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Seit dem Aufflammen der Rohingya-Krise im letzten Sommer überbieten die USA und Europa einander mit Verurteilungen und Sanktionsdrohungen gegenüber Myanmar. Im Gegensatz dazu hat China eine Charmeoffensive gestartet, die auf fruchtbaren Boden fällt. Es wäre ironisch, wenn der Westen Myanmar beim Versuch, Demokratie und Menschenrechte zu fördern, ausgerechnet in die Arme Chinas treiben würde. Aber ist das der Fall? Und was folgt daraus?
Tiefe Wurzeln
China verfügt seit Jahrzehnten über eine starke Präsenz in Myanmar. Entsetzt von der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung, brachen die meisten westlichen Staaten 1988 ihre Beziehungen zu Myanmar ab und verhängten Sanktionen. Das Militärregime unter Saw Maung begab sich auf die Suche nach neuen Partnern und wurde in Peking fündig. China, auf dem Tiananmen-Platz selbst zum Pariastaat geworden, ging bereitwillig auf die birmanischen Avancen ein. Birmanische Offiziere, die früher in den USA und Europa trainiert hatten, reisten stattdessen nach Singapur, Pakistan oder China. Zurück daheim kämpften sie mit den Waffen, die China ihnen verkauft hatte. 2010 war China Myanmars größter Investor und zweitgrößter Handelspartner, der wichtigste diplomatische Unterstützer und der größte Geber von Entwicklungshilfe. Von dieser Ausgangsposition profitiert China bis heute. Die Beziehungen, die zu Geschäftsleuten mutierte Generäle über Jahrzehnte zu chinesischen Partnern geknüpft haben, verschwinden nicht über Nacht.
Trotzdem war Myanmar nie ein chinesischer Vasallenstaat. Zu tief verwurzelt ist die Abneigung der birmanischen Elite gegen ausländische Dominanz und ganz besonders gegen chinesische. Das chinesische Kaiserreich war über Jahrhunderte hinweg eine Bedrohung für Myanmar, und die Volksrepublik unterstützte bis in die 1980er Jahre hinein die aufständische Kommunistische Partei Birmas (CPB) mit Waffen. Schon unter der Militärdiktatur wurden daher Versuche unternommen, den chinesischen Einfluss auszubalancieren. Indien unterhält seit 1993 wieder konstruktive Beziehungen zu seinem Nachbarland. Nordkorea und Russland versorgten Myanmar mit Waffen und militärischer Expertise, während Thailand und Singapur als Handelspartner fungierten. China war also nie der einzige Freund Myanmars und hatte folglich auch nie uneingeschränkten Einfluss im Land.
2011 – ein Befreiungsschlag?
Am 30. September 2011 legte der damalige birmanische Präsident Thein Sein das Myitsone-Staudammprojekt auf Eis. Das gigantische Wasserkraftwerk, das trotz Energieengpässen in Myanmar fast ausschließlich Strom für den chinesischen Markt produziert hätte, hatte lange in der Kritik gestanden. Trotzdem kam die Entscheidung überraschend, ganz besonders für den chinesischen Investor.
Die Zeiten, in denen chinesische Investitionen alternativlos waren, schienen mit Beginn der Reformpolitik vorbei zu sein. Aus aller Welt flogen Firmenvertreter nach Yangon, um die Möglichkeiten der letzten noch zu gestaltenden asiatischen Volkswirtschaft auszuloten. Die Ausschreibung des birmanischen Telekommunikationsnetzwerks etwa rief 91 Bieter auf den Plan, darunter die internationalen Marktführer. Gleichzeitig gaben Entwicklungshelfer einander die Klinke in die Hand. Die EU sagte 688 Millionen Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2020 zu, eine deutliche Abkehr von der bisherigen Sanktionspolitik. Das ist eine stattliche Summe, aber Peanuts gegen die 7,7 Milliarden Dollar, die Japan für 2017 bis 2024 versprach. Seitdem ist Japan das wichtigste Geberland. Diplomatisch wurde Myanmar in kürzester Zeit den Pariastatus los. Mit Hillary Clinton besuchte zum ersten Mal seit fünf Jahrzehnten eine US-Außenministerin das Land, und 2014 übernahm Myanmar zum ersten Mal in seiner siebzehnjährigen Mitgliedschaft den ASEAN-Vorsitz. Die Ausweitung wirtschaftlicher und diplomatischer Kontakte wurde also mit Erfolg vorangetrieben.
