Herkunft und Ausbildung
Volker Bouffier wird in ein politisches Elternhaus hineingeboren. Sein Vater Robert Bouffier, als Jurist im gehobenen Verwaltungsdienst beim Landkreis Gießen beschäftigt, war seit 1956 für die CDU im sozialdemokratisch dominierten Gießen Stadtverordneter. Mutter Käthe war 1944 aus Jugoslawien geflüchtet. Volker Bouffier wächst in eher bescheidenen Verhältnissen in der teilweise noch kriegszerstörten Gießener Innenstadt auf, sein erstes Taschengeld verdient er als Zeitungsausträger. Sein Großvater hatte im November 1945 zu den Mitbegründern der Gießener CDU gehört. Die politischen Wurzeln der Familie sind für ihn prägend: 1958 zeigt ein Pressefoto den jungen Volker nur wenige Schritte von Bundeskanzler Konrad Adenauer entfernt bei dessen Wahlkampfauftritt in Gießen, Ludwig Erhard begegnet er im Familienkreis persönlich.
Nach der Volksschule besucht Bouffier das Gießener Herdergymnasium – hier ist er Klassensprecher und später Schulsprecher – und macht dort 1970 Abitur. Anschließend nimmt er an der Justus-Liebig-Universität das Studium der Rechtswissenschaften auf, das er 1975 mit dem Ersten Juristischen Staatsexamen abschließt. Nach seinem Referendariat folgt 1977 das Zweite Juristische Staatsexamen. Von 1975 bis 1978 ist Bouffier als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Gießen tätig. 1978 erhält er seine Zulassung als Rechtsanwalt, 1984 zusätzlich als Notar. Von 1978 bis 1987 und erneut von 1991 bis 1999 lässt er sich als selbständiger Rechtsanwalt und Notar nieder.
In der Studienzeit erlebt Bouffier einen schweren Schicksalsschlag: Der erfolgreiche Basketballspieler, der es bis in die Jugend-Nationalmannschaft geschafft hat, überlebt nur knapp einen schweren Verkehrsunfall. Damit ist seine Karriere als Sportler beendet. Rückblickend sieht er die langwierige Genesungszeit als „Schlüssel für den Rest des Lebens (…). Ich habe ein Jahr im Krankenhaus gelegen und lange gebraucht, um mich wieder bewegen zu können“ (Der Spiegel, 15.04.2013).
Politischer Aufstieg und Netzwerkbildung
Geprägt durch sein politisches Elternhaus und provoziert durch die aus seiner Sicht maßlosen Vorstellungen der Achtundsechziger, die in der Universitätsstadt Gießen besonders präsent sind, tritt Bouffier 1968 der Jungen Union bei. Hier steigt der ehrgeizige junge Mann schnell auf: Noch als Student wird er 1972 Kreisvorsitzender der Jungen Union, 1976 stellvertretender Landesvorsitzender und von 1978 bis 1984 schließlich Landesvorsitzender in Hessen. Seit 1970 Mitglied der CDU, weiß Bouffier eine seiner charakteristischsten Eigenschaften für sich zu nutzen: sein Gespür für Kommunikation und für politische Netzwerke. Bereits Anfang der 1970er Jahre lernt er Roland Koch und Karlheinz Weimar kennen, die später zu engen Vertrauten werden. Als JU-Landesvorsitzender kommt er in Kontakt zu Führungspersonen der hessischen CDU wie Alfred Dregger, Walter Wallmann, Gottfried Milde oder Manfred Kanther. Seit 1978 gehört er zum Landesvorstand der hessischen CDU.
Tief verwurzelt in seiner Gießener Heimat, sorgt die Gebietsreform der SPD-Landesregierung dafür, dass sich Bouffier kommunalpolitisch engagiert. Gegen erbitterten Widerstand in der Bevölkerung werden Gießen und Wetzlar am 1. Januar 1977 zur Stadt „Lahn“ zusammengeschlossen. Die CDU lehnt diese Zwangsfusion ab und gewinnt bei den Kommunalwahlen 1977 die absolute Mehrheit. Bouffier wird – mit nur 26 Jahren – Vorsitzender der Bezirksvertretung Gießen. Dies ist der Einstieg in eine lange Phase intensiver Kommunalpolitik: 1979 bis 1992 amtiert er als Stadtverordneter in Gießen, ebenfalls ab 1979 gehört dem Gießener Kreistag an. Dort ist er von 1985 bis 1994 Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion.
