Wokeness als zunehmend bekanntes Reizwort
Identitätspolitik, Social-Justice, Wokeness und Postkolonialismus sind zu bekannten Schlagworten rund um eine Bewegung und Weltanschauung geworden, die in westlichen Gesellschaften Fuß gefass hat. Darf man nach der Herkunft eines Menschen fragen? Brauchen PoC (people of color) oder andere Minderheiten sichere Orte (safe spaces)? Sollen Straßennamen mit „kolonialem Erbe“ abgeändert werden? Dürfen „Weiße“ Rastalocken tragen? Ist Mathematik rassistisch? Diese sind nur wenige von zahlreichen aufgeworfenen Streitfragen, die die woke Bewegung energisch befeuerte. Beinahe unbemerkt sind woke Denkinhalte, vor allem über soziale Medien, in die Köpfe von Rezipienten gelangt und werden oftmals, wie es der Natur starrer Glaubenssysteme innewohnt, zwanghaft und unkritisch befolgt, angewandt und missioniert.
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Nicht erst mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zeichnet sich ein deutlicher Gegentrend zur woken Welle ab, sowohl in Teilen der Bevölkerung als auch zunehmend im akademisch geprägten intellektuellen Raum. Die woke Weltanschauung und die mit ihr verbundenen genannten Schlagworte wurden und werden dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln kritisiert.
Die einfache, kurze Definition von „woke“ im Duden: „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“ ließ die Wokeness auf den ersten Blick als unangreifbares, befürwortenswertes Anliegen imponieren, dem man sich schnell anschließen mag. Erst der Blick auf das umfassende, rigide Weltbild und die Wurzeln der woken Bewegung an Universitäten lassen erkennen, dass es sich um ein recht radikales Anliegen mit antiwestlichem, antiaufklärerischem und spaltendem Impetus handelt.
Das woke und postkoloniale Welt- und Menschenbild
Der Postkolonialismus als bedeutsamer Ursprung der heute in Erscheinung tretenden Wokeness betont, dass ein koloniales Erbe und die damit verbundenen Diskriminierungen noch immer in den westlichen Gesellschaften präsent sind – in Form von rassistischen Strukturen, einer Marginalisierung von Minderheiten oder der wirtschaftlichen Ausbeutung ehemaliger Kolonien. Gefordert wird die „Entkolonialisierung“ von Wissenssystemen und Identitäten. Hervorgehoben werden versteckte Formen der Unterdrückung, die trotz formeller Unabhängigkeit weiter bestünden.
Diese im übergeordneten Sinne woke Weltanschauung gruppiert Menschen anhand des Ausmaßes von sogenannter „struktureller“ Benachteiligung. Minderheitengruppen seien strukturell, also systematisch, in der Ausübung von Macht benachteiligt und daher diskriminiert (die Marginalisierten). Es existierten Rassismus, Sexismus, Patriarchat, Homo- und FLINTA-phobie (das Akronym steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) und Ähnliches, toxische Männlichkeit, Klassismus, Ableismus (die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) und weitere Diskriminierungen, die alle Schichten der Gesellschaft mit ihren Institutionen, ihren kulturellen Normen und Werten sowie Gesetzen strukturell prägten.
Die Privilegierten profitierten von dieser strukturellen Benachteiligung, weshalb sie kein Interesse an deren Auflösung haben, sondern sie aufrechterhalten.
Es gebe eine Hierarchie des Ausmaßes der strukturellen Benachteiligung von Gruppen (nach derzeitigem Stand: beispielsweise farbige, Trans-, weiblich „gelesene“ Personen mit Behinderung sind stark benachteiligt, heterosexuelle weiße Frauen innerhalb der Frauengruppe am wenigsten, heterosexuelle weiße Männer gar nicht).
