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Resilienz durch Ausrüstung und Entlastung

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Seit dem 24. Februar ist die Welt nicht mehr die, die sie war. Es herrscht Krieg in Europa, und Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine Zeitenwende ausgerufen. Sie erreicht auch die Bundeswehr, für die der Deutsche Bundestag ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen hat, um die dringendsten materiellen Fähigkeitslücken zu schließen, die sich in den vergangenen Jahren aufgetan haben. Neben der materiellen Ausstattung mit modernen und einsatzbereiten Waffensystemen müssen wir auch die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr in den Blick nehmen.

Denn modernste Waffensysteme nutzen den Streitkräften wenig, wenn kein erstklassig ausgebildetes Personal zur Verfügung steht, das die Waffen auch bedienen kann. In den kommenden Jahren soll die Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen, die als Kernauftrag die Landes- und Bündnisverteidigung sicherstellen sollen. Damit die 203.000 Männer und Frauen diesem Auftrag gerecht werden können, müssen kurz- und mittelfristig mehrere Voraussetzungen geschaffen werden: Die Kaltstartfähigkeit – die Fähigkeit, schnell verlege- und einsatzbereit zu sein – auch des Personals muss ausgeweitet werden, wir benötigen noch mehr Kontakt zur Gesellschaft und gesellschaftliche Anerkennung für die Soldatinnen, Soldaten und Veteranen – last, but not least muss auch die Gesellschaft insgesamt resilienter werden. Eine dieser Voraussetzungen kann die Bundeswehr selbst erfüllen: Die Kaltstartfähigkeit muss künftig auf noch mehr Truppenteile zutreffen – sowohl auf die Brigade, die fest zur Verteidigung Litauens im Rahmen der aufgestockten Enhanced Forward Presence (deutsch etwa: „Verstärkte Vornepräsenz“) der NATO eingeplant wird, als auch auf die voraussichtlich mehreren Zehntausend Soldaten, die Deutschland für die NATO im Rahmen des Aufwuchses der schnellen Eingreiftruppe bereitstellen wird. Um den Soldatinnen und Soldaten zu ermöglichen, kurzfristig im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung eingesetzt zu werden, müssen wir den Sozialdienst der Bundeswehr auch mit Blick auf die Familien ausbauen. Es muss sichergestellt werden, dass ihre Kinder betreut und pflegebedürftige Angehörige versorgt werden. Nur wenn man weiß, dass die Familie versorgt ist und auch im Ernstfall jemand bereitsteht, der sich um sie kümmert, kann man sich auf den anspruchsvollen militärischen Auftrag konzentrieren. Das sind wir den Männern und Frauen schuldig, die ihr Leben riskieren, um Deutschland und uns zu schützen.

 

Werbung für den Dienst

 

Die anderen Voraussetzungen zu erfüllen, ist dagegen Aufgabe der Politik und der Gesellschaft. Die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr steht vor mehreren Herausforderungen, die zu lösen nur mithilfe der Politik möglich ist. Einerseits passt der zunehmende Individualismus der Menschen in Deutschland auf den ersten Blick nicht zum Dienst als Soldatin oder Soldat. Die Deutschen verbinden mit ihm in der Regel unflexible Strukturen, Befehlsketten und Uniform. Die über 1.000 unterschiedlichen Berufe, die es in der Truppe gibt, werden dagegen selten wahrgenommen. Daneben besteht immer weniger Kontakt zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, weil keine Wehrpflichtigen mehr als Multiplikatoren in die Gesellschaft hineinwirken. Traten früher bis zu 150.000 junge Männer pro Jahr ihren Wehrdienst an, die danach überwiegend positiv davon berichteten, sind es heute ausschließlich Freiwillige, die in die Bundeswehr eintreten. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr könnte dabei helfen, das Bild der Bundeswehr in der Gesellschaft auszudifferenzieren und Werbung für den erfüllenden und sinnvollen Dienst zu machen, den die Soldatinnen und Soldaten tagtäglich leisten. Wenn sich ein bestimmter Anteil junger Menschen aussuchen würde, den Dienst bei der Bundeswehr zu absolvieren, würden wieder mehr Personen mit der Truppe in Kontakt kommen und Positives zu berichten wissen. Denn die Verzahnung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft ist wichtig und folgerichtig – die Soldatinnen und Soldaten sind schließlich Staatsbürger in Uniform, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung notfalls mit ihrem Leben verteidigen und auch außerhalb des Dienstes für sie eintreten. Die Anerkennung hierfür gibt es allerdings nur, wenn die Bundeswehr in der öffentlichen Debatte vorkommt, viele auch im privaten Raum von ihren Erfahrungen berichten und den Kontakt zu Kameradinnen und Kameraden halten.

