Die Wahl des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler am 1. Dezember 1966 markiert eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sie besiegelt die Bildung der ersten Großen Koalition auf Bundesebene. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD finden sich in einer Regierungskoalition wieder, nachdem sie sich von 1949 bis 1966 17 Jahre lang als Regierungs- und Oppositionsfraktion nicht selten heftige parlamentarische Gefechte geliefert haben. Der Übermacht der Koalitionsfraktionen, die im Parlament über eine Mehrheit von rund 90 Prozent der Mandate verfügt, steht in Gestalt der FDP-Fraktion eine Opposition gegenüber, die erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestages über keine Sperrminorität bei verfassungsändernden Gesetzen verfügt, auch erfüllt sie nicht das Quorum zur Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse.
Die handelnden Personen sind sich des Außerordentlichen dieses Vorgangs, des Zusammengehens von Unionsparteien und SPD bewusst. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, erkennt „die Tiefe des Einschnitts in unsere historische, politische, parteipolitische und parlamentarische Entwicklung“, für den Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Helmut Schmidt, wird mit der Großen Koalition „ein neues Kapitel der politischen Geschichte der Bundesrepublik“ eingeleitet.
Annäherung von CDU/CSU und SPD seit der „Spiegel-Affäre“
Die Vorgeschichte der Großen Koalition beginnt mit der „Spiegel-Affäre“ im Herbst 1962. Auch wenn das Zustandekommen eines Regierungsbündnisses zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten Anfang Dezember 1962 am Widerstand der SPD-Fraktion scheitert, die einer Verlängerung der Kanzlerschaft Konrad Adenauers und der Einführung eines Mehrheitswahlrechts nicht zustimmt, ist seit diesem Zeitpunkt die Große Koalition eine Möglichkeit, die jederzeit zur Wirklichkeit werden kann. Durch die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen haben Adenauer und die Unionsparteien die Regierungs- und Koalitionsfähigkeit der SPD anerkannt.
Treibende Kraft auf sozialdemokratischer Seite ist Herbert Wehner, der geistige Vater des Godesberger Programms von 1959, das die Grundlage für die Entwicklung der SPD von einer Interessen- und Weltanschauungspartei zur linken Volkspartei bildet. Wehner verfolgt das Ziel, die SPD regierungsfähig zu machen. Über die Annäherung der politischen Standpunkte von SPD und CDU/CSU strebt er die Bildung einer Großen Koalition an. Seine Mitspieler auf Unionsseite sind Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, ein führender Außenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion, und Paul Lücke, seit 1957 Mitglied im Bundeskabinett. Von einer Großen Koalition versprechen sich die beiden Unionspolitiker einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität der Demokratie und die Kontinuität der von der Union eingeleiteten Politik.
Mit seiner Zweidrittelmehrheit soll ein solches Regierungsbündnis vor allem eine grundlegende Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ermöglichen, die als dringlich geltende Notstandsverfassung verabschieden und ein Mehrheitswahlrecht einführen, das der als Mehrheitsbeschaffer ungeliebten FDP den Todesstoß versetzen würde.
Unterstützung erhalten die Befürworter einer Großen Koalition von Bundespräsident Heinrich Lübke, der sich seit der Bundestagswahl von 1961 um das Zustandekommen einer entsprechenden Regierungskoalition bemüht und in diesem Sinne sowohl 1961 als auch 1965 auf die Regierungsbildung Einfluss zu nehmen versucht hat. Seine Wiederwahl als Staatsoberhaupt im Jahre 1964 mit der Unterstützung der großen Mehrheit der SPD-Fraktion in der Bundesversammlung stellt eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Großen Koalition dar. Im Herbst 1966 scheint für die Befürworter einer Großen Koalition der Zeitpunkt zur Verwirklichung ihrer Pläne gekommen zu sein.
