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Indische IT-Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt?

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Bundeskanzler Olaf Scholz erntete Ende Februar 2023 großen Zuspruch in Indien, als er den leichteren Zugang zu Arbeitsvisa für Deutschland in Aussicht stellte.

„Neben der rechtlichen Modernisierung wollen wir auch den gesamten bürokratischen Prozess modernisieren.“ Mit diesen Worten äußerte sich Scholz in Indiens „Silicon Valley“ Bangalore. Worte, die geradezu emblematisch für seine Kanzlerschaft stehen: Das Ziel richtig – Deutschland benötigt dringend hochqualifizierte IT-Fachkräfte aus Indien, um auf einem wettbewerbsintensiven globalen Zukunftsmarkt zu bestehen. Doch es ist bislang jedenfalls nur eine Ankündigung. Von indischer Seite steht der Fachkräftezuwanderung nichts im Wege. Der Terminus „Braindrain“ existiert in Indien nicht. Laut einer Studie der Unternehmensberatungsfirma Korn Ferry werden bis Ende 2030 weltweit 85,2 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Von den zwanzig untersuchten Ländern war Indien das einzige, das bis 2030 mit der unglaublichen Zahl von etwa 245 Millionen überschüssigen Fachkräften rechnen müsse. Diese Zahl mag nur eine Prognose sein, doch unbestritten ist, dass die indische Wirtschaft kaum in der Lage sein wird, die Masse an jungen Arbeitskräften aufzunehmen.

Premierminister Narendra Modi bezeichnete die indische Diaspora wiederholt als „Botschafter der Marke Indien“. Mit etwa 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr an Rücküberweisungen in das eigene Land stehen die im Ausland lebenden Inder in dieser Statistik mit Abstand an der Spitze, während die Chinesen beispielsweise „nur“ 51 Milliarden US-Dollar an Rücküberweisungen in ihr Heimatland leisten. Immerhin drei Prozent des indischen Bruttoinlandsprodukts bestehen aus Rücküberweisungen. Der Zugewinn an Erfahrung durch Rückkehrer und das globale indische Netzwerk in der Geschäftswelt werden von der Regierung ebenfalls als Vorteile der Diaspora geschätzt.

Nachfrage und Angebot zwischen Deutschland und Indien könnten kaum besser zusammenpassen. Noch kommt beides jedoch nicht zusammen. So, wie zwischen Ausreisepflicht und tatsächlicher Ausreise ein signifikanter Unterschied liegt, so verhält es sich auch zwischen Fachkräfteeinwanderungsgesetz und Fachkräfteeinwanderung. Die Regelungen laufen an der Lebensrealität vorbei. So scherzt man in Indien über das Bermudadreieck der deutschen Visabürokratie: Wohnungssuche, Visumserteilung und Krankenversicherung. Um ein Arbeitsvisum zu bekommen, braucht man eine Krankenversicherung; um eine Krankenversicherung zu bekommen, braucht man eine Wohnung; für die Wohnungssuche ist das Arbeitsvisum für die meisten Vermieter obligatorisch. Die ersten Wochen in Deutschland verbringt man deshalb meist in einem Hotel oder bei Bekannten. Auch die sprachlichen Anforderungen sind eine Hürde. Es bleibt Wunschdenken, die nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer bereits heute unbesetzten zwei Millionen Arbeitsplätze mit fließend Deutsch sprechenden Fachkräften aus dem Ausland zu besetzen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz setzte die Anforderung für Sprachkenntnisse in Deutsch auf B1-Niveau herab – man muss also lediglich über ausreichend sprachliche Mittel verfügen, um zurechtzukommen; der Wortschatz reicht aus, um sich, wenn auch manchmal zögernd und mithilfe von Umschreibungen, über Themen wie Familie, Hobbys und Interessen, Arbeit, Reisen und aktuelle Ereignisse äußern zu können –, was eine deutliche Verbesserung mit sich bringt. Doch gerade in den Branchen, in denen Englisch die Lingua franca ist, erscheint diese Sprachbarriere etwas künstlich. Die Integrationsprobleme, die sich unter anderem auf das Fehlen von Sprachkenntnissen zurückführen lassen, sind weder in der indischen Diaspora noch in der IT-Community zu verorten.

Für die meisten indischen IT-Fachleute ist die Integration in eine westliche Arbeitskultur vergleichsweise unproblematisch. Viele arbeiteten vor ihrer Ankunft in Deutschland bereits für westliche Unternehmen in ihrem Heimatland. Das südasiatische Land ist das größte Outsourcing-Ziel für IT-Firmen weltweit. Der indische IT- und Geschäftsprozessmanagementsektor macht mehr als dreißig Prozent des globalen ausgelagerten Marktes aus. Zudem sind die 185.000 Inder, die schon heute in Deutschland leben, überdurchschnittlich gut qualifiziert. Das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelte in einer Umfrage für 2021, dass 57,6 Prozent der Inder in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung als Spezialisten oder Experten arbeiten; in Berufen, die in der Regel einen Hochschulabschluss oder einen Fortbildungsabschluss wie etwa den Meister voraussetzen. Nur 28,3 Prozent der deutschen Arbeitnehmer sind so hoch qualifiziert. Bei den in Deutschland beschäftigten Ausländern sind es insgesamt lediglich 16,5 Prozent. Indische Zuwanderer sind zudem religiös unauffällig und spielen in der Kriminalstatistik kaum eine Rolle.

Was fehlt, ist eine Einwanderungspolitik, die klar zwischen illegaler und legaler Migration sowie zwischen Asyl, Armutsmigration und Fachkräftezuwanderung unterscheidet.

Warum müssen die Ausländerbehörden der Kommunen bei Studienvisa und Fachkräftemigration involviert sein? Die Folge ist, dass die Anziehungskraft der deutschen Sozialsysteme einerseits und von Hochschulen sowie Unternehmen andererseits auf den gleichen Schreibtischen der Ausländerbehörden zusammentreffen. Der Familiennachzug eines afghanischen Asylsuchenden mit unklarer Dokumentenlage ist anders gelagert als der eines indischen IT-Ingenieurs, der von Bangalore nach Sindelfingen übersiedeln will. Würde eine deutsche Fachkraft eine Stelle im Ausland antreten, wenn der Familiennachzug achtzehn Monate dauert? Asyl und Fachkräftemigration sind zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Eine Straßenmeisterei kann nicht die Rolle der Autobahnpolizei übernehmen, und die Gärtner vom Grünflächenamt sind nicht für Kindergärten verantwortlich. Was spricht gegen eine Behörde, die Studien- und Arbeitsvisa – digital – bearbeitet und dem Auswärtigen Amt nachgeordnet ist?

Solange Konsulate und Ausländerbehörden Visavorgänge in Papierform um die Welt fliegen lassen, wird Deutschland im weltweiten Wettbewerb um die IT-Fachkräfte stets das Nachsehen haben. Die Ankündigungen der Bundesregierung suggerieren das Spielen in der Bundesliga – die Inderinnen und Inder erleben aber Kreisliganiveau.

 

Elias Marini Schäfer, geboren 1996 in München, Trainee im Auslandsbüro Indien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Neu-Delhi.

Adrian Haack, geboren 1987 in Idar-Oberstein, promovierter Politikwissenschaftler, Leiter des Auslandsbüros Indien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Neu-Delhi.