Country reports
Die meisten Experten des renommiertesten US-Think Tanks ziehen eine durchwachsene Bilanz nach den 100 Tagen. Viele identifizieren den Mangel an politischer Erfahrung und Expertise des US-Präsidenten sowie seines engsten Beraterkreises als den Hauptgrund für den chaotischen Beginn der Präsidentschaft und die zahlreichen Wendungen. Dieser Mangel an Professionalität erkläre, warum in den ersten drei Monaten wenig Vor-haben des neuen Präsidenten implementiert wurden. Ebenso erschwere die Nicht-Besetzung hochrangiger politischer Positionen in den verschiedenen Ministerien aktuell die Umsetzung seiner Agenda.
Für viele Experten von Brookings stellen die aktuellen innenpolitischen Bemühungen der Regierung in den Bereichen Gesundheit, Klima, Immigration und Grenzschutz keinen Schritt in die richtige Richtung dar. Allerdings könne ein Bürokratie- und Regulierungsabbau in diesen und anderen Bereichen auch positive Auswirkungen haben. Eine umfangreiche Steuerreform in den nächsten Wochen gilt für die meisten als unwahrscheinlich. Mit Blick auf die Wirtschaft sehen die Experten keine Korrelation zwischen dem aktuellen US-Beschäftigungswachstum und Trumps Politik. Der Austritt aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen (TPP) werde nicht für Wachstum und Beschäftigung in den USA sorgen, so der Grundtenor. Außerdem gefährde der Rückzug die LeadershipRolle der USA im asiatisch-pazifischen Raum.
Zwei außenpolitische Entwicklungen begrüßen die Brookings-Experten dagegen: Die Tatsache, dass Trump den Nationalen Sicherheitsrat(NSC) mit Experten besetzt hat sowie die US-Luftangriffe in Syrien, auch wenn diese einer breiteren politischen Strategie dienen sollen, welche noch zu definieren sei. Das Schaffen von Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit auf internationaler Bühne wird als die nächste große außenpolitische Etappe für den Präsidenten gesehen. Dabei stellen laut Brookings-Experten seine Unberechenbarkeit und die „Flip-Flops“ eine große Herausforderung dar: Diese werfen Fragen u.a. in Bezug auf die Nachhaltigkeit des aktuell eher beruhigenden US-Kurses gegenüber Russland und der Nato auf. Trumps Politik gegenüber Nordkorea und China gilt als heikelstes außenpolitisches Thema am Ende der 100 Tage. Im Hinblick auf die nationale Sicherheit werden Trumps (bisher gescheitertes) Einreiseverbot („tra-vel ban“) sowie der geplante Mauerbau an der mexikanischen Grenze von Experten als schädlich, bzw. unamerikanisch betrachtet.
COUNCIL ON FOREIGN RELATIONS (CFR)
Im Bereich der Außenpolitik bereiten die Unberechenbarkeit und der konfrontative Stil des Präsidenten mehreren CFR-Experten Sorgen. Dieser könnte eine bereits fragile Weltordnung destabilisieren und zu offenen Konflikten – nicht zuletzt mit dem Iran, China und Nordkorea – führen, so die Analyse. Für den CFR-Präsidenten wird der Verlauf von Trumps Präsidentschaft stark davon abhängen, ob es China und den USA gelingt, einen Handels- sowie jede andere Art von Krieg zu vermeiden. Einige Stimmen sind dennoch der Meinung, dass die neue Regierung bereits bewiesen hat, konkurrierende Notwendigkeiten in Bezug auf Verbündete, Konkurrenten und Gegner gut ausbalancieren zu können.
Insbesondere die Bekräftigung der traditionellen Allianzen der USA wird vom CFR hoch gelobt. Vor allem hinsichtlich der Nato und Russland sei die neue Administration nach 100 Tagen auf dem richtigen Weg. Auch Trumps Kehrtwende in Bezug auf Syrien und Baschar al-Assad beurteilen die Experten positiv: Es sorge für Abschreckung und zeige, dass der US-Präsident die Rolle als „Leader of the Free World“ letztendlich an-genommen habe. Bedauernswert seien allerdings die Kürzungen der Etats des Außenministeriums und der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID), denn allein mit Hilfe des Militärs können nicht alle außenpolitischen Ziele erreicht werden.
