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Industrie 4.0 – Rechtliche Herausforderungen der Digitalisierung
13. Januar 2016 | 11.00 - 13.30 Uhr | L42 Businesscenter
Die Weltwirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution: Industrie 4.0. Die Digitalisierung, so sagen es Juristen und Ökonomen voraus, wird die Wirtschafts- und Arbeitswelt nachhaltig verändern und sich auf die gesamte Wertschöpfungskette auswirken. Um sich auf diesen Veränderungsdruck einzustellen, arbeitet die Kommission gegenwärtig an der Etablierung eines Europäischen Digitalen Binnenmarkts, welcher ein großes volkswirtschaftliches Potenzial für die Union birgt. Der digitale Binnenmarkt wird es den Online-Geschäftsmodellen ermöglichen, über Landesgrenzen hinaus zu expandieren. Dadurch werden aufwändige lokale Niederlassungen und Vertriebsstrukturen im Ausland beinahe hinfällig.Im Mittelpunkt der politischen Debatte über die Digitalisierung der Wirtschaft stehen die Fragen: Inwiefern müssen sich bestehende rechtliche Rahmenbedingungen anpassen, also „digitalisieren“? Ist das europäische Recht „fit to go digital“? Die Innovationen der High-Tech Firmen erfordern Klarheit bei der Anwendung, beispielsweise in Form von Haftungsfragen beim autonomen Fahren oder im Vertrags- und IP-Recht (Recht auf geistiges Eigentum). Um sich diesem Sachverhalt ausführlich zu widmen, luden der BDI und die Konrad-Adenauer-Stiftung am 13.01.2016 gemeinsam zur Vorstellung einer thematisch einschlägigen Studie mit an-schließender Podiumsdiskussion ein. Das Panel bestand aus dem Juristen Prof. Dr. Klindt (Noerr), Michael Hager (Kabinettschef von Kommissar Oettinger), Axel Voss (MdEP) sowie den Industrievertretern Ralf Diemer (VDA) und Dr. Martin Ahlfeld (Weidmüller Interface).
Vorstellung der Studie
Um aus Sicht der Industrie beurteilen zu können, ob und in welchen Bereichen Handlungsbedarf bei der europäischen Rechtssetzung besteht, befragte Noerr in Zusammenarbeit mit dem BDI 91 deutsche Unternehmen und erstellte auf Basis der Ergebnisse ein Umfrage- und Rechtsgutachten. Prof. Bräutigam von Noerr fasste die Resultate auf der Veranstaltung folgendermaßen zusammenfassen: Die wohl größte Erkenntnis der Umfrage war, dass die Unternehmen fast einvernehmlich einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen begrüßen würden. Dabei steht die stetige Weiterentwicklung des europäischen Datenschutzrechts im Vordergrund. Stichworte sind hierbei "Privacy by Design" (Datenschutz durch Technik), "Privacy by Default" (datenschutzfreundliche Voreinstellungen). Die Studie weist allerdings auch auf die hohe Eigenverantwortung der Unternehmen hin, dies gilt insbesondere für das Vertragsrecht. Rechtliche Herausforderungen liegen des Weiteren beim Schutz personenbezogener Daten sowie bei der Haftung. Letzteres bezieht sich vor allem auf den Einsatz autonomer Systeme, wofür es eine Weiterentwicklung des Haftpflichtgesetzes bedarf.
Wo besteht Handlungsbedarf?
Aktuell ist es problematisch, Gesetzesvorlagen zu erstellen, da die Finalität der technischen Entwicklungen noch nicht absehbar
ist. Obgleich die Rechtsabteilungen der Unternehmen oft schon bei der Produktentwicklung einbezogen werden, können Juristen keine „Industrie 4.0- Spezialisten“ sein, sondern müssen gemäß des geltenden Rechts urteilen. Der Jurist Prof. Klindt betonte, dass der Gesetzgeber klare Zielvorgaben stellen muss, da eine vorherige Regulierung unmöglich sei. Dennoch erachtet Klindt die bereits etablierten Lösungen für durchaus sinnvoll und effektiv. Ein gutes Beispiel sei das Schutzniveau von persönlichen Daten. Man müsse sich aber im Klaren sein, so Prof. Klindt, dass die Europäische Union durch ihr Vorgehen beim Thema Datenschutz auch einigen Geschäftsmodellen den Weg versperre. Facebook, Twitter, Google und Co. konnten nur deshalb so erfolgreich werden, da personenbezogene Daten in den USA besser zugänglich sind. Eine umfassende Prüfung der unterschiedlichen Auswirkungen einer Regulierung sei daher notwendig.
