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Das neue Kabinett wird aus 22 Mitgliedern (Regierungschef und 21 Minister) und acht stellvertretenden Ministern bestehen. Die Verringerung der Ministerzahl (zuletzt 30 im Kabinett Netanjahu II, darunter drei ohne Geschäftsbereich) war eine Forderung von Jair Lapid, dem Parteivorsitzenden der „Jesch Atid“-Partei, der sich damit gegen massiven Widerstand Netanjahus und des Likud durchsetzen konnte. Dafür hatten Jair Lapid und Naftali Bennett, Vorsitzender der Partei „HaBajit HaJehudi“, keinen Erfolg mit dem – eher protokollarisch-symbolisch bedeutsamen – Wunsch, stellvertretende Ministerpräsidenten zu werden.
Am 15. März gelang es Ministerpräsident Netanjahu langwierigen und zähen Verhandlungen, seinen Auftrag zur Regierungsbildung zu erfüllen und Koalitionsvereinbarungen mit den Parteien Jesch Atid (19 Mandate), HaBajit HaJehudi (12 Mandate) zu unterschreiben. Mit Tzipi Livni von der HaTnua-Partei (sechs Mandate) hatte Netanjahu bereits im Februar ein Abkommen geschlossen. Die neue Koalition verfügt über 68 der 120 Knesset-Mandate.
Netanjahu führte sechs Wochen lang Gespräche mit allen Parteien, um Partner für eine Regierungsmehrheit zu finden. Schelly Jachimowitsch, die Vorsitzende der Arbeitspartei, hatte den Eintritt in Netanjahus Regierung aufgrund zu großer inhaltlicher Differenzen von Anfang an abgelehnt. Um eine Mehrheit unter Einschluss der Ultraorthodoxen zu bilden, war Netanjahu entweder auf Jesch Atid oder HaBajit HaJehudi angewiesen. Beide Parteien hatten jedoch Reformforderungen, die den Interessen der ultraorthodoxen Klientel massiv zuwiderliefen. Sie schlossen zu Beginn der Koalitionsverhandlungen einen Pakt, der besagte, dass sie entweder gemeinsam oder gar nicht in die Regierung eintreten würden. Netanjahu gelang es nicht, diesen Pakt zu sprengen. Deshalb musste er zentralen Forderungen von Jesch Atid und HaBajit HaJehudi nachgeben und auf seine ultraorthodoxen Wunschpartner verzichten.
Allen Beteiligten wurden Kompromisse abgerungen. So erreichte Jesch Atid zwar eine Verkleinerung des Kabinetts, in dem Koalitionsabkommen zwischen Jesch Atid und Likud Beiteinu wird jedoch festgelegt, dass die Reduzierung der Ministerzahl auf 18 erst in der nächsten Legislaturperiode realisiert werden soll. Zudem musste Jesch Atid im Zuge der Koalitionsverhandlungen die Forderungen nach Einführung der Zivilehe, der Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Eheschließungen sowie nach Zulassung öffentlicher Verkehrsmittel am Shabbat aufgeben.
Der nationalkonservative Likud erhält neun Ministerposten und konzentriert gemeinsam mit seinem säkular-nationalistischen Listenpartner Israel Beiteinu die außen- und sicherheitspolitisch zentralen Ämter (inkl. Vorsitz des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung) auf sich. Sollte Lieberman in dem zurzeit gegen ihn geführten Strafprozess vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und Betrugs freigesprochen werden und den Posten des Außenministers wieder übernehmen, wird Israel Beiteinu fünf und der Likud acht Minister stellen. Jesch Atid erhält fünf Ministerposten, während HaBajit HaJehudi drei Ministerien und den Vorsitz des politisch bedeutenden Finanzausschusses zugesprochen bekommt. Tzipi Livnis Partei HaTnua sichert sich – bei einer Fraktionsstärke von sechs Abgeordneten – zwei Ministerien.