Scheitern der Regierung Erhard
Die christlich-liberale Koalition unter Bundeskanzler Ludwig Erhard zerbricht am 27. Oktober 1966 am Streit über den Ausgleich des Bundeshaushalts 1967. Erhard ist ein Kanzler auf Abruf, was sich bereits einen Tag nach dem Rücktritt der vier FDP-Bundesminister am 28. Oktober zeigt. Der Bundesrat lehnt den Etatentwurf der Bundesregierung für das Jahr 1967 einstimmig ab, und in der „Rheinischen Post“ wird der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Knut von Kühlmann-Stumm, mit der Erklärung zitiert, eine Zusammenarbeit mit den Unionsparteien unter einem Kanzler Erhard sei nicht mehr möglich.
Erhard, der seit der Niederlage der CDU bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Sommer 1966 politisch angezählt ist, resigniert und erklärt in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 2. November 1966 seine Bereitschaft zum Rücktritt. Die Wahlniederlage in dem bevölkerungsreichsten Bundesland signalisiert der CDU, dass ihrer Wahllokomotive der Dampf auszugehen scheint. Offensichtlich traut die Bevölkerung Ludwig Erhard, der sich so sehr in diesem Wahlkampf engagiert hat, nicht mehr zu, die schwierigen finanz- und wirtschaftspolitischen Probleme zu lösen.
Doch noch wagt sich keiner der bereits in der Öffentlichkeit gehandelten Nachfolgekandidaten aus der Deckung. Genannt werden vor allem Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Rainer Barzel, Bundesaußenminister Gerhard Schröder und der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger. Die Gefechtslage in den Unionsparteien ist unübersichtlich. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ über die Ausrichtung der bundesdeutschen Außenpolitik, die die gesamte Zeit der Kanzlerschaft Erhards überschatten, beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit von CDU und CSU.
Aufgeschreckt durch das indirekte Misstrauensvotum gegen Erhard in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 8. November 1966 – SPD und FDP fordern den Bundeskanzler gemeinsam auf, gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage zu stellen –, tritt der CDU-Bundesvorstand noch am Nachmittag desselben Tages zusammen und schlägt der Bundestagsfraktion als Nachfolgekandidaten Barzel, Gerstenmaier, Kiesinger und Schröder vor.
Nominierung Kiesingers zum Kanzlerkandidaten von CDU und CSU
Kiesinger geht als Favorit in die Abstimmung der CDU/CSU-Fraktion am 10. November 1966. Er ist unbelastet von den Bonner Machtkämpfen innerhalb der Union, kann als Ministerpräsident von Baden-Württemberg auf Erfahrungen in verschiedenen Regierungskonstellationen verweisen und hat die Unterstützung der CSU-Landesgruppe. Am Tag zuvor hat sich die CSU-Landesgruppe mit großer Mehrheit für Kiesinger ausgesprochen, verbunden mit der Forderung, dass ihr Parteivorsitzender Franz Josef Strauß in das Kabinett der neuen Bundesregierung eintritt. Nach dem Votum der CSU-Landesgruppe scheidet Gerstenmaier aus dem Rennen um die Erhard-Nachfolge aus. Schließlich taucht am Tag vor der Entscheidung in der CDU/CSU-Fraktion ein Dokument auf, das ihn hinsichtlich seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus entlastet. Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner Tätigkeit in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes während des Zweiten Weltkrieges steht er öffentlich in der Kritik. Das baden-württembergische Staatsministerium legt am 9. November 1966 das Dokument vor, in dem Kiesinger als Saboteur antijüdischer Aktionen des Reichsrundfunks denunziert wird. Das Schriftstück ist Kiesinger von dem stellvertretenden Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Conrad Ahlers, zugespielt worden.
Gleichwohl braucht Kiesinger drei Wahlgänge, um mit 137 Stimmen die absolute Mehrheit der anwesenden 244 Fraktionsmitglieder auf seine Seite zu bringen und sich bei der Nominierung des Kanzlerkandidaten von CDU und CSU gegen Schröder und Barzel durchzusetzen.
Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung
In den folgenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung zeigt sich sehr schnell, dass die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen CDU, CSU und FDP nicht mehr gegeben ist. Die Bildung einer sozial-liberalen Koalition ist damit die Alternative zur Großen Koalition. Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt scheint bereit zu sein, das Experiment einer Koalition mit den Freien Demokraten zu wagen. Die Basis für ein solches Bündnis würde allerdings sehr schmal sein. Zur Kanzlerwahl ist die absolute Mehrheit von 249 Stimmen erforderlich. SPD und FDP verfügen zusammen über 251 Sitze im Deutschen Bundestag; könnten sich also bei der Wahl des neuen Bundeskanzlers nur zwei Abweichler erlauben, und dies vor dem Hintergrund großer Vorbehalte gegenüber der SPD unter FDP-Abgeordneten vor allem aus Bayern und Niedersachsen.
Nach der Landtagswahl in Bayern am 20. November 1966 verstärkt sich ohnedies die Tendenz zur Bildung einer Großen Koalition. Wie bereits 14 Tage zuvor in Hessen schafft die NPD auch in Bayern den Einzug in den Landtag. In der Bevölkerung, in der angesichts der finanz- und wirtschaftspolitischen Probleme von einer Wirtschaftskrise gesprochen wird, drängen sich Parallelen zum Aufstieg der NSDAP in Folge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre förmlich auf. Zusammen damit löst das Vorhandensein einer Regierung ohne parlamentarische Mehrheit Erinnerungen an die Endphase der Weimarer Republik aus.
Dabei kann objektiv von einer Wirtschaftskrise nicht die Rede sein. Vielmehr kehrt Mitte der 1960er Jahre in der Bundesrepublik ein Stück wirtschaftlicher Normalität ein mit dem Rückgang der im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten auf ein normales Maß, was 1966 bei einer Preissteigerungsrate von 3,7 Prozent ein Wirtschaftswachstum von immer noch 2,8 Prozent bedeutet. Dennoch empfindet die Mehrheit der Deutschen die Bezeichnung „Krise“ zur Beurteilung dieser wirtschaftlichen Entwicklung als angemessen, weil sie ganz offensichtlich vergessen haben bzw. vergessen haben wollen, dass es noch so etwas wie zyklische Entwicklungsschwankungen gibt, die von Anfang an zum Erscheinungsbild der Industriewirtschaft gehört haben.
Angesichts dieser Stimmungslage in der Bevölkerung wächst nach der bayerischen Landtagswahl in den Unionsparteien und der SPD die Bereitschaft zur Bildung einer Großen Koalition, die durch die Einführung eines Mehrheitswahlrechts den Einzug der NPD, damit aber auch der FDP in den Deutschen Bundestag verhindert und gleichzeitig die finanz- und wirtschaftspolitischen Probleme mit einer breiten, zu Verfassungsänderungen ausreichenden Mehrheit meistert. Die Verhandlungskommissionen von CDU/CSU und SPD gelangen am 24. November 1966 zu einer entscheidenden Übereinstimmung in den sachpolitischen Fragen. Unmittelbar vorausgegangen ist ein Gespräch unter vier Augen zwischen Kiesinger und Wehner, der die SPD-Verhandlungskommission anführt, da Brandt wegen widriger Wetterverhältnisse nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem PKW von Berlin nach Bonn anreisen muss und erst eintrifft, als der Durchbruch in den Verhandlungen geschafft ist.
Vorbehalte gegenüber der Großen Koalition in der SPD und bei den Unionsparteien
Die Zustimmung der Partei- und Fraktionsgremien zu den Verhandlungsergebnissen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der SPD das Zusammengehen mit den Unionsparteien auf größere Widerstände stößt, die vor allem in den Landesverbänden von Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen artikuliert werden. Aber auch in den Unionsparteien findet die Große Koalition nicht ungeteilte Zustimmung. Als die CDU/CSU-Fraktion am 28. November 1966 die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen mit der SPD berät, legt der Abgeordnete Haase dar, „mit wieviel Vorbehalten wir in diese Ehe hineingehen, mit wieviel Vorbehalten, auch menschlichen Vorbehalten; es war unser Feind auf Tod und Leben im politischen Sektor“.