Außerdem sollten zur Förderung des Austauschs zwischen Gesellschaft und Bundeswehr Jugendoffiziere offener an Schulen empfangen werden. Dass sich Schulleiterinnen und -leiter dagegen sperren, ihre Schülerinnen und Schüler sicherheitspolitisch weiterzubilden – gerade in der aktuellen geopolitischen Situation – verhindert, die Jugend für diesen Politikbereich zu begeistern und sie auf die Zukunft vorzubereiten. Passend dazu sollte es der Bundeswehr erlaubt sein, sich und ihre vielfältigen Möglichkeiten bei Berufsmessen oder Berufsorientierungstagen und -wochen an Schulen vorzustellen. Soldat zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere, aber wir brauchen Staatsbürger in Uniform, die Soldatinnen und Soldaten sind integraler Bestandteil der Gesellschaft. Sie schaffen unter Einsatz ihres Lebens die Voraussetzung dafür, dass wir in Frieden leben und unsere Gesellschaft weiterentwickeln können. Darüber sollte man auch in der Oberstufe informiert werden können.

 

Würdigung der Opfer

 

Daneben sollten wir als Politik noch mehr Ideen und Projekte zur Würdigung von Soldatinnen und Soldaten unterstützen und umsetzen, um die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr zu steigern. Ich denke beispielsweise an die Invictus Games, bei denen kriegsversehrte Soldatinnen und Soldaten in verschiedenen sportlichen Wettkämpfen antreten. Diesen Spielen sollten wir mehr Aufmerksamkeit widmen, um das Opfer zu würdigen, das die Teilnehmenden im Dienst für ihre Länder gebracht haben. Wir sollten nicht verdrängen, dass Menschen im Gefecht verletzt werden und leider auch Gefallene zu beklagen sind. Diese Opfer zu würdigen, ist Aufgabe der Politik. Es gibt zahlreiche Ehrenmale der Bundeswehr in Deutschland, etwa das zentrale am Bendlerblock in Berlin oder die Ehrenmale der Teilstreitkräfte in Koblenz, Laboe und Fürstenfeldbruck. Auch diese Ehrenmale und den Wald der Erinnerung am Einsatzführungskommando in Schwielowsee instand zu halten und regelmäßige Veranstaltungen auszurichten, um der Gefallenen zu gedenken und den Versehrten Dank für ihren Einsatz zu zollen, gehört zur Anerkennung für die Bundeswehr.

Auch die gewandelte Bedrohungsperzeption in der Bevölkerung und in der Politik kann dazu beitragen, das Bild der Bundeswehr in der Gesellschaft zu optimieren. Die Menschen in Deutschland und auch die Politik haben erkannt, dass Russland eine ernsthafte Bedrohung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa darstellt. Die Notwendigkeit, einsatzbereite und gut ausgerüstete Streitkräfte zu haben, die gemeinsam mit den Verbündeten in der NATO und der Europäischen Union Deutschland und Europa verteidigen, ist den Bürgerinnen und Bürgern dadurch weitaus bewusster geworden. Und auch bei vielen Politikern hat ein Umdenken stattgefunden. Dies darf jedoch kein Strohfeuer sein, wir müssen im Gegenteil gerade als CDU weiterhin dafür eintreten, dass die Bundeswehr dauerhaft entsprechend ihren Zielen und Aufgaben finanziert wird und ihr dauerhaft die Anerkennung zuteil wird, die sie verdient.