Alle Diskriminierungen und Benachteiligungen müssten aktiv aufgelöst werden. Als Maßnahme hierfür bekannt ist unter anderem die Quotierung von Privilegien der Marginalisierten zur Schaffung eines anderen Machtverhältnisses von Identitätsgruppen. Auch die Separierung der einzelnen Minderheiten-Gruppen zu deren vermeintlichen Schutz (safe spaces) ist eine geforderte Konsequenz. Diskriminierungen seien ständig präsent und äußern sich auch in Mikroaggressionen. Die Schwelle zur Definition von Gewalt ist herabgesetzt auf Worte. Die Privilegierten sollen sich jederzeit achtsam und mit Schuldgefühl verbunden ihrer Privilegien bewusst sein, diese in ihr Selbstbild verinnerlichen und ebenso achtsam und sensibel mit ihnen umgehen, den Marginalisierten stets den Vorrang in der Verteilung von Macht gewähren, um soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen. Soziale Gerechtigkeit bemisst sich dabei ausschließlich nach Zugehörigkeit zu Gruppen der Benachteiligung, nicht nach individuellem gesellschaftsdienlichem Verhalten oder nach Leistung. Der Marginalisiertengrad wird vornehmlich durch jene bestimmt, die zu einer Minderheitengruppe gehören und sich benachteiligt fühlen beziehungsweise betroffen sind („Sprechen sollen nur die, die betroffen sind“). Die zentrale Errungenschaft der Aufklärung, dass es nicht mehr darauf ankommt, wer etwas sagt, sondern was er sagt, wird somit wieder zurückgedreht.
Eine objektive Realität wird verneint. Realität sei vor allem eine soziale Konstruktion, bei der Sprache die bedeutsamste Rolle einnimmt. Realitätsbeschreibungen erfolgten immer relativ vom jeweiligen Standpunkt aus (Relativismus). Das Gefühl (von Marginalisierten) ist das Maßgebliche.
Als bedeutsame Grundlagentheorie des woken Antirassismus geht die postkoloniale Theorie also davon aus, dass die westliche Kultur mit ihren Errungenschaften ausschließlich auf Rassismus, Sklaverei und Kolonialismus beruht. Die postkoloniale Ideologie widmet sich dabei exklusiv dem westlichen Imperialismus und Kolonialismus. Dabei wird nicht nur jede westliche Intervention dämonisiert, sondern auch die Übernahme von westlicher Kultur durch nicht westliche Länder. Damit sieht man beispielsweise den Staat Israel als Kolonialprojekt und Apartheid-Staat. Die jüngsten Terrorattacken durch die Hamas auf Israel wurden aus diesem, aber beispielsweise auch aus dem Black-Lives-Matter-Umfeld, nicht selten positiv und als Teil eines antikolonialen Befreiungskampfs gewertet. Den Postkolonialen wird zunehmend eine antisemitische Haltung vorgeworfen, zum Beispiel auch, wenn Juden als Opfer wenig zählen, weil sie zu weiß sind. Die Jüdische Allgemeine wies darauf hin, dass ein prominenter Vertreter der BDS-Bewegung Antisemitismus nicht zu einer „eigenen Klasse des Rassismus“ erheben wolle, denn dies wäre „in Wahrheit eine weitere Manifestation der privilegierten Stellung der Weißen“.
Durch den (historischen) Herrschaftsanspruch weißer Menschen seien unterschiedliche Formen von Rassismus entstanden. Die „Weißen“ seien mitsamt dem Christentum in der Vergangenheit mit Ansprüchen auf Herrschaft, Macht und Privilegien positioniert worden. Rassistische Inhalte hätten sich wirkmächtig und meist nicht bewusst in Glaubensgrundsätze, „(Sprech)-Handlungen“ und identitäre Muster sowie Wissen eingeschrieben und würden in Strukturen und Institutionen reproduziert, also wiederholt.
Opferkult, Narzissmus, Fatalismus und Spaltung: Psychologie der Wokeness
Versteht man Wokeness politisch als Synthese der Postmoderne und der marxistischen Unterdrücker/Unterdrückten-Dichotomien, die nicht mehr nur auf Klasse, sondern jetzt vorwiegend auf Rasse, Geschlecht, Sexualität und Körpermerkmale angewendet werden, wird nachvollziehbar, dass auch der Wokeness die marxistisch geprägte Vorstellung zugrunde liegt, dass der Mensch unendlich formbar ist und durch angemessene Sozialisierung neu geschaffen und perfektioniert werden kann. Biologische und evolutionäre Einflüsse auf menschliches Erleben und Verhalten werden in diesem Menschenbild meist vollständig geleugnet.
