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Datenschutz in der digitalen Welt

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Es herrscht Wild-West-Stimmung in der vernetzten Welt. Die digitale Prärie ist voller neuer Ideen, neuer Erfindungen und Rohstoff, die diesen Prozess antreiben. Ob man an dieser Stelle nun den berühmten Vergleich mit Öl oder Gold bemüht, kann dahingestellt bleiben. In jedem Fall sind es Daten, die als wertvollste Ressource des 21. Jahrhunderts die digitalen Maschinen antreiben.

Doch wie zu allen Pionierzeiten stellt sich die Frage: Welche bestehenden Werte und Prinzipien sind noch gültig? Welche müssen an die neue Wirklichkeit angepasst werden? Der Schutz persönlicher Daten ist hiervon nicht ausgenommen. Neben dem etablierten Datenschutz ranken sich mit Datensouveränität und Dateneigentum auch neue Ideen um dieses Thema. Sie versprechen mehr als nur die Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Der Bürger soll durch eine konsequente Anpassung des Rechts an die digitale Welt Herr und Nutznießer seines eigenen Datenschatzes werden. Um zu prüfen, ob dieser Weg tatsächlich in eine bessere Zukunft führen kann, müssen jedoch der Kontext und die Zusammenhänge der digitalen Entwicklung nachvollzogen werden.

Zunächst ist festzustellen, dass der digitale Westen seine „wilde Phase“ schon beinahe hinter sich gelassen hat. Die ersten größeren Pionierbewegungen fanden in den 1990er-Jahren statt. In dieser Zeit breiteten sich die Vorfahren der heutigen „Digital Natives“ als digitale Siedler aus und gründeten neue Gemeinschaften und Unternehmen. Letztere versuchten natürlich, der ungewohnten Umgebung etwas abzuschöpfen. Die frühen Suchmaschinen und Netzwerke wurden dabei schnell in den Nutzerdaten fündig. Es konnten sich erste tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln. Entgegen der damals noch üblichen Vermarktungsstrategie der analogen Welt setzten viele Internetunternehmen von Anfang an auf die Kommerzialisierung von Nutzerdaten, die über kostenlose Zugänge besonders zahlreich zu gewinnen waren. Früh wurde der berüchtigte Satz geprägt: Wenn man nichts für die Nutzung zahlt, ist man kein Kunde, sondern das Produkt.

Wirtschaftsfaktor E-Commerce

Die in dieser Zeit entstandenen Gemeinschaften und Unternehmensmodelle waren zwar nie von den Regeln der „alten Welt“ gelöst, führten aber sukzessive ihre eigenen Standards und Werte ein. Viele ließen sich auf den Tausch von Daten gegen Leistung ein, zumal der Austausch zwischen der digitalen und der analogen Welt noch wesentlich langsamer vonstattenging und überschaubarer blieb. Was im Internet war, blieb zumeist im Internet.

Doch seit 2003 veränderte sich diese Landschaft, wie aus der ARD-ZDF-Onlinestudie 2016 hervorgeht, denn seitdem war erstmals die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands zumindest zeitweise online. Die noch heute bestehenden Internet-Riesen fanden zu erster Größe; weite Teile des täglichen Lebens hatten sich längst auf die vernetzte Welt übertragen. Web 2.0 – das Mitmach-Netz – wurde zum Schlagwort. Insbesondere die junge Generation, die nahezu vollständig täglich das Internet nutzte, kommunizierte, informierte und unterhielt sich überwiegend digital.

Durch die größer werdende Verbreitung der Internetnutzung stieg allerdings nicht nur die soziale, sondern auch die wirtschaftliche Bedeutung der Vernetzung. In jedem Jahr seit 2008 steigerte der E-Commerce in Deutschland seinen jährlichen Umsatz durchschnittlich um vier Milliarden Euro. In den Geschäftsfeldern Medien, Telekommunikation und Computerelektronik wurde der stationäre Einzelhandel längst vom E-Commerce überholt. Ähnliches gilt auch für den Teil der Digitalwirtschaft, der gänzlich ohne körperliche Produkte auskommt. So lag 2016 der weltweite Umsatz für Apps bereits bei gut 61 Milliarden US-Dollar und soll bis 2021 auf bis zu 140 Milliarden US-Dollar anwachsen. Die Bedeutung dieser modernen Wirtschaftszweige und die Verankerung des digitalen Ichs im Alltag nehmen also stetig zu und werden wohl auch künftig zu den klassischen Bereichen aufschließen.

