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Event reports

Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft - Störfaktor für demokratische Werte?

by Jeanene Lairo

Deutsche IT-Experten besuchen Silicon Valley auf Einladung der KAS

„Die Welt zu verbessern“ ist in der US-Start-Up Szene ein allgegenwärtiges Leitmotiv. Es werden junge Menschen gesucht, die die Fähigkeit und Motivation haben ihre Visionen in innovative Unternehmenskonzepte umzuwandeln. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für den Erfolg in dieser Gründerwelt wurde von Josh Tetrick auf der Start-Up Messe „Founder World“ überzeugend zusammengefasst: „It is a shame if good people don't start something to do good“, der Wille die Welt positiv zu verändern ist für ihn ein Hauptmerkmal eines erfolgreichen Gründerkonzepts. Diese Haltung wird von Vielen geteilt.

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Dies war nur einer von vielen Einblicken, den eine Delegation aus Mitgliedern der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) und des cnetz Vorstands bei ihrem Besuch im Silicon Valley vom 26. - 31. Oktober 2015 bekamen. Organisiert wurde das Programm „Silicon Valley Disrupting our Democratic Values? Technology and Innovation from a Transatlantic Perspective“ von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Diese Faszination und Trends, die vom Silicon Valley ausgehen, haben für die transatlantischen Beziehungen Implikationen und stehen deswegen für die KAS im Vordergrund. Während des viertägigen Dialogprogramms wurde deutlich, dass Antworten auf die Frage wie die Start-Up Welt unsere gesellschaftlichen und demokratischen Strukturen verändern und eventuell auch bedrohen könnte, häufig noch fehlen.

Ziel des Dialogprogramms war es, das Verständnis für Innovationen und Technologien aus den USA zu fördern und Übertragungsmöglichkeiten, insbesondere auf den deutschen Mittelstand zu erkunden. Gleichzeitig war die Frage bei den Gesprächen allgegenwärtig, welche Konsequenzen die Digitalisierung für individuelle und gesellschaftliche Werte hat, bei der die Politik bislang mehr als reaktiver denn proaktiver Akteur in Erscheinung tritt.

Wer verstehen will, unter welchen Bedingungen Innovation möglich ist, kommt an dem weltweit einzigartigen Innovationszentrum in der San Francisco Bay Area nicht vorbei. Hier treffen die besten Voraussetzungen für innovativen Geist zusammen: Ideen, Netzwerke und Kapital. Das Dialog-Programm versuchte den gesamten Innovationskern zu erfassen: Mit Besuchen bei etablierten großen Plattformanbietern (Google, Facebook, Apple, Salesforce und Alibaba), „shared economy“ Unternehmen (AirBnB), interdisziplinären Forschungseinrichtungen (AT&T Foundry), in der Start-Up Szene und IT-Experten aus dem Consulting- und wissenschaftlichem Bereich, einschließlich Professoren aus den Spitzenuniversitäten (Stanford und Berkeley). Eine Übernahme des Silicon Valley-Modells für das deutsche System scheint nicht die Lösung zu sein. Vielmehr müssen Teilaspekte adaptiert und auf das deutsche Wirtschaftsmodell abgestimmt werden.

Dieser Lernprozess ist auf mehreren Ebenen vorstellbar. Wie stimuliert und fördert man Gründergeist? Wie verzahnt oder integriert man Start-Ups mit den etablierten Unternehmen? Welche Rolle soll (und kann überhaupt) Politik inmitten der Entwicklungen im digitalen Bereich spielen?

Eine erste, wichtige Lektion zur Kultur im Silicon Valley lautet: Scheitern bedeutet nicht das Ende, sondern wird als wichtige Erfahrung für den zweiten und dritten Versuch verstanden. Eine Umgebung, in der dieser „Trial and Error“-Prozess möglich ist, scheint die Voraussetzung für „disruptive Innovation“. Diese disruptiven Entwicklungen werden zumeist extern, von branchenfremden Akteuren verursacht. Finanziert werden sie mit dem sogenannten Risikokapital. Schon in der Terminologie spiegelt sich die kulturelle Differenz zu Deutschland wider: Risikokapital heißt im Silicon Valley „Venture Capital“ – nur wer wagt, gewinnt! Dabei geht es den Gründern weniger um langfristige Perspektive. Sie stellen die aktuelle Situation radikal in Frage und wollen sie von Grund auf verändern („disrupt“). Dabei schauen sie nicht auf die langfristigen Konsequenzen für gesellschaftliche Normen.

