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Für die von der ANO eingebrachte Novelle stimmten 70 der 132 anwesenden Abgeordneten. Die mit ihr regierende konservative „Christlich-Demokratische Bewegung“ (KDH) hatte der ANO schon Monate zuvor mit dem Ende der Koalitionszusammenarbeit gedroht, sollte sie die Gesetzesnovelle nicht zurückziehen.
„In der Slowakei besteht eine Regierungskrise“, erklärte daher Parlamentspräsident und KDH-Vorsitzender Pavol Hrušovský unmittelbar nach der Abstimmung gegenüber den Medien. Indem die ANO gemeinsam mit der Opposition das Gesetz durchsetzte, habe sie den Koalitionsvertrag verletzt, erklärte er weiter: „Damit hat (ANO-Vorsitzender) Pavol Rusko aus dem Koalitionsvertrag einen wertlosen Fetzen Papier gemacht.“
Der slowakischen Regierungskoalition gehören die drei christlich-demokratischen Parteien („Slowakische Demokratische und Christliche Union“ (SDKÚ), „Partei der Ungarischen Koalition“ (SMK) und die KDH sowie die liberale ANO des ehemaligen Medienmagnaten Pavol Rusko an. Die Koalition verfügt im Parlament nur über eine knappe Mehrheit von 76 der 150 Abgeordneten. Tritt auch nur ein Koalitionspartner aus der Regierung aus, verliert sie die Mehrheit.
KDH und ANO sind die beiden kleinsten der vier Koalitionsparteien. Die beiden größeren Koalitionsparteien, Premierminister Mikuláš Dzurindas SDKÚ und die ebenfalls christlich-demokratisch orientierte SMK teilen in der Abtreibungsfrage zwar nicht bedingungslos den an der katholischen Kirche orientierten Standpunkt der KDH. Um aber die Koalition zu retten, hatten sie seit Monaten gemeinsam mit Staatspräsident Rudolf Schuster vergeblich Druck auf die ANO ausgeübt, ihren Antrag zurück zu ziehen. Premierminister Mikuláš Dzurinda (SDKÚ) gab sich in seiner ersten Reaktion auf die Parlamentsabstimmung aber optimistisch, dass die Koalition trotz ihrer gegenwärtigen Krise weiter zusammen arbeiten werde können: „Wir finden eine Lösung“.
Der Abtreibungsstreit zwischen KDH und ANO wurzelt im Grundsatzstreit, welche Rolle die katholische Kirche und ihre Grundsätze in der Politik des Staates haben sollen. Die KDH kämpft gemeinsam mit den katholischen Bischöfen für eine stärkere religiöse Ausrichtung des Staates auf der Basis eines Grundlagenvertrages zwischen der Slowakei und dem Vatikan aus dem Jahr 2000, während die ANO eine möglichst weit gehende Trennung von Staat und Kirchen befürwortet.
Der ANO-Gesetzesvorschlag bedeutet formell keine Änderung der gegenwärtig sehr liberalen slowakischen Abtreibungsregelungen, sondern soll den bestehenden Zustand juristisch besser absichern. Derzeit gilt in der Slowakei eine Fristenlösung, die Abtreibungen grundsätzlich innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen erlaubt. Bei schweren genetischen Defekten ist aber aufgrund einer formal juristisch ungenauen Sonderregelung eine Abtreibung bis zur 24. Woche erlaubt. Die KDH hat gute Aussichten, diese Sonderregelung durch eine Verfassungsklage zu beseitigen. Mit dem ANO-Vorschlag wird aber diese Sonderregelung neu formuliert und damit die Verfassungsklage der KDH unterwandert. (Bisher beruhte die Sonderregelung nur auf einer 17 Jahre alten ministeriellen Verordnung. Die ANO-Novelle gibt ihr hingegen Gesetzeskraft.)