Im gleichen Jahr wird Bouffier stellvertretender Vorsitzender und von 1987 bis 2004 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Gießen (ab 2004 Ehrenvorsitzender).
Aus dieser Zeit wurzelt auch Bouffiers enges Verhältnis zu Roland Koch. 1978 organisierte er die später so genannte „Tankstellen-Connection“, benannt nach dem ersten Treffen in der Autobahn-Raststätte Wetterau an der A5. Dabei trifft sich ein Freundeskreis von Aktivisten der hessischen Jungen Union, die bereits regionale Führungsfunktionen wahrnehmen. Dazu gehören unter anderem Roland Koch, Franz-Josef Jung
und Karlheinz Weimar. Bouffier leitet die Treffen. Gemeinsam will man die CDU modernisieren, Hessen von der SPD-Dominanz befreien und sich nicht zuletzt gegenseitig fördern. 1979 zählt Bouffier auch zu den Mitbegründern des legendären „Andenpaktes“. Dieser entsteht auf einer Reise führender JU-Funktionäre nach Lateinamerika mit ähnlicher Zielsetzung auf Bundesebene.
Die Mitgliedschaft in diesen Netzwerken ist typisch für Volker Bouffier, für den Politik nur mit einem engen Kontakt- und Unterstützungssystem auf Gegenseitigkeit funktionieren kann.
In der Landesregierung
1982 zieht Bouffier in den hessischen Landtag ein. 1987 wird der Jurist unter dem neuen CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann zum Staatssekretär im hessischen Justizministerium ernannt, hier lernt er das Regierungsgeschäft. Prägend werden für Bouffier in dieser Zeit der Polizisten-Doppelmord bei Protesten gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens sowie die deutsche Wiedervereinigung. 1991 lehnt er das Angebot, Justizminister in Thüringen zu werden, auf Anraten seines Förderers Walter Wallmann ab („Bleiben Sie hier, Minister werden Sie auch bei mir“). Bei den Landtagswahlen am 20. Januar 1991 wird die CDU jedoch abgewählt und Bouffier, dem es gelungen ist, ein Mandat zu erringen, drückt jetzt die Oppositionsbank.
Unter Walter Wallmanns Nachfolger Manfred Kanther, dem neuen starken Mann der hessischen CDU, rückt Bouffier 1992 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der Partei auf. Von 1993 bis 1999 amtiert er auch als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Neben der Ausübung seines Landtagsmandats ist er während dieser Jahre wieder als Rechtsanwalt und Notar tätig.
Hessischer Innenminister: Der „Schwarze Sheriff“
1999 wendet sich das politische Blatt. Nach einem hart geführten Wahlkampf, in dessen Mittelpunkt die umstrittene CDU-Kampagne gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft steht, gelingt die Ablösung der rot-grünen Landesregierung. Roland Koch wird zum hessischen Ministerpräsident gewählt. Als Nachfolger von Gerhard Bökel ernennt er seinen engen Vertrauten Bouffier zum Innenminister. In diesem Amt verbleibt der Gießener Politiker in den drei Koch-Kabinetten bis 2010. Dominiert wird die neue Landesregierung von einem „informellen Triumvirat“ (Siegfried Quandt) aus Koch, Bouffier und Karlheinz Weimar.
Als treuer Mitstreiter Roland Kochs gilt Bouffier schnell als „Hardliner“ unter den deutschen Innenministern, sein harter Kurs in der Sicherheitspolitik bringt ihm den Spitznamen „Schwarzer Sheriff“ ein. Bouffier beginnt mit der Umsetzung eines neuen Sicherheitskonzepts. Dazu gehören neben der spürbaren Erhöhung von Personal– und Sachausgaben die Umorganisation und strategische Neuausrichtung der hessischen Polizei. Diese beinhaltet auch die umstrittene Einführung des „Freiwilligen Polizeidienstes“ engagierter Bürger und der „Wachpolizei“ zur Entlastung der Polizeibeamten. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 setzt sich Bouffier für die Raster bzw. Schleierfahndung ein, für verstärkte Online-Überwachung sowie Datenspeicherung. Lob erhält Bouffier deswegen von der hessischen Polizei: „Keiner seiner Vorgänger kannte die Polizei so gut wie er, und keiner bewegte in seiner Amtszeit so viel“ (Hessische Polizei-Rundschau 6/2010). Dass Bouffier als Polizeiminister letztlich erfolgreich war, zeigt der deutliche Rückgang der Kriminalitätsdelikte bei gleichzeitig gestiegener Aufklärungsquote zwischen 1999 und 2009.