Zusätzlich beruht das Start-Up Konzept aus dem Silicon Valley auf dem Grundsatz „asking for forgiveness“. Ein Innovationskonzept wird solange verfolgt bis es an rechtliche und gesellschaftliche Grenzen stößt. Währenddessen funktioniert das deutsche System oft anders herum: Die Gründerin / der Gründer prüft, ob die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seine Innovation zulassen („asking for permission“).

Der Weg zum Erfolg geht an keinem Risikokapital-Geber vorbei. Dies wurde auch im Gespräch mit den vom German Accelerator geförderten Jungunternehmern mehrmals verdeutlicht. Zwar ist ein großer Investitionsboom weltweit zu verzeichnen, doch ist die Konkurrenz für diese Gelder stark. Start-Ups mit einer global angelegten Strategie haben die besseren Chancen Risikokapital in hohen Summen anzuziehen. Mega-Investments (mehr als 50 Mio. US-Dollar) sind seit neuestem v.a. in der späten Finanzierungsphase zu verzeichnen. Nur mit hohem Risikokapital ist der Durchbruch im Markt zu schaffen. In den USA kamen Risikokapital von $47,3 Mrd. auf 3.617 Deals in 2014. Davon bekam Silicon Valley den Bärenanteil von $23 Mrd. mit etwa ein Drittel der Deals. Deutschland dagegen kam auf 1,3 Mrd. – top Tech-Städte wie Berlin hatten 91 Deals, gefolgt von München (28) und Hamburg (5). Wie auch einer der US-Gesprächspartner verdeutlichte, ist Risikokapital für den Erfolg eines Start-Ups entscheidend: „the innovator with the best concept is not always the one who wins in the market”.

Die US-Regierung spielt weiterhin eine wichtige Rolle in der Finanzierung von Forschung und Entwicklung (R&D), welches mit $146 Mrd. im Haushaltsjahr 2016 eingeplant ist, etwa ein 6 Prozentiger Anstieg vom vorhergehenden Jahr. Diese Gelder fließen durch die verschiedenen Ministerien an überwiegend Forschungsinstitute, Eliteuniversitäten und regierungsnahe Forschungslabore.

Die Regierung ist mit der Wissenschaft und Wirtschaft eng verzahnt. Gleichzeitig hat die US-Regierung erkannt – insbesondere das US-Verteidigungsministerium, von dem die größten Finanzspritzen bereitgestellt werden – dass sie nicht mehr der Vorreiter in der Forschung ist. Bis in die 70er Jahre kamen die großen Innovationen wie Digitalphotographie, Internet oder das Satellitennavigationssystem direkt aus den Laboren des US-Verteidigungsministeriums. Nun aber muss die US-Regierung ihre Rolle in der Ära der Digitalisierung neu definieren.

Die US-Regierung, ehemals ein Trendsetter, ist ein Trendscouter geworden. Das wird, zum Beispiel, sehr gut an dem Defense Innovation Unit Experimental-Büro (DIUX) deutlich, dass im August von der US-Regierung gegründet wurde. Der Fokus dieser Vertretung liegt auf dem Beobachten von aufkommenden Trends und Technologien und steht in direkter Beziehung zum DOD.

Es wurde immer wieder in den Gesprächen mit IT-Experten deutlich, dass die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle der gewerblichen Industrie verlange. Die latente Frage aus deutscher Sicht ist: Wie kann die deutsche Wirtschaft sich dem digitalen Wettbewerb stellen, wo jede neue Innovation von einem kleinen Start-Up das Potenzial hat einen gesamten Sektor in kurzer Zeit zu monopolieren? Die US-Manager erwähnten immer wieder, dass Deutschland durch den ausgeprägten, starken Mittelstand gute Karten habe. Dennoch sei es dringend, dass Deutschland als klassisches Industrieland im Zuge der Digitalisierung ihre Produktions- und Fertigungsprozesse sowie Arbeitsorganisationen diesen Entwicklungen anpassten. Die US-Manager betonten, dass die gewerbliche Industrie pro-aktiv vorrausschauend Trends erkennen, integrieren und umsetzen müsse. Wie die US-Regierung, die die Gründerszene für sich nutzt, müsse der deutsche Mittelstand die Digitalisierung willkommen heißen und diese mit ihren bestehenden Betriebsverfahren verzahnen. Nur so könne in Deutschland die verarbeitende Industrie eine Vorreiterrolle in der Welt sichern.