Im Glauben, dass eine perfekte Welt neugestaltet werden kann, ist erneut der klassische Kampf um Macht im Verbund mit möglichst vielen vermeintlich unterdrückten, historisch marginalisierten Identitäten angestrebt, mit den Mitteln der Einschränkung von Meinungsfreiheit bei Sanktionierung von Einzelpersonen und Institutionen (Cancel Culture), die sich den sich verändernden Sprachnormen und Tabus nicht fügen. Wokeness versucht dabei erkennbar, nahezu alle Aspekte des Lebens der Menschen zu verändern und einen engen Rahmen moralischer und ethischer Normen durchzusetzen („das Private ist politisch“). Sie fordert ihre Vertreter auf, sich an der Mission zu beteiligen und ihre Dogmen und Sprache zu verbreiten, was ihr auch einen religiös-missionarischen, kultähnlichen Charakter verleiht.
Mit ihrer Betonung der Gruppenunterschiede und hiermit einhergehender geforderter identitärer Privilegien, ihrer bedingungslosen Forderung nach Anpassung an ihre Standards, der sozialen Ächtung Andersdenkender, der in Teilen Geringschätzung bis Ablehnung von Individualität und Universalismus und damit letztlich auch der universellen Menschenrechte, der Ablehnung einer möglichst objektiven, wissenschaftlichen Erkenntnissuche, mit ihrem Anspruch, Opfer zu sein oder für Unterdrückte einzutreten, sowie ihrer Unterwerfung unter die Prämissen ihrer Führungsfiguren weist Wokeness in mancher Analyse der Definition nach auch faschistoide Züge auf.
Psychologisch betrachtet sind mehrere Wirkmechanismen am Werk, die, für sich betrachtet, normale menschliche Erlebens- und Verhaltensweisen widerspiegeln, aber erst in ihrer überbordenden Dosis zum Gift werden:
Moralisierender Narzissmus erhebt sich selbst und die eigene Gruppe zum progressiven Kämpfer für das Gute, für empathische Sensibilität und für Gerechtigkeit. In einer solchen woke-aktivistischen Rolle kann man das eigene Selbst narzisstisch aufwerten und in Szene setzen. Woke wird zum Statussymbol. Man kann aber auch besonders auffallend sein, weil neue Identitätsschablonen wie ein „fluides Gender“ hierzu dienen. Die Fremdgruppe der Privilegierten wertet man als „alte weiße Männer“, Kolonialverbrecher, Rassisten und Ähnliches ab, um sich über sie erheben zu können. Ein Anspruchsdenken, das Rücksicht auf alle potenziellen Mikrokränkungen durch falsche Pronomen oder andere Worte fordert, basiert auf einer Haltung, die im hohen Maße um sich selbst und die eigene Befindlichkeit kreist, das Miteinander dabei aus den Augen verliert.
Man kann sich der depressiven Weltsicht der alles durchdringenden toxischen Diskriminierungen entweder hilflos ergeben oder aber in den Kampf ziehen, wie es für den woken Aktivismus typisch ist. Im Letzteren kann man wenigstens noch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit finden. Doch die durchgehend negative Wahrnehmung von der Welt und den Menschen verstärkt ein Grundgefühl der Depressivität und sickert bei wiederholter (medialer) Verbreitung womöglich in ein kollektives Unbewusstes. So haben nicht wenige Menschen unkritisch woke Denkmuster verinnerlicht. Der Wahrnehmungsfokus richtet sich mehr und mehr auf das vermeintlich Problematische; zum Problem wird indes mehr die Überwachsamkeit, die an jeder Ecke neue soziale Ungerechtigkeiten sehen möchte. Eine verstärkte Wahrnehmung von Diskriminierung kann mit Ängsten, sozialer Belastung und negativen körperlichen Folgen verbunden sein. Wokeness in einer überbordenden Opferhaltung demotiviert Menschen zur erwachsenen Übernahme von Verantwortung, unterdrückt individuelle Widerstandsfähigkeit durch Implementierung der Idee, dass jegliche unangenehme Gefühle von Natur aus schädigend und traumatisierend seien.