Einen Schwerpunkt in Bouffiers Amtszeit als Innenminister bildet die Ausländer- und Integrationspolitik. Seine Forderungen nach konsequenten Abschiebungen sowie ein umstrittenes Konzept für Wissens- und Wertetests für einbürgerungswillige Ausländer lösen 2006 bundesweite Diskussionen aus.
Nach den Neuwahlen 2009 behält Bouffier in der schwarz-gelben Koalition sein Amt als Innenminister. Anstelle von Karin Wolff wird er darüber hinaus zum stellvertretenden Ministerpräsidenten gewählt.
Hessischer Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender
Im Frühjahr 2010 kündigt Roland Koch seinen Rückzug aus der Politik an. Als Nachfolger im Ministerpräsidentenamt und als CDU-Landesvorsitzender schlägt er seinen engen Vertrauten und „ewigen Kronprinzen“ Volker Bouffier vor.
Dieser wird auf dem Landesparteitag der hessischen CDU in Willingen am 12. Juni 2010 mit 96 Prozent zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Bouffier will einen neuen Stil, aber „keine Revolution“: Die CDU soll weiblicher und jünger werden, Themen wie Umweltschutz und Integration sollen mehr Gewicht bekommen. Medien kommentieren den Wechsel von Koch zu Bouffier so: „Koch geht, das System bleibt bestehen“, sei Bouffier doch „vermutlich der Einzige, der die hessische Union besser kennt als der scheidende Chef“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.07.2010).
Am 31. August 2010 wird er im hessischen Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP zum Ministerpräsidenten gewählt. Bouffier holt neue Minister ins Kabinett, unter anderem Boris Rhein als Innenminister, Thomas Schäfer als Finanzminister und Lucia Puttrich als Umweltministerin.
Anders als von vielen erwartet gelingt dem „Law-and-Order-Minister“ Bouffier der Imagewechsel zum bürgernahen, jovialen und zunehmend liberaler auftretenden Landesvater. Hier hilft ihm sein Charakter, denn anders als sein Vorgänger gilt der neue Ministerpräsident – so Siegfried Quandt – als „kommunikativer Typ, der Nähe sucht, sie herzustellen weiß und auch längerfristig zulässt“.
Erste Erfolge dieser Haltung zeigen sich schon 2011: nach mehrmonatigen Verhandlungen wird der auch von den Oppositionsparteien SPD und Grüne getragene Energiekonsens im Landtag beschlossen, der bis 2050 einen Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energiequellen vorsieht. Auch die Verankerung der Schuldenbremse in der hessischen Verfassung gelingt im parteiübergreifenden Konsens und wird am 27. März 2011 durch eine Volksabstimmung beschlossen.
Gemeinsam mit Bayern reicht Hessen 2013 als Nettozahler Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen das bestehende System des Länderfinanzausgleichs ein.
Schwarz-Grün
Aus der Landtagswahl am 22. September 2013 geht die CDU mit leichten Zugewinnen als Sieger hervor, Volker Bouffier schafft mit 38,3 Prozent ein besseres Ergebnis als sein Vorgänger Roland Koch. Da der FDP der Einzug in den Landtag nur noch knapp gelingt, hat die alte Regierungskoalition keine Mehrheit mehr.
Nach wochenlangen Sondierungsgesprächen entscheidet sich Bouffier entgegen allgemeiner Erwartungen jedoch nicht für eine große Koalition mit der SPD, sondern wagt ein Bündnis mit den Grünen (11,1 Prozent). Begleitet von Pressekommentaren wie „Überraschungscoup“ (Parlament, 25.11.2013) oder „Kulturrevolution“ (Die Zeit, 14.11.2013) entsteht die schwarz-grüne Koalition – nach Hamburg die erste in einem deutschen Flächenland. Dies ausgerechnet in Hessen, wo sich die politischen Lager in den vergangenen Jahrzehnten besonders unversöhnlich gegenüber standen und die Anfeindungen zwischen Christdemokraten und Grünen bis zur persönlichen Ebene reichten.
Nachdem auch in der besonders umstrittenen Frage des Frankfurter Flughafenausbaus ein Kompromiss gefunden war, wird Volker Bouffier am 18. Januar 2014 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Bei der Abstimmung im Landtag erhält er sogar eine Stimme mehr als CDU und Grüne Abgeordnete haben.
