangsläufig prägen und überschatten muss. Die in der Ratspräsidentschaft liegenden Chancen werden sich in dieser Auseinandersetzung nicht nutzen lassen.

 

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