Weiter stellt das CFR fest, dass Trump der erste US-Präsident ist, der sich innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt mit einer FBI-Ermittlung im Weißen Haus konfrontiert sieht. Seine Zustimmungswerte in der Bevölkerung seien außerdem – verglichen mit anderen Präsidenten – historisch niedrig. Ungewöhnlich sei auch, wie regelmäßig der Präsident falsche Aussagen treffe.
CENTER FOR STRATEGIC AND INTERNATIONAL STUDIES (CSIS)
Mit Blick auf die internationale Handelspolitik der neuen Administration urteilt das CSIS, dass Trumps Obsession mit Handelsdefiziten und Protektionismus sowie der Austritt aus TPP kontraproduktiv für die US-Wirtschaft sind. Positiv sei hingegen, dass der Präsident seine Wahlversprechen, China als Währungsmanipulator zu bezeichnen sowie unilaterale Zollgebühren auf Importe von Handelspartnern einzuführen, bislang nicht eingehalten habe. Dringend notwendig seien in diesem Bereich nun kompetentes Personal und eine effektive Kooperation zwischen dem Weißen Haus und den zuständigen Ministerien.
Auch wenn sich Amerikas Außenpolitik am Ende der 100 Tage zu normalisieren scheint, bleiben mehrere CSIS-Experten vorsichtig. Sie führen u.a. die Flynn-Affäre und die Verbindungen verschiedener Wahlkampfberater von Trump zu Russland sowie die globalen Wirtschaftsinteressen der Trump Organization als Gründe für eine ungewöhnliche Präsidentschaft an. Außerdem seien in Bezug auf Syrien und Nordkorea zwar taktische Entscheidungen getroffen worden, eine außenpolitische Strategie mit diplomatischer Komponente fehle aber noch. Die Kürzung des Etats des Außenministeriums sei in dieser Hinsicht kein gutes Zeichen. In Bezug auf die Nato herrscht unter den Experten des CSIS noch Skepsis, ob Trump tatsächlich ein zuverlässiger Partner ist.
CARNEGIE ENDOWMENT FOR INTERNATIONAL PEACE
Nach 100 Tagen im Amt wirft die Bilanz von Trumps Außenpolitik für die Experten von Carnegie vor allem eine Frage auf: Wird die Normalisierung anhalten und in erfolgreicher und nachhaltiger Politik münden? Die Hoffnung ist, dass die zahlreichen Wendungen der letzten Wochen, die Trump von seinen Wahlversprechen entfernt haben, Zeichen seiner Lernfähigkeit sind. In Bezug auf Syrien, Afghanistan und Nordkorea gebe es allerdings noch keine kohärente Politik und die Regierung setze zu großes Vertrauen in den Gebrauch von Gewalt zur Lösung politischer Probleme.
Für die Europäer gebe es Grund zur Hoffnung und Sorge zugleich. Einerseits habe Trump in den ersten 100 Tagen mit Blick auf relevante, transatlantische Themen letzten Endes guten Willen gezeigt; etwa hinsichtlich der Nato, der EU, Russland sowie bestimmter Aspekte des internationalen Handels und Multilateralismus. Andererseits seien noch nicht alle außenpolitische Positionen und Prioritäten der Administration klar erkennbar. Zudem habe der US-Präsident bereits bewiesen, dass er die nationalen Interessen des Landes enger gefasst als seine Vorgänger und eine eher transaktionale Auffassung von Allianzen und Partnerschaften habe.
WILSON CENTER
Das Woodrow Wilson International Center for Scholars knüpft an viele Analysen vom CSIS und Carnegie an. Es merkt an, dass Trumps Sicherheitsteam (vor allem mit Verteidigungsminister Mattis und dem Nationalen Sicherheitsberater McMaster) über große Erfahrung verfügt und es so scheint, als habe die außenpolitische Realität Präsident Trump eingeholt. Beim Wilson Center hofft man, dass sich der Neophyt im Oval Office tatsächlich in einem Lernprozess befindet und sich daraus eine traditionellere Art der Außenpolitik entwickelt.
