Im ersten Panel unter der Moderation von Juliane Clegg vom Historischen Institut der Universität Potsdam wurde deutlich, dass die drei Begriffe „christlich“, „liberal“ und „konservativ“ innerhalb der CDU-Programmatik nicht voneinander getrennt werden können, sondern vielfältige Querverbindungen aufweisen. So betonte Dr. Arnd Küppers, stellvertretender Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, die Bedeutung der katholischen Soziallehre und den Trend zum „christlichen Personalismus“, in dessen Zentrum die Würde des einzelnen Menschen stehe. Er fasste seine Überlegungen in die Formel „Katholische Soziallehre plus Ludwig Erhard gleich Soziale Marktwirtschaft“.
Diese Überlegungen erweiterte PD Dr. Matthias Oppermann, stellvertretender Leiter Wissenschaftliche Dienste und Leiter Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, indem er darauf hinwies, wie eine im Deutschen Kaiserreich entstandene evangelische Sozialethik den für die CDU prägenden Ordoliberalismus beeinflusst habe. Als zweiten wichtigen Einfluss aus der Zeit des Kaiserreichs nannte er die Vorstellungen des Nationalliberalismus, der sich durch eine ausgeprägte Staatsbejahung ausgezeichnet habe. Der darauf ruhende Liberalismus der CDU sehe daher einen starken, aber begrenzten Staat als „Ermöglicher von Freiheit“.
Schließlich legte Prof. Dr. Martina Steber, Zweite Stellvertretende Direktorin am Institut für Zeitgeschichte und Professorin an der Universität Augsburg, dar, dass die CDU gute Gründe gehabt habe, den Konservatismus-Begriff nicht in den Mittelpunkt zu stellen, der nach 1945 stark belastet gewesen sei. Gleichwohl habe es Anknüpfungspunkte vor allem an den protestantischen Konservatismus der Weimarer Zeit gegeben. Im politischen Diskurs werde Konservatismus heute oft als Kampfbegriff benutzt –sowohl von links gegen die CDU als auch in innerparteilichen Debatten der Union. Steber riet CDU und CSU die Debatte um den Begriff offensiver zu führen statt ihn zu vermeiden, denn die „Diskussion darüber verschwindet nicht.“
Im zweiten Panel, das von Dr. Kathrin Zehender moderiert wurde und der Entwicklung von Partei und Programm unter den CDU-Bundeskanzlern Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel gewidmet war, nannte Prof. Dr. Dominik Geppert vom Historischen Institut der Universität Potsdam drei wesentliche Gründe für den Erfolg der Adenauer-CDU: Erstens habe sie sich als erfolgreiche überkonfessionelle Sammlungspartei erwiesen, verbunden mit einer erfolgreichen „Integrationspolitik“ verschiedener – teils auch problematischer – politischer Kräfte. Zweitens habe Adenauer 1949 mit der Entscheidung für eine „kleine Koalition“ gegen die SPD die CDU klar im Parteiensystem positioniert. Und drittens sei die Soziale Marktwirtschaft ein ausgesprochenes Erfolgsrezept gewesen.
Ein kritisches Resümee der Ära Kohl zog Prof. Dr. Thomas Biebricher von der Copenhagen Business School. Er unterteilte die Jahre 1973 bis 1998 in drei Abschnitte. Für den Zeitraum 1973 bis 1981 sei Kohl durchaus als Parteimodernisierer hervorgetreten und habe die Bundesgeschäftsstelle professionalisiert und ausgebaut. Die Jahre 1982 bis 1989 setzte Biebricher unter die Überschrift der „geistig-moralischen Wende“, allerdings seien der Ankündigung im praktischen Regierungshandeln kaum Konkretisierungen gefolgt. Der von manchen erhoffte und von manchen befürchtete „roll back“ blieb aus. Als Kanzler der Einheit sei Kohl in der dritten Phase bis 1998 unangreifbar gewesen. In dieser Zeit sieht Biebricher den Beginn einer „Freidemokratisierung“ der CDU, das heißt zur Aufnahme von Aspekten des sogenannten „Neoliberalismus“ in die Parteiprogrammatik. Unter Angela Merkel seien diese Aspekte dann noch stärker hervorgetreten.
Daran schloss die Journalistin und Merkel-Biographin Ursula Weidenfeld an und zeichnete die vielfältigen Debatten in den Jahren 2000 bis 2018 nach, als Merkel CDU-Vorsitzende war. Eine aus ihrer Lebensgeschichte heraus begründete Distanz zwischen Merkel und der CDU sei spürbar gewesen und geblieben. Gleichwohl habe sie die Partei als Vorsitzende und als Kanzlerin geprägt.
An der Diskussionsrunde zum aktuellen Grundsatzprogrammprozess unter dem Titel „Die CDU von morgen – schon heute?“ beteiligten sich neben dem Stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und Leiter der Grundsatzdiskussion Dr. Carsten Linnemann die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Nadine Schön, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag Dr. Jan Redmann und die Stellvertretende Bürgermeisterin von Berlin-Reinickendorf Emine Demirbüken-Wegner. Die Moderation übernahm Mariam Lau von der ZEIT. Wie Linnemann in seinem Impulsreferat hervorhob, bedeuten die Bundestagswahl vom 26. September 2021 und der Machtverlust der Unionsparteien „einen Einschnitt“. Umso wichtiger sei nun die Aufgabe der inhaltlichen Erneuerung. Dabei würden die aktuellen inhaltlichen Überlegungen der Programmkommission von drei Leitgedanken bestimmt: Erstens, nicht vom Kollektiv auszugehen, sondern vom Individuum; zweitens, sich bewusst zu sein, dass man nur vorletzte Antworten geben könne; drittens die Überzeugung, dass der Mensch zur Freiheit bestimmt sei.
Als künftige Schwerpunktthemen nannten Demirbüken-Wegner die weitere Profilierung der CDU als Großstadtpartei und die Integrationspolitik, Schön die Themen Digitalisierung und Stärkung des Ehrenamts sowie Redmann die Klimapolitik. Linnemann formulierte das übergreifende Ziel einer „großen Staatsreform“ jenseits der Tagespolitik. Unterschiedliche Sichtweisen wurden in der Frage nach der Einführung einer Frauenquote in der CDU deutlich. Mit Blick auf den Fortgang der Programmarbeit fasste Linnemann die Aufgabe der Kommission abschließend in die Worte, die CDU benötige eine positive Zukunftserzählung, die den Menschen wieder Hoffnung mache.
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