Wie groß war der Einfluss Ernst Jüngers auf die Entwicklung der Neuen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland? Eine kritische Lektüre von Hauptwerken aus dem Umfeld neurechten Denkens lässt nicht den Schluss zu, dass man ihn zu den Vordenkern rechtsextremer Kräfte zählen kann. In seinen Schriften vollzog Jünger schon seit den 1930er Jahren eine Entwicklung vom Nationalismus zum „planetarischen Denken“. Im Zentrum seines geschichtlichen Denkens und literarischen Schaffens nach 1945 steht nicht die nationale Politik, sondern die Entwicklung der wissenschaftlich-technisch geprägten Moderne.
Prof. Dr. Helmuth Kiesel
9. Januar 2025
Essay
Science Museum/SSPL/Süddeutsche Zeitung Photo
Kapitalismus und Koloniale Expansion
Die Ursachen der Great Divergence aus wirtschaftshistorischer Sicht
Hat die koloniale Ausbeutung von Ländern und Kontinenten den wirtschaftlichen und damit auch politischen Erfolg des Westens erst ermöglicht? Ergibt sich daraus eine historische Schuld, die es wiedergutzumachen gilt? Die Ergebnisse der wirtschaftshistorischen Forschung liefern hierzu keine eindeutigen Antworten. De facto profitierten die Kolonialmächte nur partiell, während die koloniale Eroberung gleichzeitig hohe Kosten verursachte. Die These, dass der Kapitalismus die Triebkraft des Kolonialismus gewesen sei, erweist sich als bloße Behauptung. Tatsächlich war es die überlegene Wettbewerbsfähigkeit des kapitalistischen Modells, die den Aufstieg der westlichen Volkswirtschaften ermöglichte.
Prof. Dr. Werner Plumpe
15. November 2024
Essay
BArch, B 145 Bild-F000276-0017 / o.Ang.
Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft
Eine Würdigung des Rechtswissenschaftlers und Politikers Franz Böhm
Die Ordnung der Wirtschaft im Sinne einer Wettbewerbsordnung schützt die Einzelnen vor der Allmacht des Staates und der Konzentration wirtschaftlicher Macht. Beides ist interderpendent. Das Werk des Juristen und Wirtschaftswissenschaftlers Franz Böhm lässt sich auf diese Grundgedanken zurückführen. Böhm war einer der wichtigsten Köpfe der Sozialen Marktwirtschaft und hatte großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der CDU in der Nachkriegszeit. Der Zentralrat der Juden in Deutschland würdigte ihn 1970 mit dem Leo-Baeck-Preis als „Vater der Wiedergutmachung“.
Prof. Dr. Michael Wohlgemuth
29. Oktober 2024
Essay
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Totalitarismus
Politische Kampfvokabel, historisch-politikwissenschaftliche Analysekategorie und zeitdiagnostisches Stichwort
Erste Ansätze einer politikwissenschaftlichen Betrachtung totalitärer Systeme entstanden seit den 1920er Jahren vor dem Hintergrund des Aufstiegs historisch neuartiger, überaus gewaltbereiter und ideologischer Regime in Italien und Deutschland. Zu den Klassikern der Ideengeschichte des Totalitarismus zählt Hannah Arendt, aber eine ganze Reihe weiterer Autoren leistete im 20. Jahrhundert substanzielle Beiträge zu einer Analyse totalitärer Systeme. Angesichts der in jüngster Zeit weltweit zu beobachtenden Transformation autoritärer zu zunehmend totalitär agierenden Staaten interessiert sich die Forschung mehr und mehr für „Dynamiken der Autokratisierung“ und deren Bedingungsfaktoren.
Prof. Dr. Alexander Gallus
1. Oktober 2024
Essay
Friedrich Bungert/Süddeutsche Zeitung Photo
Die Rückkehr des Krieges
Alte und neue Formen militärischer Gewalt im 21. Jahrhundert
Die seit der Jahrhundertwende deutlich steigende Zahl militärischer Konflikte zwingt diejenigen Länder, die sich dem westlichen Ordnungsmodell verpflichtet fühlen, zur Bündelung ihrer Interessen und zu einem Überdenken bisheriger Sicherheitskonzepte. Zwei Merkmale zeichnen die neuen Kriege aus: Zum einen die „asymetrische Normalität“ der Kriegsführung, zum anderen der gleichzeitige Gebrauch modernster und auf den ersten Blick antiquiert erscheinender Waffensysteme. In Deutschland fehlt derzeit ein aufgeklärter Umgang der Öffentlichkeit mit der neuen Wirklichkeit und eine über Expertenkreise hinausgehende Diskussion, die der Komplexität internationaler Entwicklungen gerecht wird.
