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Interview: "Kleinreden macht es nicht besser"

Wettermoderatorin Claudia Kleinert über die Zuverlässigkeit von Prognosen und das Thema Klimawandel in Wetterberichten

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Liebe Frau Kleinert, wann sind Sie zuletzt von einem Regenschauer überrascht worden?

Claudia Kleinert: Vor einem Monat. Da wusste ich, es kommt ein Gewitter, aber dachte: Ach komm, das schaffst du noch! Es ist dann doch ein bisschen schneller herangezogen und hat mich überrascht. Schauer lassen sich kaum genau vorhersagen.

 

Wie voraussehbar ist denn das Wetter heute? Meteorologen sprechen trotz aller modernen Methoden von „einem chaotischen System“.

Claudia Kleinert: Es ist ein chaotisches System, daran gibt es gar nichts zu rütteln. Das gilt selbst dann, wenn Sie immer mehr Wetterstationen haben und Computer immer leistungsfähiger werden. Für den nächsten Tag können wir zu 95 Prozent verlässlich vorhersagen, was passieren wird. Aber je weiter es in die Zukunft geht, desto schwieriger wird es.

Viele Faktoren kommen zusammen: Ein Tiefdruckgebiet bewegt sich in einer bestimmten Höhe mit einer bestimmten Geschwindigkeit, in eine bestimmte Richtung und so weiter. Jetzt versuchen Sie mal, vorherzusagen, wo es in drei oder vier Tagen sein wird. Wenn es nur ein bisschen schneller oder langsamer zieht oder seine Richtung minimal verändert, dann haben Sie für diesen Zeitraum, in dem es 1.000 Kilometer etwa über den Atlantik zieht, keine genaue Vorhersagbarkeit. Bei kurzfristigen Vorhersagen sind wir, wie bereits gesagt, schon recht gut, aber auf lange Sicht – zehn, vierzehn Tage, was beispielsweise Leute interessiert, die in den Urlaub fahren wollen – gibt es immer noch keine Chance, etwas Genaues sagen zu können.

Claudia Kleinert. Foto: (c) ARD

Wie wägen Sie angesichts dieser Unsicherheiten zwischen notwendiger Unwetterwarnung und möglicher Panikmache ab?

Claudia Kleinert: Das ist eine gute, aber schwierige Frage. Wenn es, wie in der vergangenen Woche, starke Gewitter mit einer möglichen Tornadogefahr geben kann, dann warnen wir natürlich davor. Sie können aber nicht vorhersagen, wo genau dieser Tornado stattfindet, und sprechen vielleicht für eine Fläche von 600 Quadratkilometern eine Warnung aus. Dann denken achtzig Prozent der Bevölkerung, die auf dieser Fläche wohnt, hinterher: „Jetzt hat sie mich groß vor einem Tornado gewarnt, aber bei mir ist nichts passiert.“ Aber anderswo hat das Unwetter einen Schaden von mehreren Millionen Euro verursacht und mehrere Häuser abgedeckt. Deswegen überlegen wir bei Unwettern jedes Mal, wie stark wir warnen, und weisen oft darauf hin, dass zwar eine Wahrscheinlichkeit besteht und Vorsorge getroffen werden sollte, aber nicht sicher ist, wen das Unwetter trifft.

 

Seit 1996 präsentieren Sie Wetterprognosen. Hat sich an der Art und Weise, wie Sie das tun, etwas verändert?

Claudia Kleinert: Anfangs hatte ich durchschnittlich alle vier Monate irgendeinen „Rekord“ zu vermelden: So warm war es noch nie, so kalt war es noch nie, es hat so viel geregnet wie nie. Inzwischen tue ich das jetzt fast jeden Monat, europa- oder weltweit noch häufiger. Wir erlebten gerade den wärmsten September, den es in Deutschland je gab. Und die letzten zwei Rekorde stammen aus den Jahren 2006 und 2016. Rekorde, die noch nicht einmal zehn Jahre alt sind, werden nun schon wieder übertroffen. Vor allem das hat sich geändert.

