Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. In den kommenden Jahren wird eine Reihe von Trends und Entwicklungen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer beeinflussen. Einige dieser Trends bestimmen schon heute unser Handeln, während andere sich erst herausbilden und noch nicht vollständig vorhersagbar sind. Es ist dennoch bereits heute unerlässlich, Handlungsansätze zu identifizieren, um den Herausforderungen in der Arbeitswelt aktiv begegnen zu können.
Wenn es um die Megatrends in der Arbeitswelt geht, stehen demografische, technologische, ökonomische, gesellschaftliche und ökologische Entwicklungen im Fokus.
Darüber hinaus gilt es, disruptive Entwicklungen, etwa die Corona-Pandemie, den Ukrainekrieg und die Inflationskrise, zu beachten. Im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen der demografiebedingte Arbeitskräftemangel, der Technologietrend der Digitalisierung sowie die sozioökologische Entwicklung der Nachhaltigkeit.
Die demografische Entwicklung in Deutschland ist seit den 1970erJahren hinlänglich bekannt. Für die nächsten Jahre sind das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Berufsleben sowie der vergleichsweise geringe Anteil junger Menschen in Gesellschaft und Arbeitswelt von Relevanz. Dies führt zu einem Arbeitskräfte-, Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Laut einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind derzeit (Stand März 2023) etwa zwei Millionen Stellen unbesetzt – Tendenz steigend. Diese Entwicklung gilt grundsätzlich, allerdings besonders für Stellen in den Bereichen Gesundheit und Pflege, Soziales und Bildung, Handwerk, Informationstechnik (IT) sowie Metall- und Elektroindustrie (IAB 2023, KOFA 2022).
Kollege Roboter, Kollegin Künstliche Intelligenz
Dieser Arbeits- und Fachkräftemangel zieht gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Konsequenzen nach sich, wenn nicht gegengesteuert wird. Es ist unerlässlich, alle Potenziale des Arbeitsmarktes zu heben, beispielsweise durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und die Steigerung des Arbeitsvolumens bestimmter Arbeitnehmergruppen (zum Beispiel Frauen, Ältere, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Beeinträchtigung und so weiter). Zudem ist eine internationale Fachkräfterekrutierung notwendig. Darüber hinaus sollte eine weitere „Mitarbeitergruppe“ in den Fokus genommen werden: Kollege Roboter, Kollege Algorithmus, Kollegin Künstliche Intelligenz. Sie können ein Hebel zur Reduktion der demografiebedingt straffen Personaldecken sein.
Die demografische Entwicklung bedarf zudem einer Produktivitätssteigerung. Theoretisch muss der Nachwuchs (fast) doppelt so viel können und leisten, um die demografische Lücke auszugleichen, wenn es nicht gelingt, die Potenziale des Arbeitsmarktes zu heben, international zu rekrutieren sowie die Digitalisierung und weitere Automatisierung ein- und umzusetzen sowie Prozessoptimierungen voranzutreiben. Der bestehende Handlungsdruck zeigt sich bei den Prozessoptimierungen besonders deutlich. Unreflektiert Produktivitätssteigerungen zu fordern, ohne an Prozessen zu arbeiten, Potenziale zu heben, die Personalarbeit zu professionalisieren und so weiter würde dazu führen, dass Krankenstände stark ansteigen, eine Kultur des Survival of the Fittest entstehen könnte oder Qualifizierte abwandern. Ein derartig negatives Szenario vor Augen zu haben, führt dann vor allem bei der jüngeren Generation zu einer verstärkten Forderung nach Work-Life-Balance, was mit einer Reduktion beispielsweise der Arbeitszeit verbunden sein kann. Ein Teufelskreis entsteht.
Unabhängig davon sind ein erheblicher Kompetenzzuwachs sowie Investitionen in Bildung, Ausbildung, altersgerechte und lebensphasenorientierte Weiterbildung notwendig – ein Leben lang, stärken- und talentorientiert.