Dafür müsse sich aber der momentan defekte außenpolitische Prozess – gekennzeichnet durch Kakophonie, verwirrende Tweets und Personalmangel auf höchster Ebene der Regierungsbürokratie – verbessern. Dies werde allerdings nur der Fall sein, wenn der Präsident beginne zu verstehen, dass Personen, Prozesse und Erfahrung entscheidend sind.
RAND CORPORATION
RAND kommentiert die ersten 100 Tage von Donald Trump offiziell nicht. Die Einrichtung für Forschung und Entwicklung, die zum Teil von der US-Regierung finanziert wird, hat den primären Auftrag, Analysen für die amerikanischen Streitkräfte, insbesondere im Bereich Sicherheit und Gesundheit, zu erstellen.
HERITAGE FOUNDATION
Die Heritage Foundation hat zusammen mit dem Miller Center der University of Virginia am 26. April eine Konferenz zur Bilanz der ersten 100 Tage Trump organisiert – trotz offener Infragestellung der Relevanz dieser Marke.
In den Bereichen der Innen- und Wirtschaftspolitik werden mehrere Erfolge verbucht. Dazu zählt allen voran der Amtsantritt des neuen Richters am Obersten Gerichtshof, Neil Gorsuch, am 10. April sowie Trumps aggressive Agenda zum Abbau von Regulierungen („2-for-1“ order) – eines seiner Hauptversprechen im Wahlkampf. Die Genehmigung zum Weiterbau der Keystone-XL-Pipeline, die Vorbereitung von Steuerreformen sowie der Fokus des Präsidenten auf US-Arbeitsplätze werden ebenfalls positiv bewertet. Auf der Seite der Enttäuschungen steht in erster Linie die gescheiterte Gesundheitsreform, mit der „Obamacare“ ersetzt werden sollte. Der Präsident müsse noch besser verstehen, wie Politik in Washington – nicht zuletzt auch in seiner eigenen Partei – gemacht werde, wenn er den American Health Care Act oder den Mauerbau durchsetzen wolle, so der Tenor. Außerdem gilt der Rückzug aus dem TPP als herber Verlust mit Blick auf den Einfluss Amerikas in Südostasien und als Geschenk an China.
Im außen- und sicherheitspolitischen Bereich überwiegen für die Heritage-Experten und ihre Partner die Errungenschaften deutlich: Der Präsident lerne schnell und verfüge über ein ausgezeichnetes Team im NSC. Auch habe er es geschafft, trotz z. T. anfänglich verwirrenden Aussagen, Amerikas Verbündete (u.a. die Nato, die EU, China, Japan und Israel) rückzuversichern – allein mit Kanzlerin Merkel sei die Beziehung schwierig. Die Luftangriffe in Syrien hätten die von Obama aufgegebene rote Linie in Bezug auf die Verwendung von Giftgas wieder eingeführt. Indem er das Militär aufstocke und den Druck (z.B. auf Nordkorea und China) steigere, orientiere sich Präsident Trump wie auch schon Ronald Reagan an der „Peace through strength“ Doktrin. Die verpassten Ziele und Flops der 100 Tage? Für die Heritage Foundation sind das vor allem die Außerkraftsetzung des sogenannten „travel ban“ durch Bundesrichter, die Flynn-Affäre, welche die Administration von ihrer Arbeit abgelenkt habe, sowie die Schwierigkeiten in Bezug auf die Erhöhung des Verteidigungsetats und die Finanzierung des Mauerbaus.
CATO INSTITUTE
Das Cato Institut leitet die Analysen zu den ersten 100 Tagen auf seiner Homepage mit einem Zitat seines Vizepräsidenten, Gene Healy, ein: „Of the umpteen items in Trump’s “100-day action plan” unveiled last fall in Gettysburg, Pennsylvania , he’s barely moved on most, reversed himself on others, and been stymied by Congress and the courts on the few where he’s made a serious push. The candidate who proclaimed “I alone can fix it” is learning that, on the home front at least, our political system remains resistant to one-man rule“.