Sichtweise der Industrievertreter
Die enormen Herausforderungen für Politik und Wirtschaft wurden auch von den beiden Industrievertretern im Panel angesprochen. Herr Diemer vom Verband der Automobilindustrie bestätigte die Annahme von Prof. Bräutigam, dass die Entwicklungen im Bereich 'Industrie 4.0' eine neue Art der Zusammenarbeit von Technikern und Juristen einfordern. Daraus resultierend müssten die Gesetze ständig an die technischen Errungenschaften angepasst werden. Als Beispiel nannte er die rechtlichen Bedingungen beim automatisierten Fahren. Schon jetzt ist es möglich, dass ein Stauassistent die Steuerung des Autos übernehme. Die Anwesenheit des Fahrers ist jedoch unabdingbar, um jederzeit eingreifen zu können. Gemäß des geltenden Rechts ist vollautomatisiertes Fahren im Straßenverkehr derzeit nicht erlaubt, wenngleich technisch möglich. Haftungsfragen bei Unfällen sind hier der entscheidende Faktor. So gilt es zu klären, wer bei einem Maschinenfehler haftbar zu machen ist. Ist es der Software-Hersteller, der Maschinenbauer oder der Arbeiter, welcher die Maschine möglicherweise falsch bedient hat? Der Europaabgeordnete Axel Voss stellte verwies hierbei hinaus auch auf die ethischen Komponenten. Falls das Auto im Extremfall entscheiden müsse, ob es in eine Gruppe von Menschen rast oder gegen eine Wand fährt, würde sich der rationale Computer womöglich für die geringere Opferzahl entscheiden. Doch wer steigt künftig in ein Auto, das bei Gefahr womöglich gegen das Leben des Fahrers entscheidet? Auch bei dem Hardware-Zulieferer Weidmüller Interface stellen sich rechtliche Fragen bei der Digitalisierung. Im Vordergrund steht hier das Recht auf Geistiges Eigentum. Herr Dr. Ahlfeld gab zu Bedenken, dass im Unternehmen, anders als beim Privatnutzer, das Produktions-Know-how nicht auf eine Person zurückgeführt werden kann. Wem gehören nun die Daten? Eine Patentrechtsausweitung hält Dr. Ahlfeld allerdings nicht für zielführend. Stattdessen forderte er neue Richtlinien, die gezielt das Know-how von Unternehmen schützen.
Der Gesetzgeber unter Zugzwang
Als Kabinettschef von Kommissar Günther Oettinger sitzt Herr Hager an der Schaltstelle. Auch er stellte klar, dass die Rechtssicherheit bei den Fragen der Digitalisierung unerlässlich sei. Wie sich während der Diskussion herausstellt, ist das größte Hemmnis der Europäischen Union die Zeit. Das langwierige und zeitaufwendige Vorgehen für die Einleitung von Gesetzgebungsprozessen, hindert die EU-Institutionen daran, in Zeiten des Umbruchs schnell agieren zu können. Michael Hager lehnte den Vorwurf, die Kommission sei zu behäbig, entschieden ab. Konsultationsverfahren in der Europäischen Union bedürften Genauigkeit und deshalb auch ihre Zeit. Herr Voss nannte als größtes Dilemma der Europäischen Institutionen das "mangelnde disruptive Handeln bei der Gesetzgebung". Die Anpassung von Strukturen könnte dabei helfen, dass die Gesetzgebung künftig nicht der Realität hinterher hinke. Weiterhin müsse man schon heute Überlegungen anstellen, welche traditionellen Geschäftsmodelle angesichts der Digitalisierung aufbrechen und welche bestehen bleiben. Man dürfe nicht erst dann reagieren wollen, wenn die Digitalisierung bereits die Arbeitswelt schon verändert habe.
Mögliche Lösungswege
Wie kann die Europäische Union trotz langer Entscheidungswege und Gesetzgebungsverfahren im internationalen Wettbewerb mithalten? Herr Hager wie auch Herr Prof. Klindt waren sich einig, dass eine Balance aus Reglementierung und der Förderung von Businessmodellen gefunden werden muss. Einerseits soll der Zugriff auf Daten angesichts von Sicherheitsbedenken eingeschränkt werden, um Missbräuchen vorzubeugen. Personenbezogene Daten stehen dabei unter besonderem Schutz. Doch andererseits müssen auch Grundvoraussetzungen geschaffen werden, um der Arbeitswelt die Verwendung von Daten zu ermöglichen. "Wir wollen Google nicht das Geschäft überlassen!", konstatiert Herr Diemer in Bezug auf die Software-Entwicklung. Dem pflichtete Herr Hager bei. Die EU dürfe im Wettbewerb um die Vorreiterstellung bei innovativen Technologien nicht zu zögerlich agieren. Abschließend ist festzuhalten, dass durch-aus ein Veränderungsdruck auf den europäischen Rechtsrahmen beobachtet wird. Aus der Diskussion ging hervor, dass sowohl in der Industrie als auch in der Politik Lösungswege bereit stehen. Sei es in Form von Bürokratieabbau und Regulierungen oder in Form von einer vertieften Zusammenarbeit von Industrie und Gesetzgeber. Neue Gesetze und Richtlinien werden notwendig sein, doch "wir dürfen uns nicht irreführen lassen. Nur weil es im Netz stattfindet, ist der bestehende Rechtsrahmen noch lange nicht überholt", bekräftigte Herr Diemer in seinem Abschlusswort.
Elisa Himbert
Kai Zenner