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Der Kampf gegen Desinformation kennt keinen Königsweg

by Dr. Philipp Gatzka

Eine Diskussion über den Missbrauch der Meinungsfreiheit

Eine Gefahr sind gezielte Täuschungen der Öffentlichkeit vor allem, wenn sie schwer oder nur noch mit technischem Aufwand erkennbar sind. Umso wichtiger ist die Medienkompetenz der "Medienverbraucher".

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Computer und Internet haben unsere Lebenswelt in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten recht tiefgreifend verändert. Die Digitalisierung dringt immer weiter vor und prägt über die Kommunikationsbedingungen auch die sozialen Grundlagen der Demokratie in erheblichem Maße mit. Sind daher unsere Erwartungen an das Internet hoch, so fehlen dort weithin die gewohnten Standards für die professionelle Aufbereitung von Informationen. Die Unterscheidung zwischen gesicherten Fakten, Werbung für einen Standpunkt und Verbreitung von Meinungen bleibt dem Nutzer überlassen. Dadurch bietet das Internet auch Raum für gezielte Desinformationskampagnen. Um diese Gefahr ging es bei einer Diskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung zu „Faktencheck gegen Meinungsmache. Wie gehen wir mit Desinformationen um?“

Hierüber diskutierten unter der Leitung von Dr. Moritz Küpper Sabine Verheyen MEP, Ingo Mannteufel (Osteuropa- und Desinformationsexperte der Deutschen Welle), Lutz Güllner (Europäischer Auswärtiger Dienst, Strategische Kommunikation und Informations­analyse) und Britta Rottbeck (Stellvertretende Sprecherin des Think Tanks #cnetz Verein für Netzpolitik).

Desinformation zu psychologischer Kriegsführung und Propaganda sind schon lange bekannt. Neu ist hingegen, wie Ingo Mannteufel hervorhob, die massenhafte Verbreitung gefälschter Informationen, sogenannter „Fake News“, die heute bereits mit geringem technischem Aufwand und billig produziert werden könnten. Britta Rottbeck sprach daher sogar von einer "künstlichen Flutung des Informationsraums". In einer „offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) ergeben sich hieraus gefährliche Auswirkungen auf die Demokratie, da das öffentliche Vertrauen in das Gemeinwesen Schaden nehmen kann – ein Problem, das nach Britta Rottbeck bereits seit einiger Zeit im Kontext der sozialen Medien erörtert wird.

Aktuell zeichnet sich eine neue Gefährdung durch "Deep Fakes" ab: In Videos, die mittels künstlicher Intelligenz verändert worden sind, werden Personen erfundene Aussagen in den Mund gelegt. Oder sie werden in manipulierter Form dabei gezeigt, wie sie vermeintlich Handlungen begehen, die in Wahrheit nie stattgefunden haben. Derartige Techniken können zur Beeinflussung politischer Prozesse missbraucht werden und verleihen Des- und Fehlinformationskampagnen eine neue Dimension – technischer Fortschritt in zweifelhaftester Verwendung.

Ingo Mannteufel wies darauf hin, dass er in ausländischen Desinformationskampagnen eine große außen- und sicherheitspolitische Gefahr sehe: Autoritäre Staaten wie Russland, Belarus, China oder der Iran nutzen diese zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen. Gleichzeitig würden Sie unabhängige Medienvertreter aus dem In- und Ausland in die Emigration treiben. Durch diesen Schachzug würden sie ihre Medienräume abschotten und träten in einen Systemwettbewerb, der das Jahrhundert dominieren werde. Wenngleich Deutschland von dieser Technik derzeit nicht so stark betroffen ist wie andere Länder, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass unser Land von dieser Entwicklung dauerhaft verschont bleibt.

Alle Teilnehmer stimmten darin überein, dass die durch „Deep Fakes“ fortgeschrittene, intensive Einflussnahme auf politische Prozesse eine sehr komplexe Herausforderung darstelle, deren Bewältigung eines „mehrgleisigen Ansatzes“ bedürfe, wie Lutz Güllner betonte: Gesetzgeberische Bestimmungen, technische Lösungen sowie Maßnahmen zur Aufklärung der Öffentlichkeit und Medienkompetenz müssten kombiniert werden. Erst auf diese Weise könne ein wirksamer Abwehrmechanismus gegen Desinformationskampagnen ent­wickelt werden. Lutz Güllner sprach in diesem Zusammenhang auch von "Verbraucherschutz": Um den Adressaten von Desinformationskampagnen besser zu schützen, müssen wir mehr über die Produzenten und ihre Produkte wissen.

Sabine Verheyen plädierte dafür, dass manipulierte Videos, die einen negativen Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausübten, aus dem Netz entfernt werden müssten, ohne dass dabei die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden dürfe. Hierfür seien die Social-Media-Plattformen verantwortlich, die indes nicht nach eigenem Gusto über Zulassung und Eliminierung entscheiden dürften. Dies werde auf EU-Ebene gerade im Rahmen des „Digital Services Act“ diskutiert. Ingo Mannteufel ergänzte: Bei der "Machtfrage", wie es Moritz Küpper nannte, sah das Publikum (s. Umfrage) mehrheitlich den Staat in der Verantwortung. Ingo Mannteufel kommentierte aus Sicht des Pressevertreters dieses Ergebnis kritisch: Dem Staat dürfe die Entscheidung über die „Wahrheit“ von Informationen nicht zugewiesen werden. Wenn eine Zensur vermieden werden solle, dürfe er in einer Demokratie nicht mit einem „Wahrheitsministerium“ Inhalte regulieren. Vielmehr müssten die Unternehmen im Sinne eines Verbraucherschutzes freiwillig Regulierungen vornehmen. Sabine Verheyen schlug analog zu den in Deutschland bekannten Einrichtungen des Rundfunkrates, der Landesmedienanstalten oder der europäischen ERGA Beschwerde- und Meldestellen vor. Ihr Anliegen war es, Antworten auf die Frage zu finden, wie der Verbraucher den zirkulären Selbstverstärkungen von Inhalten durch die Algorithmen der großen Tech-Konzerne angezeigt werden, entrinnen kann. 

Zu möglichen technischen Lösungen betonten die Teilnehmer, dass zur Abwehr der Gefahren durch „Deep Fakes“ auch die Beschränkungen des Einsatzes einer solchen Technik gehörten. Dafür seien neue rechtliche Definitionen erforderlich, nach denen der Missbrauch einer solchen Technik rechtswidrig wäre, wenn diese zur Beeinflussung politische Prozesse dienen könnte. Wirksame Maßnahmen müssten aber auch die Aufklärung der Öffentlichkeit beinhalten.

In diesem Zusammenhang hob Sabine Verheyen hervor, dass in den Bereichen der politischen Bildung, des lebenslangen Lernens und in der Weiterbildung im Erwachsenenbereich noch sehr viel zu tun sei, um die Bevölkerung darüber aufzuklären, was eine zuverlässige Quelle sei, der man Glauben schenken könne und „was eher mit dem Geschwätz an der Theke“ vergleichbar sei. In Bildungsprogrammen sollte daher ein Akzent auf (Online-)Medienkompetenz gelegt werden, um die Sensibilität für das Thema zu verbreitern und die Konsumenten dazu zu befähigen, gut gemachte Täuschungen zu durchschauen und zu enttarnen. 

 

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Prof. Dr. Martin Reuber

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Referent Europa- und Bildungspolitik, Büro Bundesstadt Bonn

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