Catos Bilanz ist dementsprechend gemischt. Das System der Gewaltenteilung funktioniere, die Gefahr sei jedoch, dass der Präsident aufgrund einer festgefahrenen Agenda zu Hause im Ausland überkompensieren könnte – dort, wo die „checks and balances“ am schwächsten sind. Die Luftangriffe in Syrien bewertet die Denkfabrik als illegal. Die Pressemitteilung , in der das Weiße Haus lediglich aufgrund der Anzahl an unterschriebenen Dekreten und Gesetzentwürfen „historische Leistungen“ nach 100 Tagen preist, wurde beim Cato Institute mit einem leichten Schmunzeln aufgenommen.
CENTER FOR AMERICAN PROGRESS (CAP)
Das CAP ist klar der Meinung, dass Trumps Taten in den ersten 100 Tagen wiederholt vor allem großen Unternehmen und reichen Amerikanern zugutegekommen sind - auf Kosten der normalen Bürger. Der Think Tank stellt auf seiner Homepage prominent 100 Behauptungen oder Entscheidungen der Trump-Administration in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt/Energie, Demokratie, Immigration, Religion, Waffengewalt, Gesundheit, Erziehung, Justiz, LGBT und nati-onale Sicherheit in den Vordergrund, die Amerikanern in den ersten 100 Tagen geschadet hätten.
In einer Reihe von Artikeln analysieren Experten des CAP außerdem, warum die Regierung ihrer Meinung nach vor allem die eigenen Interessen bedient, amerikanische Arbeiter verrät und keine konsistente Politik im Nahen Osten oder in der Region Asien/Pazifik verfolgt.
PETERSON INSTITUTE FOR INTERNATIONAL ECONOMICS (PIIE)
Die Wirtschaftsexperten des Peterson Institute ziehen eine kritische Bilanz der bisherigen internationalen Handelspolitik der Trump-Regierung. Sie halten beispielsweise eine Nachverhandlung des nordamerikanischen Handelsabkommens NAFTA bis zum Ende des Jahres oder Anfang 2018 (vor den Wahlen in Mexiko) für reines Wunschdenken – so habe die US-Regierung noch nicht einmal den mehrere Monate dauernden Verhandlungsprozess initiiert.
Die Einführung von Handelshemmnissen, wie z.B. Strafzölle für Stahlimporte, wäre ein politischer Sieg für Globalisierungsgegner. Die Administration könnte damit argumentieren, dass sie amerikanische Firmen und Arbeitsplätze schützt. Ökonomisch betrachtet, wäre eine solche Politik allerdings kontraproduktiv, denn, so das PIIE, sie würde Unternehmen, Konsumenten und Steuerzahler schädigen, ohne dabei zwangsläufig Jobs zu retten. Außerdem könnte eine solche Politik zu Auseinandersetzungen mit der Welthandelsorganisation (WTO) und Vergeltungsmaßnahmen von Handelspartnern sowie zum Vorwurf der Vetternwirtschaft führen.
Auch vom „Buy American and Hire American“-Dekret ist das PIIE nicht überzeugt: „Research shows that there is no connection between high tariffs and low trade deficits, nor is there any connection between protection and low unemployment. While protection benefits particular industries, the benefit comes at a high cost to economy“.
LESEEMPFEHLUNGEN
Council on Foreign Relations
„Foreign Policy in the First Hundred Days of Trump“
Analysen von verschiedenen CFR-Experten
26. April 2017
http://www.cfr.org/united-states/foreign-policy-first-hundred-days-trump/p39087
Carnegie Endowment for International Peace
„Lessons for Europe From One Hundred Days of Trump“
Erik Brattberg
28. April 2017
http://carnegieendowment.org/2017/04/28/lessons-for-europe-from-one-hundred-days-of-trump-pub-68807
Peterson Institute for International Economics
„Trump’s threat of steel tariffs heralds big changes in trade policy”
Chad Bown
The Washington Post, 21. April 2017
https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2017/04/21/trumps-threat-of-steel-tariffs-heralds-big-changes-in-trade-policy/?utm_term=.53bf30b0d9d6
ZUR AUTORIN:
Dr. Céline-Agathe Caro ist Senior Policy Analyst im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington D.C.
celine.caro@kas.de / @CelineACaro
www.kas.de/wf/de/37.3769/
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Für die Fußnoten des Textes, siehe Pdf-Datei.