So wohnt der Wokeness auch eine kindliche Haltung inne. Wenn keine Streitgespräche über Inhalte mehr zugelassen werden, sondern lieber diejenigen von Bühnen ausgeschlossen werden, die Gefühle von anderen verletzen könnten, dann hat eine Sandkasten-Logik eingesetzt. Das Canceln an sich, also das Abbrechen von Kontakten, sobald eine unangenehme Empfindung auftritt und irgendeine Art von Ambivalenz ausgehalten werden muss, ist so ein kindliches Verhaltensmuster, das im Übermaß zu einer Vermeidungsspirale führt. Und so kommt es, dass das vermeintlich Progressive einen solchen regressiven Charakter innehaben kann. Denn es ist nicht progressiv, also fortschrittlich, wenn es im Wesentlichen um Veränderung als Vermeidungshaltung und als reinen Selbstzweck geht.
Psychologisch spezifisch für eine radikal ausgelegte und gelebte Woke-Ideologie ist vor allem die intellektualisierte Fixierung auf Schuld und Moralismus. Aber bei rigider Moral geht es nicht mehr um echte Empathie (mit den Opfergruppen). Es geht dann zunehmend um das pure Einhalten von Regeln, es geht um Rechthaberei und um Trotz. Ist man einem solchen zwanghaften Modus des Erlebens einmal erlegen, gibt es nur noch starre Ordnungen, von der es keine Abweichungen geben darf. Verbissene Ernsthaftigkeit steht an der Tagesordnung. Da alles für das Gute ist, macht es die zwanghafte Neurose im linken Milieu für den psychologischen Laien schwieriger zu enttarnen als im rechten, wo starre Law and Order offensichtlicher zu Tage tritt.
Der Tiefenpsychologe Riemann hat bereits 1961 in einem psychologischen Klassiker versucht, zu beschreiben, wie eine festgelegte Ordnung an moralischen Regeln Angst in Schach halten soll: Dann stehe „die Meinung über etwas in unverrückbarer Gültigkeit, ein moralisches Urteil in paragraphenhafter Starre, eine Theorie in unangreifbarer Behauptung, ein Glaube in unerschütterlicher Absolutheit“ (S. 131).
Da jeder Zwang aus sich heraus die Neigung hat, sich auf neue Gebiete auszudehnen, entwickelt sich eine nicht verstandene Rigidität im Erleben und Denken eigendynamisch zu einer immer ausgeprägteren Einengung.
Starke Gruppenkohäsion fördert Entindividualisierung Andersdenkender
Auch ein Blick in die Sozialpsychologie hilft zum Verständnis der Wokeness und ihrer Ablehnung weiter. Menschen haben die Tendenz, sich in Gruppen zu organisieren, sich einer oder mehrerer Gruppen zugehörig zu fühlen. Menschen formen eine positive soziale Identität zum Teil durch Vergleiche der eigenen (In-)Group mit relevanten Out-groups. Der Vergleich dient dabei der Stärkung der sozialen Identität, wenn sich die eigene Gruppe positiv von der Out-group abhebt.
Immer dann aber, wenn die individuelle Bedeutsamkeit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist, kann eine deutliche Eigengruppenbevorzugung mit starkem Wir-Gefühl und gleichzeitiger Benachteiligung beziehungsweise Diskriminierung der Fremdgruppe bis hin zur Entindividualisierung von Menschen in der Out-Group entstehen (zum Beispiel weiße Menschen seien grundsätzlich in einer Art Erbschuld). Die Fixierung auf die reine Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Marginalisierte oder Privilegierte) fördert auch auf diesem Weg ausgeprägte Konflikte zwischen den Gruppen und führt dazu, dass individuelle Bedürfnisse und Gefühle nicht mehr zählen, wenn sie in der „falschen“ Gruppe valent werden. Zugunsten des (utopischen) „Großen Ganzen“ hat das Individuum zurückzustehen. Dass einzelne Personen, die sich „fehlverhalten“ (weil sie Gefühle von Marginalisierten verletzt haben), sozial an den Pranger gestellt und gecancelt werden, wird zum unvermeidlichen kleinen Übel verklärt. Nur wer Buße tut und reumütig um Verzeihung bittet, hat überhaupt eine Chance, nicht weiter attackiert zu werden. Es ist gerade die Härte, die man doch eigentlich ablehnte, jetzt aber selbst an den Tag legt und die an Rache und Sadismus erinnert.