In dieser Phase der Transformation behalten die alten Geschäftsmodelle bezüglich des Tauschs von Daten gegen Leistung nicht nur ihre Gültigkeit – vielmehr hat sich eine darauf basierende Datenwirtschaft als eigener, umsatzträchtiger Sektor etabliert. So werden die Nutzerdaten nicht mehr nur für Statistiken, maßgeschneiderte Werbung oder Empfehlungen auf Einkaufsportalen verwendet. Längst dienen die Daten dazu, das Nutzungserlebnis zu individualisieren und ausschließlich das zu zeigen, was den Nutzer ohnehin interessiert, sei es bei Diskussionen oder bei politischen Statements. Die Filterblase ist ein sich selbst erhaltendes System der Gefälligkeit, da es zur längeren Verweildauer einlädt und damit mehr Mengen an Nutzerdaten und Umsätze erzeugt.

Die Masse macht‘s

„Big Data“ ist dabei das Stichwort und stellt den größten Unterschied zur Pionierzeit des Netzes dar. War anfangs der neue Rohstoff noch rar, schwer zu „raffinieren“ und damit letztlich weniger wertvoll, ergeben sich durch die immer stärkere Verbindung mit der analogen Welt ganz neue Potenziale. Das „Internet of everything“ ist dabei nur eine logische Fortsetzung. Alles wird ausgewertet, aufbereitet und miteinander verknüpft, denn das Internet ist überall.

Im Grunde ist dieser Wandel wenig überraschend, wenn man sich die Entwicklung anschaut. So gehen neueste Prognosen davon aus, dass das Volumen des digitalen Universums von derzeit wenigen Zettabyte auf 180 Zettabyte im Jahr 2025 anwachsen wird – eine unvorstellbare Zahl mit 21 Nullen. Im gleichen Zeitraum soll der weltweite Umsatz mit Big Data-Anwendungen auf 85 Milliarden Euro anwachsen. Diese Programme erschaffen dabei erst den Wert dieser Schätze, indem sie die Daten analysieren und auf die nutzbaren Bestandteile reduzieren. Die Platzhirsche der heutigen Digitalwirtschaft haben dieses Potenzial längst erkannt und investieren entsprechend große Summen. Insbesondere vom Ausbau der durch künstliche Intelligenz gestützten Verfahren verspricht sich die Industrie viele neue Anwendungen.

Die Möglichkeiten, die sich durch Big Data-Lösungen ergeben, sind vielfältig und unter anderem zentraler Bestandteil der Pläne für die Industrie 4.0. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht die intelligente Fabrik. Diese ist nicht nur mit den Versorgungsströmen, sondern auch mit den Kundenwünschen vernetzt. Die Fabrik wird zur Servicestation, die kurzfristig auf individuelle Bestellungen reagieren kann. Selbst wenn der direkte Input durch die Kundschaft fehlt, kann mithilfe vorausschauender Analyse ein effizienterer Plan für die Produktion gestaltet werden. Die Industrie der Zukunft ist dabei nicht der einzige Bereich, der der Big Data-Logik unterliegen wird.