 

Inspiration Gesellschaftsjahr

 

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Bundeswehr im Inland immer da ist, wenn sie gebraucht wird, und dass die Soldatinnen und Soldaten gern helfen, um Krisen und Katastrophen zu bewältigen. Ob als Amtshilfe im Kampf gegen die Pandemie oder bei der Unterstützung in besonders von der Flut im Sommer 2021 betroffenen Orten: Die Hilfe kommt an, und die Menschen vor Ort sind dankbar. So zeigt die Bundeswehr Präsenz und wird als Helfer in der Not wahrgenommen, wenn die zivilen Behörden an ihre Grenzen kommen. Aber auch hier muss ein Umdenken stattfinden. Die Bundeswehr ist kein Technisches Hilfswerk in Flecktarn. Die Soldatinnen und Soldaten müssen sich – gerade in der aktuellen sicherheitspolitischen Situation – auf ihre Kernaufgabe, die Landes- und Bündnisverteidigung, konzentrieren können. Denn auch wenn die Bundeswehr gern hilft: Die eigentliche Aufgabe der Streitkräfte ist es, kriegstauglich zu sein und das Land und seine Bürgerinnen und Bürger verteidigen zu können. Gerade durch die Amtshilfe in Gesundheitsämtern, Pflegeeinrichtungen und Impfzentren, die über zwei Jahre massiv Personal gebunden hat, musste die Ausbildung und Inübunghaltung der Truppe vernachlässigt werden. Dies gilt es nun nachzuholen und die Soldatinnen und Soldaten wieder entsprechend ihrem Auftrag auszubilden und auszurüsten.

Damit sich die Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren kann, muss die Gesellschaft insgesamt resilienter werden.

Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Blaulichtorganisationen und Katastrophenschutz müssen in die Lage versetzt werden, mit eigenen Kapazitäten größere Krisen zu bewältigen. Auf dem Weg zum Ziel gesamtgesellschaftlicher Resilienz kann ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr helfen. Wenn jeder, der in Deutschland seinen Schulabschluss macht, danach ein Jahr in die Gesellschaft investiert, könnten diejenigen Einrichtungen, die personell schon im Grundbetrieb an ihre Grenzen geraten, entlastet werden. Natürlich sind diese Dienstpflichtigen kein Ersatz für dringend benötigte Fachkräfte; sie können die vorhandenen Fachkräfte jedoch entlasten, sodass sie sich mehr auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können.

Zudem würden einige junge Menschen das Gesellschaftsjahr sicherlich inspirierend finden, sodass sie sich für einen beruflichen Weg in diesem Bereich entscheiden. So kann langfristig dem Personalmangel entgegengewirkt werden. Gerade bei der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk besteht die Möglichkeit, dass die jungen Menschen Teil einer zivilen Reserve werden, die ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Krisenfall effektiv einbringen kann. Damit könnte die Bundeswehr entlastet werden und gleichzeitig größeren Nachwuchs generieren, wenn man sich im Rahmen des Gesellschaftsjahrs auch um einen Dienst in der Bundeswehr bewerben könnte  – ähnlich dem bestehenden Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz, bei dem man nach der Grund- und Spezialausbildung für einige Jahre als Reservist zur Verfügung steht.

Die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr dürfen wir nicht außer Acht lassen, wenn wir über das Personal der Bundeswehr sprechen. Sie nehmen freiwillig an Reservistendienstleistungen teil und ergänzen oder entlasten damit die aktive Truppe. Außerdem kommt ihnen in der Landes- und Bündnisverteidigung eine zentrale Rolle zu. Ohne die Aufwuchsfähigkeit durch eine materiell und personell gut ausgestattete, entsprechend ihren Aufgaben ausgebildete Reserve wäre es im Verteidigungsfall nicht weit her mit der Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr.

Dies sind nur einige Aspekte, die das Personal der Bundeswehr der Zukunft betreffen. Aber aus meiner Sicht ist es zentral, den Soldatinnen und Soldaten sowohl innerhalb der Bundeswehr die Möglichkeit zu geben, einsatzbereit zu sein und zu wissen, dass die Familie versorgt ist, als auch ihnen die bestmögliche Ausrüstung und Ausstattung zukommen zu lassen. Daneben muss es ein Umdenken in der Gesellschaft geben, um mittelfristig gesamtgesellschaftlich resilient und damit unabhängiger von Hilfeleistungen der Bundeswehr im Inland zu werden. Denn wenn wir eins aus der aktuellen Sicherheitslage Europas lernen, so ist es, dass wir eine einsatzbereite, siegfähige Bundeswehr benötigen.

 

Serap Güler, geboren 1980 in Marl, 2017 bis 2021 Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und ordentliches Mitglied des Verteidigungsausschusses.