 

Früher waren Wetterberichte das heitere Nachspiel zum ernsten politischen Geschehen. Heute erhalten prominente Fernsehmeteorologen Hassmails und erfahren Anfeindungen. Haben Sie ähnliche Erfahrungen machen müssen?

Claudia Kleinert: Diese Erfahrung machen wir dauernd. Wobei ich sagen muss, dass ich in den sozialen Medien nicht viel unterwegs bin, eben weil ich solche Kommentare nicht ständig bekommen möchte.

Von Kollegen, die auf Twitter oder Instagram aktiv sind, weiß ich, dass sie das deutlich häufiger erleben. Meist ist der Vorwurf, dass wir oder die öffentliche Meinung den Klimawandel aufbauschen. Als wir aufgrund des Re-Designs aller unserer Wetterkarten die Farbskala für Temperaturen geändert und 30-GradTemperaturen rot unterlegt haben, hieß es beispielsweise, wir würden Panikmache betreiben. Temperaturen über 30 Grad seien ein ganz normaler Sommer. Nein, das ist kein ganz normaler Sommer! In Frankfurt gab es üblicherweise jährlich dreizehn Tage mit 30 Grad und höher, 2022 waren es 44. In den nächsten dreißig Jahren wird sich die Anzahl der Tage mit 30 oder auch 35 Grad nochmals erhöhen. Das sind dramatische Veränderungen, Kleinreden macht es nicht besser.

Seit sich Wetterkatastrophen häufen, kann man nicht mehr die Augen davor verschließen, dass sie etwas mit physikalischen Veränderungen zu tun haben. Je wärmer die Luft, desto mehr Wasser kann sie speichern. Desto heftiger werden dann auch Schauer, insbesondere in den Sommermonaten. Drucksysteme, also Hochs und Tiefs, hängen oft lange Zeit an einem Ort, verlagern sich kaum und bringen damit oft verheerende, sintflutartige Regenmengen. In diesem Sommer haben wir das im Mittelmeerraum öfter erlebt, vor zwei Jahren auch bei uns in Deutschland.

 

Klima ist nicht gleich Wetter, konstatieren besonders die Meteorologen, und doch werden Klimafragen in den Wetterberichten vermehrt thematisiert. Eine ehemalige Moderatorenkollegin sprach in diesem Zusammenhang von „politischer Nachhilfe“. Wann sollten Hintergründe zum Klimawandel Bestandteil von Wettervorhersagen sein?

Claudia Kleinert: Der Klimawandel wird thematisiert, sobald die dadurch verursachten Veränderungen Auswirkungen auf das Wetter haben. Dass es jetzt zum dritten Mal in zwanzig Jahren einen September mit Rekordtemperaturen in Deutschland gab, ist fraglos ein solcher Effekt auf das Wetter. Deshalb muss das auch in unseren Sendungen angesprochen werden. Aber wir geben in unseren Sendungen keine Handlungsempfehlungen oder appellieren: „Leute, dämmt das ein oder strengt euch mehr an“, wir sind also überhaupt nicht politisch. Wir konstatieren nur. Natürlich gibt es Parteien, die das Thema aufgreifen und sagen, wir tun was dagegen. Ob sie es dann tatsächlich machen oder nicht, ist eine andere Geschichte. Aber dass sie davon profitieren können, ist schon klar.

 

Inwieweit müssen Sie als Wettermoderatorin mit enorm großer öffentlicher Reichweite eine politische Instrumentalisierung mit bedenken?

Claudia Kleinert: Das bedenken wir grundsätzlich immer, indem wir so neutral wie möglich sind. Das heißt, wir vermitteln keine Meinung, sondern Fakten, und wir erzählen lediglich das, was passiert oder passieren wird, und erklären, warum es passiert. Wenn es um schreckliche Ereignisse geht, wird Neutralität allerdings schwierig, denn in Berichten über „furchtbare Regenmengen“ oder „verheerende Überschwemmungen“ steckt schon an sich eine Wertung, auch Anteilnahme. Aber wir bemühen uns alle sehr darum, und ich glaube, es gelingt uns auch sehr gut, neutral zu sein. Dass der Klimawandel stattfindet und sich die Situation verschlimmert, ist noch keine politische Aussage, sondern eine rein physikalisch-sachliche.