Bei Versicherern stehen zum Beispiel neuartige Tarifsysteme im Raum, die den individuellen Fahrstil berücksichtigen können, aber dafür großzügig Telemetrie-Daten übertragen. Diese Entwicklung wird in ähnlicher Form auch vor der Finanzindustrie keinen Halt machen, die so durch die Verbindung mit bereits bekannten Methoden der Informationswirtschaft zur Finanztechnologie wird (FinTech). FinTech-Unternehmen versuchen unter anderem, das klassische Bankengeschäft mit genau jenen vorausschauenden Analysen zu verbinden, die auch für die Industrie 4.0 prägenden Charakter haben. Immer im Vordergrund: der Algorithmus, der vermeintlich fair und gerecht außerhalb menschlicher Diskriminierungsfaktoren handelt. Wichtiger Teil dieses Systems sind Data-Broker, die die Daten überhaupt erst aus den verschiedenen Quellen zusammenführen und für andere Unternehmen nutzbar machen.

Risiken in der schönen neuen Datenwelt

An dieser Stelle beginnt allerdings der schöne Putz der neuen Datenwelt zu bröckeln. Daten werden immer mehr zu einer austauschbaren Ware wie etwa Bananen, Schuhe oder Fernseher, die in einer freien Wirtschaft möglichst schnell und reichlich gehandelt werden sollen. Trotz der Leistung, die man im Austausch für seine Daten erhalten kann, stellt sich ein Unwohlsein ein. Wie weit muss ich meinen Fahrstil anpassen, um den Bedingungen des Versicherungsvertrags hinreichend gerecht zu werden? Wer hat Zugriff auf Informationen zu meinen angefahrenen Orten und die dafür genutzten Wege? Was ist, wenn es irgendwann keine alternativen Angebote mehr gibt? Dies sind Fragen, die sich auch auf die Nutzung von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken übertragen lassen.

Durch die verstärkte Verbindung der virtuellen mit der realen Welt werden diese Gedanken zentraler. Während man zur Zeit der offenen „Datenprärie“ immer noch den analogen Rückzugsraum und somit die Möglichkeit hatte, die digitale Identität hinter sich zu lassen, verwischen nun mehr und mehr die Grenzen.

Vielen wird bewusst, dass es keine harmlosen Daten gibt, die leicht abgeschüttelt werden können. Data-Broker sind schließlich gerade darauf spezialisiert, die kleinen Schnipsel zusammenzutragen, um daraus ein Gesamtbild zu formen. An diesem Punkt wankt das alte Modell vom Tauschhandel Daten gegen Leistung. Für den Nutzer ist es immer weniger nachvollziehbar, in welchem Kontext seine Daten verarbeitet und weitergegeben werden. Das Bedürfnis nach Schutz steigt.

Neue Schutzkonzepte für die virtuelle Welt

Die daraus folgende Frage lautet häufig: Wie können persönliche Daten in der virtuellen Welt wirksam geschützt werden? Im Zusammenhang mit der vernetzten Welt wird klassischer Datenschutz von einigen Akteuren jedoch als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Ein Mittel des Datenschutzes ist schließlich die Datenminimierung. Aber warum sollte man den Zugang zum neuen Öl, dem Treibstoff für den Motor der modernen Wirtschaft, erschweren? Vielleicht liegt die Entstehung des Datenschutzes auch schon zu weit zurück. Schließlich erließ Hessen bereits 1970 das weltweit erste Datenschutzgesetz. Das Bundesverfassungsgericht prägte 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in seinem berühmten und wegweisenden Volkszählungsurteil.

Wohl auch deshalb wurden dem Datenschutz in letzter Zeit neue Konzepte gegenübergestellt. Der Bürger soll nicht nur durch eiserne Sparsamkeit geschützt werden. Stattdessen wird versprochen, dass er wieder Herr und zudem auch noch Händler seiner Daten werden soll. Die Gewährleistung von Datensouveränität und Dateneigentum soll der künftige Weg sein. Momentan sind diese Ideen noch volatil und nicht vollständig beschrieben. Zentrales Element ist aber das ausschließliche Verfügungsrecht des Einzelnen über seine Daten. Wie bei allen Teilen eines Wirtschaftskreislaufs soll diese starke Position des Handelnden bessere Möglichkeiten bieten, einen eigenen Nutzen aus den Daten zu ziehen oder eben bewusst darauf zu verzichten. Hierfür müssen Transparenz und Nachvollziehbarkeit stets gegeben sein.