Digitalisierung verändert das soziale Miteinander
Vielfach wird die Digitalisierung als alleinige Ursache für zahlreiche Entwicklungen in Bezug auf Organisationsprozesse und -strukturen, Lernen, Kompetenzanforderungen und Berufsbilder erachtet. Dies ist durchaus richtig, greift aber zu kurz, da Digitalisierung vielfach eher Treiber oder „Enabler“ ist, um Veränderungen umzusetzen oder Verhaltensweisen zu unterstützen, die letztlich in anderen Megatrends begründet liegen (Stalder 2016). Ein Beispiel stellt die Zunahme des ortsflexiblen Arbeitens dar, das zwar erst durch Kommunikations- und Kollaborationstechnologie möglich wurde, aber auch in einem engen Zusammenhang zu gesellschaftlichen Trends wie Selbstbestimmung und dem Wunsch nach Zeitsouveränität sowie besserer Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu bewerten ist. Zudem hat das ortsflexible Arbeiten durch die Corona-Pandemie erheblichen Rückenwind erfahren (Rump 2021). Digitalisierung verändert das soziale Miteinander und die Art und Weise des Arbeitens. Sichtbar wird dies beispielsweise bei der Virtualisierung von Kommunikation und Kooperation. Es ist nicht davon auszugehen, dass Face-to-Face-Kommunikation und -Kooperation gänzlich verschwinden. Bestimmte Tätigkeiten, Prozesse und Strukturen erfordern stationäres Arbeiten und stationäre Kooperation. Parallel dazu etablieren sich jedoch mehr und mehr virtuelle Formen der Zusammenarbeit. Innerhalb dieser beiden Pole bewegen sich hybride Modelle als Mischung von persönlicher und virtueller Kommunikation und Kooperation.
Im Kontext von Digitalisierung ist auch die Künstliche Intelligenz (KI) einzuordnen – ein weiterer Megatrend. Künstliche Intelligenz, im Englischen Artificial Intelligence (AI), kann menschliches Verhalten simulieren und infolgedessen entsprechende Aktionen durchführen. Mehr und mehr ergeben sich daraus Potenziale zur Substitution intellektueller menschlicher Denkleistungen und zur Automatisierung bestimmter intellektuell anspruchsvoller Tätigkeiten (Lemke 2019; Bostrom 2014; BCG 2018). In einigen Bereichen übertrifft die Künstliche Intelligenz bereits das menschliche Vorbild, in anderen ist noch nicht absehbar, ob das jemals möglich sein wird (KPMG 2018). Künstliche Intelligenz kann den Leistungserstellungsprozess erheblich verändern. So können technische Systeme Kontrolle, Steuerung und Planung selbst übernehmen und eigenständig Wissen austauschen.
Entscheidend für die adäquate Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Unternehmen ist nicht zuletzt, genügend Mitarbeitende zu beschäftigen, die über entsprechende Fähigkeiten verfügen, um in KI-Kontexten arbeiten zu können, und die in der Lage sind, diese Prozesse zu steuern. Die Unternehmenskultur und -politik sollte zudem innovationsgetrieben sein und darauf achten, dass alle Mitarbeiter „mitgenommen“ werden. Auch Kooperationen mit anderen Unternehmen können hilfreich sein, um von den wechselseitigen Erfahrungen zu profitieren. Zudem gilt es, zielgerichtet in KI zu investieren (KPMG 2018). „Enabler“ für die zunehmende Verbreitung von KI sind die Verfügbarkeit großer Datenmengen und die Möglichkeiten zum Zugriff darauf, verbesserte Algorithmen zur Datenanalyse sowie sehr hohe Rechnerkapazitäten und effiziente Speicher. Hinzu kommt ein disziplinenübergreifender Ansatz, um schnell Prototypen entwickeln zu können, Innovationszyklen, die in Monaten anstatt in Jahren gemessen werden, und zudem eine Führungskultur, die aktiv KI-Innovationen einfordert und auch bereit ist, kleinere KI-Projekte schnell freizugeben. Nicht zu unterschätzen sind auch die von öffentlicher Seite zur Verfügung gestellte Infrastruktur sowie eine entsprechende Aus- und Weiterbildungslandschaft zur Sicherstellung der relevanten Kompetenzen (KPMG 2018; BCG 2018; Rump/Eilers 2020).
Nachhaltigkeit als Gestaltungsrahmen
Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (World Commission on Environment and Development, WCED) verfasste bis 1987 den als Brundtland-Bericht in die Geschichte eingegangenen Zukunftsbericht Our Common Future. Danach ist die „nachhaltige Entwicklung […] eine Entwicklung, die den Bedürfnissen heutiger Generationen Rechnung trägt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihren eigenen Bedürfnissen nachzukommen“ (WCED 1987). Diese Kernaussage stieß einen globalen Diskurs im Hinblick auf nachhaltiges Agieren an, der bis heute fortgeführt wird.
Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit wird oftmals der Fokus auf Klima- und Umweltschutz gelegt. Darüber hinaus wird Nachhaltigkeit mit drei Dimensionen verbunden: ökologisch – ökonomisch – sozial. In der Arbeitswelt bedeutet Nachhaltigkeit mit Blick auf die soziale Komponente jedoch mehr: Sie bezieht sich zum einen auf die Verlässlichkeit bis hin zur Beschäftigungssicherung. Zum anderen wird Beschäftigungsfähigkeit (Employability) thematisiert, die Qualifikation, Kompetenzen und Motivation, Identifikation und Gesundheit sowie Wohlbefinden beinhaltet. Vor allem aus diesen Punkten ergibt sich (individuelle) Resilienz (Rump/Eilers 2020). Nachhaltiges Agieren stellt mittlerweile einen Wettbewerbs- und Standortvorteil für Wirtschaft, Regionen und Qualität der Gesellschaft dar.
Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Bereitschaft besteht, zur Erlangung von Nachhaltigkeit das individuelle Handeln zu verändern, oder ob lediglich der Wunsch nach Nachhaltigkeit vorhanden ist. Fest steht, dass es zunehmend dem gängigen Werteverständnis entspricht, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen und sich an ihr zu orientieren. Nachhaltigkeit in der Unternehmenspolitik ist somit vermehrt ein Kriterium – gerade für die jüngere Generation – bei der Wahl eines Arbeitgebers (Rump/Eilers 2020). Nebenbei bemerkt: Young Professionals entdecken auch den ländlichen Raum (wieder) stärker als Lebens- und Arbeitsraum für sich, wenn die Verkehrs- und IT-Infrastruktur stimmt. Dahinter stehen nicht selten ein Familienbezug und eine Heimatverbundenheit, die Nähe zur Natur sowie überschaubare Wohn- und Lebenshaltungskosten (Rump/Ogermann 2022).
Die „Renaissance“ der Nachhaltigkeitsdebatte liegt nicht zuletzt darin begründet, in einer Welt ständiger Veränderung und steigender Unsicherheit auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene nach einem Gegengewicht zu suchen. Dazu gehört, sich kritisch mit den Folgen ständigen Wachstums auseinanderzusetzen, das einerseits Wohlstand bringt, andererseits jedoch die Erde an ihre Grenzen führt. Der Ansatz von Green Growth oder Green Economy versucht, Wachstum zuzulassen, jedoch mithilfe effizienterer Technologien, regenerativer Energien und Kreislaufwirtschaft (akzente 2019).
Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE, Ludwigshafen.
Silke Eilers, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Beschäftigung und Employability IBE, Ludwigshafen.
Literatur
akzente Kommunikation und Beratung: Trendmonitor Nachhaltigkeit 2019/1, Wiesbaden, https://akzente.de/wp-content/uploads/2019/02/akzente_Trendmonitor_2019.pdf [letzter Zugriff: 30.03.2023].
Boston Consulting Group (BCG): Decoding Global Talent 2018, www.bcg.com/publications/ collections/decoding-global-talent [letzter Zugriff: 30.03.2023].
Bostrom, Nick: Superintelligence. Paths, dangers, strategies. Oxford University Press, Oxford 2014.
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB): Stellenerhebung 2023, in: https://iab.de/das-iab/befragungen/iab-stellenerhebung/ [letzter Zugriff: 30.03.2023].
KPMG: Wertschöpfung neu gedacht. Von Humanoiden, KIs und Kollege Roboter, Studie, 2018, https://hub.kpmg.de/ki-studie-2018 [letzter Zugriff: 30.03.2023].
Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA): Fachkräftereport März 2022, KOFA Kompakt 4/2022, www.kofa.de/daten-und-fakten/studien/fachkraeftereport-maerz-2022/ [letzter Zugriff: 30.03.2023].
Lemke, Claudia: „Digitalisierung im Spannungsfeld zwischen Technologie und Management“, in: Rump, Jutta / Eilers, Silke: Die vierte Dimension der Digitalisierung. Spannungsfelder in der Arbeitswelt von morgen, Springer, Heidelberg 2019, S. 17–42.
Rump, Jutta: Die Neue Normalität in der Arbeitswelt. Die 7*3er Regel, Ludwigshafen 2021.
Rump, Jutta / Eilers, Silke: Megatrends der Arbeitswelt und ihre Implikationen für Unternehmen und Individuen, Ludwigshafen 2020.
Rump, Jutta / Ogermann, Anna-Maria: Attraktivität eines Standortes aus der Sicht von Young Professionals, Ludwigshafen 2022.
Stalder, Felix: Kultur der Digitalität, Berlin 2016.
World Commission on Environment and Development (WCED): Our Common Future. Report of the World Commission on Environment and Development, www.un-documents.net/wced-ocf.htm [letzter Zugriff: 30.03.2023]; deutsche Fassung: Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, hrsg. von Volker Hauff, Greven 1987.