Das neue Kabinett
Das am 18. März 2013 vereidigte Kabinett Netanjahu III setzt sich wie folgt zusammen:
- Benjamin Netanjahu (Likud – „Zusammenschluss“)
- Jair Lapid (Jesch Atid – „Es gibt Zukunft“)
- Naftali Bennett (HaBajit HaJehudi – „Das Jüdische Zuhause“)
- Moshe Ja’alon (Likud)
- Tzipi Livni (HaTnua, „Die Bewegung“)
- Gideon Sa’ar (Likud)
- Schai Piron (Jesch Atid)
- Juval Steinitz (Likud)
- Jair Shamir (Israel Beiteinu – „Unser Haus Israel“)
- Jitzchak Aharonovitch (Israel Beiteinu)
- Uri Ariel (HaBajit HaJehudi)
- Yael German (Jesch Atid)
- Uzi Landau (Israel Beiteinu)
- Yisrael Katz (Likud)
- Silvan Shalom (Likud)
- Gilad Erdan (Likud)
- Jaakov Perry (Jesh Atid)
- Meir Cohen (Jesh Atid)
- Limor Livnat (Likud)
- Uri Orbach (HaBajit HaJehudi)
- Amir Peretz (HaTnua)
- Sofa Landver (Israel Beiteinu)
Zu den bereits genannten Stellvertretenden Ministern kommen hinzu:
- Ofir Akunis (Likud)
- Juli Edelstein
Elemente der Koalitionsvereinbarungen
Die Koalitionsvereinbarungen bestehen aus einzelnen Abkommen, die Jesch Atid, HaBajit HaJehudi und HaTnua mit Likud Beiteinu geschlossen haben. Teile dieser Abkommen kamen durch die Presse vorab an die Öffentlichkeit.
Die Koalitionspartner Jesh Atid und Likud Beiteinu einigten sich in ihrem Koalitionsabkommen, dass die Regierung so genannte Gesetze zu nachhaltigen Regierbarkeit (sustainable governability) einbringen werde. Diese beinhalten z.B. die Anhebung der Sperrklausel von zwei auf vier Prozent für die Wahl der nächsten Knesset. Diese Maßnahme soll die starke Zersplitterung der israelischen Parteienlandschaft verringern und für mehr politische Stabilität sorgen. Aktuell sind 12 Fraktionen in der Knesset vertreten (wobei Likud-Beiteinu als eine Fraktion gezählt wird. Zudem soll die Zahl der Minister nach den Wahlen zur 20. Knesset per Gesetz auf 18 (plus Ministerpräsident) und vier stellvertretende Minister reduziert werden. Eine weitere Neuerung wird die Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums sein. Hiernach kann ein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten nur noch dann erfolgreich sein, wenn mindestens 65 Abgeordnete ein anderes Mitglied der Knesset zum neuen Ministerpräsidenten wählen.
Fraktionsmitglieder, die sich von ihrer Partei abspalten, sollen künftig kein Recht mehr auf Finanzierung durch Mittel ihrer alten Partei haben. Dieser Schritt soll Abspaltungen einzelner Parteimitglieder und die daran anschließende Gründung einer neuen Partei erschweren.
Ein zentraler Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen ist die Vereinbarung, 45 Tage nach Regierungsbildung einen Gesetzesentwurf zur allgemeinen Wehrpflicht in der Knesset einzubringen. Die Abstimmung über die Vorlage soll noch vor der Einbringung des neuen Haushalts für 2013 stattfinden. Das Gesetz zielt darauf ab, mehr ultraorthodoxe Juden – aber auch arabische Israelis – in den Wehr- oder Zivildienst einzubeziehen und die bisher geltenden Begünstigungen und Ausnahmen für Thora-Schüler zu reduzieren. Im Gespräch ist zudem die Verkürzung des allgemeinen Wehrdiensts für Männer auf zwei Jahre. Diejenigen, die länger Wehrdienst leisten, sollen dafür entlohnt werden.
