Eine neue US-Administration, eine globale Pandemie, ein bevorstehender Wechsel im Bundeskanzleramt - freilich sind zu Beginn von 2021 die Fragezeichen beim Thema Sicherheitspolitik nicht weniger geworden. Bei dem Treffen, das die stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und Vorsitzende des Promotionskollegs, Prof. Dr. Beate Neuss, eröffnete, wurden diese Herausforderungen ausführlich mit zwei ausgewiesenen Experten besprochen. Sowohl Dr. Oliver Linz, Referent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, als auch Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, Vize-Präsident a.D. der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, legten hierzu zunächst ihre Sicht der Dinge dar, bevor die Kollegiatinnen und Kollegiaten in eine umfangreiche Debatte mit den beiden Referenten traten.
International, national und politisch - Einblicke in den praktischen Politikbetrieb von Dr. Oliver Linz
Zu Beginn gab Dr. Linz einen Einblick, der insbesondere vom praktischen Politikbetrieb inspiriert war. Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen fasste er in drei Dimensionen zusammen: International, national und im Hinblick auf aktuelle politische Überlegungen. Dabei wurde deutlich, dass die einzelnen Aspekte kaum getrennt voneinander betrachtet werden können, worauf auch Prof. Dr. Nikolaus Werz, Inhaber des Lehrstuhls für vergleichende Regierungslehre an der Universität Rostock, bei der Vorstellung der beiden Referenten bereits hinwies.
So sei die Kanzlerwahl im September dieses Jahres nicht nur national eine große Frage. Während immer mehr Langzeitherrscher ihre Macht ausbauten, stelle sich auch international die Frage, was eine neue deutsche Führung für die Sicherheitspolitik bedeutet. „Auch in Frankreich stehen in 2022 Wahlen an“, erinnerte Dr. Linz in diesem Zusammenhang. Nach der Wahl in den Vereinigten Staaten sei zudem noch nicht abschließend geklärt, wie sich Deutschland angesichts der Erwartungen der neuen, weithin begrüßten US-Administration verhalten wird.
National stelle sich in erster Linie die Frage nach dem Zustand der Bundeswehr. „Hier kommt ein Tsunami an nötigen Beschaffungen auf uns zu“, mahnte Dr. Linz. In Kürze werden die Eckwerte des neuen Bundeshaushalts veröffentlicht. Dies sei aber erst der Beginn harter Debatten um die Größe und Zielrichtung der Verteidigungsausgaben bis weit hinein in eine Regierungsbildung der der Wahl.
Mit Blick auf die gesellschaftspolitische Dimension stelle sich vor diesem Hintergrund die Frage, welche Auswirkungen die aktuelle Corona-Lage habe. So richtig und wichtig die Amtshilfe der Bundeswehr in diesen Zeiten für die Gesellschaft ist, so sei doch zu befürchten, dass die Kernaufgabe Bündnisverteidigung der Bundeswehr dabei weiter aus dem Blickfeld rückt.
Die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit der EU?
Dr. Linz beendete seinen Impulsvortrag mit einer zentralen Frage: „Welche Rolle spielt Europa?“ Ein durchschlagender Erfolg der EU sei hier noch nicht absehbar. „Die EU muss noch zeigen, was sie kann und was sie will“, erklärte der Sicherheitsexperte.
Dass EU und NATO eine Schlüsselrolle in der Debatte einnehmen, wurde auch im anschließenden Vortrag von Brigadegeneral a.D. Armin Staigis deutlich. Auch Herr Staigis betonte, dass auf europäischer Ebene noch viel getan werden muss in Richtung einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Strategie. Insbesondere seien drei konkrete Punkte als Handlungsanleitung zu berücksichtigen:
Zunächst sei es wichtig, dass es in der EU einen Paradigmenwechsel gebe, von einem inneren Friedensstifter zu einer globalen Macht. Die EU brauche ein gemeinsames strategisches Narrativ, da die europäischen Länder sich als Nationalstaaten in dieser Welt nicht behaupten können. Das europäische Geschäftsmodell bestehe noch immer aus dem europäischen wirtschaftlichen Fortschritt unter einer amerikanischen Schutzgarantie. Das sei aber nicht zukunftsfähig, nachhaltig oder fair.
Faire Arbeitsteilung im Gespräch für eine tragfähige transatlantische Brücke
Als Gegenentwurf hierzu formulierte Herr Staigis einen zweiten Vorschlag: Eine pragmatischere Arbeitsteilung zwischen Amerika und Europa sei in vielen Bereichen durchaus denkbar. Denn klar sei auch, dass Europa auf absehbare Zeit von den USA abhängig bleibe - bei der Cyberabwehr, Terrorbekämpfung, weltraumbasierter Aufklärung oder durch internationale Finanzdienstleistungen. Das ‘outsourcing’ europäischer Sicherheit nach Washington müsse dennoch so schnell wie möglich beendet und der europäische Pfeiler der NATO gestärkt werden.
Die transatlantische Brücke dürfe also nicht eingerissen werden. „Wir brauchen mehr Europa, aber nicht weniger Amerika“, erklärte Armin Staigis seine Sichtweise. Dies sei vor allem unter einem dritten Aspekt von enormer Bedeutung. Weltweit müssten Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte verteidigt werden. Hierzu müssten Deutschland, Europa und die USA Soft-Power-Kapazitäten aufbauen mit besonderem Schwerpunkt auf Klimapolitik und Gesundheitsvorsorge.
Die aufgeworfenen Fragen und Vorschläge der beiden Redner wurde im weiteren Verlauf der Online-Konferenz weiter vertieft. Insbesondere dahingehend, welche Implikationen sich hierzu für verschiedene konkrete Maßnahmen, wie FCAS, Drohnenbewaffnung oder die Wahrscheinlichkeit, das Konsensprinzip in der Außenpolitik der EU abzuschaffen, ergeben.
Mit diesem Wissen gingen die Teilnehmer des Kolloquiums schließlich in die Diskussion über ihre eigenen Forschungsvorhaben. Zunächst stellten die neuen Kollegiatinnen und Kollegiaten, Mario Schäfer, Leontine von Felbert, Stiven Tremaria und Niklas Mayer ihre Projekte vor. Ausführlich diskutiert wurden schließlich am Nachmittag die Dissertationen von Eva Ziegler über den transnationalen Handel mit größeren Gebrauchtwaffen, von Marie-Christine Roux, die in ihrer Arbeit über die Rolle des sozialen Umfelds von islamistischer Radikalisierung in Deutschland und Frankreich forscht, und Jakob Landwehr, der sich mit der Erfolgsmessung humanitärer Interventionen von Drittparteien beschäftigt.Topics
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