Bei der Wahl Kiesingers zum neuen Bundeskanzler am 1. Dezember 1966 bringen die Gegner der Großen Koalition in den Fraktionen von SPD und CDU/CSU ihre Vorbehalte in ihrem Abstimmungsverhalten zum Ausdruck. Kiesinger wird mit 340 Stimmen gegen 109 Stimmen bei 23 Enthaltungen zum dritten Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Die 109 Gegenstimmen können nicht nur aus den Reihen der FDP stammen, deren Fraktion über lediglich 49 Sitze im Deutschen Bundestag verfügt.
Das Kabinett der Großen Koalition – ein Spiegelbild der jüngeren deutschen Geschichte
Noch am gleichen Tag wird das Kabinett der neuen Bundesregierung vorgestellt und vereidigt. Es umfasst neben Bundeskanzler Kiesinger 19 Mitglieder, von denen CDU und CSU zehn, die SPD neun stellen.
Die führenden Repräsentanten der Koalitionspartner gehören dem Kabinett an: Von den Unionsparteien neben Kiesinger, der im Mai 1967 Ludwig Erhard auch im Parteivorsitz der CDU ablöst, der bisherige Außenminister Gerhard Schröder als Bundesminister der Verteidigung, der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß als Bundesminister der Finanzen, dazu die in ihren Ämtern verbleibenden Minister Paul Lücke (Inneres), stellvertretender CDU-Vorsitzender und Verfechter der Großen Koalition, Hermann Höcherl (Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), langjähriger Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und von 1961 bis 1965 Bundesminister des Innern, und Hans Katzer (Arbeit und Sozialordnung), als Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse maßgebender Repräsentant des Arbeitnehmerflügels seiner Partei. Von der SPD sind dies als Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler Willy Brandt, Parteivorsitzender und bisheriger Regierender Bürgermeister von Berlin, Herbert Wehner, „Wortführer seiner Partei in Kabinett und Koalition“ (Günter Scholz), als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und Karl Schiller als Bundesminister für Wirtschaft, der auf diesem Gebiet als Wissenschaftler und Politiker gleichermaßen Erfahrung besitzt und als Vertreter des keynesianischen Modells der Globalsteuerung von Anfang an – zuerst als Wirtschaftssenator in Hamburg und Berlin, später als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag – Erhards Widerpart.
In diesem Kabinett spiegelt sich das politische Spektrum der jüngeren deutschen Geschichte wider. Hier wirken mit Kiesinger, Brandt und Wehner an führender Stelle ein ehemaliges Mitglied der NSDAP, ein während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nach Skandinavien emigrierter Journalist und ein an zentraler Stelle in der Widerstandsbewegung tätiger ehemaliger KPD-Funktionär zusammen, was als „Symbol für den endlichen Abschluß der Nachkriegszeit und für einen politischen Neubeginn“ (Reinhard Schmoeckel) gelten kann.
Auch Hauptakteure der „Spiegel-Affäre“ wie Franz Josef Strauß und Conrad Ahlers, der stellvertretender Regierungssprecher wird, arbeiten gemeinsam in der neuen Bundesregierung. Schließlich ist der Eintritt von Gustav Heinemann in eine Regierung mit den Unionsparteien bemerkenswert, denn er hat 1950 als damaliger CDU-Innenminister im Kabinett Adenauer aus Protest gegen die Wiederbewaffnung Partei und Regierung verlassen und ist nach dem Scheitern der von ihm mitbegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei 1957 in die SPD eingetreten.