Einer der Bestandteile der Einigung zwischen Jesch Atid und Likud Beiteinu besagt, dass das Bildungsministerium innerhalb von sechs Monaten einen Kernlehrplan ausarbeiten soll, der an allen israelischen Schulen gelehrt werden muss. Bislang sind religiöse Schulen von allgemein bildenden Fächern weitgehend befreit.
Künftig sollen Sozialleistungen des Staates an die Bedingung der „vollen Nutzung der Erwerbsfähigkeit“ (full use of earning capacity) geknüpft werden – also daran, ob der Leistungsempfänger zumindest nachweisen kann, dass er sich aktiv um Arbeit bemüht. Auch dies wird vor allem die ultraorthodoxe Bevölkerung treffen, die von (geringen) staatlichen Stipendien lebt und dem Thora-Studium nachgeht.
Auch der Minister für Wohnungs- und Bauwesen soll innerhalb von 30 Tagen die Berechtigungskriterien für das staatlich geförderte Wohnungsprogramm um das Kriterium der „vollen Nutzung der Erwerbsfähigkeit“ erweitern. Der bisherige ultraorthodoxe Minister für Wohnungs- und Bauwesen Ariel Atias hatte die Aufnahme dieses Kriteriums bislang erfolgreich verhindert.
Nur unter Zustimmung aller vier Koalitionspartner kann eine weitere Fraktion in die Koalition aufgenommen werden.
Kritik hat bereits ein Gesetzesvorhaben hervorgerufen, das Teil des Regierungsabkommens zwischen HaBajit HaJehudi und Likud Beiteinu ist. Linksliberale Kommentatoren haben bereits die Befürchtung geäußert, das so genannte „Grundgesetz: Israel als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes“ werde den jüdischen Charakter über den demokratischen Charakter des Staates Israel stellen. Allerdings sind noch keine Einzelheiten zur Formulie-rung des neuen Gesetzes bekannt.
Zudem lässt HaBajit HaJehudi in seiner Koalitionsvereinbarung mit dem Likud festschreiben, dass der Status nationalreligiöser Institutionen per Gesetz durch besondere Finanzierung sowie besonderen Status geschützt wird. Die nationalreligiöse Partei wird die Möglichkeit haben, ein Veto gegen jegliche Gesetzvorschläge einzulegen, die das Verhältnis von Staat und Religion betreffen. Das Oberrabbinat (bislang Büros des Ministerpräsidenten), die Aufsicht über Konversionen, sowie die Kontrolle über heilige Stätten (bislang Tourismusministerium) sollen dem Ministerium für Religiöse Angelegenheiten unterstellt werden.
Bezüglich des israelisch-palästinensischen Konflikts bleibt das Abkommen zwischen Jesch Atid und Likud Beiteinu recht vage. Es wird lediglich festgelegt, dass die Regierung handeln wird, um den diplomatischen Prozess mit den Palästinensern zu erneuern. Das Abkommen von HaBajit HaJehudi mit Likud Beiteinu klammert die „palästinensische Frage“ weitgehend aus. Es gibt lediglich eine Klausel, die fordert, dass innerhalb von 90 Tagen ein Gesetz zur Regelung der Aufgabe israelischen Territoriums verabschiedet werden muss. Laut diesem Gesetz würde im Falle eines israelisch-palästinensischen Abkommens, das einen Gebietstausch zwischen beiden Seiten beinhaltet, eine Volksabstimmung erforderlich. Im Abkommen mit HaTnua hat der israelisch-palästinensische Konflikt eine gewichtigere Stellung. Dort wird unter anderem Tzipi Livni als Verhandlungsführerin bei Gesprächen mit den Palästinensern festgelegt. Das Abkommen besagt, dass der Ministerpräsident und die Justizministerin nach Regierungsbildung an der Wiederaufnahme des diplomatischen Prozesses arbeiten werden.