 

„Das Klima ist nicht an allem schuld“, sagt die Klimaforscherin Friederike Otto und weist in ihren Studien nach, dass nicht alle extremen Wetterereignisse Folgen des Klimawandels sind. Gibt es in der öffentlichen Debatte um Wetter und Klima tatsächlich unwissenschaftliche Reflexe?

Claudia Kleinert: Natürlich gibt es Medien, die Murks verbreiten und Katastrophenszenarien nach außen tragen. Vor dem Hintergrund der Gaskrise wurde Monate vorher behauptet: Es wird wahrscheinlich ein sehr schlimmer kalter Winter, weil nach Statistik jeder zehnte Winter außergewöhnlich kalt sei, was völliger Humbug ist. Auch ein „Horrorgewitter“ oder Ähnliches zu titulieren, ist ebenso unseriös.

Richtig ist, dass nicht jedes katastrophale Wetterereignis auf den Klimawandel zurückzuführen ist. In Libyen beispielsweise waren die schweren Unwetter auch deswegen so verheerend für die Bevölkerung, weil die Infrastruktur des Landes so schlecht ist. Dass die Regenfälle sintflutartig waren, steht aber außer Frage.

Mitunter kommt vieles zusammen, und manches lässt sich schwer trennen. Deswegen bin ich in den Formulierungen immer sehr vorsichtig, indem ich sage, das sind höchstwahrscheinlich Auswirkungen des Klimawandels oder könnten es sein.

Insofern gebe ich Ihnen Recht, dass es in Medien bisweilen unwissenschaftliche Reflexe gibt, die zu bedauern sind. Angesichts der enormen Auswirkungen des Klimawandels, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf uns zukommen werden und mit denen wir heute schon leben müssen, habe ich dennoch den Eindruck, dass sie sich in ihrer tatsächlichen Dramatik noch viel zu wenig nach außen vermitteln.

 

Sie moderieren zehn bis fünfzehn Sendungen pro Tag. Über Ihre berufliche Auslastung werden Sie sich also nicht sorgen. Dennoch die Frage: Welche Änderungen sehen Sie in Ihrem Arbeitsfeld durch die Zunahme digitaler Angebote voraus, und welche Auswirkungen hat das – etwa im Hinblick auf die Qualität und Ausgewogenheit der Berichterstattung?

Claudia Kleinert: Ich könnte mir vorstellen und hoffe auch, dass Sender und Redaktionen aufgrund des Klimawandels noch mehr Raum für Wettervorhersagen einplanen. In welchen Formaten das passieren kann, vermag ich nicht zu sagen. Natürlich greifen mehr und mehr Menschen auf Apps zurück. Wenn Sie dann aber fragen: „Glauben Sie auch, was da steht?“, sind es eher wenige. Ich glaube schon, dass die Menschen einschätzen können, wann sie eine genaue Prognose brauchen: Wenn Sie einen Film drehen und es nicht regnen darf, dann sieht keiner in eine App. Wenn Sie am Morgen einfach sehen wollen, welche Jacke oder welche Schuhe ziehe ich an, dann wird es auch immer Apps dafür geben, und das ist auch vollkommen in Ordnung.

 

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Unschlagbar positiv“ geschrieben. Trotz Zunahme extremer Wetterlagen und beunruhigender Prognosen für die Klimaentwicklung lassen Sie sich den Himmel nicht gänzlich verdüstern. Worauf gründet Ihre optimistische Haltung?

Claudia Kleinert: In meinem Leben habe ich gelernt, dass es nichts besser macht, wenn ich schlechte Laune habe. Karl Valentin hat gesagt: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Meistens hat man es selbst in der Hand, Dinge zu ändern, in die richtige oder zumindest bessere Richtung zu drehen. Nur muss man den Hintern hochbekommen und auch wirklich etwas tun.
 

Claudia Kleinert, geboren 1969 in Koblenz, Fernsehmoderatorin von „Wetter im Ersten“ sowie in der „Aktuellen Stunde“, Westdeutscher Rundfunk, und vielen weiteren Wettersendungen.

 

Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 27. September 2023.