China blieb trotzdem an erster Stelle. Als ausländischer Investor fiel es zwar leicht hinter Singapur zurück. Dafür ist Myanmars Abhängigkeit in Sachen Außenhandel seit Beginn der Reformpolitik gestiegen. 2010 war noch Thailand Myanmars wichtigstes Exportziel. Sechs Jahre später gingen 40 Prozent der Exporte nach China, doppelt so viel wie nach Bangkok. In Myanmars internem Friedensprozess tritt Peking als Vermittler auf. Die Teilnahme der Nördlichen Allianz, einem Bündnis aus ethnischen Milizen, an der zweiten Panglong-Konferenz geht auf chinesischen Einfluss zurück. Und während der Myitsone-Staudamm gestoppt wurde, liefen ebenso kontroverse Projekte weiter. Auch wenn die Abhängigkeit von China seit 2011 gesunken ist, gelang also nicht der erhoffte Befreiungsschlag.
Der Westen trägt daran eine Mitverantwortung. Die letzten amerikanischen Handelsbeschränkungen wurden erst im Oktober 2016 aufgehoben, und westliche Investoren blieben trotz anfänglicher Euphorie zögerlich. Schlechte Infrastruktur, politische Instabilität und eine unklare Gesetzeslage verdarben ihnen die Freude an Asiens letzter „Frontier“. Zudem fürchteten Bankiers und Geschäftsleute, mit dem Sanktionsregime in Konflikt zu geraten.
Regionale Mächte, allen voran China, Indien und Singapur, teilten diese Bedenken nicht und sprangen bereitwillig in die Bresche.
Der Hauptgrund aber liegt auf Seiten Chinas, das strategische Interessen in Myanmar verfolgt. Für seine Energietransporte ist China von der Straße von Malakka abhängig, einer Meerenge zwischen Malaysia und Indonesien. Im Konfliktfall wäre es ein Leichtes, die Straße zu sperren. Um diese strategische Verwundbarkeit auszugleichen, haben chinesische Investoren einen Tiefseehafen im südlichen Rakhine und von dort eine Öl- und Gaspipeline quer durch Myanmar ins chinesische Yunnan gebaut. Das Projekt fügt sich in die Seidenstraßeninitiative ein, Xi Jinpings großes Infrastrukturprojekt. Damit ist Myanmar zu wichtig für China, um es dem Westen zu überlassen.
China verfügt auch über genügend Druckmittel. Immerhin teilt es eine 2.200 km lange Landgrenze mit Myanmar. Die Nachfolgemilizen der CPB – United Wa State Army (UWSA) und Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA) – erfreuen sich noch immer chinesischer Unterstützung. Mit rund 30.000 Soldaten und ausgefeilten chinesischen Waffensystemen ist besonders die UWSA ein formidables Druckmittel gegen die birmanische Regierung in Naypyitaw. Auch die Shan State Army – North (SSA-N) und die Kachin Independence Organization/Army (KIO/A) finanzieren sich über den Schmuggel nach China. Zudem hält Peking 44 Prozent der birmanischen Staatsschulden, teils zu hohen Zinsen. Dazu kommen die Anreize, die ein wirtschaftlich starker Staat seinen Nachbarn bieten kann. Myanmar löste sich also seit 2011 nur bedingt von China. Die Abhängigkeit sank, was sich in Initiativen wie dem Stopp des Myitsone-Damms niederschlug. China blieb trotzdem das mit Abstand wichtigste Partnerland.
Zurück in die Arme Chinas?
Am 25. August 2017 attackierte die Arakhan Rohingya Salvation Army (ARSA) Polizeistationen im nördlichen Rakhine-Staat. Die brutale Reaktion der Armee trieb über eine halbe Million Rohingya nach Bangladesch, wo sie unter prekären Bedingungen in Flüchtlingslagern ausharren. Die Weltöffentlichkeit war entsetzt. Die EU verhängte einen Einladungsstopp für birmanische Offiziere und setzte die Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen aus. Frankreich sprach von Genozid, die USA verhängten Sanktionen gegen Einzelpersonen, Großbritannien suspendierte wichtige Teile der bilateralen militärischen Zusammenarbeit. Universitäten standen unter Druck, ihre Verbindungen mit Myanmar zu kappen. Bei westlichen Investitionen wird für die nächsten zwei bis drei Jahre eine Flaute erwartet. Weitere Sanktionen hängen in der Luft.