Größere Transparenz ist nicht nur ein verständliches Anliegen, sondern stellt tatsächlich einen essenziellen Bestandteil jedes effektiven Schutzes der eigenen Persönlichkeitsrechte dar. Nur wer weiß, was mit seinen Daten geschieht, kann prüfen, ob dies noch in seinem Sinne ist oder ob er etwas unternehmen muss. Aber die Gedanken hinter Datensouveränität und Dateneigentum offenbaren auch ein geändertes Verständnis von Schutz. Im Mittelpunkt steht nicht mehr nur der Wunsch nach Privatsphäre, sondern es soll auch die wirtschaftliche Handlungsposition bezüglich der Daten geschützt werden. Der Einzelne soll die Möglichkeit erhalten, seine eigenen Rohstoffe effektiv auszubeuten. Nicht von ungefähr wirkt diese Formulierung zugleich auch etwas unheimlich. Ausbeutung bedeutet nicht nur die Förderung von Ressourcen, sondern auch das überzogene Verlangen von Leistungen, ohne Rücksicht darauf, ob der Einzelne Schaden daran nimmt.

Die eigenen Daten werden zur Ware. Doch es handelt sich um ein Produkt, dessen Wert noch unbestimmt und unverlässlich ist. Professionelle DataBroker bieten für detaillierte Datensätze meist nur geringe Beträge, und als Teil eines größeren Datenpaketes ist das aufgezeichnete Surfverhalten des Einzelnen gerade einmal einen Cent wert. Der fiktive Herr seiner Daten bliebe also arm. Dabei ist dieses Ungleichgewicht wenig verwunderlich, denn der eigentliche Wert stellt sich schließlich erst durch die Verknüpfung, Aufbereitung und Bewertung vieler Datensätze ein.

Der Betroffene würde das aber wohl ganz anders bewerten. Denn für ihn ergibt sich der Wert seiner Daten gerade nicht aus der wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Der Wert für ihn bemisst sich vielmehr danach, wie weit die Offenlegung seiner Daten noch mit seinem Wunsch nach Privatsphäre vereinbar ist – ein Maßstab, der sich nicht auf wirtschaftliche Erwägungen übertragen lässt.

Rückzugsraum ohne Beobachtung

Diese Bewertungsdiskrepanz lässt sich damit erklären, dass hinter Datenschutz mehr steckt als nur die logische Folge aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Datenschutz vertritt ein Interesse, das jedem Menschen inhärent ist, selbst wenn er durch fortschreitende Vernetzung tagtäglich daran arbeitet, die Welt immer kleiner werden zu lassen, nämlich das Interesse, frei von Beobachtung zu sein. Jedem Menschen ist der Wunsch gegeben, einen Rückzugsraum zu haben, in dem sein Verhalten und seine Tätigkeit keiner Bewertung ausgesetzt sind. Ein solcher Raum dient als wichtiger Ausgleich zum Leben und Handeln in der Sozialsphäre.

Ohne diese Möglichkeit verliert der Mensch einen Raum, um sich auszuprobieren und neue Entscheidungen für sein Auftreten im sozialen Miteinander zu treffen. Er würde nicht nur einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeitsentfaltung verlieren, sondern auch zum Objekt ständiger Begutachtung und Prüfung werden. Gerade Letzteres ist allerdings unvereinbar mit dem essenziellen Gedanken, der sich mit der Würde des Menschen, auch als Teil eines christlichen Menschenbildes, verbindet.

Die Ideen von Datensouveränität und Dateneigentum werfen dabei zwar ein wichtiges Schlaglicht auf Themen, denen man sich zukünftig verstärkt widmen muss. Aber auch in der virtuellen Welt, erst recht bei steigender Schnittmenge mit der analogen Welt, bleibt das Recht auf Privatsphäre immer aktuell und unverhandelbar.

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Andrea A. Voßhoff, geboren 1958 in Haren (Ems), seit 2014 Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.

Sebastian Eschrich, geboren 1984 in Cloppenburg, Referent für Grundsatzfragen bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.

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