Es wird einen speziellen Ministerausschuss geben, der für den Friedensprozess mit den Palästinensern verantwortlich ist. Mitglieder dieses Ausschusses werden Ministerpräsident Netanjahu, Verteidigungsminister Ja’alon, Justizministerin und Verhandlungsführerin Livni, Energieminister Shalom, Finanzminister Lapid, Wirtschaftsminister Bennett und Wissenschaftsminister Jaakov Perry sein. Netanjahu wird Leiter des Verhandlungsteams und muss jede Einigung, die Livni erreicht, genehmigen. Gemäß den Abkommen mit Jesch Atid und HaBajit HaJehudi soll je ein Vertreter von Lapid und Bennett den Verhandlungen beiwohnen.
Das Sicherheitskabinett der neuen Regierung umfasst neben Ministerpräs ident Benjamin Netanjahu den Verteidigungsminister Moshe Ja’alon, Außenminister Avigdor Lieberman (wenn dieser nach seinem Verfahren zurückkommen sollte), Finanzminister Jair Lapid, Wirt-schaftsminister Naftali Bennett, Justizministerin Tzipi Livni, Kommunikationsminister Gilad Erdan, Energieminister Silvan Shalom und Minister fü Innere Sicherheit Jitzchak Aharonowitch.
Gewinner und Verlierer
Als klare Verlierer des Koalitionsbildungsprozesses gelten die ultraorthodoxen Fraktionen Shas (sephardisch) und Vereinigtes Thora-Judentum (aschkenasisch), deren Ausschluss aus der Regierung Jesch Atid und HaBajit HaJehudi zur Bedingung für einen Regierungseintritt machten. Die ultraorthodoxe Klientel wird bspw. bei der staatlichen Förderung von Thora-Schulen erhebliche Einschnitte gewärtigen müssen. Zudem werden strengere Kriterien für Thora-Schüler beim Einzug zum Wehr- oder Zivildienst gelten. Mit dem Verlust des Religionsportfolios wird auch das religionspolitische Monopol der Ultraorthodoxen verloren gehen.
Prominentestes „Opfer“ der Kabinettsverkleinerung ist Reuven Rivlin (Likud), Sprecher (= Präsident) der 18. Knesset und bisheriger Favorit als Nachfolger von Staatspräsident Schimon Peres. Er musste für den bisherigen Informations- und Diasporaminister Juli Edelstein Platz machen. Dieser Entwicklung gingen Streitigkeiten zwischen Rivlin und Netanjahu voraus. Rivlin hatte dessen „autokratischen“ Führungsstil und sein Demokratieverständnis öffentlich kritisiert.
Obwohl die gemeinsame Likud Beiteinu-Liste die Wahl gewann und es Netanjahu schließlich gelang, eine Koalition unter seiner Führung zu bilden, musste auch der Likud eine Niederlage einstecken – sowohl was die Anzahl der Mandate (21 um Vergleich zu 27 in der vergangenen Knesset) als auch die Anzahl der Ministerposten (8 im Vergleich zu 15 in der vergangenen Regierung, der Ministerpräsident jeweils mitgerechnet) angeht.
Innerparteilich problematisch ist für Netanjahu der Verlust an Patronagemöglichkeiten: Eine Reihe von Parteifreunden mit guten Listenplätzen, die sich Chancen auf einen Kabinettsposten oder einen Ausschussvorsitz ausgerechnet hatten, gehen leer aus. Viele Bedingungen zur Regierungsbildung wie der Ausschluss der ultraorthodoxen Parteien oder die Verringerung der Ministerzahl wurden Netanjahu von seinen neuen Koalitionspartnern diktiert.
Zudem gilt Schaul Mofaz (Kadima) als einer der großen Verlierer. Obwohl Kadima nach einer Zitterpartie mit nur zwei Mandaten in die neue Knesset einzog, galt diese Partei zu Beginn der Koalitionsverhandlungen noch als sicherer Bestandteil der neuen Regierung. Der Versuch, sich während der Koalitionsverhandlungen dem Pakt von Lapid und Bennett anzuschließen, wurde ihm jedoch zum Verhängnis. Netanjahu „bestrafte“ diesen „Verrat“ seines kurzzeitigen Koalitionspartners von 2012, indem er Kadima nicht zu Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung einlud.