Die katholischen Bischöfe hatten mehrfach gegen das Abtreibungsgesetz interveniert und indirekt mit der Exkommunikation jener Abgeordneten gedroht, die für das Gesetz stimmen werden. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Frantisek Tondra, bezeichnete das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier am 3. Juli 2003 in einer ersten Reaktion gegenüber der Nachrichtenagentur TASR als „Verrat am Vertrauen der Wähler“. Viele Abgeordnete hätten nämlich vor der Wahl behauptet, „Gläubige“ zu sein, und nun aber doch für das Abtreibungsgesetz gestimmt. Laut Bischof Tondra sei der Parlamentsbeschluss nicht nur ein „sehr unschönes Geschenk“ für den im September in die Slowakei reisenden Papst, sondern auch eine „Warnung an die Wähler, in Zukunft verantwortungsvoller zu wählen“.
Auf Verlangen von KDH-Vorsitzendem Pavol Hrušovský wurde sofort nach der Parlamentsentscheidung vom 3. Juli eine außerordentliche Sitzung des Koalitionsrates der vier Regierungsparteien anberaumt. Darin definierte die KDH ihre Bedingungen neu: Sollte das Abtreibungsgesetz tatsächlich in Kraft treten, werde sie vom Premierminister Dzurinda die Entlassung aller von der ANO gestellten Regierungsmitglieder verlangen.
Somit ist nun Staatspräsident Rudolf Schuster am Zug. Er kann das Abtreibungsgesetz durch ein Veto an das Parlament zurück verweisen und dadurch zugleich den Zerfall der Koalition verhindern. Nach Aussage seines Pressesprechers Jan Füle (telefonische Auskunft am 18. Juli) will er am 23. Juli bekannt geben, ob er das Gesetz unterschreibt oder durch ein Veto blockiert. Für Schuster ist ein Dilemma offensichtlich: Legt er ein Veto ein, werden Oppositionsabgeordnete dies laut früheren Wortmeldungen als ein „auf ideologischen Druck erfolgtes Ignorieren einer demokratischen Parlamentsentscheidung“ werten. Wenn er das Inkrafttreten des Abtreibungsgesetzes jedoch nicht durch sein Veto verhindert, muss er mit dem Vorwurf rechnen, am Scheitern der Regierungskoalition mit Schuld zu sein. Im Falle eines Vetos des Staatspräsidenten kann das Gesetz dann nur mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten verabschiedet werden. Diese Hürde wird es aber nur schwer nehmen können, da auch einige Oppositionsabgeordnete gegen das Gesetz stimmen werden.
Uneinig sind sich aber vorerst auch die katholischen Bischöfe, ob sie ihre ursprüngliche Drohung wahr machen und alle jene Abgeordneten exkommunizieren sollen, die für das Abtreibungsgesetz stimmten. Für Bischof Frantisek Tondra haben sich diese Abgeordneten „bereits selbst exkommuniziert“. Gegenüber einigen Tageszeitungen erklärte er jedoch, dass dies lediglich seine „persönliche Meinung“ sei.
Zusätzlich verschärft wurde die Spannung zwischen ANO und KDH Mitte Juli noch durch einen inhaltlich ähnlich gelagerten Konflikt: Die ANO lehnte den von Bildungsminister Martin Fronc (KDH) vorgelegten Vertrag mit dem Vatikan ab, in dem ergänzend zum oben erwähnten Grundlagenvertrag die Rechte der katholischen Kirche im Bildungswesen geregelt werden sollen. Innerhalb der Regierung blieb die ANO damit zwar in der Minderheit, im Parlament könnte sie sich aber neuerlich gemeinsam mit der Opposition gegen die KDH durchsetzen. Dies verhinderte KDH-Vorsitzender Pavol Hrušovský vorerst dadurch, dass er in seiner Funktion als Parlamentspräsident die entsprechende Abstimmung trotz Protesten von Oppositionsabgeordneten auf September vertagte.