Seitdem regiert Bouffier in einer von vielen Beobachtern als erstaunlich geräuscharm angesehenen Zusammenarbeit mit Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir, die einander zuvor als „spinnefeind“ galten (Spiegel online, 18.12.2013). Die Atmosphäre in der Koalition gilt als entspannt, Hessen steht im Bundesvergleich wirtschaftlich hervorragend da. Zudem genießt Bouffiers schwarz-grüne Wiesbadener Koalition ein gewisses Wohlwollen bei der Berliner Parteiführung, zeigt sie doch für die CDU weitere strategische Optionen auf.
Bei der Wahl zum 20. Hessischen Landtag am 28. Oktober 2018 bleibt die CDU zwar stärkste Partei, muss aber mit einem Wahlergebnis von 27 Prozent der Stimmen zweistellige Verluste hinnehmen. Die Grünen erreichen ihr historisch bestes Resultat in Hessen und lösen die SPD als zweitstärkste Kraft im Landtag ab. Trotz knapper Mehrheitsverhältnisse entscheidet sich die bisherige schwarz-grüne Landesregierung für eine Fortführung der gemeinsamen Koalition: Volker Bouffier wird mit der schwarz-grünen Ein-Stimmen-Mehrheit am 18. Januar 2019 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt und kann damit sein drittes Kabinett bilden.
Anfang des Jahres 2019 wird bekannt, dass Bouffier an Hautkrebs erkrankt ist. Nach erfolgreicher Behandlung nimmt er im Mai 2019 die Regierungsgeschäfte wieder in vollem Umfang auf.
Seit dem 14. März 2018 ist Volker Bouffier Deutschlands dienstältester amtierender Ministerpräsident.
Die politische Entwicklung der letzten Jahre ist bezeichnend für Volker Bouffier: So sieht die Presse ihn als „konservativ-liberalen Pragmatiker, der mit Leuten fremdelt, wenn sie ihr Weltbild wie eine Monstranz vor sich hertragen, grundsätzlich aber wenig Berührungsängste kennt“ (Die Welt, 18.12.2003), oder, wie Bouffier selber sagt: „Wenn Politiker menschlich miteinander können, finden Sie sachlich meistens einen Kompromiss“ (Quandt).
Wichtig ist dem Familienmenschen Bouffier auch der Rückzug ins Privatleben. Seit 1988 ist er mit seiner Frau Ursula verheiratet, mit der er die beiden Söhne Frederik und Volker hat. Seine Tochter Nina-Maria stammt aus erster Ehe.
Bouffiers Lebensmotto lautet „Carpe Diem“. Zwar gilt er als fleißiger „Aktenfresser“, doch stehen nach eigener Aussage „Geselligkeit, Spaß und Politik“ im Vordergrund…genau genommen steht dabei aber wohl die Politik ganz vorne!
Lebenslauf
- 18.12.1951 geboren in Gießen, evangelisch
- 1968 Mitglied der Jungen Union
- 1970 Abitur
- 1970 Mitglied der CDU
- 1970–1975 Studium der Rechtswissenschaften an der Justus-Liebig- Universität Gießen, 1975 Erstes Staatsexamen
- 1975–1978 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Gießen
- 1976–1984 Landesvorsitzender der Jungen Union Hessen
- 1977 Zweites Staatsexamen
- 1977–1979 Bezirksvorsteher der Stadt Gießen
- 1978–1987 Rechtsanwalt und Notar (erneut ab 1991)
- seit 1978 Mitglied im CDU-Landesvorstand Hessen, 1991 bis 2010 stellvertretender CDU-Landesvorsitzender
- 1979–1993 Stadtverordneter in Gießen
- 1982–1987 Mitglied des Hessischen Landtages
- 1987–2004 Kreisvorsitzender der CDU Gießen (nach 2004 Ehrenvorsitzender)
- 1987–1991 Staatssekretär im Hessischen Justizministerium
- seit 1991 Mitglied des Hessischen Landtages
- 1993–1999 stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion
- 1999–2010 Hessischer Minister des Innern und für Sport
- 2008–2010 stellvertretender Hessischer Ministerpräsident
- seit 2010 Landesvorsitzender der CDU Hessen
- seit 2010 Hessischer Ministerpräsident
- seit 2010 stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender
Literatur
- Siegfried Quandt: Volker Bouffier. Lebensgeschichte und Politik. Freiburg im Breisgau 2013.
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Werner D’Inka und Peter Lückemeier: „Ich will jeden Tag die Welt ein bisschen besser machen“. Volker Bouffier im Gespräch. Frankfurt am Main 2017.