Gewinner: Als großer Profiteur geht die Partei Avigdor Liebermans, Israel Beiteinu, aus den Koalitionsverhandlungen hervor. Bei einer Mandatszahl von nur elf Abgeordneten hätte die Partei nach Rückkehr Liebermans fünf Ministerposten. Zudem wird die Partei im angesehenen Parlamentsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung den Vorsitz führen. Nachdem der Likud auf wichtige Ministerämter verzichten musste, wäre zu erwarten gewesen, dass Israel Beiteinu ein ähnliches Schicksal droht.
Weitere eindeutige Gewinner der Regierungsverhandlungen sind Naftali Bennett und Jair Lapid.
Bennets HaBajit HaJehudi konnte sich einige zentrale Ämter sichern. Mit der Übernahme des Ministeriums für Religionsangelegenheiten hat die nationalreligiöse Bewegung die Kontrolle über religiöse Institutionen – und damit einen bedeutendes Instrument kultureller Hegemonie – errungen.
Aber auch das Wohnungs- und Bauwesen-Portfolio und der Vorsitz des Finanzausschusses sind wichtige Errungenschaften im Kampf um Macht und Einfluss. Damit hat sich die Partei wichtige Ämter gesichert, um ihre Klientel, die Siedlerbewegung, zu fördern. (Der Minister für Wohnungs- und Bauwesen Uri Ariel lebt selbst in einer Siedlung.)
Auch wenn Bennett wiederholt erklärt hat, er sei nicht der Anführer einer Siedlerpartei, vielmehr diene seine Partei der gesamten israelischen Öffentlichkeit, lässt sich nicht leugnen, dass die Siedlerbewegung durch die Präsenz von HaBajit HaJehudi in der neuen Regierung eher gestärkt wird. Der von der internationalen Gemeinschaft geforderte Siedlungsstopp wird mit HaBajit HaJehudi und Israel Beiteinu in der Regierung kaum durchzusetzen sein. Der stellvertretende Verteidigungsminister Danny Danon und der stellvertretende Außenminister Zeev Elkin (beide Likud) können ebenfalls der Siedlerbewegung zugeordnet werden. Damit sind zahlreiche Schlüsselpositionen in den Händen siedlerfreundlicher Politiker konzentriert, was den Siedlern größeren Einfluss als bislang bescheren dürfte und die Verteilung der Mittel aus dem neuen Haushalt zu ihren Gunsten beeinflussen könnte.
Ferner konnte sich Naftali Benett als ehrlicher Makler zwischen Likud Beiteinu und Jesch Atid profilieren: Bennett nahm eine wichtige Vermittlerrolle in den Koalitionsverhandlungen ein und mit viel Geschick gelang es ihm schließlich eine Einigung zwischen Netanjahu und Lapid herbeizuführen. Er stellte damit die alte Rolle der religiösen Zionisten als Schlichter zwischen verschiedenen Sektoren der israelischen Gesellschaft wieder her.
Jair Lapid steht mit seiner Jesch Atid-Partei schwierigen Herausforderungen gegenüber. Er muss nun beweisen, dass seine Wahlversprechen nicht nur aus leeren Floskeln bestanden. Dies wird besonders kompliziert angesichts eines Haushaltsdefizits von 4,2% des BIP in 2012 und eines Sparbedarfs von bis zu 20 Milliarden ILS in den nächsten anderthalb Jahren, soll das Defizitziel eingehalten werden. Durch die Koalitionsabkommen gelang es Jesch Atid jedoch, wichtige Reformen, die bislang als nahezu unmöglich galten, als verbindliche Zielvorgabe festzulegen. Dazu gehören die Erhöhung der Prozenthürde und die weitere Verringerung der Ministerposten in der nächsten Regierung. Auch die geplanten Reformen im ultraorthodoxen Sektor, wie die Einführung eines Kernlehrplans für den religiösen Schulzweig und Eingliederung der Ultraorthodoxen in die Arbeitswelt versprechen eine nachhaltige Änderung in der israelischen Gesellschaft. Als schwierig wird sich erweisen, im Rahmen der notwendigen Einsparungen bei dem Budget für die Siedlungen zu kürzen. Spätestens dann wird der Pakt mit dem nationalreligiösen Naftali Bennett auf eine schwere Probe gestellt.