Manager großer US-Unternehmen halten viel vom deutschen Mittelstand, welcher für Qualität und Präzision weltweit bekannt ist. Wichtig sei jedoch, dass sie die Entwicklungen, wie Industrie 4.0, nicht verpassten. Hier gäbe es Nachholbedarf. Sollte dem deutschen Mittelstand die digitale Integration gelingen, so habe er jedoch das Potential auch weiter ganz vorn zu sein. Wie ein amerikanischer IT-Manager betonte, „it is not who starts the race but who wins the race“. Deutschland hat noch weitere Vorteile im Vergleich mit den USA. Es sind hochqualifizierte Arbeitsplätze in einer digitalen Welt gefordert, Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler sind stark gefragt. Hier ist Deutschland gut positioniert durch das hervorragende Bildungssystem. Insbesondere wird das duale Ausbildungssystem in den USA mit großem Interesse gesehen.

Auch das Thema Datensicherheit spielte in vielen Gesprächen eine Rolle. Dabei war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6. Oktober 2015, welches das Safe-Harbor Abkommen zum transatlantischen Datenaustausch für unwirksam erklärt hat, bei den Diskussionen häufig gegenwärtig. Die Gesprächspartner reagierten z.T. mit Verständnis und Zuspruch, aber auch mit Kritik an dieser Entscheidung. Einige äußerten ihre Besorgnis, dass Europa sich zunehmend isoliere. Die Vertreter der Unternehmen hofften, bald zu einer neuen transatlantischen Vereinbarung zu kommen, womöglich ein Safe-Harbor II. Dies ist nicht nur für US-Unternehmen wichtig, sondern auch für viele europäische Unternehmen, welche auf dem amerikanischen Markt aktiv sind. Gerade kleine und mittelständische Betriebe haben zudem kaum Möglichkeiten noch die nötigen Ressourcen, andere Wege des legalen Datentransfers zu finden. Bis es zu einer neuen Einigung kommt, sind zumindest die großen digitalen Plattformanbieter zuversichtlich, dass sie interne Lösungswege finden werden, jedoch werden diese sehr kostenaufwendig.

Viele Erfahrungen aus dem Silicon Valley lassen sich nicht auf die deutsche Situation und für Innovationsförderung übertragen. Zu groß sind Unterschiede in der unternehmerischen Kultur und Mentalität. Aber es lassen sich einige Dinge lernen: Auf der Seite der Unternehmer ist ein Fazit Innovation innerhalb der Organisation zu fördern. Flache Hierarchien in Unternehmen können zu Innovation beitragen. Selbständiges Arbeiten und Initiativen ergreifen sind Anreize einem Start-Up beizutreten. Auch ist es in den USA üblich Mitarbeitern Rechte auf spätere auszustellende Aktien zu geben, so dass Mitarbeiter automatisch an der Gründermentalität teilhaben. Auf der finanziellen Seite ist die Rolle von Risikokapital in der Förderung von Jungunternehmern nicht zu unterschätzen. Letztlich die Rolle der Regierung die richtigen Rahmenbedingungen schaffen muss, um Innovation zu fördern und gleichzeitig eine vorrausschauende Politik zu entwickelt bzgl. der bedrohenden Monopolstellung von Plattformanbietern. Auch darf die Förderung von Forschung und Entwicklung von Seiten der Regierung nicht vernachlässig werden. Aus den Forschungsinstituten und Hochschulen kommt der wissenschaftliche Nachwuchs, wovon die Start-Up Szene lebt. Das Dialogprogramm hat veranschaulicht wie vielschichtig das Innovationsthema ist und das es noch viele unbeantwortete Fragen gibt. Es besteht die Notwendigkeit für tiefgehende Analysen der verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte, der sich die KAS mit ähnlichen Programmen und Projekten in der nahen Zukunft verstärkt annehmen wird.

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