Die Absichten dahinter sind ehrenhaft. Sanktionen und starke Rhetorik üben Druck auf Naypyitaw aus. Außerdem zeigen sie, dass der Westen die Gewalt nicht toleriert. Selbst wenn sie kein Umdenken bewirken, senden sie damit immerhin ein Signal an andere Mischregime und Diktaturen. Die Folgen könnten dennoch kontraproduktiv sein. In dem Maße, in dem westliche Partner sich zurückziehen, drängt Peking in die Bresche. Der UN-Sicherheitsrat brachte lediglich ein abgeschwächtes Statement zustande, weil Peking und Moskau ihr Veto androhten. Während westliche Investitionen fielen, vereinbarten chinesische und japanische Investoren das größte Joint Venture seit Amtsantritt der NLD-Regierung. Während die USA und Großbritannien militärische Trainingsprogramme stoppten, bot China deren Ausbau an. Chinabesuche des Oberbefehlshabers General Min Aung Hlaing und Aung San Suu Kyis im letzten Herbst zeigen, dass Myanmar den chinesischen Avancen gegenüber aufgeschlossen ist. Auch in der Öffentlichkeit ist das chinesische Image im Steigen begriffen. Zuletzt war es wegen lokal umstrittener Großprojekte auf ein tiefes Niveau gesunken.
Aus Sicht des Westens ist diese Entwicklung kontraproduktiv. Durch den Ausbau militärischer Kooperation und militärischer Trainingsprogramme ist China gerade dabei, Einfluss nicht nur über die aktuelle, sondern auch über die zukünftige Führungsriege der Streitkräfte (Tatmadaw) aufzubauen. Erhöhte wirtschaftliche Abhängigkeit könnte zudem außenpolitische Konsequenzen nach sich ziehen. Myanmar wäre nicht das erste Land, das aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus chinafreundliche Positionen verträte. Nach dem internationalen Schiedsspruch zur Südchinesischen See im Juli 2016 etwa verhinderte Kambodscha ein starkes Statement der ASEAN gegenüber China.
So schlimm wird es nicht kommen, aber das ist nicht das Verdienst des Westens. Während die meisten westlichen Staaten mit Verurteilungen und Sanktionsdrohungen auf die Rohingya-Krise reagiert haben, folgen regionale Partner dem Vorbild Chinas. ASEAN fährt einen kooperativen Kurs und pocht auf das Prinzip der Nicht-Einmischung. Auch Japan hat sich mit öffentlicher Kritik zurückgehalten und die Beibehaltung seines militärischen Trainingsprogramms bestätigt. Russland bot an, die militärische Zusammenarbeit sogar noch auszubauen. Und während die UN von ethnischer Säuberung sprach, bezeichnete Indien die Rohingya im eigenen Land als Terrorbedrohung und kündigte ihre Abschiebung a . In ihrem Buhlen um Einfluss sind die regionalen Mächte nicht bereit, sich von einer halben Million Flüchtlinge aus dem Konzept bringen zu lassen. Moralisch mag man davon halten, was man will. Praktisch hat es den Effekt, dass China wie schon zu Zeiten der Militärdiktatur dominiert, aber kein Monopol hält. Die Tatsache, dass der Westen Einflussmöglichkeiten aufgibt und Gesprächskanäle kappt, bleibt davon unberührt.
Ausblick
Man sollte sich bewusstmachen, dass der Einfluss des Westens beschränkt ist. Aus wirtschaftlicher Sicht haben asiatische Staaten ihm in Myanmar längst den Rang abgelaufen. Auch politisch spielen regionale Staaten und ASEAN eine größere Rolle. Selbst wenn sich der Westen auf den Wettbewerb einlassen und jegliche Kritik an der Regierung unterlassen würde, könnte er Myanmar also nicht völlig aus dem Orbit Chinas ziehen. Als ein Partner unter vielen könnte er den chinesischen Einfluss lediglich verringern. Die derzeitige westliche Politik treibt Myanmar also nicht erst in die Arme Chinas, sondern sie treibt es noch tiefer dort hinein.
Der Westen sollte China, Russland und anderen regionalen Mächten trotzdem nicht das Feld überlassen. Gerade jetzt ist es wichtig, langfristig solide Beziehungen und Gesprächskanäle aufrecht zu erhalten. Menschenrechtsverletzungen können dann am ehesten verhindert werden, wenn die Sicherheitskräfte professionell arbeiten, die Regierung sich gegenüber der Bevölkerung verantworten muss, für alle ausreichend Wohlstand vorhanden ist und ein vernünftiges Bildungssystem existiert. Das sind langfristige Ziele, für deren Erreichung Myanmar die Unterstützung externer Partner benötigt. Ob China alle dieser Ziele teilt, ist fraglich.
Das bedeutet nicht, dass der Westen Myanmar nicht kritisieren sollte. Nichts zu tun, wäre schon allein aus innenpolitischen Gründen untragbar. Es ist aber wichtig, die langfristigen Beziehungen darüber nicht aus den Augen zu verlieren. Die Rohingya-Krise stellt westliche Politik vor ein Dilemma. Es ist zu hoffen, dass sie dennoch das richtige Gleichgewicht zwischen Konfrontation und Kooperation finden wird.