Wilfried von Bredow
27. August 2024
Essay
BArch, Plak 002-032-040 / o. Ang.
Völkische Weltanschauung
Eine Wegbereiterin des Totalitarismus
Völkisches Denken und humanistische Überzeugungen sind unvereinbar. Der völkische Nationalismus, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts herauszubilden begann und seit Beginn des Ersten Weltkriegs ein enormes Aggressionspotential entwickelte, bereitete den Boden für den Aufstieg des Nationalsozialismus und den Massenmord an den europäischen Juden. Antisemitismus und Rassismus stehen im Zentrum der völkischen Weltanschauung und prägen das Gedankengut völkischer Gruppierungen bis in die Gegenwart.
Prof. Dr. Uwe Puschner
5. August 2024
Essay
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Postkoloniales Denken
Eine Genealogie
Auch wenn er sich vorgeblich dagegen positioniert, ist der Postkolonialismus, eine der einflussreichsten geistigen Strömungen unserer Zeit, ein Produkt westlichen Denkens. Alan Posener verortet den Postkolonialismus in der Tradition antiliberaler Gesellschaftskritik und beschreibt den Antisemitismus als Schlüsselelement der postkolonialen Theorie.
Alan Posener
23. Juli 2024
Essay
Stefan Stahlberg / Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Gedenken an den Widerstand vom 20. Juli 1944: Einstehen für Freiheit, Menschlichkeit und Rechtsstaat
Wie sich die Anerkennung von Umsturzversuch und Stauffenberg-Attentat entwickelt hat und warum das Einschreiten der Widerstandskämpfer für unsere Demokratie so wertvoll sein kann
Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 war der Höhepunkt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Doch mit einem unvoreingenommenen Gedenken an dieses Ereignis tun wir uns nach wie vor schwer. Zwar wandelte sich im Lauf der Zeit die spezifisch antifaschistische oder antitotalitäre Widerstandserinnerung in Ost und West, doch bis heute hat sich der mutige Einsatz gegen die NS-Diktatur noch nicht als positiv besetzter, gesamtdeutscher historischer Bezugspunkt durchsetzen können. Dabei wäre gerade heute – die zunehmende Ausgrenzung und Radikalisierung vor Augen – eine Würdigung der Widerstandskämpfer und ihres bedingungslosen Einstehens für Freiheit, Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit notwendig. Sie zeigt wie wichtig es ist, sich jederzeit mit Mut und der Fähigkeit, gesellschaftliche und politische Gräben zu überwinden, persönlich für das Gemeinwohl einzusetzen.
Valerie Riedesel zu Eisenbach
16. Juli 2024
Essay
picture alliance / dpa | Maxim Shipenkov
Russland als Kriegsstaat
Militärische Gewalt und Neoimperialimus unter Wladimir Putin
Wie lässt sich das politische System Russlands und die Ideen, die ihm heute zugrunde liegen, auf einen Begriff bringen? Robert Kindler, Professor für Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas an der Freien Universität Berlin, schlägt vor, das Land mit der Kategorie des „Kriegsstaats“ zu beschreiben. Betrachtet man die Entwicklung Russlands in einer längerfristigen Perspektive, zeigen sich deutliche Kontinuitäten zur Sowjetunion und die Allgegenwart einer Gewaltgeschichte, deren Ende derzeit nicht absehbar ist.
Robert Kindler
25. Juni 2024
Essay
Allan Harris / flickr / CC BY-ND 2.0 / creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/
Das meritokratische Prinzip
Ohne „natürliche Aristokratie“ stirbt die Demokratie
Die liberale Demokratie steht unter Druck: Bisher galt als Konsens, dass Leistung die Grundlage für eine Karriere begründet und Anerkennung verdient. Doch dieses „meritokratische Prinzip“ – einst beispielsweise sicherste Grundlage für die Gleichberechtigung der Frau in Staat und Politik – ist im Niedergang begriffen: Gleichheit wird radikal ausbuchstabiert, einstmals wichtige Institutionen werden zerstört und die Leistungselite wird als „Establishment“ verunglimpft. Wenn die Demokratie eine Herrschaft der Demagogen abwenden und überleben will, muss sie eine „natürliche Aristokratie“ kultivieren, meritokratisch geprägt und offen für neue Mitglieder.
Die hier publizierten Essays befassen sich in knapper Form mit politischen und historischen Themen und stellen wissenschaftliche und publizistische Standpunkte zur Debatte.