Gegen die omnipräsenten und rigiden woken Glaubensmuster entstanden mit der Zeit Gegenkräfte. Wenn Menschen ihre gewohnte Art zu denken und zu sprechen durch ausgeprägte Reglementierungen eingeengt erleben, reagieren sie oftmals mit einem Mechanismus, den wir in der Psychologie „Reaktanz“ nennen und der eine entscheidende Rolle im Verständnis gesellschaftlicher Zerwürfnisse spielt. Es kommt dann zu einer emotional intensiven, ablehnenden Gegenreaktion, die sich auch auf die ursprünglich konstruktiven Ziele der woken Bewegung ausdehnen kann. Menschen wollen dann möglicherweise von real existierendem Rassismus nichts mehr hören, verleugnen ihn gar. Es kommt zu Polarisierungen und Kämpfen, in der es Zwischentöne und Differenzierungen schwer haben.
Potential der Wokeness und Gegenkräfte können in einer gesunden Mitte münden
Wenn wir uns vor Augen führen, dass eine schwarz-weiße Welt ungesunde Polarisierung zur Folge hat, und wieder aushalten lernten, dass es auch Bedürfnisse gibt, die uns selbst nur auf den ersten Blick fremd erscheinen, könnten wir von innen heraus in einem gesunden Maße ein Stück weit achtsamer sprechen und handeln, ohne dass wir dies durch einen strengen Zensor getrieben tun müssten. Das Gute an einer nicht radikalen Wokeness ist, dass der woke Blick auf zu starre Stereotype den Menschen ein Stück freier macht, nicht nur die Betroffenen, sondern alle Menschen. Wir können auch vom kreativen Potenzial des woken Grenzensprengens inspiriert werden. Und von einem weicheren Blick einer jüngeren Generation auf das eigene Wohlbefinden und die psychische Gesundheit als Gegenentwurf zu einem potenziell schädigenden, überfordernden Leistungsdenken. Ohne das Beständige abzuwerten, dabei auch schmerzliche Realitäten anzuerkennen, statt sie umzudeuten oder abzuschaffen. Im Ausgleich der entgegengesetzten Kräfte im Sinne eines gesunden Maßes könnte beispielsweise wieder der Gedanke zugelassen werden, dass die Frage »Woher kommst du?« auch echtes Interesse statt Feindseligkeit ausdrücken kann. Wir könnten das Unterschiedlichsein im gleichzeitigen Wissen um unser aller gemeinsamer Basis als Menschen wieder positiv besetzen, ohne es in übermäßig abgrenzendem, narzisstischem Motiv zu karikieren.
Esther Bockwyt ist Diplom-Psychologin und Autorin psychologischer Fachbücher. Sie ist Expertin für Persönlichkeitsstörungen und arbeitet als klinische und forensische Gutachterin. 2024 veröffentlichte sie ihr erstes Sachbuch Woke. Psychologie eines Kulturkampfs.
Literatur
- Riemann, Fritz: Grundformen der Angst: Eine tiefenpsychologische Studie. Reinhardt: München 2009 (erste Auflage 1961).
- Schwarz, Florian: „Wokeness ist letztlich eine anti-wissenschaftliche Weltanschauung“. In: HPD, 29.05.2023, online unter: https://hpd.de/artikel/wokeness-letztlich-anti-wissenschaftliche-weltanschauung-21314 (letzter Abruf: 27.01.2025).
- Wulinger, Michael: „Welche Farbe haben Juden?“. In: Jüdische Allgemeine,05.12.2019, online unter: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/welche-farbe-haben-juden/ (letzter Abruf: 27.01.2025).
- Duden. In: duden.de, 2023, https://www.duden.de/rechtschreibung/woke (letzter Abruf: 27.01.2025).
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