Aber auch im Likud gelang es einigen Abgeordneten, trotz der Knappheit an bedeutenden Ministerien ihre Position in der neuen Regierung zu verbessern. Dazu gehören beispielsweise Moshe Ja’alon, der vom Minister für Strategische Angelegenheiten zum Verteidigungsminister aufstieg. Auch Gilad Erdan hat sich verbessert: Vom Umweltministerium gelangte er zum Amt des Kommunikationsministers und Ministers für Verteidigung der Heimatfront. Damit sitzt er zum Einen im inneren Kabinett, zum anderen werden ihm als Kommunikationsminister alle Rundfunkstationen des Landes unterstehen.
Politische Herausforderungen
Aus den Koalitionsvereinbarungen geht deutlich hervor, dass der mittelfristige Schwerpunkt der neuen Regierung auf wirtschaftlichen und sozioökonomischen Fragen innenpolitischer Natur liegt. Der Ministerpräsident kündigte zudem an, dass Sicherheitsfragen (Iran, Syrien, Umbruchbewegungen in der arabischen Welt) weiterhin große Herausforderungen für die neue Regierung darstellen. Die Mitglieder des neuen Sicherheitskabinetts vertreten mehrheitlich einen harten außen- und sicherheitspolitischen Kurs, sind aber auf diesem Feld weniger erfahren als das vorangehende Sicherheitskabinett. Besonders Bennett, Lapid und Erdan sind hier Neulinge. In Bezug auf einen möglichen Präventivschlag gegen die nuklearen Anlagen des Iran scheinen Livni und Lapid eher zu den zurückhaltenden Mitgliedern des Sicherheitskabinetts zu zählen. Netanjahu und Lieberman werden dagegen als Befürworter eines solchen Schrittes eingeschätzt.
Der Friedensprozess mit den Palästinensern scheint eher eine zweitrangige Rolle zu spielen. Nachdem das Thema in der Wahlkampfperiode von den meisten Parteien nicht aufgegriffen und auch während der Koalitionsverhandlungen weitgehend ausgelassen wurde, gehen Beobachter davon aus, dass das Kabinett sich erst den versprochenen sozialen und marktwirtschaftlichen Reformen widmen werde. In den Richtlinien der Koalition heißt es: „Israel will seek a peace agreement with the Palestinians with the goal of reaching a diplomatic agreement that will end the conflict. If a diplomatic agreement is reached it will be brought before the cabinet, the Knesset, and if necessary, a public referendum.“
Den Terminus „Zwei-Staaten-Lösung“ sucht man vergeblich. Auch scheint das neue Sicherheitskabinett mit Ja’alon und Bennett zwei Hardliner in seinen Reihen zu haben. Diese könnten zwar vertrauensbildenden Maßnahmen gegenüber den Palästinensern zustimmen, werden aber darauf achten, dass diese nicht zu weit gehen. Auch Lieberman ist nicht als Freund großer Gesten gegenüber den Palästinensern bekannt; im Vorfeld des Obama-Besuchs in Israel erklärte er, Israel Beiteinu werde sich jeder Form von Siedlungsbaustopp im Westjordanland widersetzen.
Livni und Lapid werden dagegen dem kompromissbereiten Lager zugerechnet, und einige Kommentatoren weisen auch darauf hin, dass mit Jesch Atid und HaTnua viele Regierungsmitglieder Verfechter einer Zwei-Staaten-Lösung sind. Sollte Ministerpräsident Netanjahu, getrieben von internationalem Druck, auf die Palästinenser zugehen, kann er sich der Unterstützung vieler Abgeordneten, auch aus der Opposition, sicher sein.