Barzel und Schmidt – die personelle Achse der Großen Koalition
Von den maßgeblichen Politikern der Koalitionsparteien fehlen nur Rainer Barzel und Helmut Schmidt am Kabinettstisch, die als Vorsitzende ihrer jeweiligen Fraktion die „personelle Achse der Koalition“ (Klaus Schönhoven) bilden.
Gewiss, die Kooperation zwischen Strauß und Schiller ist zur Überwindung der wirtschafts- und haushaltspolitischen Probleme sehr wichtig, doch bleibt das Einvernehmen zwischen dem Finanzminister und dem Wirtschaftsminister zeitlich begrenzt. Mit zunehmender Dauer der Großen Koalition entwickelt sich die anfänglich gute Zusammenarbeit zu einem Konkurrenzverhältnis. Die Auseinandersetzungen zwischen Strauß und Schiller erreichen im Mai 1969 ihren Höhepunkt, als wegen des Streits um die Aufwertung der DM, die der Wirtschaftsminister mit Nachdruck fordert und die der Finanzminister ebenso vehement ablehnt, die Große Koalition vor dem Bruch steht.
Wichtig sind auch die Beziehungen zwischen Kiesinger und Wehner, die für die Zusammenarbeit im Bundeskabinett bedeutsam sind, weil das Verhältnis zwischen dem Bundeskanzler und seinem Stellvertreter Brandt unterkühlt bleibt. Doch die für ihn nicht recht kalkulierbaren deutschlandpolitischen Absichten seines gesamtdeutschen Ministers lassen Kiesinger bereits im Frühsommer 1967 misstrauisch werden, was dazu führt, dass das Vertrauensverhältnis Risse bekommt.
Dagegen ist die Zusammenarbeit zwischen Barzel und Schmidt während des gesamten Zeitraums der Großen Koalition belastbar. Ihre Kooperation bewährt sich gerade in Krisenzeiten wie bei der Verabschiedung der Notstandsverfassung oder nach der Bundespräsidentenwahl im März 1969, als sich die Unionsparteien und die SPD bereits für den Bundestagswahlkampf in Position bringen und es noch viele unerledigte Baustellen gibt. Dann erweisen sich Barzel und Schmidt als „das stabilste Element in der Koalition“ (Heribert Knorr). Das Zusammenwirken der beiden Fraktionsvorsitzenden, die die nicht immer einfache Aufgabe erledigen, ihre jeweilige Fraktion auf Kurs zu halten, ist die Voraussetzung für die insgesamt erfolgreiche Arbeit der ersten Großen Koalition, die der Kiesinger-Biograph Philipp Gassert als „die erfolgreichste Regierung Westdeutschlands“ bezeichnet.
Literatur:
- Gassert, Philipp: Kurt Georg Kiesinger 1904–1988. Kanzler zwischen den Zeiten, München 2006.
- Gassert, Philipp/ Hennecke, Hans Jörg (Hrsg.): Koalitionen in der Bundesrepublik : Bildung, Management und Krisen von Adenauer bis Merkel. Rhöndorfer Gespräche Band 27. Paderborn 2017.
- Hildebrand, Klaus: Von Erhard zur Großen Koalition 1963–1969, Stuttgart 1984.
- Knorr, Heribert: Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen Koalition 1966 bis 1969. Struktur und Einfluß der Koalitionsfraktionen und ihr Verhältnis zur Regierung der Großen Koalition, Meisenheim am Glan 1975.
- Marx, Sefan (Bearb.): Der Kreßbronner Kreis: Die Protokolle des Koalitionsausschusses der ersten Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD. (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 63. Düsseldorf 2013.
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Schmoeckel, Reinhard/Bruno Kaiser: Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966 bis 1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 1991.
- Schönhoven, Klaus: Wendejahre. Die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition 1966–1969, Bonn 2004.
- Scholz, Günther: Herbert Wehner, Düsseldorf 1986.
- Wirz, Ulrich: Karl Theodor von und zu Guttenberg und das Zustandekommen der Großen Koalition, Grub am Forst 1997.